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01.12.2005 · IWW-Abrufnummer 053367

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 17.03.2005 – 4 Sa 11/05

1. Die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses führt stets zur Vergütungspflicht



2. Nur dann, wenn keine Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung gesteht (Einfühlungsverhältnis), ist die Unentgeltlichkeit nicht zu beanstanden.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Im Namen des Volkes
Urteil

Aktenzeichen: 4 Sa 11/05

Verkündet am 17. März 2005

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 4. November 2004 (2 Ca 2106 b/04) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses und um einen Lohnanspruch.

Der Beklagte, ein Transportunternehmer, suchte über die Bundesagentur für Arbeit einen vollzeitbeschäftigten Kraftfahrer für ein monatliches Netto in Höhe von 1.200,00 EUR, und zwar ab dem 1. Juli 2004. Der Kläger bewarb beim Beklagten, die Parteien führten am 8. Juni 2004 ein Bewerbungsgespräch, dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist.

Der Kläger arbeitete an den ersten beiden Tagen zusammen mit dem Zeugen H... , der ihn einarbeitete. Ab dem 14. Juni 2002 war der Kläger allein als Kraftfahrer für den Beklagten tätig, und zwar Montag bis Freitag jeweils von 06:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Am Samstag, 19. Juni 2004, arbeitete er von 06:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr. In der folgenden Kalenderwoche war er wiederum tätig von Montag bis Freitag jeweils von 06:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Er erschien auf Weisung des Beklagten jeden Morgen gegen 06:00 Uhr bei der Spedition G in K. und erhielt dort einen Tourenplan zur Beförderung von Post. Diese Tour dauerte bis 09:00 Uhr. Dann erhielt er bei der Spedition G. den Plan für die zweite Tour zur Beförderung von Stückgut, regelmäßig im Raum .... Dieser Arbeitsablauf wiederholte sich im Zeitraum vom 8. bis 25. Juni 2004 täglich.

Am 25. Juni 2004 teilte der Beklagte dem Kläger fernmündlich mit, dass er nicht weiter eingesetzt werde.

Der Kläger begehrte mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19. Juli 2004 Arbeitsvergütung für die Zeit vom 8. Juni bis 30. Juni in Höhe von 920,00 EUR netto, was der Beklagte mit Schreiben vom 26. Juli 2004 ablehnte.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Zahlung in Höhe von insgesamt 4.520,00 EUR netto für die Zeit vom 8. Juni 2004 bis 30. September 2004.

Wegen des weiteren streitigen Sachverhaltes, insbesondere des prozessualen Verlaufs und des streitigen Vortrages der Parteien in erster Instanz und der dort gestellten Anträge, wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, die Parteien hätten am 8. Juni 2004 einen Arbeitsvertrag geschlossen, nach dessen Inhalt der Kläger für den Beklagten die Tätigkeit eines Kraftfahrers ausüben sollte. Mit Aufnahme der Tätigkeit am 8. Juni 2004 sei der Arbeitsvertrag durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen. Der Kläger sei weder Praktikant gewesen noch habe er sich in einem Anlernverhältnis oder befristeten Probearbeitsverhältnis befunden. Die Befristung scheitere bereits an der fehlenden Schriftform. Der Kläger habe daher auch Anspruch auf Arbeitsvergütung in der eingeklagten Höhe.

Gegen das ihm am 15. Dezember 2004 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 6. Januar 2005 Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.

Der Beklagte behauptet:

Im Rahmen des Bewerbungsgespräches vom 8. Juni 2004 hätten sich die Parteien darauf geeinigt, dass der Kläger ein zweiwöchiges unentgeltliches Praktikum als Test absolviere und anschließend entschieden werde, ob er die zum 1. Juli 2004 zu besetzende Position einnehmen könne. Er - Beklagter - habe dem Kläger erklärt, dass er wegen des Körpervolumens des Klägers eine Beschäftigung für sehr problematisch halte. Der Kläger habe versucht, diese Bedenken auszuräumen. Deshalb sei es zu der Vereinbarung über das unentgeltliche Praktikum gekommen. In diesem Zusammenhang habe er den Kläger aufgefordert, ihm den in solchen Fällen üblichen Erhebungsbogen der Bundesagentur für Arbeit für Eignungsfeststellungsbeschäftigungen zu übermitteln. Der Kläger habe jedoch erwidert - unstreitig -, dass er bereits seit langer Zeit keine Leistungen der Bundesagentur für Arbeit mehr erhalte und dies deshalb nicht notwendig sei. Da das durchgeführte Praktikum nicht zu seiner Zufriedenheit gelaufen sei, habe er dem Kläger am 25. Juni 2004 fernmündlich mitgeteilt, dass das bis zum 25. Juni 2004 befristete Praktikum an diesem Tage sein Ende finden werde und dass er ihn für eine Festanstellung ab 1. Juli 2004 nicht mehr berücksichtigen könne und werde.

Daraus - so meint der Beklagte - folge, dass die Feststellungen des Arbeitsgerichts zur Kündigung im Beschäftigungsverhältnis neben der Sache lägen. Es sei nicht ein Arbeitsverhältnis, sondern ein Praktikum vereinbart worden, das nicht von § 623 BGB erfasst werde. Die Vereinbarung unentgeltlicher Tätigkeit verstoße nicht gegen ein gesetzliches Verbot.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel (2 Ca 2106 b/04) vom 4. November 2004 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger bestreitet die Vereinbarung eines unentgeltlichen Praktikums und weist darauf hin, dass er weisungsabhängig tätig gewesen sei. Es sei auch nicht darum gegangen, seine Befähigung für die Tätigkeit festzustellen. Die Befähigung zum Fahrer habe er mit dem Erwerb eines Führerscheins erlangt. Im Rahmen des Einstellungsgespräches sei auch nicht über einen Praktikumstest oder eine Eignungsfeststellung oder Erprobung gesprochen worden. Er habe den Beklagten darauf hingewiesen, aus früheren Tätigkeiten bereits Erfahrungen im Postverkehr als Kurierfahrer zu haben. Darauf habe der Beklagte gesagt, er - Kläger - könne bei ihm sofort anfangen. Von einer unentgeltlichen Tätigkeit sei keine Rede gewesen. Die Parteien hätten ausdrücklich darüber gesprochen, dass der Beklagte die Tätigkeit mit 1.200,00 EUR netto im Monat vergüte.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufung wird Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und frist- und formgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Berufungskammer in vollem Umfang auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils Bezug.

Der Beklagte führt die Berufung im Wesentlichen mit der Behauptung, er habe mit dem Kläger ein unentgeltliches zweiwöchiges Praktikum vereinbart.

Diese Behauptung, selbst wenn sie als wahr unterstellt wird, vermag nicht zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung zu führen.

1.

Der Beklagte möchte mit dem Hinweis auf die behauptete Vereinbarung eines unentgeltlichen Praktikums diese Rechtsbeziehung aus dem Arbeitsrecht lösen. Ihm ist zuzustimmen, dass es grundsätzlich denkbar ist, auf der Grundlage der Vertragsfreiheit zu einer Vereinbarung zu gelangen, wonach sich ein potentieller zukünftiger Arbeitnehmer im Betrieb aufhält, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Es handelt sich dabei um ein so genanntes "Einfühlungsverhältnis" (vgl. zum Begriff: LAG Bremen, Urt. v. 25. Juli 2002, 3 Sa 83/02, in: LAG Report 2002, S. 357; LAG Hamm, Urt. v. 24. Mai 1989, 15 Sa 18/89, in: BB 1989, S. 1759).

2.

Das Einfühlungsverhältnis verfolgt einen sehr ähnlichen Zweck wie das Probearbeitsverhältnis. Auch hier haben die Vertragsparteien das Bedürfnis, die Voraussetzungen der Zusammenarbeit zu klären, bevor sie sich endgültig binden. Unterstellt man den Vortrag des Beklagten als wahr, so war dies auch sein Ziel. Auch beim so genannten "Einfühlungsverhältnis" haben die Vertragsparteien das Bedürfnis, die Voraussetzungen der Zusammenarbeit zu klären, bevor sie sich endgültig binden (Preis/Kliemt/Ulrich, AR-Blattei SD, Probearbeitsverhältnis, Rdnr. 22). Dem Arbeitnehmer soll Gelegenheit gegeben werden, sich mit den betrieblichen Verhältnissen vertraut zu machen, insbesondere soll er seinen Arbeitsplatz kennen lernen. Das Einfühlungsverhältnis ist kein echtes Arbeitsverhältnis, sondern ein loses Rechtsverhältnis eigener Art. Der Arbeitnehmer wird in den Betrieb aufgenommen, ohne seinerseits Pflichten zu übernehmen. Er unterliegt während dieser Zeit lediglich dem H... srecht, nicht aber auch dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Er muss regelmäßig keine bestimmte Arbeitszeit einhalten und ist auch nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet (LAG Hamm, Urt. v. 24. Mai 1989, a. a. O.; LAG Bremen, Urt. v. 25. Juli 2002, a. a. O., unter 2. a. der Gründe). Zur Vergütungszahlung ist der Arbeitgeber nur verpflichtet, wenn eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer verwertbare oder nützliche Tätigkeiten verrichtet hat. Man kann es deshalb als unverbindliche Kennenlernphase bezeichnen (Preis/Kliemt/Ulrich, a. a. O.).

Die Zulässigkeit von Einfühlungsverträgen ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Gefahr, dass auf diesem Wege zwingendes Arbeitsrecht umgangen wird, besteht nicht. Denn da dem Mitarbeiter keine festen Bindungen auferlegt werden, bringen Einfühlungsverträge dem Arbeitgeber kaum Vorteile. Allerdings ist stets genau zu prüfen, ob es sich nur um eine unverbindliche Kennenlernphase handelt oder aber um ein Probearbeitsverhältnis. Indizien sind die den Parteien im Bindungszeitraum auferlegten Pflichten, vor allem die Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber (Preis/Kliemt/Ulrich, a. a. O., Rdnr. 24).

3.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich die Vertragsbeziehung zwischen den Parteien ab dem 8. Juni 2004 nicht als so genanntes Einfühlungsverhältnis, sondern als Arbeitsverhältnis. Allenfalls für die ersten zwei Tage, an denen der Kläger mit einem Kollegen fuhr, der ihn einarbeitete, könnten für ein so genanntes Einfühlungsverhältnis in Betracht kommen. Die beiden folgenden Wochen aber nicht mehr. Denn in dieser Zeit hat der Kläger eine vollständige Arbeitsleistung auf einem Vollzeitarbeitsplatz erbracht, und zwar weisungsabhängig und unter Beachtung des Direktionsrechts des Beklagten. Der Beklagte hat ihn in seinen Betrieb eingegliedert, ihm Touren zugewiesen und ihn damit zur Ausführung dieser Tätigkeiten auch verpflichtet. Es kann gerade keine Rede davon sein, dass es nur darum ging, den Betrieb kennen zu lernen, ohne jedoch etwaigen Arbeitspflichten zu unterliegen. Das Gegenteil war der Fall: Der Kläger musste täglich eine bestimmte Arbeitsleistung erbringen. Der Beklagte hat seinen betrieblichen Ablauf darauf eingestellt, diese Arbeitsleistung vom Kläger zu erhalten. Hätte der Kläger die Dienste nicht erbracht, hätte er sich vertragswidrig verhalten. Dies belegt im Übrigen der eigene Vortrag des Beklagten, wenn er in seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 22. September 2004 darauf hinweist, in den darauf folgenden weiteren 10 Werktagen sei mehrmals von der Speditionsleitung die Mahnung gekommen, die Ausfahrleistung des Klägers sei nicht ausreichend gewesen. Auch sei in der Zeit seiner Beschäftigung als Praktikant keinerlei Leistungssteigerung feststellbar gewesen. Der Beklagte selbst ging also daher von einer Verpflichtung des Klägers zur Erbringung einer Arbeitsleistung aus, die aus seiner - des Beklagten - Sicht unzureichend war und für ihn zur Folge hatte, die Rechtsbeziehung nicht fortzusetzen. In einer solchen Situation kann aber nicht mehr von einer unverbindlichen Kennenlernphase die Rede sein, sondern es handelt sich dabei um ein Probearbeitsverhältnis, in dem sich der Arbeitnehmer verpflichtet zur Erbringung von Arbeitsleistung und der Arbeitgeber es sich vorbehält, nach Ablauf der Probezeit eine Entscheidung darüber zu treffen, ob das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird oder nicht.

4.

Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses sei eine unentgeltliche Tätigkeit vereinbar, weil dies nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht, insbesondere nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen eines echten Arbeitsverhältnisses - sei es auch nur in Form eines Probearbeitsverhältnisses - der Schutzzweck des Arbeitsrechts es verbietet, mit dem Arbeitgeber Vereinbarungen zu treffen, wonach der Arbeitnehmer sich zwar verpflichtet, für ihn weisungsabhängig tätig zu sein, der Arbeitgeber allerdings keine Gegenleistung erbringt. Zwar schließt § 612 BGB nicht aus, unentgeltliche Dienstleistungen zu vereinbaren. Die Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses führt jedoch stets zu einer Vergütungspflicht (ErfK-Preis, § 612 Rdnr. 1 a. E.). Nur dann, wenn keine Verpflichtung zu Erbringung der Arbeitsleistung besteht (Einfühlungsverhältnis), ist die Unentgeltlichkeit nicht zu beanstanden.

Nach alledem bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. Wegen der weiteren Begründung der Ansprüche des Klägers ist zur Vermeidung von Wiederholungen zu verweisen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Ihnen ist nichts hinzuzufügen.

5.

Schließlich bestehen für die Berufungskammer auch keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, dass das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich geendet hat. Der Beklagte hat insoweit schriftsätzlich und insbesondere in der Berufungsbegründungsschrift nichts substantiiert vorgetragen. Auch zur Frage des Vorsitzenden in der Berufungsverhandlung hat er sich diesbezüglich nicht klar geäußert und behauptet, zu einem bestimmten Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis gekündigt zu haben. Er hat zwar so etwas angedeutet, auf Bestreiten des Beklagten, eine Kündigung erhalten zu haben, seinen Vortrag aber nicht konkretisiert.

Nach alledem ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es handelt sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 612

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