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15.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187243

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 22.06.2016 – 31 U 234/15

Zur Kündigung eines Bausparvertrages durch die Bausparkasse


Oberlandesgericht Hamm

31 U 234/15

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 16.10.2015 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

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Gründe:

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I.

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Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der von der Beklagten gekündigte Bausparvertrag Nr. # ### ### ### über den 30.06.2015 hinaus fortbesteht.

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Die Klägerin schloss 1984 mit der Beklagten einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme in Höhe von 10.000,- DM ab, den sie 1992 auf eine Bausparsumme von 50.000,- DM (= 25.564,59 €) erhöhte. Sie wählte hierbei den Tarif I. Gemäß § 6 Abs. 1 der Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge der Beklagten (ABB) wird das Bausparguthaben mit jährlich 3 % verzinst. Nach § 11 Abs. 1 ABB wird der Bausparvertrag zugeteilt, wenn seit dem Vertragsabschluss mindestens 18 Monate vergangen sind, eine bestimmte Bewertungszahl erreicht oder ein Bausparguthaben von mindestens 40 % der Bausparsumme angespart worden ist. In § 9 Abs. 1 ABB heißt es: „Die Bausparkasse kann den Bausparvertrag nicht kündigen, solange der Bausparer seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.“ In § 14 Abs. 1 ABB ist weiter geregelt: „Verzichtet der Bausparer auf die Zuteilung oder wird die Zuteilung widerrufen (§ 13 Abs. 3), wird der Bausparvertrag fortgesetzt.“ Wegen der weiteren vereinbarten Bedingungen wird auf die Anlage „Allgemeine Bedingungen für Bausparverträge der Landes-Bausparkasse Düsseldorf/Münster Tarife I und II“ (Bl. 28 ff. GA) verwiesen.

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Am 31.01.2000 lagen die Zuteilungsvoraussetzungen des Bausparvertrages vor. Die Klägerin machte in der Folgezeit von ihrem Zuteilungsrecht keinen Gebrauch. Auf ihre Veranlassung wurden monatlich 40,- € vermögenswirksame Leistungen auf den Bausparvertrag überwiesen.

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Mit Schreiben vom 10.11.2014 wies die Beklagte die Klägerin auf die seit über 10 Jahren vorliegende Zuteilungsreife hin und bat um Mitteilung bis zum 05.12.2014, ob das Bausparguthaben für Modernisierungsbedarf oder den Erwerb von Wohneigentum eingesetzt werden solle. Mit Schreiben vom 12.12.2014 kündigte die Beklagte den Bausparvertrag zum 30.6.2015. Das Bausparguthaben betrug Ende 2014 18.669,30 €.

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Die Klägerin hat vorgetragen, die ausgesprochene Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die vereinbarte Bausparsumme noch nicht vollständig angespart sei. Die Beklagte könne die Vorschrift des § 489 BGB wegen der Besonderheiten eines Bausparvertrages nicht in Anspruch nehmen, zumal es sich um eine Verbraucherschutzvorschrift handele.

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Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ihr habe gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kündigungsrecht zugestanden. Das Eintreten der Zuteilungsreife sei als vollständiger Empfang des Darlehens im Sinne der Vorschrift zu verstehen.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien einschließlich der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteil (Bl. 121 f. GA) verwiesen.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Kündigung berechtigt gewesen. Die Vorschriften der §§ 488 ff. BGB seien auf Bausparverträge anwendbar. Bei einem Bausparvertrag handele es sich um einen einheitlichen Darlehensvertrag, bei dem zunächst der Bausparer als Darlehensgeber anzusehen sei und bei dem die Parteien mit Inanspruchnahme des Bauspardarlehens ihre Rollen als Darlehensgeber und Darlehensnehmer tauschten. § 489 BGB bezwecke die Schaffung eines Interessenausgleichs zwischen den Parteien eines Darlehensvertrages und solle den Darlehensnehmer vor überlangen Bindungen an festgelegte Zinsen schützen. Auf diese Weise sollten marktgerechte Zinsen ermöglicht werden. Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei nicht auf Verbraucher begrenzt. Eine solche Einschränkung ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus der systematischen Stellung der Norm noch aus dem gesetzgeberischen Willen. Die Voraussetzungen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB seien gleichfalls gegeben. Es sei ein gebundener Sollzinssatz von 3 % vereinbart worden. Im Übrigen sei die eingetretene Zuteilungsreife dem vollständigen Empfang der Darlehensvaluta im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gleichzusetzen. Mangels einer Pflicht des Bausparers zur Abnahme des Bauspardarlehens stehe kein an die Bausparkasse zu entrichtender Darlehensbetrag fest, an dem sich der Zeitpunkt für die Kündigungsmöglichkeit nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB orientieren könne. Dies rechtfertige es aber nicht, die Dauer der Sparphase in das uneingeschränkte Belieben des Bausparers zu stellen, da eine überlange Ansparung nicht dem Zweck des Bausparens entspreche. Zweck des Bausparvertrages sei nicht die zinsgünstige Geldanlage, sondern die Erlangung eines Bauspardarlehens zu einem günstigen, von Anfang an feststehenden und von den Schwankungen des Kapitalmarkts unabhängigen Zinssatz. Das Erreichen der Bausparsumme sei daher für die Kündigungsmöglichkeit nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu spät angesetzt. Als Anknüpfungspunkt bleibe nur das Erreichen der Zuteilungsreife. Das Kündigungsrecht der Bausparkasse sei auch nicht durch § 9 Abs. 1 ABB vertraglich ausgeschlossen. Dabei könne offen bleiben, ob § 9 Abs. 1 ABB das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB einbeziehen solle. Der vertragliche Ausschluss dieses Kündigungsrechtes wäre wegen § 489 Abs. 4 S. 1 BGB in jedem Fall unwirksam. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils (Bl. 122 ff. GA) Bezug genommen.

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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Die Klägerin ist der Auffassung, „§ 489 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs BGB“ (Bl. 139 GA) sei nicht eröffnet, da die Bestimmung teleologisch zu reduzieren sei. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfes zur Vorgängerbestimmung des „§ 489 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 609 a Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F.“ (Bl. 139 GA) gehe es darum, den Darlehensschuldner bei Auslaufen einer beiderseitigen Zinsbindung nicht schutzlos dem in den AGB der Banken und Bausparkassen enthaltenen einseitigen Zinsbestimmungsrecht auszusetzen. Dem Darlehensnehmer sei ein Kündigungsrecht eingeräumt worden, um ihm die Möglichkeit zu verschaffen, einen marktüblichen Zinssatz auszuhandeln. Die ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs ausschließlich auf das Aktivgeschäft abzielende Regelung sei auf das Passivgeschäft der Banken nicht anwendbar. Die Beklagte sei demgegenüber nicht schutzbedürftig. Sie habe die Rechtsmacht, die Vertragsbedingungen und damit auch Art und Umfang der Zinsänderungen zu bestimmen. Die Bausparkassen hätten zudem die Gefahr erkannt, dass ihr Geschäft bei Niedrigzinsphasen nicht funktioniere. Sie hätten in ihren AGB dadurch Vorsorge getroffen, dass sie Sonderzahlungen auf das Bausparguthaben von ihrer Zustimmung abhängig gemacht hätten. Dass sich dieser Mechanismus als unzureichend erwiesen habe, könne nicht zulasten des Bausparers gehen. Die Klägerin weist schließlich darauf hin, dass sie den Bausparvertrag bis zur Kündigung der Beklagten weiter angespart habe; für sie bestehe immer noch die Möglichkeit, aufgrund des Vertrages ein Bauspardarlehen zu erhalten. Schließlich sei das Kündigungsrecht der Beklagten verwirkt, da der Vertrag bereits seit dem 31.01.2000 zuteilungsreif gewesen sei und die Beklagte ihr angebliches Kündigungsrecht jahrelang nicht geltend gemacht habe.

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Die Klägerin beantragt,

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1) unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 16.10.2015 - Az. 014 O 181/15 – festzustellen, dass der bei der Beklagten bestehende Bausparvertrag der Klägerin Nr. # ### ### ### über den 30.06.2015 hinaus besteht;

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2) die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin von den durch die außergerichtliche Tätigkeit der Sozietät C Rechtsanwälte Steuerberater entstandenen Kosten i.H.v. 597,74 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen;

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3) für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte meint, sie könne sich auf die Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen. Der Zeitpunkt des vollständigen Darlehensempfangs unterliege grundsätzlich der Disposition der Parteien. Ein Darlehen sei vollständig empfangen, wenn der Darlehensgeber es dem Darlehensnehmer nach den getroffenen Vereinbarungen zur Verfügung gestellt habe, wobei bei Teilzahlungen dies mit Eingang der letzten Teilzahlung der Fall sei. Die Höhe der vereinbarten Darlehenssumme sei durch Auslegung der allgemeinen Bausparbedingungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Bausparvertrages zu bestimmen. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 BSpKG sei Ziel des Bausparvertrages, ein zinsgünstiges und zinssicheres Bauspardarlehen zu erlangen, welches für wohnungswirtschaftliche Zwecke zu verwenden sei. Diesen Vertragszweck habe die Beklagte in § 1 Abs. 1 ihrer ABB auch zur Grundlage des hier geschlossenen Bausparvertrages gemacht. Eine Vollbesparung sei demgegenüber nicht vorgesehen gewesen. Als sinnvoller Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt des vollständigen Empfangs des Darlehens komme daher nur die Zuteilungsreife in Betracht. Das in der Ansparphase der Bausparkasse zu gewährende Darlehen sei der Höhe nach auf die Sparbeiträge beschränkt, die für eine Zuteilung des Bausparvertrages notwendig seien. Die erstmalige Zuteilungsreife stelle die von den Parteien vereinbarte „Zäsur“ im Ablauf des Bausparvertrages dar. Damit werde das Vertragsziel, dem Bausparer eine Option auf ein Bauspardarlehen zu verschaffen, erreicht.

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Soweit der Bausparer nach § 5 Abs. 1 S. 2 ABB verpflichtet sei, den Regelsparbeitrag auch nach Zuteilungsreife weiter zu entrichten, werde dieses Recht von vornherein durch die zeitliche Grenze des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB beschränkt. Tatsächlich bestehe eine Verpflichtung des Bausparers zur Zahlung von Regelsparbeiträgen auch nicht, da die Sparleistungen allein aufgrund der Entscheidung des Bausparers aus finanziellen Überschüssen erbracht werden sollten. Gehe man von einer Sparpflicht des Bausparers aus, wäre ihm im Übrigen ein widersprüchliches Verhalten nach §§ 162, 242 BGB vorzuwerfen. Denn hätte er die Zahlungen wie in den ABB vorgesehen erbracht, wäre der Bausparvertrag nach § 488 Abs. 3 BGB wegen Erreichens der Bausparsumme kündbar gewesen.

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Im Hinblick auf den Zweck des Bausparvertrages sei der Bausparer nach Ablauf von 10 Jahren nach Zuteilungsreife nicht mehr schutzwürdig. Andererseits gelte der Schutzgedanke des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB für Bausparkassen im besonderen Maße. Denn bei Bausparverträgen würden bereits bei Vertragsabschluss feste Guthaben- und Darlehenszinsen für eine vertragliche Gesamtlaufzeit festgelegt, die zeitlich nicht befristet und vom Sparverhalten des Bausparers abhängig seien. Die in den letzten Jahren erheblich gesunkenen Kapitalzinsen bewirkten eine lange Bindung an einen nicht mehr marktgerechten Zins. Die Schutzbedürftigkeit der Bausparkasse entfalle auch nicht durch die Regelung des § 5 Abs. 3 ABB. Die Vorschrift wolle lediglich sicherstellen, dass eine ausreichende Zuteilungsmasse vorhanden sei, um so das Bausparkollektiv zu schützen. Dieser Zweck würde ins Gegenteil verkehrt, wäre die Bausparkasse in Niedrigzinsphasen – in denen nur wenige Bauspardarlehen in Anspruch genommen würden – verpflichtet, hochverzinsliche Sparanlagen anzunehmen. Derzeit erzielten die Bausparkassen durch die Wiederanlage der Bauspareinlagen weniger Zinsen als sie an die Bausparer auszahlen müssten, zumal ihnen für die Wiederanlage gemäß § 4 BauSparkG nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Verfügung stünden. Die Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung erfordere damit ebenfalls ein Kündigungsrecht der Bausparkasse. Ohne dieses Recht könne der Bausparer eine attraktive Guthabenverzinsung erhalten, ohne dass er hierfür eine Gegenleistung durch die von ihm aufzubringenden Darlehenszinsen erbringen müsse.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

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II.

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Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Feststellung zu, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Bausparvertrag fortbesteht.

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Auf das vorliegende Vertragsverhältnis findet gemäß Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) seit dem 1. Januar 2003 Anwendung. Die Beklagte hat den Vertrag mit Schreiben vom 12.12.2014 gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB wirksam zum 30.6.2015 gekündigt.

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1. Die Beklagte war im Zeitpunkt der Kündigung Darlehensnehmerin im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

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Die herrschende Meinung sieht in dem Bausparvertrag einen auf längerfristige Bindung der Vertragspartner abzielenden einheitlichen Darlehensvertrag mit der Besonderheit, dass Bausparkasse und Bausparer während der Vertragszeit ihre jeweiligen Rollen als Darlehensgeber und Darlehensnehmer tauschen. In der Ansparphase ist der Bausparer als Darlehensgeber anzusehen und die Bausparkasse als Darlehensnehmerin zu qualifizieren. Mit Annahme der Zuteilung erhält der Bausparer ein Darlehen und die Bausparkasse wird zur Darlehensgeberin (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.10.2011, 9 U 151/11; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15; LG Düsseldorf, Urteil vom 08.04.2016, 8 O 109/15; Staudinger/Mülbert, BGB, Stand 2015, § 488 Rn. 539 mwN; offengelassen in BGHZ 187, 360 ff).

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§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gilt für alle Arten von Darlehensverträgen (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 489 Rn. 1), demzufolge auch für das in der Ansparphase der Bausparkasse gewährte Darlehen (OLG Köln, Beschluss vom 15.02.2016, 13 U 151/15); Staudinger/Mülbert, BGB, Stand 2015, § 488 Rn. 549 mwN; a.A. AG Ludwigsburg, Urteil vom 07.08.2015, 10 C 1154/15; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016, 9 U 230/15). In diesem Sinne ist in den Gesetzgebungsmaterialien zum vergleichbaren § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. ausgeführt, dass Absatz 1 Nr. 3 dem Schuldner bei allen festverzinslichen Darlehen („in jedem Falle") nach Ablauf von 10 Jahren nach der Auszahlung ein gesetzliches Kündigungsrecht gewähre. Spätestens nach Ablauf dieses Zeitraums werde dem Schuldner das Recht eingeräumt, sich durch Kündigung vom Darlehensvertrag zu lösen. Da das Anliegen dieser Regelung, den Schuldner nach Ablauf einer längeren Zeit vor der Bindung an einen nicht mehr zeitgemäßen Zinssatz zu bewahren, für alle festverzinslichen Darlehen gleichermaßen Bedeutung habe, werde sie im Entwurf (§ 609 a Abs. 1 Nr. 3) aufgegriffen und auf alle festverzinslichen Darlehen ausgedehnt (BT-Drucks. 10/4741 vom 29.1.1986, S. 23).

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Das Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB steht grundsätzlich auch Darlehensnehmern, die nicht Verbraucher sind, zu, da die Vorschrift ihrem Wortlaut nach eine Begrenzung in personeller Hinsicht nicht enthält und auch nach der Systematik eine solche nicht beabsichtigt war (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 15.02.2016, 13 U 151/15; Staudinger/Mülbert, BGB, Stand 2015, § 488 Rn. 549 mwN). Der Gesetzgeber hat insoweit klargestellt, dass die Kündigungsmöglichkeiten des Darlehensnehmers, der Verbraucher ist, sich nunmehr in § 500 BGB-E befänden und die Kündigungsmöglichkeiten nach den §§ 489, 490 ergänzten (BT-Drucks. 16/11643 vom 21.1.2009, S. 74). Daraus lässt sich entnehmen, dass der Anwendungsbereich des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht auf Verbraucher beschränkt werden sollte. Die Sondervorschriften zu Verbraucherverträgen im BGB beginnen erst ab § 491 BGB.

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Für eine telelogische Reduktion der Vorschrift dahin, dass § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB keine Anwendung auf Passivgeschäfte von Bausparkassen findet (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016, 9 U 230/15), besteht angesichts des Wortlauts und der Gesetzessystematik kein Raum (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 08.04.2016, 8 O 148/15; Edelmann/Suchowerskyj, Kündigung von Bausparverträgen – keine teleologische Reduktion des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB, BB 2015, 3079 ff.). Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich gleichfalls nicht, dass der Gesetzgeber Bausparkassen den Schutz des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB versagen wollte. Soweit zur Begründung der gegenteiligen Auffassung auf § 247 BGB in der bis zum 31.12.1986 gültigen Fassung abgestellt wird, hat der Gesetzgeber durch die Neuschaffung des mit dem heutigen § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB wortidentischen § 609a Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. von dem ursprünglichen personellen Anwendungsbereich des § 247 BGB a.F. – wie oben aufgezeigt – Abstand genommen (vgl. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 3079 ff.). Es lässt sich insoweit nicht aus § 247 BGB a.F. herleiten, dass der Gesetzgeber Kreditinstituten den Schutz versagen wollte, sich von Zinsbindungen, die nicht mehr den Marktbedingungen entsprechen, bei langen Vertragslaufzeiten zu lösen. Dies gilt für Bausparkassen umso mehr, als diese im besonderen Maße schutzwürdig erscheinen, da ihre Guthabenzinssätze noch unter den marktüblichen Zinssätzen liegen müssen, um das Ziel zinsgünstiger Bauspardarlehen erreichen zu können (vgl. Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 3079; LG Hannover, Urteil vom 13.07.2015, 14 O 93/15). Nicht überzeugend erscheint auch das weitere Argument, der Bausparer sei dem Zinsbestimmungsrecht der Bausparkasse ausgeliefert und befinde sich in der wirtschaftlich schwächeren Position, daher müsse ausschließlich er geschützt werden. Im Gegensatz zur Bausparkasse steht dem Bausparer das Recht (§ 9 Abs. 2 ABB) zu, jederzeit den Vertrag zu kündigen und sich der Zinsbindung zu entziehen. Die gegenteilige Auffassung (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016, 9 U 230/15) steht ferner in Widerspruch zu § 489 Abs. 4 S. 2 BGB. Die Regelung setzt voraus, dass Darlehensnehmer nicht nur Verbraucher, sondern grundsätzlich auch sonstige Institutionen – u.a. die in der Vorschrift genannten Körperschaften des öffentlichen Rechts – sein können. Der Gesetzgeber hätte keine entsprechende Regelung aufnehmen müssen, hätte er den Schutz des § 489 Abs. 4 S. 2 BGB grundsätzlich nur „schwächeren“ und „schutzwürdigen“ Verbrauchern zukommen lassen wollen. Ein Anwendungsbereich des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB hätte für die aufgeführten Institutionen von Anfang an nicht bestanden.

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2. Dem Kündigungsrecht der Beklagten nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB stand nicht § 9 Abs. 1 ABB der Beklagten entgegen. Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist vertraglich nicht abdingbar, wie sich aus § 489 Abs. 4 S. 1 BGB ergibt (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 489 Rn. 1).

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3. Auch die Voraussetzungen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB lagen im Zeitpunkt der Kündigung vor.

33

Es handelt sich bei dem vorliegenden Vertrag um einen Darlehensvertrag mit einem festen Sollzinssatz in Höhe von 3 %. Die Beklagte hat ferner die vorgeschriebene Kündigungsfrist von sechs Monaten eingehalten und sie hat das Darlehen 10 Jahre vor Kündigung auch im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB vollständig empfangen.

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a) Angesichts der Besonderheit, dass bei Bausparverträgen der Bausparer nicht zum Abruf des Bauspardarlehens verpflichtet ist, steht bei Vertragsschluss kein an die Bausparkasse zu entrichtender Darlehensbetrag fest, an dem man sich für den Zeitpunkt in § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB orientieren könnte. In einem Bausparfall ist daher davon auszugehen, dass die Bausparkasse mit Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife das Darlehen vollständig im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB empfangen hat (vgl. Staudinger/Mülbert, BGB, Stand 2015, § 488 Rn. 550 mwN; Edelmann/Suchowerskyj, BB 2015, 3079 ff.; a.A. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15). Ist der Vertrag zuteilungsreif, ist das für den Bausparvertrag charakteristische, in § 1 Abs. 2 S. 1 BauSparkG begriffsprägend herausgestellte gemeinsame Ziel der Vertragsparteien erreicht, dass der Bausparer einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens durch einseitiges Tun erwerben kann. Der Bausparer hat im Zeitpunkt der Zuteilungsreife der Bausparkasse das Darlehen zur Verfügung gestellt, das erforderlich ist, damit die Bausparkasse auf Wunsch des Bausparers hin verpflichtet ist, das Bauspardarlehen auszubezahlen.

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Die Anknüpfung an den Eintritt der Zuteilungsreife als Äquivalent zu dem in § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorgesehenen vollständigen Empfang der Darlehensvaluta erscheint aufgrund der Besonderheiten des Bausparvertrages auch geboten. Für die Bausparkasse realisiert sich das durch § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfasste Risiko in diesem Zeitpunkt. Es stünde in Widerspruch zu Sinn und Zweck der Vorschrift, wollte man es dem Bausparer überlassen, beliebig den in § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorgesehenen 10-Jahres-Zeitraum durch die Nichtabnahme des Bauspardarlehens zu verlängern (vgl. LG Aachen, Urteil vom 19. Mai 2015, 10 O 404/14; LG Hannover, Urteil vom 30. Juni 2015, 14 O 55/15; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 17.08.2015, 6 O 1708/15). Der kollektive Systemzweck des Bausparens erfordert vielmehr eine Regelung, wonach die Bausparkasse vor zweckwidrigen, für die Bausparkasse unkündbaren festverzinslichen Kapitalanlagen geschützt wird. Allein so wird sie in die Lage versetzt, auch zukünftig nur nachrangig zu besichernde Bauspardarlehen mit stabilen Zinssätzen, die grundsätzlich unter dem allgemeinen Marktniveau liegen, anbieten zu können.

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b) Dieser Wertung steht nicht entgegen, dass der Bausparer nach §§ 5 Abs. 1, 14 Abs. 1 ABB den Bausparvertrag auch nach Eintritt der Zuteilungsreife, ggf. sogar bis zum Erreichen der Bausparsumme, grundsätzlich fortsetzen darf (a.A. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15; LG Stuttgart, Urteil vom 12.11.2015, 12 O 100/15). Durch die Vorschriften soll dem Bausparer lediglich ein gewisser zeitlicher Rahmen für den Abruf des Bauspardarlehens eingeräumt werden. Die Einzahlung von Beiträgen bis zum Erreichen der Bausparsumme war entsprechend § 1 ABB von den Vertragsparteien aber weder vereinbart noch beabsichtigt; dies hätte dem Zweck des Bausparvertrages, dem Bausparer ein Bauspardarlehen zur Verfügung zu stellen, widersprochen.

37

Entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart (Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15) entspricht es auch nicht – jedenfalls nicht ausnahmslos – dem Interesse der Gemeinschaft der Bausparer, die Zuteilungsmasse durch Entgegennahme von zeitlich unbegrenzten Sparbeiträgen zu vergrößern, um die Zuteilung von Bauspardarlehen zu beschleunigen. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass in Niedrigzinsphasen nur wenige Bauspardarlehen abgerufen werden; an einer hinreichenden Zuteilungsmasse mangelt es in solchen Phasen nicht. Durch eine Verpflichtung der Bausparkassen, bis zum Erreichen der Bausparsumme Spareinlagen zu verzinsen, wird ihre Existenz letztlich gefährdet. Aufgrund der andauernden Niedrigzinsphase ist nicht mehr gewährleistet, dass die Bausparkassen durch die Wiederanlage der Bauspareinlagen Zinsen erzielen, die denen entsprechen, die sie als Darlehensnehmerin an die Bausparer wieder auszahlen müssen. So liegen auch die von der Beklagten im vorliegenden Fall geschuldeten Zinsen deutlich über den marktüblichen Zinsen für Sparanlagen. Soweit die Beklagte in der Vergangenheit Bauspardarlehen zu höheren Zinssätzen ausgekehrt hat, sind diese Darlehen zeitlich befristet und können zudem regelmäßig durch Sondertilgungen vorzeitig zurückgezahlt werden. Langfristig können sie die wirtschaftlichen Veränderungen, die durch einen anhaltenden niedrigen Kapitalmarktzins eintreten, nicht auffangen (a.A. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016, 9 U 230/15, wonach das „lange Stehenlassen der Bauspareinlage“ den Bausparkassen keine Refinanzierungsschwierigkeiten bereite). Würde der Bausparvertrag auch nach Erreichen der erstmaligen Zuteilungsreife für die Bausparkasse unkündbar bleiben, würde das Zinsänderungsrisiko einseitig auf sie verlagert. Der Bausparer hingegen könnte weiterhin eine attraktive höhere Verzinsung in Anspruch nehmen, ohne dass er – was gemäß § 1 der hier einbezogenen Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge ausdrücklich Vertragszweck war – selbst ein Darlehen abruft und nach der Ansparphase eine entsprechende Gegenleistung in Form von grundsätzlich höheren Darlehenszinsen erbringt (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 08.04.2016, 8 O 109/15). Die hieraus für die Bausparkassen folgenden Belastungen widersprechen den Interessen der Bauspargemeinschaft.

38

c) Soweit teilweise darauf verwiesen wird, dass die Bausparkasse aufgrund der Kündigungsmöglichkeit nach § 5 Abs. 3 ABB ein wirkungsvolles Instrument habe, das Risiko der Zinsentwicklung zu teilen und die Verwendungseignung aufrechtzuerhalten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15), wird unberücksichtigt gelassen, dass nach dem Grundgedanken des Bausparens dem Bausparer ermöglicht werden sollte, nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit Kapitalüberschüsse mit der damit verbundenen Option auf ein Bauspardarlehen für eine spätere wohnungswirtschaftliche Verwendung anzusammeln. Insoweit ist in der Vergangenheit teilweise bereits bei Abschluss des Vertrages, jedenfalls aber nach Erreichen des für die Zuteilung erforderlichen Sparbetrages von den Bausparkassen darauf verzichtet worden, die nach den ABB festgesetzten Regelsparbeiträge einzufordern. Angesichts dieser von Bausparer und Bausparkasse ausgeübten einvernehmlichen Praxis – die nicht, wie das OLG Stuttgart meint, als „eigenmächtige Abweichung des Bausparers vom Vertrag“ (Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15) qualifiziert werden kann – wäre es der Bausparkasse nach § 242 BGB verwehrt, Nachzahlungen zu verlangen. Hiervon geht offenbar auch das OLG Stuttgart (Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15) aus, wenn es die Frage aufwirft, ob „eine Bausparkasse, die jahrelang die Nichtzahlung von Regelsparbeiträgen hinnimmt, ihr Kündigungsrecht verwirkt“. Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt sich insoweit als alternativlos dar.

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Dass auch im vorliegenden Fall die Parteien einvernehmlich davon ausgegangen sind, dass jedenfalls nach Zuteilungsreife weitere Regelsparbeiträge bis zur Höhe der vereinbarten Bausparsumme von der Klägerin nicht geschuldet werden, zeigt der Umstand, dass entgegen der Vorschrift des § 5 Abs. 1 ABB weder die Klägerin volle Regelsparbeiträge gezahlt noch die Beklagte hieraus Konsequenzen nach § 5 Abs. 3 ABB gezogen hat. § 5 Abs. 1 S. 1 ABB sieht als monatlichen Bausparbeitrag 4 v.T. der Bausparsumme vor; dieser Regelsparbeitrag ist gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 ABB bis zur ersten Auszahlung aus der zugeteilten Bausparsumme zu entrichten. Obwohl die ABB der Beklagten als Vertragsbestandteil einbezogen worden sind, hat die Klägerin in ihrem Antrag auf Erhöhung der Bausparsumme vom 25.11.1992 bei einer Bausparsumme von 50.000,- DM (= 25.564,59 €) lediglich eine Einzugsermächtigung über einen Sparbeitrag von 100,- DM monatlich erteilt; nach dem vorgelegten Kontoauszug für 2014 wurde selbst dieser Betrag in den letzten Jahren nicht mehr gezahlt, sondern nur noch vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 40,- € monatlich auf den Vertrag weitergeleitet. Wären nach Zuteilungsreife am 31.01.2000 mit einem Kapitalstand von 40 % der Bausparsumme (10.225,84 €) die Regelbeiträge von der Klägerin in Höhe von 102,26 € (= 200,- DM) monatlich (§ 5 Abs. 1 S. 1 ABB) erbracht worden, wäre die Bausparsumme durch diese Zahlungen zzgl. der jährlich gutgeschriebenen Zinserträge – die gemäß § 6 Abs. 4 ABB nicht gesondert ausgezahlt wurden – nach 10,5 Jahren erreicht worden und der Bausparvertrag nach § 488 Abs. 3 BGB kündbar gewesen. Letzteres zeigt im Übrigen, dass durch die Kündigungsmöglichkeit nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Klägerin in ihren Rechten nicht unangemessen beschränkt wird. Auf eine längere Laufzeit als 10,5 Jahre nach Zuteilungsreife für das der Bausparkasse gewährte Darlehen konnte sie bei Vertragsschluss – werden die Vertragsbestimmungen zugrunde gelegt – angesichts des § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 ABB nicht vertrauen. Ebenso wenig konnte sie aufgrund dieser Regelung davon ausgehen, dass sie noch 10,5 Jahre nach Erreichen der Zuteilungsreife ein Bauspardarlehen bei der Beklagten in Anspruch nehmen kann.

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d) Soweit schließlich die Auffassung vertreten wird, dass das Abstellen auf den Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife deshalb nicht gestattet sei, weil eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliege (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15), erscheint eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB bei entsprechender Auslegung des Tatbestandsmerkmals „vollständiger Empfang“ schon nicht erforderlich. Das Fehlen einer planwidrigen Gesetzeslücke lässt sich darüber hinaus nicht allein mit der Tatsache begründen, dass die Fraktion Bündnis90/Die Grüne am 04.02.2015 eine Kleine Anfrage bzgl. der Kündigungen von Bausparkassen gestellt hat, die die Bundesregierung in ihrem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes der Bausparkassen (BT-Drucks. 18/6418) nicht zu einer „Klarstellung“ veranlasste (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/16). Wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage vom 04.02.2015 bzgl. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB (BT-Drucksache 18/4195, S. 3 zu Nr. 9) ergibt, sollte die Klärung der Frage, ob den Bausparkassen ein ordentliches Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zusteht, wenn seit Eintritt der Zuteilungsreife zehn Jahre vergangen sind, der Rechtsprechung vorbehalten bleiben. Dass die Regierung in Kenntnis der anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht ausdrücklich Position zugunsten der Bausparkasse bezogen hat, besagt daher nicht, dass sie eine (entsprechende) Anwendbarkeit des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf Bausparfälle ablehnte bzw. nicht für erforderlich hielt. Ziel des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes der Bausparkassen war es zudem vorrangig, den Bausparkassen günstigere Refinanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen, um angesichts des anhaltend niedrigen Kapitalmarktzinsniveaus ihre Ertragssituation zu verbessern. Die Einführung einer gesetzlichen Kündigungsklausel stand demgegenüber ausdrücklich nicht zur Debatte (vgl. BT-Drucksache 18/4195 S. 3 zu Nr. 11).

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4. Der Ausübung des Kündigungsrechts stand nicht entgegen, dass die Klägerin erst 2014 die Kündigung ausgesprochen hat. Sinn und Zweck des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist es, dem Darlehensnehmer die Möglichkeit einzuräumen, sich zehn Jahre nach dem vollständigen Empfang des Darlehens von einer Zinsbindung zu lösen. Der Darlehensnehmer ist jedoch nicht zur Kündigung verpflichtet; gleichfalls verliert er dieses Recht nicht, wenn er nach dem Eintritt der Bedingungen des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Kündigung nicht unverzüglich ausspricht. Gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz BGB führt allein eine neue Vereinbarung über die Rückzahlung oder den Sollzinssatz zum Verlust des Kündigungsrechts; die Zehnjahresfrist beginnt in diesem Falle erneut zu laufen. Der Einwand der Verwirkung nach § 242 BGB greift schon deshalb nicht, weil nicht vorgetragen oder erkennbar ist, dass die Klägerin auf den Fortbestand des Vertrages vertraut und infolgedessen Dispositionen getroffen hatte. Insbesondere hatte die Klägerin nicht die Absicht, über den Differenzbetrag von ca. 7.000,- € zeitnah ein Bauspardarlehen bei der Beklagten in Anspruch zu nehmen, was ihr durch das Schreiben der Beklagten vom 10.11.2014 nochmals ausdrücklich angeboten worden war.

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5. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Frage der Anwendbarkeit des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Bausparfällen sowie die Auslegung der Vorschrift grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat mit seiner Entscheidung von Urteilen eines anderen Oberlandesgerichts (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016, 9 U 230/15; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2016, 9 U 171/15) abweicht.

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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 2.000,- € festgesetzt. Bei der vorliegenden Feststellungsklage ist unter Anwendung von § 3 ZPO das nach objektiven Kriterien zu bestimmende wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei an der Fortführung des Bausparvertrages maßgeblich. Bei objektiver Betrachtung besteht das wirtschaftliche Interesse der Klägerin darin, weiterhin eine attraktive Guthabenverzinsung von 3,0 % aus dem angesparten Kapital von 20.564,59 € (Stand Mai 2015) zu erzielen. Entsprechend der Regelung des § 9 Satz 1 ZPO ist die Wertbemessung auf der Grundlage einer dreieinhalbjährigen Betrachtung vorzunehmen. Unter Abzug von 20 % für die positive Feststellungsklage ergibt sich danach ein Streitwert von 1.727,43 €.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 489 Abs. 1 Nr. 2

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