07.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186403
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 23.02.2016 – 1 Ta 19/16
1. Bei dem Antrag auf Unterlassung von Verstößen gegen eine Betriebsvereinbarung handelt es sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbs. RVG .
2. Der Arbeitsaufwand des Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats kann eine Anhebung des Hilfswerts ebenso rechtfertigen, wie eine besondere, herausragende wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert beträgt aber auch in diesen Fällen regelmäßig nur ein Vielfaches des Hilfswerts. Er entspricht nicht dem wirtschaftlichen Aufwand, der der Arbeitgeber betreiben muss, wenn er zukünftig die Betriebsvereinbarung einhalten will.
Im Beschwerdeverfahren
pp.
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 23.02.2016 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 25.01.2016 - 2 BV 28/15 - geändert. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Beteiligten zu 1. wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführer tragen die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Wertfestsetzung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.
In diesem Verfahren haben die Beschwerdeführer den Betriebsrat als Prozessbevollmächtigte vertreten. Der Betriebsrat hat sich mit Unterlassungsanträgen gegen Verstöße gegen eine Betriebsvereinbarung durch den Arbeitgeber gewandt.
Das Arbeitsgericht hat auf Antrag der Beteiligten zu 1. den Gegenstandswert auf 30.000,00 EUR festgesetzt. Gegen diesen ihm am 27.01.2016 zugestellten Beschluss haben die Beteiligten zu 1. am 04.02.2016 Beschwerde eingelegt.
Sie begehren die Festsetzung eines Gegenstandswertes von mindestens 194.000,00 EUR.
Wegen weiterer Einzelheiten sowie der Beschwerdebegründung wird auf den angefochtenen Beschluss des Arbeitsgerichts, das der Beschwerde nicht abgeholfen hat, sowie die ihm Wertfestsetzungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Die gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet. Das Arbeitsgericht hat bei der Festsetzung des Gegenstandswerts nicht in jeder Hinsicht das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Demzufolge ist der Wert höher anzusetzen, allerdings nicht in der vom Beschwerdeführer begehrten Höhe. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist der Gegenstandswert, soweit er sich nicht aus den übrigen Regelungen des § 23 RVG ergibt und auch sonst nicht feststeht, nach billigem Ermessen zu bestimmen; in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit 5.000,00 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 EUR anzunehmen.
Mit den gestellten Unterlassungsanträgen ist eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens gewesen. Dem Betriebsrat ging es um die Einhaltung der Betriebsvereinbarung "Besetzungsregelungen SBB-PKW". Dass es sich hierbei um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit handelt, sehen auch die Beschwerdeführer nicht anders.
2. Damit ist der Gegenstandswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG mit 5.000,00 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, nicht jedoch über 500.000,00 EUR anzunehmen. Dabei stellt der Wert von 5.000,00 EUR keinen Regelwert dar, von dem nur unter bestimmten Umständen abgewichen werden kann, sondern einen Hilfswert, auf den allein dann zurückzugreifen ist, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung ausgeschöpft sind. Mögliche Anhaltspunkte für die Wertfestsetzung können sich z. B. aus der wirtschaftlichen Interessenlage der Beteiligten, der Bedeutung der Sache und dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache für den Rechtsanwalt ergeben. Das gilt namentlich auch in Verfahren, in denen es um die Einhaltung einer Betriebsvereinbarung geht (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08.04.2010 - 6 Ta 56/10 -). Ferner können die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des beteiligten Arbeitgebers mit einbezogen werden, um zu angemessenen Ergebnissen zu kommen (Tschöpe/Ziemann/Altenburg, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, B, Rn 43).
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze erscheint die vom Arbeitsgericht vorgenommene Bewertung mit 30.000,00 EUR nicht mehr angemessen. Das Arbeitsgericht hat zwar die maßgeblichen Gesichtspunkte, die ihm Rahmen der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen sind, in seine Erwägungen einbezogen. Es hat jedoch aus Sicht des Beschwerdegerichts den Gesichtspunkt des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache für den Rechtsanwalt nicht ausreichend berücksichtigt.
Das Arbeitsgericht hat gemeint, die behaupteten Verstöße seien für die Beteiligten zunächst äußerst schwierig zu ermitteln gewesen. Es habe sich jedoch im Laufe des Verfahrens gezeigt, dass die Nichteinhaltung der Betriebsvereinbarung von der Arbeitgeberin zugestanden worden sei und nur Streit über die Auslegung der Betriebsvereinbarung bestanden habe. Die rechtlichen Schwierigkeiten der Auslegung seien einfach gelagert. Es hat im Weiteren ausgeführt, es habe auch die wirtschaftlichen Folgen der Nichteinhaltung der Betriebsvereinbarung berücksichtigt, nämlich, dass der Arbeitgeber Lohnkosten spare sowie den Grundsatz, dass die beteiligte Arbeitgeberin stets außergerichtliche Kosten zu tragen habe, was eine maßvolle Streitwertfestsetzung gebiete.
Die Anwendung der oben dargestellten Grundsätze mit dieser Argumentation hält das Beschwerdegericht in mehrfacher Hinsicht für nicht zutreffend. Zum einen gilt: Der Arbeitsaufwand für die Prozessbevollmächtigten des beteiligten Betriebsrats kann nicht dadurch relativiert werden, dass im Laufe des Verfahrens nach und nach Verstöße von der Gegenseite unstreitig gestellt werden. Der Arbeitsaufwand der Beschwerdeführer für dieses Beschlussverfahren war enorm. Das hat auch das Arbeitsgericht im angefochtenen Beschluss zum Ausdruck gebracht. In seiner 68 Seiten umfassenden Antragsschrift, davon 20 Seiten Begründungsschriftsatz, hat der Betriebsrat durch die Beschwerdeführer eine Vielzahl von Verstößen gegen die Betriebsvereinbarung dargelegt, ohne dass es sich insoweit um Massenverfahren oder immer wieder denselben Verstoß gehandelt hat. Mit weiterem 18-seitigem Schriftsatz ohne Anlagen sind darüber hinaus zahlreiche im Einzelnen festgestellte Verstöße an den verschiedenen Produktionslinien der Arbeitgeberin und dort an verschiedenen Arbeitsplätzen benannt. Dies alles rechtfertigt eine deutliche Anhebung des Regelwerts.
Soweit das Arbeitsgericht zweitens darauf abgestellt hat, es sei eine maßvolle Streitwertfestsetzung im Hinblick darauf geboten, dass die beteiligte Arbeitgeberin stets die außergerichtlichen Kosten des vermögenslosen Betriebsrats tragen müsse, hat es die maßgebliche Rechtsprechung verkannt. Zwar können, wie bereits ausgeführt, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des beteiligten Arbeitgebers mit einbezogen werden. Das setzt aber voraus, dass dieser in irgendeiner Form rügt, bei der begehrten Festsetzung des Gegenstandswerts die Kosten des Prozessbevollmächtigten nicht mehr ohne weiteres tragen zu können. Das hat die Arbeitgeberin nicht getan. Hierfür bestehen im Hinblick auf den hier geltend gemachten Wert keine Anhaltspunkte. Die Arbeitgeberin beschäftigt gerichtsbekannt ca. 1000 Arbeitnehmer in ihrem Betrieb. Sie müsste selbst bei dem beantragten Gegenstandswert von 195.000,00 EUR nach dem Vortrag des Beschwerdeführers "nur" ein Honorar von 5.052,50 EUR zahlen. Dass dies unzumutbar sein soll, ist nicht ersichtlich.
Die Beschwerdekammer folgt indes nicht der Auffassung des Beschwerdeführers, wonach allein die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits schon die Festsetzung eines Gegenstandswerts in Höhe von mindestens 194.000,00 EUR rechtfertigt. Sicherlich kommt dem vorliegenden Verfahren eine gesteigerte wirtschaftliche Bedeutung zu. Dem trägt das Beschwerdegericht wie das Arbeitsgericht mit einer deutlichen Anhebung des Hilfswertes Rechnung. Die wirtschaftliche Bedeutung ist aber auch nur eins von mehreren Kriterien, die bei der Ermessensausübung im Rahmen der Wertfestsetzung zu beachten sind. Bei der Betrachtungsweise der Beschwerdeführer würde im Ergebnis aus einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit doch wieder eine vermögensrechtliche.
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung sowie den erheblichen tatsächlichen Aufwand des Beschwerdeführers und mangels anderseitigen Vortrags der Arbeitgeberin zu ihrer wirtschaftlichen Lage und der Tragbarkeit der Honorarforderung hält das Beschwerdegericht eine Wertfestsetzung in Höhe des 12-fachen Regelwertes für angemessen.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.