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23.11.2005 · IWW-Abrufnummer 053288

Amtsgericht Hagen: Urteil vom 30.06.2005 – 16 C 10/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


16 C 10/05

AMTSGERICHT HAGEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL GEM. § 495 A ZPO

In dem Rechtsstreit
der X
Klägerin,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte X

g e g e n

die X
Beklagte,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte X

hat das Amtsgericht Hagen
im schriftlichen Verfahren am 30. Juni 2005
durch den Richter da Costa Pereira
für R e c h t erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 236,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 14.01.2005 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 27.11.2004 geltend. Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXX.
Die Einstandspflicht der Beklagten zu 100% ist unstreitig. Die Parteien streiten lediglich um die Schadenshöhe bzw. um die Berechtigung der klägerseits angesetzten Positionen.

Die Klägerin holte ein Schadensgutachten des beim Dipl.-Ing. Büros F tätigen Sach-verständigen S vom 30.11.2004 ein. Darin wurden voraussichtliche Nettoreparaturkosten von 1.703,98 Euro ermittelt, die unter einem vom Sachverständigen nicht ermittelten Wiederbeschaffungswert liegen.

Der Sachverständige verwendete als Kalkulationsgrundlage die Werte des Autohauses J.

In diesem Gutachten wurden Lohnkosten von netto 525,40 Euro und Lackierkosten von 760,80 Euro berücksichtigt. Hierbei legte der Sachverständige S für die Lohnkosten einen Satz von 7,40 Euro pro AW zugrunde, so dass sich daraus ein Stundensatz von 88,80 Euro ergibt. Ferner legte der Sachverständige im Hinblick auf die Lackierkosten einen Satz von 9,51 Euro pro AW zugrunde, was einem Stundensatz von 114,12 Euro entspricht.

Die Stundensätze des Autohauses J entsprechen unstreitig dem Durchschnitt einer Vertragswerkstatt im örtlichen Bereich XXXXXXX.

Der Kläger rechnete 1.703,98 Euro auf fiktiver Gutachtenbasis bei der Beklagten ab.

Die Beklagten zu 2) regulierte nur 1.467,78 Euro auf den Schaden.

Sie legte insoweit ein Prüfbericht ?Check-it, powered by Eucon? vom 07.12.2004 vor. Darin wurden die zunächst die Lohnkosten von 525,40 Euro auf 426,00 Euro und die Lackierkosten von 760,80 Euro auf 624,00 Euro gekürzt.

Zur Begründung war hierzu ausgeführt:

?Lohn Stundenverrechnungssatz Karosserie 72,00 Euro (verwendet 88,80 Euro)Anbei die verwendeten Stundenverrechnungssätze, den Namen und die Anschrift des als Referenz zugrundegelegten Reparaturbetriebes.
Lack Die Lackierkosten wurden unter Berücksichtigung der Kosten eines günstigeren Referenzbetriebs, dessen Namen und Anschrift wir gern auf Anfrage benennen werden, ermittelt. Im Gutachten wurden die Lackierkosten für Lohn und Material (9,51 ?/ AW) zusammen berechnet. Korrigierter Stundenverrechnungssatz (Lacklohn ohne Material) 72,00 ? Lackierlohn(übernommen lt. Gutachten) 80,00 AW=6,66666667 Std. 480,00 ?.Arbeitswertberechnung lt. GA / KVA 1 Std. = 12 AW Lackmaterialaufschlag 30% (verwendet im Referenzbetrieb) 144,00 ? Korrigierte Gesamtlackierkosten 624,00 ?
Referenzfirma Fa. WWW Entfernung: 5,92 Km Karosseri: 72 / Lack: 72?

Der Kläger ist der Ansicht, die vom Sachverständigen ermittelten Stundensätze seien bei fiktiver Schadensabrechnung zu ersetzen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 236,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 14.01.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Die Beklagte ist der Ansicht, es seien nur Reparaturkosten entsprechend der Kalkulation von ?Check-it - Eucon? erstattungsfähig. Hierzu erläuterten die Beklagten mit Schriftsatz vom 02.02.2005, dass diese Kalkulation auf Basis der niedrigeren Stundensätze der in der in W ansässigen Firma W basiert, die auch für Lackierkosten einen Satz von 72,- Euro berechne. Nur diese Kosten würden in dem der Klägerin zugänglichen Raum konkret anfallen.
Die Klägerin müsse sich bei der begehrten Schadensabwicklung auf fiktiver Gutachtenbasis auf diese konkret benannte Alternative verweisen lassen. Anders als in dem vom BGH mit dem sog. ?Porscheurteil? entschiedenen Fall würden keine abstrakten Mittelwerte zugrundegelegt, sondern eine der Klägerin mühelos und ohne weiteres zugängliche, günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit, auf die sie sich verweisen lassen müsse. Ferner lasse sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den sog. ?Unfallersatztarifen? (NJW 2005, 51) ableiten, dass die Dispositionsfreiheit des Geschädigten nicht uneingeschränkt gelte, da der BGH auf Normaltarife abstelle, die für den Geschädigten zugänglich waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von weiteren 236,20 Euro gemäß § 3 Nr. 1 PflVG.

Die klägerseits vorprozessual vorgelegte Abrechnung ist in voller Höhe berechtigt.
Es bestehen keine Bedenken gegen die Reparaturkostenabrechnung der Klägerin auf fiktiver Gutachtenbasis der vom Sachverständigen S ermittelten Nettoreparaturkosten von 1.703,98 Euro. Diese Reparaturkosten sind als erforderlicher Geldbetrag im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB anzusehen.

Zunächst ist die Klägerin berechtigt, bei ihrer Abrechnung Stundensätze von 88,80 Euro bzw. 114,12 Euro zugrunde zu legen und muss sich nicht auf die beklagtenseits erstatteten 72,00 Euro verweisen lassen.

Die Klägerin hat als Unfallgeschädigte grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung der in einer markengebundenen Werkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon ob, wo und auf welche Weise sie ihr Fahrzeug reparieren läßt.

Die Klägerin kann damit gemäß § 249 Abs. 2 BGB die Erstattung der objektiv erforderlichen Reparaturkosten fordern. Hierbei ist die Klägerin in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei, sie kann frei darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang sie ihr Fahrzeug reparieren läßt. Diese Abrechnung auf fiktiver Gutachtenbasis soll sicherstellen, dass ein Unfallgeschädigter nicht in Vorleistung treten muss, falls er sich für eine Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entscheidet.

Als ?objektiv erforderlich? sind alle Kostenpunkte anzusehen, die vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers in der Lage des Geschädigten für die Imstandsetzung des beschädigten Fahrzeugs zweckmäßig und angemessen sind. Damit sind alle Kostenpositionen erstattungsfähig, die bei Beauftragung einer Fachwerkstatt mit der Beseitigung des Schadens voraussichtlich anfallen würden.

Die Erstattungsfähigkeit ist nur dann nicht gegeben, wenn die Klägerin bei Geltendmachung bestimmter Schadenspositionen gegen die Schadensminderungsobliegenheit des § 254 Abs. 2 BGB verstoßen würde.
Sie ist unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht verpflichtet, bei der Ausübung seiner Dispositionsfreiheit den Boden der Wirtschaftlichkeit nicht zu verlassen. Das bedeutet, dass sie im Rahmen des Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung wählen soll, sofern sie die Höhe der Kosten beeinflussen kann. Die Klägerin muss sich insoweit auf eine mühelos ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen, da nur solche Kosten als erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB anzusehen wären.

Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist nicht gegeben, da es der Klägerin ohne weitergehende verbindliche Zusagen nicht zumutbar wäre, ihr Fahrzeug bei der in W ansässigen Firma W reparieren zu lassen.

Die Kalkulation Check-it berücksichtigt lediglich den abstrakten Stundensatz der Alternativfirma, völlig losgelöst vom konkreten Unfallschaden. Es erfolgte keine Fahrzeugbesichtigung, keine eigene Bewertung und auch keine eigene Kostenkalkulation der Alternativwerkstatt. Die Klägerin hat keinerlei Gewähr, dass die Firma W bei konkreter Durchführung der Reparatur lediglich die im Gutachten angegebene Stundenanzahl aufwendet und auch sonst keine andere Kostenpositionen einstellt, die im Gutachten nicht enthalten sind. Die Klägerin hat nicht einmal die Gewähr, dass die Firma W tatsächlich den beklagtenseits angegebenen Stundensatz ansetzt. Es ist damit gerade nicht gewährleistet, dass die Klägerin das ihr zustehende Ziel einer vollständigen und umfassenden Reparatur mit den beklagtenseits angesetzten Mitteln erreichen kann und demgemäß ggf. in Vorleistung treten müßte.

Eine solche Gewähr hätte die Klägerin lediglich, wenn sie ein konkretes verbindliches Angebot der Firma W erhalten hätte, das den vom BGH im Urteil vom 30. 11. 1999 - VI ZR 219/98 postulierten Anforderungen entspricht. Insoweit liegt eine vergleichbare Interessenlage vor. In beiden Fällen geht es darum, die Grenzen abzustecken, die das Wirtschaftlichkeitspostulat der Dispositionsfreiheit des Geschädigten setzt. So wie ein verbindliches Restwertangebot die wirtschaftliche Schwelle setzt, die ein Geschädigter bei der Veräußerung seines Fahrzeugs nicht überschreiten darf, ohne gegen seine Schadensminderungsobliegenheiten zu verstoßen; so würde ein verbindliches Angebot einer Werkstatt zur fachgerechten Beseitigung der im Gutachten ausgewiesenen Schäden eine zumutbare Alternativmöglichkeit darstellen, auf die sich der Geschädigte verweisen lassen müßte, um nicht gegen seine Schadensminderungspflicht zu verstoßen.
Ein solches Angebot liegt allerdings nicht vor. Der unspezifizierte und unverbindliche Hinweis auf eine preisgünstige Reparaturmöglichkeit bei der Firma W genügt hierfür nicht.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2004. In dieser Entscheidung ist der Bundesgerichtshof auf die Besonderheiten in dem Unfallersatztarifmarkt eingegangen und hat berücksichtigt, dass die Unfallersatztarife erheblich über den für vergleichbare Leistungen liegenden Normaltarifen liegen, ohne dass hierfür sachliche Gegenleistungen durch die Vermieter erbracht werden, was wiederum eine nicht hinnehmbare Abrechnungspraxis zu Lasten der Versicherer zur Folge hat. Diese Entscheidung ist in den Kontext der weiterhin geltenden Systematik bei fiktiven Unfallabrechnungen zu setzen, bei der die Feststellung eines Verstoßes des Geschädigten gegen seine Schadensminderungsobliegenheiten entscheidend ist. Es dürfte mittlerweile weitgehend bekannt sein, dass Unfallersatztarife zum Teil bis 300% über den Normaltarifen liegen. Es kann daher von einem Geschädigten erwartet und auch gefordert werden, bei Anmietung eines Fahrzeugs für einen erkennbar überhöhten Tarif Wirtschaftlichkeitsüberlegungen anzustellen, ob diese Ausgaben tatsächlich notwendig sind.
Eine vergleichbare Situation liegt im streitgegenständlichen Fall nicht vor, da von einem Geschädigten keine allgemeine Kenntnis der zur Beseitigung der Unfallschäden erforderlichen Arbeiten und der im Werkstattmarkt herrschenden Verhältnisse erwartet werden kann. Gerade deswegen ist anerkannt, dass ein Geschädigter den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens abrechnen darf, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden. Das Gutachten des Sachverständigen S genügt diesen Anforderungen, der Prüfbericht von ?Check-it? dagegen nicht.

Weitere erhebliche Einwendungen wurden nicht erhoben.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Vollstreckungsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung erfolgte zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angesichts einer Vielzahl anhängiger, vergleichbarer Rechtsstreitigkeiten.

RechtsgebietSchadenrechtVorschriften§ 249 II, § 154 II BGB

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