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03.05.2016 · IWW-Abrufnummer 185634

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 21.12.2015 – 3 Sa 335/15


Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 01.07.2015, Az: 8 Ca 2279/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.


2. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014 wegen sexueller Belästigung unter Alkoholeinfluss.



Der 1968 geborene Kläger ist geschieden, einem Kind unterhaltsverpflichtet und bei der Beklagten seit dem 01.10.1992 als Chemiefacharbeiter zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 3.467,20 EUR beschäftigt. Bei der Beklagten sind mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt; es besteht ein Betriebsrat.



Am 26.09.2012 war der Kläger zu einem Fehlzeitengespräch von der Beklagten geladen worden. Dabei räumte er ein, dass bei ihm eine Alkoholerkrankung vorliegt. Das Gesprächsprotokoll, das insoweit gefertigt wurde, hat unter anderem folgenden Wortlaut:

"Herr A. wurde darauf hingewiesen, dass er zu den Ursachen seiner krankheitsbedingten Fehlzeiten keine Aussagen machen muss, er diese jedoch freiwillig tätigen kann. Herr A. wurde ebenso darauf hingewiesen, dass seine freiwillig getätigten Aussagen in einer Gesprächsnotiz festgehalten werden, ihm eine Kopie der Gesprächsnotiz ausgehändigt werden wird und er sich mit seiner Unterschrift auf der Einwilligungserklärung mit der Dokumentation und der Speicherung in dem dafür vorhandenen IT-System einverstanden zeigt. Herr A. zeigte sich mit der beschriebenen Verfahrensweise einverstanden. Bei Herrn A. liegt eine Alkoholerkrankung vor. Er war bereits zweimal auffällig und wurde in Gesprächen am 11.08.2011 und am 09.05.2012 dazu gehört und es wurde Herrn A. Hilfsangebote unterbreitet. Herr A. lehnte die Hilfsangebote von Seiten der B. ab und berichtete, dass er seine Suchterkrankung "im Griff" habe. Er sei durch eine Hypnosebehandlung von seiner Sucht befreit worden. Auf die Frage, ob es sonst noch Probleme im persönlichen Bereich gebe, gab Herr A. an, dass er weder finanzielle noch sonstige Probleme habe. Er habe sich zwar von seiner Freundin getrennt und sei auch von ihr weggezogen, aber dies stelle für ihn kein Problem dar. Jetzt aktuell hat Herr A. seinen Autoführerschein, bedingt durch Alkoholkonsum, verloren. Herr A. gab zwar im Gespräch eine "Begründung" für den Verlust des Führerscheines an und betonte, dass er weiterhin seine Alkoholerkrankung im Griff habe, doch die B. muss hier handeln. Es wurden folgende Punkte mit Herrn A. vereinbart: - Herr A. wechselt ab 01.10.2012 von A zu B (mit Ausgleichszahlung von der B.XY) - Herr A. wird sich mit Frau Z. (Fachärztin der med. Abteilung) in Verbindung setzen und dort regelmäßig Kontakt halten - Herr A. wird sich Alkoholuntersuchungen in unregelmäßigen Abständen bei der medizinischen Abteilung unterziehen - Herr A. wird Kontakt zur Sozialberatung der B.XY aufnehmen (Telefon-Nr.) - Herrn A. wurde die Auflage nach der XY 56 auferlegt, d. h. er muss künftig am 1. Tag seiner Arbeitsunfähigkeit einen Arzt aufsuchen und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen Es wurde Herrn A. verdeutlicht, dass dies keine "Strafen" sind, sondern wir auf diesem Weg Herrn A. helfen wollen. Herr A. wurde auch aufgeklärt, dass er bei einem weiteren Alkoholvorfall mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Ihm wurde die YY 85 erklärt. Wenn eine Therapie/Rehamaßnahme notwendig sein sollte, bekommt Herr A. die volle Unterstützung seiner Abteilung und hat keine Nachteile zu befürchten."



Der Kläger lehnte gleichwohl Hilfsangebote der Beklagten ab, wie in dem Gesprächsprotokoll festgehalten, und teilte mit, dass er seine Alkoholerkrankung im Griff habe. Er sei infolge einer Hypnosebehandlung von seiner Sucht befreit worden.



Der Kläger reiste am Sonntag, dem 16.11.2014 zu einem einwöchigen Gesundheitsförderungsseminar im A.hotel der Beklagten an. Am Abend begab er sich in die "XYstube", wo er mit anderen Mitarbeitern der Beklagten zusammensaß. Dabei konsumierte der Kläger Alkohol. In der XYstube befand sich auch Frau B., die als externe Referentin im Auftrag der Beklagten zu dem Seminar angereist war.



Gegenüber dem Betriebsrat hat die Beklagte mit Anhörungsschreiben vom 11.12.2014 den weiteren Verlauf dieses Abends wie folgt dargestellt:

""Herr H. (= der Kläger) ist, deutlich angetrunken, gegen 23:00 Uhr an den Tisch in der XYstube gekommen, an dem Frau B. saß. Zuerst hat er Frau B. gegenüber lallend Aussagen wie: "Sie wollen es doch auch, alle Frauen wollen es mit mir, ich will dich haben" gemacht. Frau B. hat Herrn H. daraufhin mehrfach und bestimmt zurechtgewiesen. Im Anschluss hat Herr H. Frau B. zuerst am Arm und dann am Kopf tätlich angegriffen und Bedrohungen ausgesprochen ("Ich will dich ficken"; "Du Schlampe"). Mehrfach hat er auch mit beiden Fäusten auf den Tisch geschlagen."



Daraufhin eilten die Männer von dem Tisch, an dem der Kläger zuvor gesessen hatte, herbei und schrien den Kläger an, er solle jetzt endlich ins Bett gehen. Sie zerrten ihn weg und brachten ihn zu seinem Hotelzimmer.



Am Morgen des 17.11.2014 trafen sie der Kläger und Frau B. beim Frühstücksbuffet. Frau B. fragte ihn, ob er sich an den Vorfall überhaupt erinnern könne. Darauf erwidert der Kläger, dass er sich an alles erinnere. Gegen 8.15 Uhr wurde dem Kläger in einem Gespräch mitgeteilt, dass er aufgrund seines Fehlverhaltens abreisen müsse. Vor seiner Abreise beglich er noch die Rechnung aus der XYstube über ca. 35,00 EUR. Dabei handelte es sich um etwa 10 Weizenbiere sowie 5-6 Weinschorlen. Am Tisch des Klägers waren am Vorabend auch Runden ausgegeben worden.



Frau B. fühlte sich durch den Vorfall sehr bedroht. Auch noch einen Tag nach dem Vorfall war sie sehr verunsichert und führte mehrere Gespräche mit der anwesenden Psychologin zum Umgang mit dem Geschehenen."



Nach seiner Rückkehr begab sich der Kläger in ärztliche Behandlung. Seit dem 17.11.2014 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 02.12.2014 begann er in der Stadtklinik F., Psychiatrische Abteilung, auf der Suchtstation eine ambulante Suchttherapie. Ein ärztliches Attest vom 11.12.2014 bescheinigt dem Kläger, dass eine Alkoholabhängigkeit vorliegt und dass er aus nervenärztlicher Sicht therapiefähig ist.



Die Beklagte hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 18.12.2014 fristlos, vorsorglich fristgemäß zum 30.06.2015 aus verhaltensbedingten und hilfsweise aus personenbedingten Gründen gekündigt. Dagegen richtet sich die am 18.12.2014 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingegangene Kündigungsschutzklage.



Der Kläger hat vorgetragen,



er habe den Vorfall in der XYstube nicht verschuldet. Er habe vielmehr im Rahmen seiner Alkoholerkrankung einen Rückfall erlitten. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er keine Entwöhnungskur beendet bzw. absolviert und damit die Gefahren des Aufsuchens einer Gaststätte und des Konsumierens von Alkohol nicht in ausreichendem Maße einschätzen können. Aufgrund des erheblichen Alkoholkonsums sei er stark alkoholisiert gewesen und er könne sich bis heute an das Geschehen abends in der XYstube nicht mehr genau erinnern. Aufgrund des alkoholbedingten "Filmrisses" bestreite er die Vorwürfe mit Nichtwissen.



Seine Antwort am Morgen des 17.11.2014 gegenüber Frau B., wonach er sich an alles erinnern könne, habe nicht den Tatsachen entsprochen. Er habe sich nicht die Blöße geben wollen, einzuräumen, dass er sich an nichts mehr erinnern könne.



Der Kläger hat beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung, hilfsweise fristgemäßen Kündigungen der Beklagten vom 18.12.2014 zum 18.12.2014 bzw. 30.06.2015 beendet worden ist. 2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemiefacharbeiter weiter zu beschäftigen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hat geltend gemacht, durch den Vorfall am 16.11.2014 sei ihr Vertrauen in eine störungsfreie Zusammenarbeit mit dem Kläger zutiefst erschüttert worden. Mit der Herstellung des Vertrauens könne nicht mehr gerechnet werden. Durch das Verhalten des Klägers müsse mit einer Rufschädigung der Beklagten gerechnet werden. Die Signalwirkung gegenüber anderen Mitarbeitern müsse bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als verheerend angesehen werden. Insgesamt würde die Gesamtsituation so interpretiert werden, als sei Alkoholkonsum ein Freibrief selbst für eklatante Pflichtverletzungen.



Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 01.07.2015 hat sich der Kläger in einer stationären Rehabilitationsbehandlung befunden.



Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat daraufhin durch Urteil vom 01.07.2015 - 8 Ca 2279/14 - festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014, hilfsweise fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014, dem Kläger zugestellt am 18.12.2014, zum 18.12.2104 bzw. zum 30.06.2015 beendet worden ist. Es hat des Weiteren die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemiefacharbeiter weiterzubeschäftigen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 176 bis 188 d. A. Bezug genommen.



Gegen das ihr am 13.07.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 20.07.2015 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 25.09.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 10.02.2015 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 25.09.2015 einschließlich verlängert worden war.



Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, Frau Dr. P. habe bei dem Gespräch am 17.11.2014 gegen 8.15 Uhr im Medizinzimmer den Eindruck gehabt, dass sich der Kläger an den Vorfall am Sonntagabend einwandfrei erinnern könne. Frau B. habe sich durch den Vorfall sehr bedroht gefühlt, was sich auch nicht gänzlich geändert habe, nachdem der Kläger abgereist sei. Auch nur einen Tag nach dem Vorfall sei sie sehr verunsichert gewesen. Dass der Kläger angeblich einen "Filmriss" gehabt habe, sei kündigungsrechtlich ohne Belang. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um eine einmalige Entgleisung des Klägers handele und keine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Der Kläger habe Frau B. massiv beleidigt, genötigt und sexuell belästigt. Damit habe er gegen seine vertraglichen Nebenpflichten in erheblicher Weise verstoßen. Der Kläger sei im Zeitpunkt der körperlichen und verbalen Übergriffe auf Frau B. alkoholisiert gewesen. Selbst wenn er tatsächlich alkoholkrank sein sollte, sei allein wegen der hier streitgegenständlichen Pflichtverletzung eine verhaltensbedingte Kündigung möglich. Denn der Kläger hätte sich, auch alkoholisiert, durchaus anders verhalten können. Seine angebliche Erkrankung beziehe sich nur auf den nicht steuerbaren Konsum von Alkohol, nicht jedoch auf sein steuerbares Verhalten gegenüber Frau B.. Der behauptete "Filmriss" sei für sein Verhalten gegenüber Frau B. unbeachtlich, da ein solcher erst nachträglich eintrete und keinen Rückschluss darauf erlaube, inwieweit die Steuerungsfähigkeit so stark beeinträchtigt sei, dass der Kläger sich gar nicht anders habe verhalten können. Dagegen spreche auch der Ablauf am Morgen des 17.11.2014. Der Kläger sei trotz seines Alkolholkonsums keineswegs soweit beeinträchtigt gewesen, dass er sein Verhalten nicht noch habe kontrollieren können. Deshalb seien die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung anzuwenden. Auch wenn ein Alkoholiker nicht in der Lage sei, die Trinkmenge zu kontrollieren, nachdem er einmal mit dem Trinken begonnen habe, sei der Kläger verpflichtet gewesen, durch geeignete Maßnahmen, z. B. indem er eine andere Person gebeten habe, auf ihn aufzupassen oder indem er sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehe, sicherzustellen, dass er infolge seiner Alkoholisierung keine Vertragspflichtverletzung oder ggf. sogar Straftaten begehe. Dies gelte umso mehr, als die Beklagte dem Kläger 2011 und 2012 wiederholt Hilfsangebote unterbreitet habe, die er durchweg abgelehnt habe.



Im Rahmen der Interessenabwägung müsse berücksichtigt werden, dass die Gefahr bestehe, dass im Falle der Nichtsanktionierung entsprechenden Fehlverhaltens sich auch andere Arbeitnehmer zu vergleichbaren Vertragspflichtverletzungen hinreißen lassen könnten, weil der Eindruck entstehe, der Arbeitgeber toleriere das entsprechende Verhalten oder sehe es nicht einmal als Vertragspflichtverletzung an. Dies könne neben der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Betriebes auch zu einem Ansehensschaden in der Öffentlichkeit oder bei Geschäftspartnern führen, insbesondere wenn die Pflichtverletzung in einem größeren Kreis publik würde oder in besonders sensiblen Bereichen stattfänden, wie z. B. bei sexuellen Belästigungen. Zudem habe die Beklagte die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Das Arbeitsverhältnis sei in der Vergangenheit bereits nicht störungsfrei verlaufen. Vielmehr seien Pflichtverletzungen gegeben gewesen, und der Kläger sei auch einschlägig abgemahnt worden.



Bereits der Anlass des Alkoholkonsums spreche für eine Wiederholungsgefahr. Denn wenn der Kläger, wie von ihm behauptet, alkoholkrank sei, kenne er die Gefahren des Alkohols für sich. Der Kläger habe folglich die ihm erteilten Ratschläge bewusst missachtet, habe eine Gaststätte statt eines Aufenthaltsraumes aufgesucht und sei der Auffassung gewesen, ein Bier könne er sich gönnen. Auch bestünden betriebliche Wiederholungsanlässe, wie z. B. die Mittagspausen außerhalb des Werksgeländes mit freier Zugangsmöglichkeit zum Alkohol und dass die Beklagte regelmäßig auf Mitarbeiterveranstaltungen auch Alkohol ausschenke. Es bestehe daher nicht nur im Betrieb durchaus die Gefahr, dass sich eine ähnliche Situation wiederhole. Auch zeige das Nach-Tatverhalten, dass eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden könne. Alleine, dass der Kläger auch am nächsten Morgen versucht habe, Frau B. einzuschüchtern und ihr erneut seinen Willen aufzuzwingen, zeige, dass der Kläger sehr darauf bedacht sei, "seine Haut zu retten".



Zudem sei der Kläger am 26.09.2012 einschlägig abgemahnt worden, denn ihm sei mitgeteilt worden, dass er bei einem weiteren Alkoholvorfall mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen müsse. Die Warnfunktion der Abmahnung sei offenkundig ins Leere gegangen. Hinzu komme, dass der Kläger nach seinem Vortrag bereits 2009 eine Therapie durchgeführt habe und er trotzdem seine angebliche Suchterkrankung nicht habe steuern können, weswegen es sowohl 2011 als auch 2012 und nunmehr 2014 zu weiteren Pflichtverletzungen gekommen sei.



Das Abwarten einer Entziehungskur sei bei der ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung kein milderes Mittel, auf das die Beklagte verwiesen werden könne.



Maßgeblich für die Belange der Beklagten müsse im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden, dass vorliegend eine Straftat gegeben sei, wobei das Verhalten des Klägers derart sozial inadäquat sei, dass eine Weiterbeschäftigung mit dem Risiko eines erneuten "Ausrasters" der Beklagten aus Fürsorgegesichtspunkten gegenüber weiblichen Beschäftigten und externen Dienstleisterinnen nicht zugemutet werden könne. Auch sei das öffentliche Ansehen der Beklagten geschädigt worden, weil der Kläger den erheblichen Alkoholkonsum und die sexuelle Belästigung im betrieblichen Kontext verübt habe. Schließlich sei eine Beeinträchtigung der Betriebsdisziplin gegeben, denn es würde ein völlig falsches Signal setzen, wenn der Pflichtenverstoß des Klägers, immerhin eine sexuelle Belästigung, für die er strafrechtlich verurteilt worden sei, ungeahndet bliebe. In einem Unternehmen, in dem ein großer Teil der Beschäftigten weiblich sei, dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Würde einer Frau antastbar sei, auch nicht unter Alkoholeinfluss. Die Beklagte habe bei Einführung des AGG keine Kosten und Mühen gescheut, die Mitarbeiter entsprechend zu schulen und so den Schutz weiblicher Mitarbeiter sicherzustellen. Ihre Untätigkeit würde so interpretiert werden, als sei Alkoholkonsum ein "Freibrief" für selbst eklatante Pflichtverstöße.



Das vorherige Anbieten einer Entziehungskur sei der Beklagten nach dem streitgegenständlichen Vorfall nicht zumutbar gewesen. Zum einen sei der Kläger in der Vergangenheit bereits nicht therapiewillig gewesen. Zum anderen sei die nunmehr offenbar doch vorhandene Therapiewilligkeit der Beklagten bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt gewesen. Aber auch weil der Pflichtenverstoß nicht im üblichen suchtbedingten Kontext erfolgt sei, sondern eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Würde einer Frau zum Gegenstand gehabt habe, könne die nunmehr bestehende Therapiewilligkeit nicht zu seinen Gunsten sprechen, denn das Fehlverhalten des Klägers wirke sich auch in Zukunft aus. Deshalb treffe die Erwägung, dass es keine betrieblichen Beeinträchtigungen gebe, da der Vorfall einmalig und außerhalb des Betriebes stattgefunden habe, nicht zu.



Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 25.09.2015 (Bl. 235 bis 257 d. A.) sowie ihren Schriftsatz vom 11.12.2015 (Bl. 282 bis 288 d. A.) Bezug genommen.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 01.07.2015, Az: 8 Ca 2279/14, wird abgeändert und die Klage kostenpflichtig zurückgewiesen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.



Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, zwar treffe es zu, dass die Vorschriften des AGG nicht nur auf betriebsangehörige Arbeitnehmer zu beziehen seien, sondern weiter reichten und der Arbeitgeber auch insoweit entsprechende Fürsorgepflichten habe. Gleichwohl müsse berücksichtigt werden, dass Frau B. eine externe Beschäftigte sei. Es treffe nicht zu, dass die Gefahr von weiteren Belästigungen durch den Kläger fortbestanden habe. Denn er sei im unmittelbaren Anschluss an den streitgegenständlichen Vorfall arbeitsunfähig erkrankt. Dies habe bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nachgewirkt. Eine Wiederholungsgefahr sei vor diesem Hintergrund ausgeschlossen. Auch seien entsprechende Therapiemaßnahmen durchgeführt worden, und der Kläger habe sich einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unterzogen.



Soweit die Beklagte behaupte, dass das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit nicht störungsfrei gewesen sei und Pflichtverletzungen vorgelegen hätten und der Kläger auch einschlägig abgemahnt worden sei, sei dieser Vortrag nicht hinreichend konkretisiert und auch nicht ansatzweise einlassungsfähig. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass es sich um eine einmalige Entgleisung des Klägers gehandelt habe. Entgegen der Darstellung der Beklagten habe der Kläger in der Vergangenheit keine Therapie erfolgreich abgeschlossen. Er habe zwar eine begonnen, die sei aber aufgrund eines Krankenhausaufenthaltes unterbrochen und nie beendet worden. Dies sei im Jahre 2009 gewesen. Der Kläger sei sich des lauernden Gefahrenpotenzials gerade nicht bewusst gewesen.



Soweit die Beklagte hinsichtlich der Wiederholungsgefahr auf die Mittagspause abstelle, könnte dem nicht gefolgt werden. Die freie Zugangsmöglichkeit zu alkoholischen Getränken während der Mittagspause habe auch bereits vor dem hier streitgegenständlichen Verhalten bestanden. Diese Mittagspausen innerhalb und außerhalb des Werksgeländes habe der Kläger aber in der Vergangenheit unproblematisch ohne Alkoholkonsum überstanden, selbst das Kellereifest. In der Vergangenheit habe es diesbezüglich keinerlei Beanstandungen gegenüber dem Kläger gegeben. Auch lasse sich aus dem sogenannten Nach-Tatverhalten keine Wiederholungsgefahr herleiten. Das Verhalten des Klägers sei insoweit als ein ungeschicktes, ggf. machohaftes Verhalten zu werten, um die eigene Unzulänglichkeit über das Nichtwissen der Geschehnisse des Vorabends zu überbrücken, mehr nicht. Im Übrigen werde bestritten, dass der Kläger am 26.09.2012 einschlägig abgemahnt worden sei.



Insgesamt sei zwar das Verhalten des Klägers sozial inadäquat gewesen. Es handele sich insoweit aber um einen einmaligen Vorgang, der genau die Problematik wiederspiegele, die mit einer Sucht bestehe. Dass der Kläger diese Situation vollkommen falsch eingeschätzt habe, sei ihm bewusst und im Rahmen der nunmehr durchgeführten Therapie sei ihm dies auch noch einmal deutlich aufgezeigt worden. Eine Schädigung des Ansehens der Beklagten sei nicht gegeben. Woraus sich eine Beeinträchtigung der Betriebsdisziplin ergeben könne, erschließe sich zudem nicht.



Der Kläger sei schließlich keineswegs therapieunwillig gewesen. Zutreffend sei vielmehr, dass der Kläger sich nach dem Vorfall in Therapie begeben habe und dies vor der streitgegenständlichen Kündigung. Bestritten werde, dass die Beklagte im Jahr 2011 und 2012, zuletzt am 26.09.2012 Gespräche mit dem Kläger wegen seinen damaligen erheblichen Fehlzeiten geführt habe. Dass der Kläger am 11.08.2011 und am 09.05.2012 wegen Alkoholkonsums auffällig geworden sein soll, werde bestritten. Allein zutreffend sei, dass der Kläger im Jahr 2012 nach einem Führerscheinentzug wegen Alkohol am Steuer im Urlaub dies dem Arbeitgeber bei Arbeitsantritt nach dem Urlaub mitgeteilt habe. Im Zuge dessen sei der Kläger dann von der Wechselschicht in die Tagschicht für ein Jahr mit unregelmäßigen Kontrollen der Langzeitleberwerte vom medizinischen Dienst beschäftigt worden. Dabei seien nicht wie von der Beklagten behauptet, die Termine vom Kläger gemacht worden, sondern vom medizinischen Dienst. Arbeitsrechtliche Sanktionen habe es keine gegeben.



Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 02.11.2015 (Bl. 265 bis 270 d. A.) nebst Anlage (Bl. 271 d. A.) Bezug genommen.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.



Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 21.12.2015.



Entscheidungsgründe



I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.



II. Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch auch in der Sache keinen Erfolg.



Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung letztlich zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger zum einen die Feststellung verlangen kann, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014 und auch nicht durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014 zum 18.12.2014 bzw. zum 30.06.2015 beendet worden ist und zum anderen die Verurteilung der Beklagten, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemiefacharbeiter weiterzubeschäftigen.



Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die außerordentliche Kündigung vom 18.12.2014 rechtsunwirksam ist.



Das Arbeitsgericht ist im Ergebnis und in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat; nichts anderes gilt für die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014. Es hat des Weiteren folgerichtig die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Chemiefacharbeiter bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits weiterzubeschäftigen.



Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014 ist rechtsunwirksam, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB insoweit nicht gegeben sind.



Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS). Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind (Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 4. Auflage 2012 (APS-Dörner/Vossen), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 13. Auflage 2016, Kap. 4. Rdnr. 1121 ff.).



Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen. Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch eine Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts anderes (BAG 15.12.1955 NJW 1956, 807 [BAG 15.12.1955 - 2 AZR 228/54] ; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 3.7.2003 EzA § 626 BGB 202 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12, 484; 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32).



Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Dabei ist insbes. nicht auf die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers abzustellen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab ("verständiger Arbeitgeber") entscheidend, also ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters weiterhin hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsste, nicht aber, ob er es tatsächlich hat (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an, die vergangene Pflichtverletzung muss sich noch in Zukunft belastend auswirken (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 23.10.2008 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 25; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG BW 25.3.2009 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297). Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein.



Das kann dann der Fall sein, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind, d. h. wenn davon ausgegangen werden muss, der Arbeitnehmer werde auch künftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen oder sonst von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (LAG BW 25.3.2009 § 626 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297).



Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig (vgl. z. B. BAG 24.3.2011 2 AZR 282/10 EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029 [BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10] ; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35).



Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.



Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der - in der Regel - vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner/Vossen, § 626 BGB a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.). In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 24.3.2011 - 2 AZR 282/10- EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029 [BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10] ; 27.09.2012 -2 AZR 646/11 - EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS).



Entscheidend ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung bzw. bis zum Ende der vereinbarten Befristung (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 - 2 AZR 646/11 - EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS; LAG Bl. 5.1.2005 - 17 Sa 1308/04 - EzA-SD 8/05, Seite 12 LS; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O.; APS/Dörner/Vossen).



Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegen seiner erheblichen Pflichtverletzung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung des Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen - einstweiligen - Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013, Seite 6 LS).



Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung "Ultima Ratio", so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS; krit. Stückmann/Kohlepp RdA 2000, 331 ff.).



Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 - 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 - 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).



Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029 [BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10] ; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Das gilt grds. uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA -RR 2012, 353; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356 [LAG Köln 20.01.2012 - 3 Sa 408/11] ), denn auch in diesem Bereich gibt es keine "absoluten" Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (BAG 10.06.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Preis AuR 2010, 242;Schlachter NZA 2005, 433 ff.; Schrader NJW 2012, 342 ff.; s. LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA-RR 2012, 353; Arbeitszeitbetrug; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356 [LAG Köln 20.01.2012 - 3 Sa 408/11] : vorzeitiges Arbeitsende ohne betriebliche Auswirkungen).



Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung ist grds. (ebenso wie bei der ordentlichen Kündigung) der Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. Zugangs der Kündigung. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32 = NZA 2010, 1227 [BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09] ; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 15.12.1955 BAGE 2, 245).



Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (BAG 10.6.2010; a. a. O.; 28.10.1971 a. a. O . Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (BAG 10.6.2010 a. a. O; 15.12.1955 a. a. O.). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (BAG 15.12.1955 a. a. O). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (BAG 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 202 Nr. 4 a. a. O.; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12; 3.7.2003 EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2) gilt nichts anderes.



Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). "Absolute Kündigungsgründe", die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG 15.11.1984 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 95; 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27).



Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gilt Folgendes:



Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich liegt insoweit im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung i.S.v. § 286 ZPO (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027).



Im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungslast trifft jede Prozesspartei eine vollständige Substantiierungspflicht; sie hat sich eingehend und im Einzelnen nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert zu äußern. Andererseits darf von keiner Prozesspartei von Verfassungswegen etwas Unmögliches verlangt werden. Der Konflikt zwischen diesen beiden Positionen wird gelöst durch das Prinzip der Sachnähe, d. h., je näher eine Prozesspartei an dem fraglichen tatsächlichen Geschehen selbst unmittelbar und persönlich beteiligt ist, desto eingehender hat sie substantiiert vorzutragen. Das kann so weit gehen, dass sie auch verpflichtet sein kann, durch tatsächliches Vorbringen oder Vorlage von Unterlagen die Gegenpartei überhaupt erst in die Lage zu versetzen, der ihr obliegenden Darlegungslast nachzukommen. Schließlich muss das tatsächliche Vorbringen wahrheitsgemäß sein (vgl. BAG 26.06.2008, 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32, Nr. 33).



Zu den die Kündigung begründen Tatsachen, die der Kündigende vortragen und ggf. beweisen muss, gehören auch diejenigen, die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (z.B. eine vereinbarte Arbeitsbefreiung, die Einwilligung des Arbeitgebers in eine Wettbewerbstätigkeit: eine "Notwehrsituation", vgl. LAG Köln 20.12.2000 ARST 2001, 187) für das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers ausschließen (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109; 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06, EzA-SD 8/2009 S. i; Notwehr bei tätlicher Auseinandersetzung; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607).



Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substantiiert der Gekündigte sich auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Kündigende muss daher nicht von vornherein alle nur denkbare Rechtfertigungsgründe widerlegen.



Es reicht insoweit nicht aus, dass der Gekündigte pauschal und ohne nachprüfbare Angaben Rechtfertigungsgründe geltend macht. Er muss deshalb unter substantiierter Angabe der Gründe, die ihn gehindert haben, seine Arbeitsleistung, so wie an sich vorgesehen, zu erbringen, den Sachvortrag des Kündigenden nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen bestreiten. Gleiches gilt dann, wenn sich der Gekündigte anders als an sich vorgesehen verhalten hat (s. BAG 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06, FA 2009, 221 LS).



Nur dann ist es dem Kündigenden möglich, diese Angaben zu überprüfen und ggf. die erforderlichen Beweise anzutreten (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109). Wenn der gekündigte Arbeitnehmer sich allerdings gegen die Kündigung wehrt und i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO ausführlich Tatsachen vorträgt, die einen Rechtfertigungsgrund für sein Handeln darstellen oder sonst das Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen können, muss der Arbeitgeber seinerseits Tatsachen vorbringen und ggf. beweisen, die die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe erschüttern (LAG Köln 21.04.2004 LAG Report 2005, 64 LS). Will der Arbeitgeber bspw. die außerordentliche Kündigung auf die Behauptung stützen, der Arbeitnehmer habe Beträge aus der Einlösung von Schecks unterschlagen, muss er im Einzelnen diese Unterschlagung darlegen und unter Beweis stellen. Wenn der Arbeitnehmer nachvollziehbar darlegt, wann und wenn er die Beträge abgeliefert hat, kann sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg auf den Standpunkt stellen, der Arbeitnehmer müsse die Ablieferung der Beträge beweisen (LAG Köln 26.06.2006 - 14 Sa 21/06, EzA-SD 19/06, S. 10 LS).



Die dem kündigenden Arbeitgeber obliegende Beweislast geht auch dann nicht auf den gekündigten Arbeitnehmer über, wenn dieser sich auf eine angeblich mit dem Arbeitgeber persönlich vereinbarte Arbeitsbefreiung beruft und er einer Parteivernehmung des Arbeitgebers zu der streitigen Zusage widerspricht.



In diesem Fall sind allerdings an das Bestreiten einer rechtswidrigen Vertragsverletzung hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ortes und des Anlasses der behaupteten Vereinbarung, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen sollen, strenge Anforderungen zu stellen (BAG 24.11.1983 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 88; APS/Dörner/Vossen § 626 BGB Rn. 173 ff.).



Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht zu beweisen, ist die streitgegenständliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam (LAG RhPf 21.05.2010 NZA-RR 2011, 80 [LAG Rheinland-Pfalz 21.05.2010 - 9 Sa 705/09] ).



Für das erforderliche Beweismaß der vollen Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO gelten nachfolgende Grundsätze:



Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Insofern ist das tatsächliche Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin zulässigerweise bestritten hat, nach Maßgabe der vor dem Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme als wahr anzusehen.



Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien - insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit als Zielpunkt - aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO - Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).



Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für - auch nur geringe - Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr "erachten". Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise einer Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.



Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO - Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.



Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt auch nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist >an sich< als wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).



Eine sexuelle Belästigung i. s. v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Bereits eine einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweise kann den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen. Für das >Bewirken< genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweisen objektiv erkennbar war (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).



Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).



Der bei der Prüfung einer (außerordentlichen) Kündigung zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird auch durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Verbot sexueller Belästigungen i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Geeignet i. S. d. Verhältnismäßigkeit sind nur solche Maßnahmen, von denen Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, d. h. eine Wiederholung ausschließen (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).



Ein Irrtum des Arbeitnehmers über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweisen kann bei der Interessenabwägung auch dann zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, wenn er die Fehleinschätzung hätte vermeiden können. Auch wenn entschuldigendes Verhalten erst unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung gezeigt wird, kann es die Annahme, es bestehe keine Wiederholungsgefahr, jedenfalls dann stützen, wenn es sich um die Bestätigung einer bereits zuvor gezeigten Einsicht handelt (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - EzA § 626 BGB 2002 Nr. 47 = NZA 2015, 294).



Bei sexuellen Belästigungen hat der Arbeitgeber die zum Schutz der Mitarbeiter vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Er hat dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (zutr. ArbG Hmb. 23.2.2005 NZA-RR 2005, 306 [ArbG Hamburg 23.02.2005 - 18 Ca 131/04] ; LAG Nds. 29.11.2008 - 1 Sa 547/08, EzA-SD 3/2009 S. 4 LS; LAG BW 17.7.2 013 LAGE § 12 AG Nr. 3). Sind mehrere Maßnahmen geeignet und möglich, die Benachteiligung infolge sexueller Belästigung für eine Arbeitnehmerin abzustellen, so hat der Arbeitgeber diejenige zu wählen, die den Täter am wenigsten belastet. Das gilt umso mehr, wenn in der Dienststelle eine Dienstvereinbarung gilt, die gestufte Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers für den Fall sexueller Belästigung vorsieht (LAG Nds. 29.11.2008 NZA-RR 2009, 249). Maßgeblich sind aber die konkreten Umstände des Einzelfalls. Gegebenenfalls kann auch eine Abmahnung als Reaktion auf eine solche Pflichtwidrigkeit ausreichen, sodass sich eine Kündigung als unverhältnismäßig erweist (LAG BW 17.7.2013 LAGE § 12 AGG Nr. 3).



Reicht eine Abmahnung (vgl. dazu ArbG Hmb. 23.2.2005 NZA-RR 2005, 306 [ArbG Hamburg 23.02.2005 - 18 Ca 131/04] ; LAG Hessen 27.2.2012 NZA-RR 2012, 471) nicht aus um die Fortsetzung sexueller Belästigungen mit der gebotenen Sicherheit zu unterbinden und kommt eine Umsetzung oder Versetzung des Störers nicht in Betracht, kann der Arbeitgeber mit einer Kündigung auf die sittlichen Verfehlungen reagieren. Eine außerordentliche Kündigung ist allerdings nur angemessen, wenn der Umfang und die Intensität der sexuellen Belästigungen sowie die Abwägung der beiderseitigen Interessen diese Maßnahme rechtfertigen (LAG Hamm 22.10.1996 NZA 1997, 769 [LAG Hamm 22.10.1996 - 6 Sa 730/96] ; s. a. LAG SchlH 4.3.2009 - 3 Sa 410/08, BB 2009, 1816 zur verbalen sexuellen Belästigung); insbes. die sexuelle Belästigung einer Arbeitnehmerin durch einen Vorgesetzten - die gem. §§ 1 ff. AGG eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt - kann also je nach Intensität und Umfang ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB sein (BAG 25.3.2004 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6; 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36 = NZA 2011, 1342; LAG Hessen 27.2.2012 NZA-RR 2012, 471; vgl. Schulte-Westenberg NZA-RR 2005, 617 ff.). Andererseits macht eine begangene verbale sexuelle Belästigung die Weiterbeschäftigung i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB nicht per se unzumutbar (LAG SchlH 4.3.2009 - 3 Sa 410/08, BB 2009, 1816).



U. U. kann auch ein rein passives Verhalten in der Form eines zögernden, zurückhaltenden Geschehenlassens gegenüber einem drängenden, durchsetzungsfähigen Belästiger, insbes. einem Vorgesetzten, zur Erkennbarkeit einer ablehnenden Handlung ausreichen. Hat ein Vorgesetzter sexuelle Handlungen gegen den Willen der Arbeitnehmerin vorgenommen, bedarf es keiner Abmahnung, weil es wegen § 3 Abs. 4 AGG dem Vorgesetzten klar sein muss, dass eine intensive sexuelle Belästigung einer Arbeitnehmerin gegen ihren erkennbaren Willen ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten war (BAG 25.3.2004 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6).



Die vom Arbeitgeber gem. § 12 AGG zu treffenden vorbeugenden Schutzmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz berechtigen ihn nicht, der sexuellen Belästigung beschuldigte Arbeitnehmer zu entlassen, wenn ihnen eine entsprechende Tat nicht nachgewiesen werden kann. Auch § 12 AGG gewährt insoweit kein besonderes Kündigungsrecht; möglich ist aber eine Verdachtskündigung nach den allgemeinen Grundsätzen (BAG 8.6.2000 EzA § 15 KSchG n. F. Nr. 50; krit. Linde AuR 2001, 272 ff.; s. Rdn. 1571 ff).



Der Arbeitgeber hat die im konkreten Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen. Welches der im AGG nicht abschließend genannten Sanktionsmittel im konkreten Fall angemessen ist, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, hängt also von der Schwere des Vorfalls sowie dem Umstand ab, ob es sich um eine erstmalige oder um eine wiederholte Verfehlung handelt. Dabei sind auch die sozialen Gesichtspunkte aufseiten des Belästigers angemessen in die Bewertung einzubeziehen (ArbG Ludwigshafen 29.11.2000 FA 2001, 146). Sexuelle Übergriffe eines Vorgesetzten (tätliche Belästigungen) während der Arbeitszeit gegenüber weiblichen Mitarbeiterinnen rechtfertigen andererseits regelmäßig eine fristlose Kündigung auch ohne Abmahnung, jedenfalls dann, wenn es sich um eine äußerst massive tätliche Belästigung handelt (LAG Nds. 21.1.2003 NZA-RR 2004, 19).



Bei der Prüfung des wichtigen Grundes hat das Arbeitsgericht zutreffend zunächst nicht auf die Alkoholerkrankung des Klägers abgestellt, denn die Beklagte hat nicht mit der Begründung, der Kläger sei alkoholkrank, die streitgegenständliche fristlose Kündigung ausgesprochen, sondern die Kündigung auf das Fehlverhalten des Klägers am Abend des 16.11.2014 gestützt.



Unterstellt man das tatsächliche Vorbringen der Beklagten zum Vorfall in der XYstube als zutreffend, so liegt daher mit dem Arbeitsgericht ein Sachverhalt vor, der an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Denn der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er Frau B. sexuell belästigt hat.



Das Gewicht dieses Fehlverhaltens lässt sich aufgrund der Besonderheiten des hier vorliegenden Einzelfalles auch nicht grundsätzlich dadurch relativieren, dass, wie vom Kläger im Berufungsverfahren vorgebracht, berücksichtigt wird, dass Frau B. eine externe Mitarbeiterin der Beklagten ist und der streitgegenständliche Vorfall sich nicht im unmittelbar räumlichgegenständlichen Betrieb der Beklagten zugetragen hat.



Denn zum einen kann auch ein sogenanntes außerdienstliches Verhalten bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung berücksichtigt werden.



Eine außerdienstlich begangene Straftat verstößt danach gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB, wenn sie einen Bezug zu den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder der Tätigkeit des Arbeitnehmers hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10 = NZA 2011, 798). Ein derartiger Bezug zum Arbeitsverhältnis kann etwa dann gegeben sein, wenn ein Arbeitnehmer eine Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht, wenn sich der öffentliche Arbeitgeber staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sieht oder wenn er mit der Straftat durch den Arbeitnehmer selbst in Verbindung gebracht wird (BAG 28.10.2010 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78 = NZA 2011, 112).



Bereits nach Maßgabe dieser Grundsätze wäre eine Berücksichtigung des Verhaltens des Klägers vorliegend keineswegs ausgeschlossen, denn ein Bezug zum Arbeitsverhältnis ist auch danach hier anzunehmen.



Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Verpflichtungen der Beklagten nach dem AGG, die auch zuvor bereits nach dem Beschäftigtenschutzgesetz im hier maßgeblichen Zusammenhang bestanden haben, sich auch auf externe Mitarbeiterinnen beziehen und sich der streitgegenständliche Vorfall in der Beklagten gehörenden Räumlichkeiten zugetragen hat bei Gelegenheit einer von der Beklagten veranlassten betrieblichen Veranstaltung, für die sie bei gleichzeitiger Arbeitsfreistellung Entgeltzahlung geleistet hat. Zu berücksichtigen ist lediglich, dass sich der streitgegenständliche Vorfall nicht im Rahmen der Anwesenheit des Klägers im Betrieb zur Erfüllung seiner unmittelbaren vertraglichen Arbeitsverpflichtung ereignet hat.



Es bleibt also festzuhalten, dass der Kläger seine arbeitsvertraglichen (Neben)Pflichten (§ 241 Abs. 1, Abs. 2 BGB, §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 3 AGG) in erheblicher Weise verletzt hat, in dem Frau B. massiv sexuell belästigt hat. Davon ist das Arbeitsgericht mit ausführlicher und zutreffender Begründung ausgegangen, so dass die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 181, 182 d. A.) Bezug nimmt.



Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung scheitert vorliegend auch jedenfalls nicht generell bereits an einem möglicherweise fehlenden Verschulden auf Seiten des Klägers. Zwar ist bei der verhaltensbedingten Kündigung der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers im Rahmen der Interessenabwägung ein zentrales Abgrenzungskriterium. Deshalb können verhaltensbedingte Gründe eine außerordentliche Kündigung in der Regel nur dann rechtfertigen, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv und rechtswidrig, sondern auch schuldhafte seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat. Insoweit kann als Rechtsgrundsatz davon ausgegangen werden, dass auch ein schuldloses Verhalten des Arbeitnehmers unter besonderen Umständen den Arbeitgeber zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigen kann.



Das Arbeitsgericht hat insoweit zugunsten der Beklagten angenommen, dass trotz Vorliegens einer Suchterkrankung eine außerordentliche Kündigung dann gerechtfertigt sein kann, wenn der Arbeitnehmer eine erhebliche Pflichtverletzung begeht. Diese liegen dann vor, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers über typisch suchtbedingte Ausfallerscheinungen wie Fehlen oder Zuspätkommen, Schlafen am Arbeitsplatz, Produzieren von Ausschuss usw. hinausgeht (LAG Köln 12.03.2002 - 1 Sa 1354/01 -). Dazu gehören danach z. B. Tätlichkeiten und strafbare Vermögensdelikte. Denn damit entfernt sich der Arbeitnehmer weit von suchtbedingten Unregelmäßigkeiten, die nach der Rechtsordnung noch in gewissem Umfang zu tolerieren sind. Zwar ist nach Auffassung der Kammer die Annahme einer Unterscheidbarkeit von suchtbedingten Unregelmäßigkeiten einerseits und schwerwiegendem Fehlverhalten andererseits in besonderem Maße problematisch, zumal geeignete Abgrenzungskriterien insoweit nicht benannt werden. Auch ist zu berücksichtigen, dass das vorliegende streitgegenständliche Fehlverhalten zwar in besonderem Maße als schwerwiegend anzusehen ist, die daran anschließende Frage, woraus sich ergeben soll, dass es über eine der typischen suchtbedingten Ausfallerscheinungen hinausgeht, in der angefochtenen arbeitsgerichtlichen Entscheidung aber unbeantwortet bleibt. Dabei stellt nach Auffassung der Kammer jedenfalls auch gerade aggressives, sexualisiertes Verhalten eine typische suchtbedingte Ausfallerscheinung dar. Gleichwohl ist die Kammer insoweit zugunsten der Beklagten davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung nicht bereits wegen der Alkoholerkrankung des Klägers und dem daraus resultierenden fehlenden Verschulden (vgl. BAG 20.12.2012, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31; 20.03.2014, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 58) ausgeschlossen, weil rechtsunwirksam ist.



Dennoch ist die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht gerechtfertigt.



Wie dargelegt, ist bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen einstweiliger Fortsetzung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen.



Insoweit ist davon auszugehen, dass die konkrete Pflichtverletzung schwerwiegend ist und ihr wegen des erheblichen Interesses der Beklagten, eine Wiederholung eines derartigen Vorfalls und eine damit ggf. einhergehende Rufschädigung zu verhindern, ein erhebliches Gewicht zukommt. Mit dem Arbeitsgericht ist aber aufgrund der Besonderheiten des hier zu entscheidenden konkreten Lebenssachverhalts davon auszugehen, dass demgegenüber das Interesse des Klägers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes höher anzusetzen ist. Dafür spricht einmal die Betriebszugehörigkeit von 22 Jahren, angesichts derer eine außerordentliche Kündigung nur unter besonders schwerwiegenden Umständen als zulässig angesehen werden kann. Mit dem Arbeitsgericht ist auch davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis vor dem Vorfall beanstandungsfrei verlaufen ist. Es hat in 22 Jahren keine Abmahnung gegeben. In dem Protokoll des Fehlzeitengesprächs vom 26.09.2012 werden zwar zwei alkoholbedingte Auffälligkeiten des Klägers erwähnt. Die Beklagte hat jedoch im erstinstanzlichen Rechtszug diese "Auffälligkeiten" nicht nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert dargestellt. Darauf hat der Kläger zu Recht hingewiesen und daraus hat das Arbeitsgericht nachvollziehbar und zutreffend geschlossen, dass es dadurch zu keinen schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses gekommen ist. Vor diesem Hintergrund muss das Fehlverhalten des Klägers am 16.11.2014 als einmalige, wenn auch erhebliche Entgleisung gewertet werden. Dabei ist zu auch zu berücksichtigen, dass das Verhalten unter Alkoholeinfluss erfolgte. Zwar ist dem Kläger insoweit vorzuwerfen, dass er von seiner Alkoholkrankheit wusste, so dass ihm der Alkoholkonsum jedenfalls zu Beginn vorzuwerfen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits zu Beginn des Konsums alkoholischer Getränke damit gerechnet hat, dass ihm sein Verhalten in der hier zu beurteilenden Art und Weise entgleiten würde, lassen sich dem Vorbringen der Parteien jedoch nicht entnehmen. Maßgeblich ist aber darauf abzustellen, ob es sich um einen einmaligen Vorfall handelt oder, wie dargestellt, ob mit weiteren derartigen gravierenden Pflichtverletzungen gerechnet werden muss. Mit dem Arbeitsgericht ist aus den Gesamtumständen hier zu schließen, dass die Beklagte nicht mit einer Wiederholung des beanstandeten Fehlverhaltens zu rechnen braucht. Die Kammer teilt die Überlegung des Arbeitsgerichts, dass das Vorkommnis am 16.11.2014 - auch - für den Kläger ein erheblicher persönlicher Einschnitt war. Dies zeigt sich bereits daran, dass er sich nach der Rückkehr noch am gleichen Tag in ärztliche Behandlung begeben hat. Er hat sich folglich sofort therapiewillig gezeigt; der behandelnde Arzt bescheinigte auch Therapiefähigkeit. Der Kläger hat sich neben den sofort eingeleiteten ambulanten Maßnahmen um eine stationäre Therapie bemüht. In einer daraus resultierenden Rehabilitationsmaßnahme befand er sich noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Rechtszug. Folglich ist nach Auffassung der Kammer mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass das Interesse des Klägers an der einstweiligen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung überwiegt.



Folglich ist die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam.



Die Kündigung ist auch nicht als ordentliche verhaltensbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.



Was als verhaltensbedingter Kündigungsgrund zu verstehen ist, wird im KSchG zwar nicht definiert. Allerdings kommen verhaltensbedingte Umstände, die grds. dazu geeignet sind, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, ebenso als verhaltensbedingte Gründe i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG in Betracht. Im Übrigen ist eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen des Arbeitnehmers gem. § 1 Abs. 2 S 1 Alt. 2 KSchG dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i. d. R. schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile angemessen erscheint. Ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers stellt eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermag. Ebenso kann eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers eine Kündigung rechtfertigen (BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 37; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607;s. a. BAG 12.05.2011 EzA § 123 BGB 2002 Nr. 10).



Eine ordentliche verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung ist grds. nur dann sozial gerechtfertigt (vgl. BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65, 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 37; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607; s. a. BAG 12.05.2011 EzA § 123 BGB 2002 Nr. 1; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2016, Kap. 4, Rn. 2282 ff.) wenn



- ein (i. d. R. schuldhaftes) Fehlverhalten des Arbeitnehmers als Abweichung des tatsächlichen Verhaltens oder der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung vom vertraglich geschuldeten Verhalten bzw. der vertragliche geschuldeten Arbeitsleistung gegeben ist, der Arbeitnehmer also seine vertraglichen haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i. d. R. schuldhaft verletzt hat;



- dieses Fehlverhalten auch betriebliche Auswirkungen hat;



- (i. d. R. zumindest) eine einschlägige vorherige Abmahnung gegeben ist;



- danach weiteres einschlägiges schuldhaftes Fehlverhalten mit betrieblichen Auswirkungen vorliegt und



- eine umfassende Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der betrieblichen Auswirkungen des Fehlverhaltens oder der Schlechtleistung und des Verhältnismäßigkeitsprinzips das Überwiegen des Interesses des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergibt.



Es gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (BAG 19.04.2007 NZA-RR 2007, 571 [BAG 19.04.2007 - 2 AZR 180/06] ; LAG RhPf 26.02.2010 NZA-RR 2010, 297).



Vorliegend ist die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Wenn es sich aber, wie dargelegt, bei dem Vorfall vom 16.11.2014 um eine einmalige Entgleisung des Klägers ohne Wiederholungsgefahr handelt, dann ist es mit dem Arbeitsgericht trotz der Schwere der Pflichtverletzung des Klägers nicht als interessengerecht anzusehen, eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Da der Beklagten bei Ausspruch der Kündigung zudem bekannt war, dass der Kläger bei dem streitgegenständlichen Vorfall am 16.11.2014 in erheblichem Maße alkoholisiert war und eine Alkoholabhängigkeit bestand, war keine negative Prognose gerechtfertigt und überwog aus den bereits im einzelnen dargestellten Gründen das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus das Interesse der Beklagten an dessen Beendigung.



Schließlich liegt auch kein personenbedingter Kündigungsgrund gemäß § 1 Abs. 2 KSchG vor.



Eine Kündigung wegen Alkoholkrankheit ist nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. BAG 20.12.2012 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 31; 20.03.2014 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 58). Denn Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit von Alkohol. Sie äußert sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle. Ein Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz. Der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht verzichten.



Da Alkoholabhängigkeit eine Krankheit ist, sind bei Kündigungen im Zusammenhang damit die Grundsätze der krankheitsbedingten Kündigung anzuwenden, wobei sich aus den Besonderheiten der Alkoholabhängigkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen Aufgabenstellung des Arbeitnehmers die Notwendigkeit ergeben kann, an die negative Gesundheitsprognose geringere Anforderungen zu stellen. Die Prognose wird wesentlich davon bestimmt, in welchem Stadium der Sucht sich der Arbeitnehmer befindet, in welcher Weise sich frühere Therapien auf den Zustand des Arbeitnehmers ausgewirkt haben, ob er vor Ausspruch der Kündigung therapiebereit war und ob eine solche Therapie aus medizinischer Sicht eine gewisse Erfolgsaussicht hat.



Jedenfalls ist der Arbeitgeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel verpflichtet, einem alkoholkranken Arbeitnehmer, dem er aus personenbedingten Gründen kündigen will, zuvor eine Chance zur Entziehungskur zu geben (BAG 17.06.1999 EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 4).



Nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles war die Beklagte mit dem Arbeitsgericht verpflichtet, dem Kläger vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung zunächst die Durchführung einer stationären Entzugstherapie zu ermöglichen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung zur Vermeidung von Wiederholungen (S. 12, 13 = Bl. 186, 187 d. A.) Bezug genommen.



Folglich hat der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gegen die Beklagte. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (S. 13 = Bl. 187 d. A.) Bezug genommen.



Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts.



Die Beklagte hat insoweit zunächst (Berufungsbegründungsschrift S. 2 bis 4 = Bl. 236 bis 238 d. A.) Einzelheiten des streitgegenständlichen Vorfalls geschildert und sodann nachfolgend das "Nachtatverhalten" des Klägers am Vormittag des 17.11.2014. Soweit die Beklagte schildert, dass Frau Dr. P. insoweit den Eindruck hatte, dass sich der Kläger an den Vorfall am Sonntagabend einwandfrei erinnern konnte, erschließt sich für die Kammer bereits nicht, welche abweichende Beurteilung sich daraus für den vorliegenden Rechtsstreit ergeben soll. Soweit die Beklagte im weiteren Fortgang (S. 9 = Bl. 243 d. A.) ausführt, es sei wenig plausibel, dass jemand, der sich angeblich an nichts erinnert, sich bei Frau B. von sich aus nach ihrem Befinden erkundige, gilt nichts anderes. Denn selbst wenn mit der Auffassung der Beklagten die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung anzuwenden sind, wovon die Kammer zugunsten der Beklagten ausgegangen ist, führt dies alleine nicht zur Rechtswirksamkeit der außerordentlichen ebenso wie der ordentlichen Kündigung. Nichts anderes gilt für die Ausführungen der Beklagten zur Interessenabwägung (S. 11 ff.). Insoweit enthält das Vorbringen der Beklagten keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Es macht lediglich - wenn auch aus der Sicht der Beklagten heraus verständlich - deutlich, dass die Beklagte die tatsächliche und rechtliche Würdigung des schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug durch das Arbeitsgericht, dem die Kammer folgt, nicht teilt. Hinsichtlich der Ausführungen der Beklagten zur Schädigung des öffentlichen Ansehens und der Beeinträchtigung der Betriebsdisziplin ist darauf hinzuweisen, dass Beeinträchtigungen insoweit jeder bekannt gewordenen sexuellen Belästigung der hier streitgegenständlichen Art inne wohnen; gleichwohl führt aber aus den im einzeln dargelegten Gründen keineswegs jede sexuelle Belästigung zur Rechtswirksamkeit einer Kündigung. Dies gilt nicht nur für die Beklagte, sondern auch für andere Arbeitgeber. Es ist insoweit nicht Aufgabe einer arbeits- und/oder landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung, ein rechtspolitisches "Signal" zu setzen. Vielmehr ist die Frage zu beantworten, ob aufgrund eines bestimmten konkreten Lebenssachverhalts die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen (§ 626 BGB) oder aber einer ordentlichen Kündigung (§ 1 KSchG) gegeben sind, oder aber nicht. Auch im Hinblick auf die Ausführungen zur personenbedingten Kündigung (S. 21 ff. = Bl. 255 ff.) wiederholt die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht deutlich, dass sie die gegenteilige rechtliche Beurteilung durch das Arbeitsgericht, der die Kammer folgt, nicht teilt. Inwieweit der Kläger am 11.08.2011 und am 09.05.2012 wegen "Alkoholkonsum auffällig geworden ist", wird demgegenüber nicht substantiiert dargelegt, worauf der Kläger zutreffend hingewiesen hat.



Nichts anderes gilt letztlich für die Ausführungen im Schriftsatz vom 11.12.2015 (Bl. 282 ff. d. A.); auch insoweit fehlt es an jeglichem neuen tatsächlichen substantiierten Vorbringen, das zu einem anderen Ergebnis führen könnte. Weitere Ausführungen sind folglich nicht veranlasst.



Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Verkündet am: 21.12.2015

Vorschriften§§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO, § 626 Abs. 1 BGB, §§ 9, 10 KSchG, § 626 BGB, §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB, § 286 ZPO, § 138 Abs. 2 ZPO, § 286 Abs. 1 ZPO, § 3 Abs. 4 AGG, § 7 Abs. 3 AGG, § 323 Abs. 2 BGB, § 12 Abs. 3 AGG, §§ 1 ff. AGG, § 12 AGG, § 241 Abs. 2 BGB, § 241 Abs. 1, Abs. 2 BGB, §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 3 AGG, § 1 Abs. 2 KSchG, § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, § 1 Abs. 2 S 1 Alt. 2 KSchG, § 1 KSchG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 ArbGG

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