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31.12.2000 · IWW-Abrufnummer 185094

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 04.03.2016 – 20 U 175/15

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Köln

20 U 175/15

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 02. Oktober 2015 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 133/12 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
 
1

G r ü n d e:

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I.

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Der Kläger fordert von der Beklagten Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung.

4

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01. Mai 2004 eine Unfallversicherung. Mit Nachtrag vom 01. Februar 2008 wurde die Invaliditätssumme auf 177.500.00 € angehoben. Ab einer Invalidität von 50 % ist eine monatliche Unfallrente in Höhe von 515,00 € versichert. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 2000 (AUB) zugrunde.

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Ziffer 5.2.1. AUB lautet:

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„Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen:

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5.2.1. Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen.

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Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3. die überwiegende Ursache ist.“

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Wegen der weiteren Einzelheiten der Versicherungsbedingungen wird auf Anlage 1 zur Klageschrift (Anlagenheft I) Bezug genommen.

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Der Kläger meldete der Beklagten ein Unfallereignis vom 17. Januar 2008. Er sei bei dem Versuch, den von ihm gefahrenen Sattelschlepper zu verlassen, rückwärts auf den leicht gefrorenen und nassen Asphaltboden gestürzt und dabei verletzt worden.

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Er wurde nach dem Ereignis in das Krankenhaus Ehingen gebracht. Dort wurden multiple Prellungen und der Verdacht einer Gehirnerschütterung diagnostiziert. Die behandelnde Neurologin stellte darüber hinaus eine Pyramidenbahnläsion im spinalen Rückenmark fest. Der Kläger litt bereits vor diesem Zeitpunkt an einer Spinalstenose (Verengung des Wirbelkanals).

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Am 19. Dezember 2008 wurde der Kläger in das Universitätsklinikum V verlegt und das dort erstellte MRT zeigte nach Angaben der Ärzte eine deutliche Spinalkanaleinengung mit teilweiser Myelonaffektion auf der Höhe C3/4, mit jedoch noch nicht vollständig aufgebrauchtem Reserveraum. Die Ärzte gingen von einem lateralen zervikalen Bandscheibenprolaps aus, der bereits seit längerer Zeit vorbestanden habe, und empfahlen eine Operation. Diese wurde in der neurochirurgischen Abteilung der Uniklinik N durchgeführt, wobei der Bandscheibenvorfall C 3/4 entfernt und eine knöcherne Dekompression der Foramina mit Abtragung der Osteophyten vorgenommen und anschließend eine Fusion durchgeführt wurde. Mit Bericht vom 30. März 2009 legte der behandelnde Arzt Dr. I dar, dass der Kläger an einer vollständigen Dekompression des traumatischen Bandscheibenvorfalls, einer Behebung der Spinalkanalstenose im Segment C3/4 und einem Achsenrechtsstand von C3 gegen C4 nach intervertebraler Fusion leide. Das Unfallereignis sei alleiniges auslösendes Moment der vorhandenen Querschnittssymptomatik.

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Die Beklagte holte im Rahmen ihrer Leistungsprüfung ein Gutachten des Orthopäden Dr. U ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, ein Dauerschaden sei nicht eingetreten. Es bestehe lediglich eine unfallunabhängige degenerative Wirbelsäulenveränderung. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 10. November 2009 ihre Einstandspflicht ab.

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Der Kläger begehrt nunmehr die volle Invaliditätssumme unter Zugrundelegung einer Progression in Höhe von 200 % ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 60 % sowie eine monatliche Invaliditätsrente in Höhe von 515,00 €.

15

Der Kläger hat behauptet, es habe sich bei dem Vorfall vom 17. Dezember 2008 um ein bedingungsgemäßes Unfallereignis gehandelt. Er habe aufgrund dessen einen lateralen cervikalen Bandscheibenprolaps erlitten. Durch das Trauma sei es zu einer akut eingesetzten Einengung des Rückenmarks gekommen, die zur Verschlechterung der Symptomatik geführt habe. Seine Leistungsfähigkeit sei daher auf Dauer wegen der Spinalkanalstenose (Rückenmarksverengung) um 60 % eingeschränkt.

16

Der Kläger hatte ursprünglich mit dem Klageantrag zu 1 beantragt, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 319.500,00 € zu verurteilen. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2011, eingegangen bei Gericht am 11. Februar 2011, hat er den Klageantrag zu 1) reduziert.

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Er hat sodann beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

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1. an ihn 213.000,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten hieraus seit dem 17. März 2010 zu zahlen;

19

2. an ihn 12.875,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 2.060,00 € seit dem 17. März 2010 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 10.815,00 € seit Rechtshängigkeit sowie ab 01. November 2011 eine monatliche Rente in Höhe von 515,00 € bis jeweils zum 3. eines Monats zu zahlen;

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3. an ihn 2.321,44 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat behauptet, der Kläger habe unterschiedliche Unfallvarianten geschildert und sei aus diesem Grunde unglaubwürdig. Der Bandscheibenvorfall habe bereits vor dem Ereignis vorgelegen, durch den Sturz sei es allenfalls zu einer zusätzlichen, akut einsetzenden Erschütterung des Rückenmarks gekommen.

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Der Kläger hatte zunächst Klage beim Landgericht N erhoben. Nach entsprechendem Hinweis auf seine örtliche Unzuständigkeit hat das Landgericht N den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Landgericht Aachen verwiesen.

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Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

26

Das Landgericht hat gemäß Beschluss vom 06. Juli 2012 (Bl. 161f. GA) sowie Beschluss vom 08. November 2013 (Bl. 275ff. GA) Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K und eines neurologischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. D sowie Vernehmung des Zeugen Dr. I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K vom 18. September 2012 (Bl. 205ff. GA), seine ergänzende Stellungnahme vom 07. Februar 2013 (Bl. 255ff. GA), das schriftliche Gutachten von Prof. Dr. D vom 04. März 2014 (Bl. 291ff. GA) sowie die Sitzungsprotokolle vom 30. August 2013 (Bl. 262ff. GA) und 21. August 2015 (Bl. 347ff. GA) verwiesen.

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Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte zur Zahlung von 17.750,00 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger am 17. Dezember 2008 einen Unfall erlitten habe. Aus orthopädischer Sicht bestehe unfallbedingt eine Fusion zweier Wirbelkörper, die zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit von 10 % führe. Eine Berücksichtigung der neurologischen Beeinträchtigungen in Form des eingetretenen Bandscheibenvorfalls scheide dagegen aus. Insoweit habe der Kläger den Beweis für einen Wiedereinschluss des Bandscheibenvorfalls in den Versicherungsschutz nicht erbracht.

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Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sich gegen das teilweise abweisende Urteil wendet und seine weitergehenden Zahlungsansprüche geltend macht. Die Feststellungen des Landgerichts zu den aus orthopädischer Sicht entstandenen Unfallschäden und die darauf beruhende Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in Höhe von 10 % greift der Kläger nicht an. Er ist aber der Ansicht, entgegen der Würdigung des Landgerichts sei ihm der Beweis gelungen, dass es durch den Unfall zu weiteren neurologischen Beeinträchtigungen in Form eines Bandscheibenvorfalls und einer traumatischen Verletzung des Rückenmarks gekommen sei. Die Darstellung der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D und des sachverständigen Zeugen Dr. I sei im Urteil unvollständig und die vorgenommene Beweiswürdigung daher fehlerhaft. Beide Sachverständige hätten übereinstimmend bekundet „der Unfall (sei) kausal für den Bandscheibenschaden“ gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe Prof. Dr. D dargelegt, dass der Bandscheibenvorfall mit dem Trauma entstanden, sich „aufgepfropft“ habe. Der Bandscheibenvorfall habe nach dessen Einschätzung auch einen „überhälftigen Anteil“ an der Entstehung der Rückenmarksverletzung gehabt. Darüber hinaus beruhe das Urteil auf einem Rechtsfehler, da die in Ziffer 5.2.1 AUB 2000 enthaltene Klausel fehlerhaft angewendet worden sei. Zum einen seien sämtliche Gutachter zu dem Ergebnis gelangt, er - der Kläger - habe eine Rückenmarksquetschung erlitten. Hierbei handele es sich entgegen der Annahme des Landgerichts um eine Primärverletzung, die nicht auf Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule zurückzuführen und gesondert zu bewerten sei. Zum anderen sei Sinn und Zweck der Wirbelsäulenausschlussklausel, solche Bandscheibenschädigungen zu erfassen, die auf degenerativen Vorschäden der Bandscheibe beruhen. Die Rückenmarksquetschung falle nicht unter die Klausel, sondern sei als isolierte Verletzung gem. Ziffer 2.1.2.2. zu bewerten. Dieser Einschätzung des Zeugen Dr. I habe sich der Sachverständige Prof. Dr. D in der mündlichen Verhandlung angeschlossen, wobei eine gutachterliche Bewertung der hieraus resultierenden Invalidität nicht erfolgt sei

29

Der Kläger beantragt,

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In Abänderung des Urteils des Landgerichts Aachen vom 02. Oktober 2015 – 9 O 133/12 – die Beklagte zu verurteilen,

31

1. an ihn einen Betrag in Höhe von 195.250,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. März 2010 zu zahlen;

32

2. an ihn einen Betrag in Höhe von 12.875,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 2.060,00 € seit 17. März 2010 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 10.815,00 € seit Rechtshängigkeit sowie ab 01. November 2011 eine monatliche Rente in Höhe von 515,00 € bis jeweils 3. eines Monats zu zahlen;

33

3. einen Betrag in Höhe von 2.143,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit 09. Mai 2011 zu zahlen.

34

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

36

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, wobei sie die Feststellung eines Unfallereignisses nicht angreift. Sie ist der Ansicht, der Sachverständige Prof. Dr. D habe den Bandscheibenvorfall bei C3/4 nicht als nachweislich unfallbedingt und die vorhandene Quetschung des Rückenmarks als eine unmittelbare Folge dieses Bandscheibenvorfalls beurteilt. Solche Verletzungen fielen insgesamt unter die Ausschlussklausel, so dass die neurologischen Auswirkungen außer Betracht bleiben müssten.

37

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

38

II.

39

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

40

Dem Kläger stehen keine über die durch das angefochtene Urteil zuerkannten Beträge hinausgehenden Ansprüche gegen die Beklagte zu.

41

Zwar liegt ein Unfallereignis im Sinne von Ziffer 1.3 AUB vor. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ist es am 17. Dezember 2008 zu einem plötzlich von außen auf den Körper wirkenden Ereignis gekommen, bei dem der Kläger unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten hat. Er ist auf vereistem Boden gestürzt  und hat sich dadurch zumindest multiple Prellungen zugezogen. Gegen die Feststellung eines bedingungsgemäßen Unfalls erhebt die Berufungserwiderung auch keine Einwände.

42

In Bezug auf die weiteren vom Kläger vorgetragenen Verletzungen in Form eines Bandscheibenvorfalls sowie einer Quetschung des Rückenmarks greift jedoch der Ausschlusstatbestand der Ziffer 5.2.1 AUB ein. Danach sind Schäden an der Bandscheibe sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn nicht ein Unfall im Sinne des Vertrags die überwiegende Ursache für die Beeinträchtigung ist.  Die Darlegungs- und Beweislast für den Ausnahmefall, dass ein Unfallereignis die überwiegende Ursache für den Bandscheibenschaden ist, trifft den Versicherungsnehmer (BGH RuS 2009, 161; OLG Köln – 5. Zivilsenat - VersR 2003, 1120; Leverenz, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 178 VVG Anh., Rn.36; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., Teil 2 A. AUB 2010, Rn.71). Daher hat der Kläger zu beweisen, dass überwiegende Ursache des Bandscheibenschadens das Unfallereignis ist. Bei der Würdigung, ob ein zumindest mitursächliches Unfallereignis einen überwiegenden Anteil an dem Bandscheibenschaden hat, ist eine Gewichtung der Verursachungsanteile unter medizinischen Gesichtspunkten anhand von konkreten Vorschäden und des unfallbedingten Traumas vorzunehmen. Maßgeblich ist demnach, inwieweit degenerative Vorschäden an der betroffenen Bandscheibe vorhanden waren, wobei auch solche Veränderungen zu Lasten des Versicherungsnehmers gehen, die als altersgerechte Verschleißerscheinungen zu werten sind (BGH VersR 2009, 492; OLG Köln a.a.O.; OLG Hamm RuS 2006, 467; Jacob, in: Nomos Kommentar Unfallversicherung, AUB 2010, Ziffer 5.2.1 Rn.4; Leverenz a.a.O. Rn.33).

43

Nach dem Unfall vom 17. Dezember 2008 war ein Bandscheibenprolaps in Höhe von C3/4, bei dem aus dem hinteren Fasserring ein Stück herausgebrochen war, festgestellt worden. Hierbei handelt es sich um einen unter die Ausschlussklausel fallenden Bandscheibenschaden, für den eine Leistungspflicht der Beklagten  grundsätzlich nicht besteht. Dass dieser Bandscheibenvorfall überwiegend auf dem Unfallereignis beruht, hat der Kläger nicht bewiesen.

44

Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des Landgerichts an. Danach steht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Unfall die überwiegende Ursache für den Bandscheibenprolaps war

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Der Sachverständige Prof. Dr. D hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 18. September 2012 ausgeführt, das Segment C3/C4  sei im Unfallzeitpunkt bereits deutlich vorgeschädigt gewesen. Es habe eine Spinalkanaleinengung bestanden, die ausweislich der Unterlagen auch bereits zu klinischen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in den Armen geführt habe. Der Sturz vom 17. Dezember 2008 habe nicht zu einem Bandscheibenvorfall einer gesunden Bandscheibe geführt, sondern zu einer Schädigung des zervikalen Rückenmarks bei vorbestehender Enge im Segment C3/C4. Ohne die vorbestehenden Veränderungen, nämlich ein Engpasssyndrom mit einer Retrolisthese C3/C4, wäre es nicht zu den Schädigungen gekommen;  der Mitwirkungsanteil sei als wesentlich einzuschätzen und betrage mehr als 50%.  In seinem Ergänzungsgutachten vom 4. März 2014 hat der Sachverständige Prof. Dr. D bekräftigt, dass die verschleißbedingten Vorerkrankungen bei der Genese der Rückenmarkschädigung eine wesentliche Rolle gespielt hätten. Die postoperativen Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule vom 24. Dezember 2008 hätten insbesondere im operierten Segment HW 3/4 deutliche, vor der Wirbelsäule gelegene Ostheophyten, d. h. eine knöcherne Ausziehung der Halswirbelsäule gezeigt. Man erkenne insbesondere auf den a.p.-Aufnahmen der Halswirbelsäule erhebliche degenerative Veränderungen mit Gelenkvergrößerung und knöchernen Anbauten links betont als Hinweise auf schwerwiegende multisegmentale Verschleißveränderungen im Bereich der Halswirbelsäule. Durch die degenerativen Veränderungen im Segment HW 3/4 sei der Bandscheibenvorfall mindestens prädestiniert gewesen. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Halsbandscheibenvorfall durch das Trauma entstanden sei - was allerdings auch nicht bewiesen werden könne - , jedenfalls aber hätten die verschleißbedingten Vorerkrankungen eine wesentliche Rolle gespielt.

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Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, aus den postoperativen Röntgenaufnahmen ergäben sich Hinweise auf einen ausgeprägten Verschleiß. Man erkenne in Höhe der operierten Stelle durch Vergleich der rechten und linken Seite, dass linksseitig in deutlichem Maße knöcherne Anbauten entstanden seien; dabei handele es sich um einen Ausdruck von Verschleißerscheinungen, d.h. von Osteochondrose. Im MRT sei nicht nur an der operierten Stelle, sondern auch in den benachbarten Etagen eine Spinalkanalverengung zu sehen. Für ihn stelle sich in den beurteilten Aufnahmen ein bedeutsamer Verschleiß der Halswirbelsäule selbst für einen 52-jährigen Mann dar. Nach seiner Einschätzung habe sich der Bandscheibenvorfall auf bereits vorhandene Verschleißerscheinungen „aufgepfropft“.

47

Eine genauere Beurteilung des Zustands vor der Operation war dem Sachverständigen Prof. Dr. D seinen Angaben zufolge  nicht möglich,  weil ihm die präoperativen Aufnahmen der Universitätsklinik V nicht zur Verfügung gestanden haben. Diese Aufnahmen existieren auch nicht mehr. Sowohl der Sachverständige Prof. Dr. D als auch der Kläger selbst haben vergeblich versucht, die Aufnahmen zu erlangen. Schließlich hat der Kläger in seinen Schriftsätzen vom 22. April  und 27. Mai 2014 mitgeteilt, die Aufnahmen wären im Archiv weder der Universitätsklinik V noch der Universitätsklinik N auffindbar. Ob aus diesen Aufnahmen ein überwiegender Verursachungsanteil des Unfalls für den Bandscheibenvorfall  überhaupt abzulesen wäre, kann daher offen bleiben.  Dagegen spricht allerdings, dass auch der Zeuge Dr. I, dem die präoperativen Aufnahmen vorgelegen hatten, den Unfall letztlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit als überwiegende Ursache des Bandscheibenvorfalls angesehen hat. Zwar hat er bei seiner Vernehmung durch das Landgericht angegeben, im hinteren Ring des Bandscheibenvorfalls habe sich ein frisches Loch befunden, was für einen unfallbedingten Bandscheibenvorfall spreche. Jedoch hat er bestätigt, dass die Halswirbelsäule des Klägers „sicherlich alters- und berufsbedingt geprägt“ gewesen sei. Wenngleich es ohne das schädigende Ereignis nicht zu dem Bandscheibenvorfall gekommen wäre, so sei doch der Zustand der Halswirbelsäule für einen frischen Bandscheibenvorfall „schlecht“ gewesen, weil bereits degenerative Veränderungen vorgelegen hätten. „Durch das Alter und die speziellen Belastungen der Berufsausübung“ (als Kraftfahrer) seien die Voraussetzungen für einen derartigen Bandscheibenvorfall „ungünstiger“ gewesen. Es hätten „entsprechende Umstrukturierungen“ der Bandscheiben und der Wirbelkörper im Sinne von Osteochondrosen und Osteophyten, also Umbauprozesse von Knorpel in Knochensubstanz, die Stützfunktion hätten, bestanden.  Dass es, wovon der Zeuge Dr. I ausgeht,  ohne das schädigende Ereignis nicht zu dem  Bandscheibenvorfall gekommen wäre, rechtfertigt nicht die Feststellung einer überwiegenden Ursächlichkeit des Unfalls im Sinne eines Wiedereinschlusses. Gerade diese Einschätzung hat auch der Zeuge Dr. I nicht vorgenommen.

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Aufgrund der Beweisaufnahme steht für den Senat ferner fest, dass auch die Rückenmarksquetschung ein Bandscheibenschaden im Sinne der Ausschlussklausel   ist. Der Einwand des Klägers, diese weitergehende neurologische Störung stelle eine eigenständige Beeinträchtigung dar, die nicht unter die Ausschlussklausel gemäß Ziffer 5.2.1 falle, trifft nicht zu.

49

Der Begriff des Bandscheibenschadens im Sinne der Ausschlussklausel ist weit auszulegen. Unter Bandscheibenschaden werden alle degenerativen und (selten) traumatischen Veränderungen im Bandscheibenbereich sowie deren Folgezustände gefasst. Als Folgezustände können vor allem neurologische Schädigungen wie Lähmungen, Sensibilitäts- und Reflexstörungen auftreten; auch diese Folgen werden vom Ausschlusstatbestand umfasst (OLG Hamburg RuS 2008,32; Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., K Rn. 144; Jacob a.a.O. Rn.1). Diese Auslegung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, den Versicherer vor schwer kalkulierbaren Risiken zu schützen. Da es im Bereich der Bandscheiben neben den traumatisch bedingten vielfältige auch durch (altersbedingten) Verschleiß hervorgerufene Ursachen gibt und im Zweifel schwer zu beweisen ist, was letztlich den ausschlaggebenden Anteil an einer Gesundheitsbeeinträchtigung hat, soll durch die Ausschlussklausel der Versicherer vor diesem schwer zu kalkulierenden Risiko geschützt werden (Leverenz, a.a.O. Rn. 32ff.; Kloth, a.a.O.). Der Versicherungsnehmer trägt mithin das Risiko, im Zweifel keine Leistung für Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erhalten, deren überwiegende Ursache nicht festgestellt werden kann.

50

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Quetschung des Rückenmarks eine Folge des eingetretenen Bandscheibenvorfalls ist. Der Zeuge Dr. I hat  bekundet, er gehe aufgrund des vorgefundenen „frischen“ Lochs im hinteren Faserring der Bandscheibe davon aus, dass Bandscheibenmaterial in den Wirbelkanal vorgerutscht und dadurch das Rückenmark komprimiert worden sei. Dies entspreche auch dem Befund im histologischen Material, welches im Rahmen der Operation entnommen worden sei.  Dem hat der Sachverständige Prof. Dr. D im Ergebnis zugestimmt. Er hat bei seiner mündlichen Anhörung ausgeführt, es gebe grundsätzlich – insbesondere  wegen der vorhandenen Vorschäden der Wirbelsäule – mehrere mögliche Erklärungen für die Rückenmarksschädigung.  Aus seiner Sicht sei die Schilderung durch Dr. I  aber mit den ihm vorliegenden sonstigen Erkenntnissen stimmig.    Wenn gemäß der Aktenlage und der Schilderung durch Dr. I davon ausgegangen werde, dass ein mäßig eingeengter Spinalkanal und ein signifikanter Bandscheibenvorfall vorgefunden worden seien, dürfe man annehmen, dass der Bandscheibenvorfall einen „überhälftigen“ Anteil an der Entstehung der Rückenmarksverletzung habe. Demnach beruht die neurologische Schädigung überwiegend auf dem Bandscheibenvorfall und ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht als eigenständige Beeinträchtigung anzusehen. Als Folge eines Bandscheibenvorfalls wird sie von der Ausschlussklausel erfasst. Wie dargelegt, ist dem Kläger aber nicht der Beweis gelungen, dass überwiegende Ursache des Bandscheibenvorfalls das Unfallereignis war.

51

2.

52

Auch ein weitergehender Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten steht dem Kläger  demnach nicht zu.

53

3.

54

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

55

4.

56

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch bedarf es einer Entscheidung des Revisionsgerichtes zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Vielmehr beruht die Entscheidung lediglich auf einer Würdigung der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls.

57

5.

58

Berufungsstreitwert: 231.898,94 €

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