29.03.2016 · IWW-Abrufnummer 184804
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 18.01.2016 – 3 Sa 429/15
Tenor:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19.8.2015 - 6 Ca 2438/14 - aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 30.6.2014 zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
3. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund des Eintritts einer auflösenden Bedingung nach § 33 Abs. 4 TVöD sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.
Der Kläger ist seit dem 01.09.1974 als Angestellter bei der Beklagten zu einem Nettomonatsgehalt von zuletzt 1.685,00 EUR beschäftigt. Er war bei der Beklagten zuletzt für das Abheften von Bescheiden in Akten eingesetzt. Bei dem Kläger besteht von Geburt an eine ausgeprägte Behinderung, er ist schwerbehindert im Sinne des SGB IX.
Nach einer amtsärztlichen Untersuchung im Jahr 2007, bei welcher festgestellt wurde, dass der Kläger zu leichten körperlichen Arbeiten ohne Zeitdruck und ohne Anforderung an die Feinmotorik arbeitsfähig sei, verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Klägers. Im Januar 2011 regt die Beklagte daher erstmals an, dass der Kläger einen Rentenantrag stellen solle. Dies lehnte der Kläger aus finanziellen Gründen ab. Seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit, das Abheften von Bescheiden, konnte er seit März 2012 nicht mehr verrichten und hat seitdem keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Seit Vollendung des Entgeltfortzahlungszeitraums von 6 Wochen hat die Beklagte keinen Lohn bzw. Lohnersatzleistungen mehr an den Kläger gezahlt.
Nach Personalgesprächen unter Beteiligung der zuständigen Integrationsstellen im Jahr 2012 wurde dem Kläger eine Reha empfohlen. Der zuständige Amtsarzt stellte mit Schreiben vom 08.12.2012 fest:
Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens des Medizinaldirektors Dr. D. an die Beklagte wird auf Bl. 19 d. A. Bezug genommen.
Im Jahr 2013 tauschten die Parteien Schreiben zum aktuellen Sachstand-Gesundheitszustand des Klägers aus. Der Kläger erteilte schriftlich die Auskunft, im Herbst 2013 eine Reha-Maßnahme antreten zu wollen, tat dies jedoch letztlich nicht.
Mit Schreiben vom 15.01.2014 forderte die Beklagte den Kläger daher auf, sich amtsärztlich auf seine Erwerbsfähigkeit untersuchen zu lassen. Diese Untersuchung fand schließlich am 01.04.2014 statt. Allerdings hatte der Kläger zuvor durch ein handschriftliches Schriftstück dem Amtsarzt mitgeteilt, dass er ab sofort die Schweigepflichtentbindung vom 01.04. und auch alle sofortigen Erklärungen widerruft.
Demzufolge hat der Medizinaldirektor Dr. D. folgendes Schreiben an die Beklagte unter dem 14.05.2014 gerichtet, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 5, 6 d. A. Bezug genommen wird:
Der Kläger hat in der Folge zu keinem Zeitpunkt einen Antrag auf Erhalt einer Erwerbsminderungs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente gestellt.
Die Beklagte hat daraufhin unter dem 03.06.2014 ein Schreiben an den Kläger gerichtet, dass diesem am 10.06.2014 zugegangen ist. Dieses Schreiben hat unter anderem folgenden Wortlaut:
Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 3, 4 d. A. Bezug genommen.
Im September 2014 hat der Kläger eine stationäre Reha-Maßnahme absolviert; in deren Entlassungsschein ist die Rubrik "arbeitsfähig" angekreuzt.
Der Kläger hat vorgetragen,
er fühle sich voll erwerbsfähig und wolle aus finanziellen Gründen auch keinen Rentenantrag stellen. Nach der im Herbst 2014 absolvierten Reha sei er wieder arbeitsfähig.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Die Beklagte hat vorgetragen,
das Verhalten des Klägers ihr gegenüber, dem Amt für XY und dem Gesundheitsamt gegenüber lasse nur darauf schließen, dass der Kläger weder an der Durchführung einer stationären Reha-Maßnahme noch an der Stellung eines Rentenantrags interessiert gewesen sei und dies auch nach wie vor zutreffe. Der Kläger habe über 2 Jahre lang keine Schritte zur Verbesserung seines Gesundheitszustandes unternommen, obwohl ihm seit Sommer 2012 klar gewesen sei, dass er als erwerbsunfähig einzustufen sei. Dennoch habe er weder Maßnahmen ergriffen, um seine Erwerbsfähigkeit ggf. wieder herzustellen, noch ein Rentenantragsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung angestoßen.
Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 19.08.2015 - 6 Ca 2438/14 - abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 98 bis 101 d. A. Bezug genommen.
Gegen das ihm am 16.09.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 28.09.2015 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 16.11.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, das Schreiben des Amtsarztes an die Beklagte vom 14.05.2014 sei nicht als amtsärztliches Gutachten anzusehen, das eine mangelhafte schuldhafte Verzögerung der Rentenantragstellung für den Rentenbescheid ersetzen könne. Denn dahin werde zunächst mitgeteilt, dass der Kläger zur amtsärztlichen Untersuchung erschienen sei, sodann, dass er die Schweigepflichtsentbindung widerrufen habe und schließlich dass der Amtsarzt deshalb über die Untersuchung vom 01.04.2014 keine weiteren Angaben machen könne. Die bloße Bezugnahme aber auf die 1 1/2 Jahre zurückliegende eigene Stellungnahme vom 08.10.2012 ersetze nicht ein fehlendes Gutachten, zumal es sich bei dem Schreiben vom 08.10.2012 auch nicht um ein ärztliches Gutachten handele.
Des Weiteren habe der Kläger die Stellung eines Rentenantrags nicht schuldhaft verzögert. Denn er sei zu keinem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, einen derartigen Antrag zu stellen.
Aus dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 04.11.2014, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 125 bis 131 d. A. Bezug genommen wird, folge die Feststellung, dass er 6 Stunden und mehr leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen ohne wesentliche Einschränkung verrichten könne. Diesen Entlassungsbericht habe der Kläger nach Erhalt dem Gesundheitsamt vorgelegt, wo es im Rahmen einer Nachbegutachtung zu einer geänderten Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers gekommen sei. Mit Schreiben vom 22.01.2015 - was zwischen den Parteien unstreitig ist - habe die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass der Amtsarzt den Kläger nunmehr als vollschichtig leistungsfähig einschätze. Hinsichtlich des Inhalts dieses Schreibens wird auf Bl. 133 d. A. Bezug genommen.
Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 12.11.2015 (Bl. 121 bis 123 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 124 bis 132 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, entgegen der Auffassung des Klägers handelte es sich bei dem Schreiben des Amtsarztes vom 14.05.2014 um ein amtsärztliches Gutachten im Sinne von § 33 Abs. 4 TVöD. So müsse das Gutachten nach § 33 Abs. 4 TVöD von einem Amtsarzt erstellt worden sein und konkrete Aussagen zur Erwerbsfähigkeit im rentenrechtlichen Sinne enthalten sowie konkrete Angaben zum Restleistungsvermögen und zur Dauer der Erwerbsminderung. Diesen Anforderungen genüge das amtsärztliche Schreiben vom 14.05.2014. Das Schreiben sei seitens des Amtsarztes erstellt worden, und schließe damit, dass der Kläger auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, eine Tätigkeit unter den normalen Bedingungen des Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens 3 Stunden täglich auszuüben. Es enthalte damit eine konkrete Aussage zur Erwerbsfähigkeit im rentenrechtlichen Sinn sowie über die Dauer der Erwerbsminderung. Auch führe der Amtsarzt aus, dass unter den Bedingungen eine Werkstatt für Behinderte noch eine Teilerwerbsfähigkeit bis zu 6 Stunden täglich unter Beachtung zahlreicher Einschränkungen vorliegen könne. Er habe also folglich auch konkrete Angaben zum Restleistungsvermögen des Klägers gemacht. Damit seien die Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 TVöD erfüllt
Des Weiteren habe der Kläger auch ein ausführlicheres Gutachten des Amtsarztes verhindert; dies ergebe sich aus dem Widerruf der gegenüber dem Gesundheitsamt zunächst erteilten Schweigepflichtentbindungserklärung. Der Amtsarzt habe sich deshalb auf die Feststellung des Restleistungsvermögens bei dem Kläger und die Auskunft hinsichtlich des Vorliegens seiner Erwerbsminderung sowie den Verweis auf die bisherigen Feststellungen beschränken müssen. Der Kläger habe daher die Erstellung eines ausführlichen Gutachtens durch den Amtsarzt selbst vereitelt, so dass dies nunmehr nicht zu Lasten der Beklagten gehen könne.
Darüber hinaus habe der Kläger auf die Stellung des Rentenantrags schuldhaft verzögert. Die Beklagte habe erst im Januar 2011 beim Kläger die Stellung eines Rentenantrags angeregt. Bereits am 21.07.2012 habe Herr Dr. D. in einem Personalgespräch ausgeführt, dass der Kläger seiner Einschätzung nach Anspruch auf eine volle Rente habe. Abschließend sei in dem Gespräch vereinbart worden, dass der Kläger eine Reha-Maßnahme beantrage, um sein Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen. Nachdem der Kläger diese Maßnahme nicht angetreten habe, seien ihm die Tatsachen bekannt gewesen, nach denen bei ihm eine Erwerbsminderung wahrscheinlich war. Dennoch habe er keinen Antrag auf Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt.
Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 TVöD seien zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2014 gegeben gewesen. Unerheblich sei demgegenüber, dass der Kläger nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an eine Reha-Maßnahme teilgenommen habe.
Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 14.12.2015 (Bl. 137 bis 142 d. A.). Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 18.01.2016.
Entscheidungsgründe
I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II. Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Kläger die Feststellung verlangen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 30.06.2014 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts sind die Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 TVöD für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Ausspruch einer Kündigung vorliegend nicht gegeben. Danach endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem der - den Beschäftigten - das Gutachten bekannt gegeben worden ist, wenn die - der Beschäftigte - schuldhaft den Rentenantrag verzögert, so dass an die Stelle des Rentenbescheides das Gutachten einer Amtsärztin/eines Amtsarztes oder - eines nach § 3 Abs. 4 Satz 2 TVöD bestimmten Ärztin/Arztes tritt.
§ 33 TVöD hat im Übrigen folgenden Wortlaut:
§ 33 TVöD regelt also insgesamt die tarifvertragliche mögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung. Absatz 1 sieht dies für den Fall der Vollendung des gesetzlich festgelegten Alters zum Erreichen der Regelaltersrente vor und im Übrigen für den jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen m öglichen Auflösungsvertrag. § 33 Abs. 2 TVöD erweitert die Regelung auf Fälle, in denen durch den Bescheid eines Rentenversicherungsträgers und dessen Zustellung festgestellt wird, dass der Beschäftigte voll oder teilweise erwerbsgemindert ist. Das Arbeitsverhältnis endet aber selbst dann nicht, wenn nach dem Bescheid des Rentenversicherungsträgers eine Rente auf Zeit gewährt wird. In diesem Fall ruht das Arbeitsverhältnis lediglich für den Zeitraum, für den eine Rente auf Zeit gewährt wird. Im Falle einer teilweisen Erwerbsminderung endet bzw. ruht das Arbeitsverhältnis zudem dann nicht, wenn die/der Beschäftigte nach ihrem/seinem vom Rentenversicherungsträger festgelegten Leistungsvermögen auf dem bisherigen oder einem anderen geeigneten freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden könnte, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe nicht entgegenstehen und der Beschäftigte innerhalb von 2 Wochen nach Zugang seines Bescheides seine Weiterbeschäftigung schriftlich beantragt.
Dieser Gesamtzusammenhang der Regelung des § 33 TVöD macht deutlich, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Falle der vollständigen oder teilweisen Erwerbsminderung zum Einen voraussetzt, dass eine volle Erwerbsminderung tatsächlich durch einen entsprechenden Bescheid festgestellt und auch objektiv vorliegt und zum Anderen, dass nicht lediglich eine Rente auf Zeit gewährt wird und schließlich, dass bei einer teilweisen Erwerbsminderung aufgrund des festgestellte Leistungsvermögens eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht besteht.
Vor diesem Hintergrund ist § 33 Abs. 4 TVöD so zu verstehen, dass Tatbestandsvoraussetzung zunächst ein Gutachten eines Amtsarztes oder eines nach § 3 Abs. 4 Satz 2 bestimmten Arztes mit einem bestimmten Inhalt sein muss. Nur mit dieser Voraussetzung lässt sich die Ausnahmeregelung des § 33 Abs. 4 TVöD in den Gesamtzusammenhang der Regelungen des § 33 Abs. 1, 2, 3 TVöD einordnen.
Das Gutachten tritt insoweit an die Stelle des Rentenbescheides, seine Aussagen haben sich also auf die Erwerbsminderung im rentenrechtlichen Sinne zu beziehen und ggf. ein Restleistungsvermögen festzustellen. Daraus ist auch z. B. abzuleiten, dass im Rahmen eines Arbeitsgerichtsverfahrens, wenn Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist, erhoben wurde, das Gutachten gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar ist (vgl. BAG 01.10.1979 AP Nr. 2 zu § 59 BAT; Weinmann, TVöD, § 33, Rn. 44).
Nur wenn ein entsprechendes ärztliches Gutachten mit entsprechend nachvollziehbarem überprüfbarem Inhalt vorliegt, kann die verschuldete Verzögerung des Rentenantrags zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses allein aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens führen.
Ein amtsärztliches Gutachten in diesem Sinne ist vorliegend nicht gegeben. Insbesondere genügt das Schreiben des Amtsarztes vom 14.05.2015 diesen Anforderungen ersichtlich nicht. Denn es macht in erster Linie deutlich, dass zwar eine Untersuchung des Klägers am 01.04.2014 stattgefunden hat, dass der Kläger aber eine zuvor erteilte Schweigepflichtsentbindung widerrufen hat. Deshalb könne der Amtsarzt über die amtsärztliche Untersuchung vom 01.04.2014 keine weiteren Angaben machen. Soweit der Amtsarzt im Fortgang des Schreibens das Verhalten des Klägers gegenüber seinem Arbeitgeber kommentiert und sodann auf eine amtsärztliche Stellungnahme vom 08.10.2012 rekurriert, handelt es sich nicht um eine für die Kammer nachvollziehbare Begutachtung des Gesundheitszustandes des Klägers zum 01.04.2014, die mit einem entsprechenden Ergebnis allein Grundlage der Anwendung des § 33 Abs. 4 TVöD sein könnte. Auch die Stellungnahme vom 08.10.2012 kann als Gutachten in diesem Sinne nicht angesehen werden. Zum einen handelt es sich um eine Meinungskundgabe, die sich auf den Oktober 2012, nicht aber den April 2014 bezieht, so dass bereits deshalb nicht nachvollziehbar ist, inwieweit sich daraus etwas für die hier maßgeblichen Umstände ergeben könnte. Auch ist bei beiden Schreiben nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Explorationsbefunde, -ergebnisse auf welchen methodischen Wegen der Amtsarzt zu einem entsprechenden Begutachtungsergebnis gelangt sein könnte.
Ein durch die Kammer nachprüfbares Gutachten im Sinne des § 33 Abs. 4 TVöD liegt folglich nicht vor.
Darüber hinaus bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Stellung des Rentenantrages schuldhaft verzögert habe.
Voraussetzung ist dabei, dass der Beschäftigte in der Lage ist zu erkennen, dass bei ihm Leistungsminderungen vorliegen, die eine Rentenantragstellung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit als erfolgversprechend erscheinen lassen. Dies ist dann zu verneinen, wenn der Beschäftigte selbst von einer Wiedererlangung seiner Leistungsfähigkeit im rentenrechtlichen Sinne (Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einschließlich leichterer Tätigkeiten) überzeugt ist und beispielsweise auch durch geeignete therapeutische Maßnahmen hieran arbeitet. Hierzu ist zu verlangen, dass der Arbeitgeber zunächst den Arbeitnehmer von seiner Einschätzung der Leistungsfähigkeit in Kenntnis setzt und zur Antragstellung auffordert. Die eigene Antragstellung des Beschäftigten ist der vom Tarifvertrag vorgezeichnete und zunächst zu wählende Weg. Erst dann, wenn der Arbeitnehmer sich weigert, einen Antrag zu stellen und gleichzeitig selbst Anhaltspunkte als gegeben akzeptieren muss, die für eine erhebliche Einschränkung des Leistungsvermögens sprechen, ist von verschuldeter Verzögerung auszugehen. Dann hat der Arbeitgeber das Recht, eine ärztliche Untersuchung gem. Abs. 4 zu verlangen und der Beschäftigte muss dies zulassen und hieran mitwirken. Tut er dies nicht, kann dies (allerdings idR erst nach Abmahnung) einen Kündigungsgrund darstellen (BAG v. 06.11.1997, 2 AZR 801/96, ZTR 1998, 184; BAG v. 07.11.2002, 2 AZR 475/01, ZTR 2003, 314; Dassau/Wiesend-Rothbrust, § 33 TVöD Rn. 68).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nach Auffassung der Kammer nicht gegeben. Denn die Besonderheit des hier maßgeblichen Einzelfalles besteht darin, dass der Amtsarzt sowohl in 2014 als auch in 2012, in 2012 jedenfalls ohne amtsärztliche Begutachtung, sich in der Lage gesehen hat, weitreichende Beurteilungen im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Klägers vorzunehmen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Teilnahme des Klägers an der amtsärztlichen Begutachtung im 2014 und dem Widerruf der Entbindung von der Schweigepflicht spricht zwar insoweit für ein schuldhaftes Verhalten des Klägers. Für die durchaus legitime subjektive Annahme des Klägers, eben nicht erkennen zu müssen, dass bei ihm entsprechende Leistungsminderungen vorliegen, spricht aber der Umstand, dass der Kläger ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichtes vom 04.11.2014 - versehen mit einer ausführlichen und nachvollziehbaren Begründung - zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger aus ärztlicher Sicht 6 Stunden und mehr leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen ohne wesentliche Einschränkungen verrichten kann, so dass die Entlassung arbeitsfähig erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann also keineswegs davon ausgegangen werden, dass bereits seit Jahren mehr oder weniger das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeitsvoraussetzungen im Sinne des § 33 TVöD feststand.
Für die hier vertretene Auffassung spricht abschließend auch das verfassungsrechtlich gebotene Verständnis des Gesamtzusammenhangs der Regelungen des § 33 TVöD. Die in § 33 Abs. 2 TVöD geregelte auflösende Bedingung, wonach das Arbeitsverhältnis bei Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer durch den Rentenversicherungsträger endet, ist durch einen sonstigen Sachgrund i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG gerechtfertigt. Dies beruht darauf, dass der Arbeitnehmer voraussichtlich dauerhaft seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, er durch die Stellung eines Rentenantrags den Eintritt der auflösenden Bedingung herbeigeführt hat, er durch einen voraussichtlich dauerhaften Rentenbezug abgesichert ist und dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet werden soll, den Arbeitsplatz neu zu besetzen (BAG 18.12.2014 - 7 AZR 1002/12 -).
Eine Rentenbewilligung, die zu keiner rechtenrechtlichen Absicherung auf unbestimmte Dauer führt, ist zwar als Auflösungstatbestand ungeeignet. Ist eine Rente auf unbestimmte Dauer bewilligt, ändern jedoch weder die Begrenzung der Erwerbsminderungsrente auf den Zeitpunkt des gesetzlichen Rentenalters noch die im Bescheid des Rentenversicherungsträgers vorbehaltene Möglichkeit einer späteren Überprüfung der Rentenberechtigung etwas daran, dass im Zeitpunkt der Bewilligung der Rente eine hinreichende rentenrechtliche Absicherung gegeben ist.
Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten rechtfertigt erst die sozialrechtliche Dispositionsbefugnis des Arbeitnehmers den Auflösungstatbestand ohne Kündigung. Es bleibt offen, ob es mit dem verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Mindestbestandsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist, dass ein Arbeitsverhältnis nach § 33 Abs. 2 TVöD enden kann, obwohl der Arbeitnehmer durch die Regelung in § 33 Abs. 4 TVöD faktisch angehalten wird, einen Rentenantrag zu stellen (BAG 18.12.2014 - 7 AZR 1002/12 -).
Das BAG hat insoweit ausdrücklich ausgeführt (BAG 18.12.2014 - 7 AZR 1002/12 -; siehe auch BAG 14.01.2015 - 7 AZR 880/13 -):
Tarifliche Bestimmungen, die zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eintritt einer auflösenden Bedingung führen, müssen den Anforderungen der arbeitsrechtlichen Bedingungskontrolle genügen. Der Sachgrund des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer ist zwar in dem Sachgrundkatalog des § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nicht genannt. Die Aufzählung der Sachgründe in dieser Vorschrift ist jedoch nur beispielhaft und soll weder andere von der Rechtsprechung bisher anerkannte noch weitere Gründe für Befristungen oder auflösende Bedingungen ausschließen (BAG 15,.03.2006 - 7 AZR 332/05 -Rn. 23, BAGE 117, 255 = AP BAT § 59 Nr. 14; 23.07-2ß14 - 7 AZR 771/12 - Rn. 49, AP TzBfG § 14 Nr. 120).
Für den in § 33 Abs. 2 TVöD geregelten Fall der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer liegt ein Sachgrund vor, der in seinem Gewicht her den in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 8 TzBfG genannten Sachgründen gleichwertig ist. Die verminderte Erwerbsfähigkeit stellt allerdings allein keinen ausreichenden Sachgrund für die auflösende Bedingung dar. Erst die Einbindung der Interessen des Arbeitnehmers durch die Anknüpfung an die rentenrechtliche Versorgung rechtfertigt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung.
Eine Tarifvorschrift, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall der unbefristeten vollen oder teilweisen Erwerbsminderung als sachlich gerechtfertigt ansieht, verlangt zu ihrer Wirksamkeit, dass das Arbeitsverhältnis nur bei einem voraussichtlich dauerhaften Rentenbezug enden soll (vgl. BAG 01.12.2004 - 7 AZR 135/04 - [I 4 a aa der Gründe] mwN, BAGE 113, 64 = AP BAT § 59 Nr. 13; 15.03.206 - 7 AZR 332/05 - Rn. 22, BAGE 117, 255 = AP BAT § 59 Nr. 14; 23.07.2014 - 7 AZR 771/12 - Rn. 52). Eine Rentenbewilligung, die zu keiner rentenrechtlichen Absicherung auf unbestimmte Dauer führt, ist als Auflösungstatbestand ungeeignet (vgl. BAG 27.07.2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 43, AP TzBfG § 21 Nr. 9; 23.07.2014 - 7 AZR 771/12- Rn. 58, AP TzBfG § 14 Nr. 120). Dementsprechend bestimmt § 33 Abs. 2 Satz 5 TVöD, dass das Arbeitsverhältnis nicht endet, wenn nach dem Bescheid des Rentenversicherungsträgers eine Rente auf Zeit gewährt wird. Denn in diesem Fall ist mit einer zumindest teilweisen Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Beschäftigten zu rechnen. Das Arbeitsverhältnis ruht hier für den Zeitraum der Rentengewährung. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten rechtfertigt allerdings erst die sozialrechtliche Dispositionsbefugnis des Arbeitnehmers den Auflösungstatbestand ohne Kündigung.
Die Anknüpfung des Beendigungstatbestandes an eine nur Antrag zu gewährende Rentenleistung wahrt das in Art. 12 As. 1 GG geschützte Recht des Arbeitnehmers, in eigener Verantwortung über die Fortführung der von ihm gewählten Tätigkeit zu entscheiden (vgl. BVerfG 24.04.1991 - 1 BvR 1341/90 - [C III 1 der Gründe], BVerfGE 84, 133
[BVerfG 24.04.1991 - 1 BvR 1341/90]
= AP GG Art. 12 Nr. 70). Deshalb sind Veränderungen im Antragsverhalten eines Arbeitnehmers unter bestimmten Voraussetzungen zu berücksichtigen. Wenn der Arbeitnehmer von seiner sozialrechtlichen Dispositionsbefugnis Gebrauch macht und seinen Rentenantrag vor Ablauf der Widerspruchsfrist des § 84 SGG zurücknimmt oder seinen Antrag innerhalb der Widerspruchsfrist und damit vor Eintritt der Bestandskraft des Rentenbescheids einschränkt und anstelle einer Dauerrente eine befristete Rente begehrt, so treten die Rechtsfolgen der auflösenden Bedingung nicht ein (BAG 93.09.2003 - 7 AZR 661/02 - [I 1 c aa der Gründe], BAGE 107, 241 = AP BAT-O § 59 Nr. 1; 10.10.2012 -7 AZR 602/11 - Rn. 23, AP TzBfG § 21 Nr. 10; 23.07.2014 - 7 AZR 771/12 - Rn. 59, AP TzBfG § 14 Nr. 120).
Der Senat hat zuletzt noch offengelassen, ob es mit dem verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Mindestbestandsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist, dass ein Arbeitsverhältnis nach §A 33 Abs. 2 TV-L, der § 33 Abs. 2 TVöD entspricht, enden kann, obwohl der Arbeitnehmer durch die Regelung in § 33 Abs. 4 TVöD faktisch angehalten wird, einen Rentenantrag zu stellen. Selbst unter Beachtung des weiteren tarifvertraglichen Regelungsermessens lassen sich Bedenken an der Gewährleistung des verfassungsrechtlichen Mindestschutzes jedenfalls dann nicht ohne weiteres ausräumen, wenn der Arbeitnehmer nur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhält und er daher noch Arbeitsleistungen in nicht unbedeutendem Umfang erbringen kann. Verzögert der Beschäftigte schuldhaft einen Rentenantrag, so kann ein nach § 33 Abs. 4 TVöD vom Arbeitgeber veranlasstes ärztliches Gutachten, das eine Erwerbsminderung feststellt, den Rentenbescheid ersetzen. In diesem Fall soll das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats enden, in dem "der/dem Beschäftigten das Gutachten bekannt gegeben worden ist". Die nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche rentenrechtliche Dispositionsbefugnis des Arbeitnehmers bestünde damit faktisch nicht, weil auch der nur teilweise erwerbsgeminderte Arbeitnehmer angehalten wäre, einen Rentenantrag zu stellen, wenn er nicht riskieren will, ohne Arbeitsentgelt und ohne Versorgung dazustehen, möglicherweise nach einer Kündigung aus wichtigem Grund (BAG 23.07.2014 - 7 AZR 771/12 - Rn. 60 f., AP TzBfG § 14 Nr. 120). Ob sich diese für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer aufgeworfene Frage in vergleichbarer Weise auch für den hier vorliegenden Fall der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer stellt, bedarf keiner Entscheidung, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Kläger von dem Beklagten aufgefordert worden ist, den Rentenantrag vom 15.11.2010 zu stellen.
Auch vor diesem Hintergrund kommt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe des hier zu entscheidenden Lebenssachverhalts nicht in Betracht.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Klage voll umfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.