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12.01.2016 · IWW-Abrufnummer 182976

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 23.07.2015 – 8 Sa 1756/14

1. Der Eintritt des Betriebserwerbers in die Rechte und Pflichten eines zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses bezieht sich auf alle individualrechtlich begründeten Rechte und Pflichten und umfasst damit auch solche aus einer dynamischen Bezugnahmeklausel auf kirchliche Arbeitsrechtsbedingungen. Daran ist auch nach der Entscheidung des EuGH vom 18.07.2013 - Rs C- 426/11 - festzuhalten (Anschluss an LAG Hessen, Urteil vom 10.12.2013 - 8 Sa 537/13 und LAG Hamm, Urteil vom 11.06.2015 - 17 Sa 1584/14 jeweils zu Tarifverträgen).

2. Der Anspruch auf Zahlung sich dynamisch entwickelnder eingruppierungsgerechter Vergütung, die dem Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang durch das Einfrieren des Vergütungsniveaus zu Unrecht vorenthalten wird, wird für die Zukunft allein durch langfristige Untätigkeit des Arbeitnehmers regelmäßig nicht verwirkt.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 12.11.2014 - 3 Ca 1465/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten nach Betriebs(teil-)übergängen darüber, ob die Beklagte als neue Betriebsinhaberin aufgrund der mit der ursprünglichen Arbeitgeberin vereinbarten einzelvertraglichen Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsbedingungen weiterhin die sich danach dynamisch entwickelnde Monatsvergütung zu zahlen hat.



Die Klägerin war ab dem 01.12.1990 bei der Katholischen Krankenhaus I gGmbH als Krankengymnastin/Physiotherapeutin beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der schriftliche Arbeitsvertrag vom 24.10.1990 (Bl. 38/39 d. A.) auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. § 2 des Arbeitsvertrages lautet wie folgt:

"Für das Dienstverhältnis gelten die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung. Dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin ist Gelegenheit zur Einsichtnahme in die AVR gegeben."



Nach § 4 dieses Arbeitsvertrages war die Klägerin zunächst in die Vergütungsgruppe 6b Ziffer 29 der Anlage 2 zu den AVR eingruppiert. Gemäß schriftlicher Änderungsvereinbarung vom 06.05.1993 (Bl. 25 d. A, "Nachtrag Nr. 01 zum Dienstvertrag vom 24.10.1990") erfolgte die Vergütung der Klägerin ab 01.06.1993 "unter Beibehaltung aller übrigen Bestimmungen" nach der Vergütungsgruppe 5c Ziffer 30.



Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging mit dem 01.07.2006 im Wege eines Betriebsteilübergangs des Funktionsbereichs Physikalische Therapie gemäß § 613a BGB auf die O I GmbH & Co. KG über. Über dessen Umstände und Folgen verhält sich ein der Klägerin übermitteltes Unterrichtungsschreiben, wobei wegen des Inhalts auf das Muster vom 15.06.2006 (Bl. 150 d. A.) Bezug genommen wird. Das Bestreben der neuen Inhaberin, dem Arbeitsverhältnis einen neuen, unter anderem die Vergütungskonditionen abändernden Arbeitsvertrag ohne Bezugnahme auf die AVR zu unterlegen, scheiterte - anders als bei der Mehrzahl der übergangenen Beschäftigten - am Widerstand der Klägerin. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft übernahm die Beklagte auf der Grundlage des mit dem Insolvenzverwalter geschlossenen Kaufvertrages vom 01.10.2013 den Betrieb, wobei das Arbeitsverhältnis aufgrund weiteren Betriebsübergangs ab dem 01.10.2013 widerspruchslos auf die Beklagte übergegangen ist.



Die Klägerin arbeitet seither - wie schon zuvor - mit einer Wochenarbeitszeit von regelmäßig 38,5 Stunden für die Beklagte. Diese zahlte an die Klägerin ab Oktober 2013 bis einschließlich Juni 2014 eine, seit dem Jahr 2006 nicht mehr erhöhte, Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.557,54 €.



Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe gemäß § 2 des Arbeitsvertrages vom 24.10.1990 in Verbindung mit der Änderungsvereinbarung vom 06.05.1993 unter Berücksichtigung ihrer Beschäftigungsdauer ein monatlicher Entgeltanspruch nach der Vergütungsgruppe 5c Stufe 9 in Höhe von 2.992,11 € brutto gegen die Beklagte zu. Der Anspruch ergebe sich aus § 12 AVR in Verbindung mit den Anlagen 1 bis 3 zu den AVR. Daraus folge für den streitbefangenen Zeitraum - der Höhe als solcher nach unstreitig - eine monatliche Differenz von 434,57 Euro brutto, welche die Beklagte für die Monate Oktober 2013 bis Juni 2014 nachzuzahlen habe (Gesamtbetrag: 3.911,13 € brutto). Die Klägerin hat insoweit erstinstanzlich darauf verwiesen, dass ihr ursprünglich mit der Katholisches Krankenhaus I gGmbH begründetes Arbeitsverhältnis angesichts der beiden Betriebsübergangsfälle nach § 613a BGB unverändert auf die Beklagte übergegangen sei. § 2 ihres danach auch weiterhin einschlägigen Arbeitsvertrages vom 24.10.1990 sei als dynamische Bezugnahmeklausel zu verstehen, wonach die jeweils aktuelle Vergütung unter Beachtung der Regelungen der AVR zu zahlen wäre. Die Tatsache, dass sich die Beklagte nicht in kirchlicher Trägerschaft befinde und auch nicht in sonstiger Weise - etwa qua Mitgliedschaft in entsprechenden Verbänden - dem kirchlichen Bereich zuzuordnen sei, stehe dem nicht entgegen, da § 613a BGB insoweit keine Ausnahme vorsehe. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur arbeitsvertraglichen Bezugnahmeregelung auf Tarifverträge im Sinne einer Gleichstellungsabrede sei vorliegend nicht einschlägig, da die Anwendbarkeit der AVR, anders als bei Tarifverträgen, stets allein durch die vertragliche Bezugnahme und nicht durch kollektivrechtliche Bindungen vermittelt werde.



Mit vorprozessualem Geltendmachungsschreiben vom 31.03.2014 (Bl. 9/12 d. A.) seien die Vergütungsdifferenzen des fraglichen Zeitraums auch in Höhe von monatlich 434,57 € brutto rechtzeitig geltend gemacht worden, wenngleich dort zunächst nur Entgelt nach der Vergütungsgruppe 6b mit einer Monatsdifferenz in Höhe von 183,97 € brutto verlangt worden sei. Denn der Beklagten habe angesichts des Nachtrags zum Arbeitsvertrag bekannt sein müssen, welche Vergütungsgruppe einschlägig und wie hoch danach der tatsächliche monatliche Differenzbetrag sei.



Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.911,13 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz 1. aus 434,57 Euro seit dem 01.11.2013, 2. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.12.2013, 3. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.01.2014, 4. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.02.2014, 5. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.03.2014, 6. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.04.2014, 7. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.05.2014, 8. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.06.2014 und 9. aus weiteren 434,57 Euro seit dem 01.07.2014 zu zahlen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Zur Begründung hat sie angeführt als privatwirtschaftlich aufgestelltes und verfasstes Unternehmen ohne jeglichen Kirchenbezug nicht den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) zu unterliegen. § 2 des Arbeitsvertrages vom 24.10.1990 entfalte insoweit eine reine Hinweisfunktion. Dieser Hinweis sei wegen der erfolgten Übergänge auf privatwirtschaftliche Rechtsträger überholt und gegenstandslos geworden. Hierbei sei auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Bezugnahmeklauseln und deren Auslegung als Gleichstellungsabrede zu beachten.



Jedenfalls seien die Ansprüche der Klägerin verwirkt, da sich diese nunmehr erstmals nach rund 8 Jahren auf weitergehende Vergütungsansprüche nach den AVR berufe, nachdem ihr Arbeitsverhältnis sowohl bei der O I GmbH & Co. KG wie auch nach dem weiteren Betriebsübergang stets so behandelt worden sei, als gölten die AVR-Bestimmungen und das dortige Vergütungsniveau lediglich statisch weiter. In diesem Sinne sei nicht nur hinsichtlich des Gehalts, sondern vielmehr insgesamt - so erkennbar auch bezüglich der Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden (aktuell nach AVR 39 Stunden), des Urlaubsanspruchs und des AZV-Tages - verfahren worden. Man habe daher darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin keine weitergehenden Ansprüche aus einer etwaigen dynamischen Weitergeltung der AVR mehr geltend machen werde. Nach der Entscheidung des EuGH vom 18.07.2013 zum Aktenzeichen C-426/11 (Alemo-Herron) sei es einem Mitgliedsstaat zudem verwehrt, gesetzliche Regelungen vorzusehen, die einen Betriebserwerber im Falle eines Betriebsübergangs dynamisch an nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs ausgehandelte und abgeschlossene Kollektivverträge binden, wenn dieser nicht die Möglichkeit habe, an den Verhandlungen über die später geschlossenen Vereinbarungen gestaltend mitzuwirken bzw. diese in sonstiger Weise zu beeinflussen. Dieses Urteil des EuGH basiere auf der allgemeinen Wertung, dass eine dauerhafte, gewissermaßen ewig wirkende Bindung an unbeeinflussbare Kollektivbestimmungen europarechtlich nicht zulässig sei. Gleiches müsse für eine Bindung an die AVR gelten, auch wenn diese keine Tarif- oder Kollektivbestimmungen nach klassischem Verständnis darstellten.



Mit Urteil vom 12.11.2014 - 3 Ca 1465/14 - hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Hagen in Höhe von 2.716,93 € nebst Zinsen nach dem klägerischen Antrag erkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Klägerin für die Monate Oktober 2013 bis Januar 2014 - entsprechend ihrer bezifferten vorprozessualen Geltendmachung - nur der Differenzbetrag zur Vergütungsgruppe 6b zustehe, während weitergehende Ansprüche nach Maßgabe des § 23 AVR verfallen seien. Die der Klägerin für die Monate ab Februar 2014 zuzusprechenden Differenzbeträge seien in Relation zur Wochenarbeitszeit von tatsächlich nur 38,5 statt 39 Stunden um monatlich 38,36 € zu reduzieren, im Übrigen aber bei Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 5c Ziffer 30 der Anlage 2 zu den AVR nach Maßgabe der geltenden Vergütungstabelle (Anlage 3 AVR) geschuldet. Infolge des 2-fachen Betriebsübergangs sei die Beklagte nach § 613a Abs. 1 BGB in alle Rechte und Pflichten aus dem ursprünglichen Arbeitsvertrag nebst Nachtrag eingetreten und mangels Änderungsvereinbarung weiter an diesen gebunden. Der Vertrag beinhalte zu § 2 eine erkennbar dynamische Verweisung auf das Regelwerk der AVR, welches so zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden sei. Dieses Regelwerk gelte danach auch nach den Betriebsübergängen dynamisch fort, da § 613a BGB für den Fall der Betriebsveräußerung durch konfessionell gebundene Träger insoweit keinerlei Ausnahmen begründe. Eine direkte oder entsprechende Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 2 u. 3. BGB scheide aus, da es sich bei den AVR nicht um Tarifverträge im Sinne des Tarifvertragsgesetzes handle und diese zu keinem Zeitpunkt normativ, sondern stets und allein aufgrund Individualvereinbarung anzuwenden gewesen sein. Mangels Tarifbindung der ursprünglichen Arbeitgeberin könne die Bezugnahmeregelung zu § 2 des Arbeitsvertrages nicht als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden. Auch die vom EuGH in seinem Urteil vom 18.07.2013 - C 426/11 (Alemo-Herron) postulierten Grundsätze führten vorliegend zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung. Diese Entscheidung betreffe allein Fragen der Bindung des neuen Arbeitgebers an Kollektiv- bzw. Tarifverträge und berühre hingegen nicht die Fortgeltung einzelvertraglicher Bezugnahmen. Zudem sei es der Beklagten möglich, sich durch Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung aus einer dynamischen Fortgeltung der AVR zu lösen. Die Beklagte könne sich letztlich auch nicht auf den Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung berufen. Der von der Klägerin bemühte Anspruch auf Entgelt nach der Vergütungsgruppe 5c Stufe 9 AVR unterliege - anders als Differenzbeträge der Vergangenheit - als sog. Stammrecht nicht dem Verwirkungseinwand. Jedenfalls fehle es aber an einem vertrauensbegründenden Umstandsmoment, da die Kläger dem Bestreben nach Vertragsänderung ausdrücklich entgegengetreten sei.



Gegen dieses ihr am 03.12.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.12.2014 Berufung eingelegt, die sie - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.02.2015 - mit Schriftsatz vom 25.02.2015, der an eben diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, unter Bezugnahme auf und weiterer Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens begründet.



Der Anspruch sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts verwirkt. Bereits nach dem ersten Betriebsübergang habe die damalige Erwerberin mit nahezu allen Beschäftigten Änderungsverträge geschlossen und dort u. a. das zuletzt nach Maßgabe der AVR gezahlte Entgelt festgeschrieben. Auch das der Klägerin gezahlte Entgelt habe sich in der Folgezeit - unstreitig - statisch ohne jede Anpassung an die folgende Entwicklung des AVR-Vergütungsniveaus verhalten, was erstmals Monate nach dem weiteren Betriebsübergang, konkret im April 2014 und damit verspätet moniert worden sei. Unter Berücksichtigung des Zeitablaufs und ihres Gesamtverhaltens, insbesondere ihrer rund 8-jährigen Untätigkeit insoweit bei wiederholtem Betriebsübergang, sei auch die Klägerin erkennbar von einer statischen Fortgeltung der AVR-Bestimmungen ausgegangen und habe eine solche billigend hingenommen. Daran müsse sie sich nunmehr festhalten lassen. Zudem sei die ursprüngliche Arbeitgeberin über ihre Zugehörigkeit zur Erzdiözese Paderborn an die Regelungen der AVR gebunden gewesen und habe diese - ohne Wahlmöglichkeit - allen Arbeitsverträgen unterlegen müssen. Dies führe zum einen dazu, dass die durch die Rechtsprechung zur Frage der möglichen Auslegung von Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge im Sinne bloßer Gleichstellungsabreden entwickelten Grundsätze hier ohne Weiteres übertragbar seien. Ferner begründe diese Bindung der ursprünglichen Arbeitgeberin an die AVR im Falle des Betriebsübergangs für den Betriebserwerber die gleiche Interessenlage, wie sie der EuGH in seiner Entscheidung vom 18.07.2013 (Alemo-Herron) angesprochen habe. Die Annahme einer fortwährend dynamischen Weitergeltung der AVR-Bestimmungen begründe nämlich ebenfalls, da die dortige Entwicklung von Inhaltsnormen und des Vergütungsniveaus von einem nicht der katholischen Kirche bzw. dem Caritasverband angehörigen bzw. einem dort nicht aufnehmbaren Privatunternehmen in keiner Weise beeinflusst werden könne, einen schwerwiegenden und nicht hinnehmbaren Eingriff in geschützte Grundfreiheiten.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 12.11.2014 - 3 Ca 1465/14 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Sie verteidigt - anknüpfend an ihr erstinstanzliches Vorbringen - die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Hinsichtlich des Verwirkungseinwands übersehe die Beklagte insbesondere den Umstand, dass selbiger nicht geeignet sei, das sog. Stammrecht zu beschränken. Die vom EuGH in seiner Alemo-Herron Entscheidung im Kontext der Anwendung englischen Rechts angesprochen Gesichtspunkte beträfen ersichtlich eine gänzlich andere, mit der vorliegenden Situation nicht vergleichbare Fallkonstellation. Die Argumentation der Beklagten mit der Rechtsprechung zur möglichen Auslegung bestimmter, vor der Schuldrechtsreform vereinbarter Bezugnahmeklauseln lasse deren wesentliche Prämissen gänzlich außer Betracht.



Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird ergänzend auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer vom 23.07.2015 war, Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



Das zulässige Rechtsmittel der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.



I.



Die gem. § 64 Abs. 1 u. 2b ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Die Beklagte hat das Rechtsmittel insbesondere nach § 66 Abs. 1 S. 1 u. 2 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet.



II.



Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung zur Zahlung des der Klägerin zuerkannten Teilbetrages nebst Zinsen verurteilt.



Die mit der Berufung erneut geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte rechtfertigen eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zugunsten der Beklagten nicht.



1. Die weitere Anwendung der AVR-Caritas auf das Arbeitsverhältnis der Parteien folgt aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit § 2 des Arbeitsvertrages vom 24.10.1990. Aufgrund des zweiten Betriebsübergangs zum 01.10.2013 ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Rechten und Pflichten auf die Beklagte übergegangen. Diese Rechte und Pflichten bestimmt der - trotz entsprechender Bemühungen der Arbeitgeberseite letztlich unverändert gebliebene - schriftliche Arbeitsvertrag nebst Nachtrag, der ebenfalls nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB zunächst Grundlage des durch den ersten Betriebs(teil-) übergangs mit der späteren Insolvenzschuldnerin begründeten Arbeitsverhältnisses war.



a. Kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien wie vorliegend die AVR gestalten die Arbeitsbedingungen der in kirchlichen oder caritativen Einrichtungen tätigen Beschäftigten einheitlich. Als Kollektivvereinbarungen besonderer Art - des Dritten Weges - sind sie schon deshalb keine Tarifverträge im Sinne des § 1 Abs. 1 TVG, weil sie nicht von Tarifvertragsparteien nach § 2 Abs. 1 TVG ausgehandelt worden sind. Darum entfalten sie nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer ausdrücklich anschließt, keine tarifrechtliche oder tarifvertragsgleiche Wirkung. Vielmehr finden sie nur kraft und in den Fällen einzelvertraglicher Bezugnahme als vom jeweiligen Arbeitgeber gestellte Allgemeine Vertragsbedingungen Anwendung auf das jeweilige Arbeitsverhältnis (BAG, Urteil vom 24.02.2011 - 6 AZR 634/09 - AP Nr. 57 zu § 611 BGB Kirchendienst; BAG, Urteil vom 28.06.2012 - 6 AZR 217/11 - AP Nr. 71 zu § 611 BGB Kirchendienst; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Auflage 2013, § 185 Rn 8,9 m. w. N.). Das säkulare Recht ordnet keine unmittelbare und zwingende, mithin keine normative Wirkung kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen an (BAG, Urteil vom 20.03.2002 - 4 AZR 101/01 - AP Nr. 53 zu Art. 140 GG). Eine solche kann auch kirchengesetzlich nicht hergestellt werden (Schaub, aaO). Als Folge daraus haben die Kirchen und die ihnen zugehörigen Verbände und Einrichtungen nur die Möglichkeit, ihre kirchlichen Arbeitsbedingungen mit den Mitteln des Privatrechts über die vertragliche Gestaltung des einzelnen Arbeitsverhältnisses zur Anwendung zu bringen. Eben dieses ist vorliegend - dem Willen der ursprünglichen Arbeitgeberin folgend - durch die im Arbeitsvertrag verankerte Bezugnahme erfolgt. Der von der Beklagten bemühte Hinweis auf deren Binnenverpflichtungen aus einer Verbandsmitgliedschaft oder einer von der Erzdiözese begründeten Weisungslage ändert daran - das Außenverhältnis zum einzelnen Arbeitnehmer betrachtet - nichts.



b. Bezugnahmeklauseln in Vertragsmustern kirchlicher oder kirchengebundener Arbeitgeber, die den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen Eingang in die vertragliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses verschaffen wollen, sind vor dem geschilderten Hintergrund grundsätzlich dahin auszulegen, dass dem kirchlichen Arbeitsrecht im privatrechtlich gestalteten Arbeitsverhältnis umfassend Geltung verschafft werden soll (BAG, Urteil vom 16.02.2012 - 6 AZR 573/10 - AP Nr. 66 zu § 611 BGB Kirchendienst m. w. N.). Der kirchliche Arbeitnehmer kann eine solche Klausel folglich im Ausgangspunkt nur dahin verstehen, dass sie zur umfassenden und dauernden Anwendung der für den Arbeitgeber im Binnenverhältnis verpflichtend vorgegebenen Bestimmungen führt. Von dieser regelmäßig anzunehmenden Intention ist der Wortlaut der vorliegenden Vertragsklausel erkennbar geleitet. Die dortige Bezugnahme auf die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR)" ist weder inhaltlich noch zeitlich eingeschränkt und erfasst damit auch die als Anlage zu den AVR jeweils beschlossenen Eingruppierungsnormen und Vergütungstabellen. Der Zusatz "in ihrer jeweils geltenden Fassung" lässt ausgehend vom und gebunden an den insoweit klaren Wortlaut der Klausel keine andere Auslegung zu, als insoweit von einer dynamisch den Änderungen des einbezogenen Regelwerkes folgenden Vertragsgestaltung auszugehen.



c. Die einzelvertragliche Bezugnahmeklausel kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch unter Berücksichtigung des Vertragsschlusses vor dem In-Kraft-Treten der Schuldrechtsreform zu Beginn des Jahres 2002 nicht im Sinne einer Gleichstellungsabrede mit der Folge ausgelegt werden, dass den AVR ab dem Zeitpunkt des ersten Betriebs(teil-)übergangs im Jahre 2006 nur noch statische Geltung beizumessen ist.



Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln im Sinne einer Gleichstellungsabrede ist (zum Stand von Rechtsprechung und Literatur insoweit: ErfK/Preis, 14. Auflage 2014, § 611 BGB, Rn 230), ob der Arbeitgeber mit der Vereinbarung einer Bezugnahme auf ein bestimmtes Tarifwerk erreichen wollte, bei eigener Tarifbindung gleiche Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit herzustellen. War dies der Fall, so ist bei Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers für die sog. Altfälle (Vertragsschluss vor dem Jahr 2002) anzunehmen, dass die alleinige vertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag nicht zu einer Besserstellung gegenüber den qua Verbandsangehörigkeit originär tarifgebundenen Beschäftigten führen sollte, weshalb in beiden Fällen - eben wegen des erkennbaren Gleichbehandlungs- aber nicht Besserstellungswillens - regelmäßig von einer nicht mehr dynamischen Tarifgeltung einschließlich der Entwicklung des Vergütungsniveaus ausgegangen werden kann.



Folgt man diesem Ansatz, so ist zunächst zu konstatieren, dass die ursprüngliche Arbeitgeberin hier keinerlei Anlass hatte, über die Gleichstellung tarifgebundener und nicht tarifgebundener Arbeitnehmer im Wege vertraglicher Bezunahmeregelungen überhaupt nachzudenken. Tarifverträge oder sonstige in Abhängigkeit vom Bestehen einer beidseitigen Bindung an andere einschlägige Kollektivvereinbarungen normativ geltende Arbeitsbedingungen gelangten dort nicht - auch nicht lediglich für Teile der Belegschaft - zur Anwendung. Im Wege der deshalb durchweg einzelvertraglich vorgenommenen, mithin ausschließlich privatrechtlichen Vereinbarung des Regelwerks der AVR als Grundlage für alle Arbeitsverhältnisse sollte also keine Gleichstellung unterschiedlicher Gruppen hergestellt, sondern die Bindung an die kirchlichen Arbeitsbedingungen in allen Fällen konstitutiv und gleichmäßig erst begründet werden. Es besteht in solchen Fällen keinerlei Anlass, in eine nach dem Wortlaut ebenso erkennbar und wie eindeutig dynamisch formulierte Bezugnahmeklausel eine Begrenzung für die Fälle hineinzulesen, in denen dem Arbeitgeber oder seinen über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in gleicher Weise gebundenen Nachfolgern die Vereinbarung einer dynamischen Klausel reut. Denn die Gleichbehandlung aller Beschäftigten - die mit der einheitlichen Bezugnahme in regelmäßig allen Arbeitsverträgen eines kirchlich gebundenen Arbeitgebers angestrebt wird - war und ist mit der ebenso gleichmäßigen Fortgeltung der Bezugnahme auch nach Verlust kirchlicher Bindungen ohne Weiteres zu gewährleisten.



Die von der Beklagten hier insoweit tatsächlich angestrebte Verlagerung des Risikos künftiger Entwicklungen auf die Arbeitnehmerschaft über eine Auslegung der Bezugnahmeklausel nach ihrem Verständnis ist hingegen in deren Wortlaut weder angelegt noch durch Umstände bei Vertragsschluss und die diesen begleitende erkennbare Interessenlage geboten.



d. Da die Beklagte über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB umfassend in die Rechte und Pflichten des klägerischen Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, bleibt die von der ursprünglichen Arbeitgeberin mit der Klägerin einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme zu § 2 des Arbeitsvertrages auf die AVR nach dem Leitbild der Norm individualrechtlich begründeter und - bis zu seiner etwaigen Abänderung oder Ablösung - fortbestehender Inhalt der vertraglichen Rechtsbeziehung der Parteien. Eine Transformation kollektiven Rechts nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit der Folge dessen lediglich statischer Fortgeltung als (Teil-)Inhalt des Arbeitsverhältnisses scheidet nach dem Wortlaut der Norm aus, da die AVR zu keinem Zeitpunkt als Tarifvertrag oder wie ein Tarifvertrag normative Wirkung auf das Arbeitsverhältnis entfaltet haben.



2. Die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 18.07.2013 - Rs C-426/11 ("Alemo Herron u. a.", ZIP 2013, S. 1686 ff) sind auf die vorliegende Fallgestaltung nicht anwendbar. Insbesondere steht Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen der Auslegung im Sinne der Ziffer II.1. der Entscheidungsgründe (s. o.) nach dem Verständnis der Berufungskammer nicht entgegen.



a. Die zitierte Entscheidung des EuGH beruht auf einem Vorabentscheidungsgesuch des Court of Appeal (England und Wales), welches die Auslegung von Art. 3 Abs. 3, nicht aber von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie betraf. Art. 3 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie entspricht im Kontext eines Betriebsübergangs sowohl nach den Voraussetzungen (Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag) als auch nach den Rechtsfolgen (deren unveränderter Übergang auf den Erwerber) der nationalen Regelung des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB.



Gerade daraus ergibt sich vorliegend die Fortgeltung der einzelvertraglich einbezogenen AVR. Art 3 Abs. 3 der Richtlinie befasst sich - was die Vorlage des englischen Gerichts anspricht - hingegen mit der Fortgeltung kollektivrechtlich vereinbarter Arbeitsbedingungen, wobei der EuGH die insoweit im englischen Recht begründeten Besonderheiten dortiger Bezugnahmeklauseln zu berücksichtigen hatte. Deshalb bleibt die Alemo-Herron Entscheidung dann ohne Auswirkung, wenn der Erwerber unmittelbar nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in eine individualrechtlich begründete dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag eintritt, weil dessen dynamische Geltung und Fortgeltung auf einzelvertraglicher Ebene allein auf privatautonomen Willenserklärungen beruht, an die der Betriebserwerber so gebunden bleibt, als hätte er die Bezugnahme selbst vereinbart (LAG Hessen, Urteil vom 10.12.2013 - 8 Sa 537/13 - [...]; LAG Hamm, Urteil vom 11.06.2015 - 17 Sa 1584/14 - [...]).



Folgt man - wie die Berufungskammer - dieser für eine dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge vertretenen Auffassung, so muss selbiges für den Fall der Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsrechtsbedingungen, soweit man diese überhaupt als Kollektivvertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie einordnet, erst recht gelten, da deren normative Wirkung auf Arbeitsverhältnisse von vornherein ausscheidet und sie stets der einzelvertraglichen Einbeziehung bedürfen.



b. Selbst dann, wenn die Entscheidung des EuGH vom 18.07.2013 - entgegen der Auffassung der Berufungskammer - auch Fallgestaltungen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie beträfe, bliebe der Betriebserwerber im Anwendungsbereich des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB an eine dynamische Verweisung auf einen Tarifvertrag oder einen anderen Kollektivvertrag im Sinne der Richtlinie zunächst gebunden (ebenso: LAG Hessen, aaO; LAG Hamm, aaO). Denn nach deutschem Recht es wäre dem Betriebserwerber allgemein und hier konkret der Beklagten möglich, sich über die ihr nach BGB und KSchG zur Seite gestellten Gestaltungsinstrumente wie Änderungsvertrag und Änderungskündigung, eine Willenseinigung oder das Vorliegen eines ein überwiegendes Änderungsinteresse vermittelnden Kündigungsgrundes nach §§ 1 Abs. 2 S. 1, 2 KSchG vorausgesetzt, von einer zeitlich unbegrenzten dynamischen Fortgeltung der AVR zu lösen. Der mit der Richtlinie 2001/23/EG wie mit der dadurch ersetzten Richtlinie 77/187/EWG verfolgten Intention des europäischen Normgebers, im Falle eines Betriebsübergangs nicht nur Arbeitnehmerinteressen zu schützen, sondern Arbeitnehmer- und Unternehmerinteressen in gerechter Weise auszugleichen, ist bereits durch diese Gestaltungsmöglichkeiten hinreichend Rechnung getragen.



3. Der Durchsetzbarkeit des Differenz-Vergütungsanspruchs der Klägerin für die Monate Oktober 2013 bis Juni 2014 aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien und den dort einbezogen AVR mit ihren Anlagen 2 und 3 nebst Verzugszinsen - soweit ihn das Arbeitsgericht der Klägerin nach Grund und Höhe zu Recht zugesprochen hat - steht ein begründeter Einwand der Beklagten aus § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung nicht entgegen.



a. Der mit dem aus § 242 BGB abgeleiteten Verbot widersprüchlichen Verhaltens korrespondierende Einwand der Verwirkung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes zugunsten des redlichen Schuldners und realisiert dessen Bedürfnis nach Rechtsicherheit und Rechtsklarheit. Über die Anwendung des Verwirkungsgedankens soll ein Auseinanderfallen zwischen rechtlicher und sozialer Wirklichkeit darüber verhindert werden, dass die Rechtslage der sozialen Wirklichkeit angeglichen wird (BAG, Urteil vom 12.12.2006 - 9 AZR 747/06 - NZA 2007, S. 396 ff m. w. N.). Bei Rechten die zu fortlaufenden Zahlungen führen, ist dabei regelmäßig zwischen der Verwirkung einzelner Zahlungsansprüche und der Verwirkung des Stammrechts zu unterscheiden. Eine Verwirkung von Stammrechten kann allenfalls unter besonders strengen Anforderungen angenommen werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18.05.2010 - 5 Sa 205/09 - [...]).



Ein Recht ist verwirkt, wenn der Gläubiger selbiges trotz Möglichkeit über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht geltend gemacht hat (sog. Zeitmoment) und der Schuldner sich eben wegen dieser Untätigkeit darauf eingerichtet hat und einrichten durfte, dass das Recht oder der Anspruch auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde und ihm deshalb im Sinne des sog. Umstandsmoments die spätere Befriedigung oder Leistung nicht mehr zuzumuten ist (BAG, aaO). Zum bloßen Zeitablauf müssen deshalb sowohl im Verhalten des Berechtigten wie in dem des Verpflichteten besondere Umstände hinzutreten, die es rechtfertigen, die spätere Geltendmachung als mit dem Grundsatz von Treu- und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten unzumutbar anzusehen (BAG, Urteil vom 25.04.2001 - 5 AZR 497/99 - AP Nr. 46 zu § 242 BGB Verwirkung; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 15. Auflage 2013, § 72 Rn 29/30 m. w. N.). Umstands- und Zeitmoment stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Zeitablauf währt, umso geringer sind die an die begleitenden Umstände zu richtenden Anforderungen zu bemessen und umgekehrt (BAG, Urteil vom 12.12.2006 aaO). An dem zur Verwirkung von Vergütungsansprüchen erforderlichen Umstandsmoment kann es jedoch gänzlich fehlen, wenn der Gläubiger von den ihm zustehenden Ansprüchen gar nichts weiß. Vor allem wenn die Unkenntnis auf einem Verhalten des Schuldners beruht kann dieser allein aufgrund des Zeitablaufs nicht annehmen, er werde auch künftig nicht mehr in Anspruch genommen (BAG, Urteil vom 22.02.2012 - 5 AZR 765/10 - AP Nr. 75 zu § 612 BGB).



b. Gemessen an diesen Maßstäben scheidet vorliegend eine Verwirkung des klägerischen Stammrechts des Inhalts, wieder und auch künftig eingruppierungsgerechte Vergütungsansprüche nach Maßgabe der jeweils geltenden AVR nebst aktueller Vergütungstabelle geltend machen zu können, aus. Dies hat das Arbeitsgericht mit überzeugender Begründung herausgearbeitet.



Angesichts des unstreitigen Widerstands der Klägerin gegen eine auf Ablösung des Arbeitsverhältnisses von den AVR gerichtete Vertragsänderung nach dem ersten Betriebs(teil-)übergang konnte die damalige Betriebserwerberin zunächst nicht annehmen, künftig und auf Dauer keine AVR-gerechte Vergütung mehr zahlen zu müssen. Das gleichwohl einseitig vorgenommene Einfrieren der klägerischen Vergütung auf dem Stand des Jahres 2006 und das wegen seines Hinweises auf die Regelung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB (selbiges im Kontext eines Arbeitsverhältnisses, dass offensichtlich keinen Tarifbindungen, sondern kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen unterliegt) mindestens missverständliche Unterrichtungsschreiben aus Juni 2006 implizieren bei objektiver Betrachtung die stillschweigende Erklärung, sich arbeitgeberseits nicht zu einer dynamischen Anpassung der Vergütung verpflichtet zu sehen. Einen wenngleich sehr langen, ggf. von Unkenntnis der wahren Rechtslage begleiteten Zeitraum der Untätigkeit der Klägerin allein, hinzutretende aussagekräftige Umstände vermochte die Beklagte auch zweitinstanzlich nicht aufzuzeigen, konnte selbige angesichts dieser Historie nicht als Einverständnis der Klägerin in eine quasi vertragsändernde Zahlungspraxis verstehen.



Die Beklagte - bzw. deren Vorgängerin mit Wirkung für die Beklagte - musste vielmehr mit mindestens gleichem Grad der Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Klägerin ihre Ansprüche eben aus schlichter Unkenntnis oder mangels aktueller Konfliktneigung nicht verfolgt. Das danach allein verbleibende Zeitmoment vermag hier auch unter Berücksichtigung des Wechselwirkungsgedankens jedenfalls nicht die Verwirkung des Stammrechts zu begründen. Insoweit besteht kein erkennbares besonderes Schutzbedürfnis der Beklagten. Schutzwürdige Dispositionen, die es ihr nunmehr unzumutbar machen, nach mehrjährigerer Pause zu ihrem bzw. ihrer Vorgängerin verbleibenden Vorteil jetzt wieder die nach dem Vertrag vereinbarte und geschuldete Vergütung zu zahlen, vermag die Berufungskammer nicht festzustellen.



Die Beklagte war über die Ausschlussfristenregelung des § 23 AVR - die dem Verwirkungsgedanken ebenfalls und im Regelfall ausreichend wie abschließend Rechnung trägt - stets vor dem Auflaufen besonders hoher Vergütungsrückstände geschützt. Dass sie der Klägerin bei zwischenzeitlich geringfügiger Erhöhung der Arbeitszeit und Änderung der Urlaubs- und AZV-Regelungen des AVR-Regimes trotz dessen dynamischer Fortgeltung insoweit keine Änderungen abverlangt hat, ist angesichts des langjährigen Einfrierens der Vergütung nur konsequent. Selbiges begründet mit Rücksicht auf die dies in der Gesamtschau ersichtlich deutlich überkompensierenden finanziellen Nachteile der Klägerin kein weitergehendes Schutzbedürfnis der Beklagten.



III.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Die Revisionszulassung erfolgt nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, welche die Kammer im Hinblick auf den in seinen Gründen zum Verkündungszeitpunkt nicht bekannten Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 17.06.2015 - 4 AZR 61/14 (A) und der darauf zu erwartenden Entscheidung des EuGH annimmt.

Vorschriften§ 613a BGB, § 613a Abs. 1 BGB, § 613a Abs. 1 S. 2 u. 3. BGB, § 64 Abs. 1, 2b ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 u. 2 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, § 1 Abs. 1 TVG, § 2 Abs. 1 TVG, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG, §§ 1 Abs. 2 S. 1, 2 KSchG, Richtlinie 2001/23/EG, Richtlinie 77/187/EWG, § 611 Abs. 1 BGB, § 242 BGB, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

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