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18.10.2005 · IWW-Abrufnummer 052923

Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 27.07.2005 – 20 WF 337/05

Zur Wahrung der Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB genügt unter den Voraussetzungen des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB ein am letzten Tag der Frist bei Gericht eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch; dass § 1600 b Abs. 6 Satz 2 BGB keine entsprechende ausdrückliche Verweisung enthält, steht dem nach Sinn und Zweck der Hemmungsregelung nicht entgegen.


Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 20 WF 337/05

Beschluss

des 20. Zivilsenats - Familiensenat - vom 27.07.2005

In der Familiensache

wegen Anfechtung der Vaterschaft;

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Richter am Oberlandesgericht Piel,
Richterin am Oberlandesgericht Maciejewski und
Richterin am Amtsgericht Brendel

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hoyerswerda vom 04.04.2005 aufgehoben. Dem Antragsteller wird für die von ihm beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe:

I.

Der am 11.05.2000 geborene Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Vaterschaftsanfechtungsklage. Er behauptet, sein Erzeuger sei nicht der Antragsgegner, der von seiner Mutter seit 07.08.2001 getrennt lebende Ehemann, sondern Herr N.

Auf Antrag der Mutter wurde das Stadt Jugendamt H mit Beschluss vom 10.03.2003 zum Ergänzungspfleger für die Vertretung des Antragstellers im Vaterschaftsanfechtungsverfahren bestellt.

Mit Schriftsatz vom 28.02.2005, eingegangen beim Familiengericht am 01.03.2005, beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Vaterschaftsanfechtungsklage, erklärte, über kein eigenes Einkommen und Vermögen zu verfügen und reichte eine von seiner Mutter ausgefüllte Erklärung über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse sowie entsprechende Belege ein.

Mit Verfügung vom 17.03.2005 veranlasste das Familiengericht die Übersendung des Prozesskostenhilfeantrags und des Klageentwurfs an den Antragsgegner zur Stellungnahme binnen zwei Wochen und wies den Antragsteller gleichzeitig darauf hin, dass es beabsichtige, Prozesskostenhilfe zu versagen, da die Anfechtungsfrist des § 1600 b BGB verstrichen sei.

Mit Schreiben vom 22.03.2005 nahm der Antragsteller Bezug auf die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB und erklärte, dass nach seiner Auffassung mit der Einreichung des Prozesskostenhilfeantrages die Anfechtungsfrist vor Ablauf der zwei Jahre gehemmt sei.

Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 04.04.2005 den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Frist von zwei Jahren sei nur mit rechtzeitiger Erhebung der Klage zu wahren. Diese sei bisher jedoch nicht erhoben, da mit Schriftsatz vom 28.02.2005 ohne jeglichen "Eilt-Vermerk" oder Hinweis auf eine alsbald verstreichende Klagefrist nur ein Prozesskostenhilfeantrag mit einem Klageentwurf eingereicht worden sei. Aufgrund der bedingten Klageeinreichung sei die Klage bisher nicht anhängig und die Anfechtungsfrist damit nicht gehemmt. § 204 BGB regele die Verjährungsfristen, aber nicht die Ausschlussfrist von § 1600 b BGB. Die Vorschrift des § 1600 b Abs. 6 BGB lasse ausdrücklich nur die Regelungen der §§ 206 und 210 BGB entsprechend anwenden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Familiengericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Antragsteller wurde während der Ehe seiner Mutter mit dem Antragsgegner geboren, so dass der Antragsgegner nach § 1592 Nr. 1 BGB gesetzlicher Vater des Antragstellers ist.

Gem. § 1600 Abs. 1 BGB ist der Antragsteller berechtigt, die Vaterschaft anzufechten. Die Frist zur Anfechtung der Vaterschaft beträgt nach § 1600 b Abs. 1 S. 1 BGB zwei Jahre. Gem. § 1600 b Abs. 1 S. 2 BGB beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Da der Antragsteller minderjährig ist, kommt es auf die Kenntnis desjenigen gesetzlichen Vertreters an, der befugt ist, das Kind im Vaterschaftsanfechtungsprozess rechtswirksam zu vertreten. Die Frist beginnt daher erst zu dem Zeitpunkt, in dem die Vertretungsbefugnis hergestellt wird (OLG Köln, FamRZ 2001, 245; Palandt-Diederichsen, BGB, 64. Aufl., § 1600 b, Rn. 6). Im vorliegenden Fall erfolgte dies mit der Bestellung des Ergänzungspflegers für die Anfechtungsklage am 10.03.2003. Die Zwei-Jahres-Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage nach § 1600 b Abs. 1 BGB wäre mithin am 10.03.2005 abgelaufen, sofern sie nicht durch den vom Antragsteller am 01.03.2005 eingereichten Prozesskostenhilfeantrag gehemmt ist.

Zwar verweist § 1600 b Abs. 6 S. 2 BGB nur auf die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206 und 210 BGB, nach denen der Fristablauf bei höherer Gewalt (§ 206 BGB) und gegenüber nicht voll Geschäftsfähigen ohne gesetzlichen Vertreter (§ 210 BGB) gehemmt wird; nicht ausdrücklich verwiesen wird auf die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB, wonach die Hemmung des Fristablaufs bereits mit der Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bzw. mit der Einreichung des Prozesskostenhilfeantrages eintritt, wenn die Bekanntgabe des Antrages demnächst nach der Einreichung des Antrages veranlasst wird.

Dennoch ist der Senat der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Anfechtungsfrist durch die Einreichung des Prozesskostenhilfeantrages am 01.03.2005 gewahrt ist. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Vorschrift des § 1600 b Abs. 6 S. 2 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung verwies auf die bisherigen §§ 203 und 206 BGB. Dabei handelte es sich um die Regelungen zur Hemmung der Verjährung aus tatsächlichen Gründen (§ 203 BGB a.F.) und zur Ablaufhemmung bei nicht voll Geschäftsfähigen (§ 206 BGB a.F.). Eine dem § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB n.F. entsprechende gesetzliche Regelung existierte vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts nicht. Allerdings lag nach der bisherigen Rechtsprechung eine die Fristhemmung auslösende höhere Gewalt i.S.d. § 203 BGB a.F. vor, wenn ein Kläger außerstande war, die Kosten des Rechtsstreits selbst aufzubringen. Dabei genügte es, dass das vollständige und ordnungsgemäß begründete Gesuch am letzten Tag der Verjährungsfrist gestellt (BGHZ, 70, 235; BGH, NJW 1989, 3149; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 203 Rn. 9 m.w.N.) und danach die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Zustellung der Klage demnächst i.S.v. § 270 Abs. 3 ZPO a.F. möglich war (zur Vaterschaftsanfechtung so ausdrücklich Palandt/Diederichsen, aaO., § 1600 b BGB a. F. Rn. 19 m.w.N.). Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts wurde in § 1600 b Abs. 6 S. 2 BGB die Angabe "§§ 203, 206" durch die Angabe "§§ 206, 210" ersetzt. Bei den neuen Vorschriften handelt es sich nunmehr um die den bisher §§ 203 und 206 BGB entsprechenden Regelungen zur Hemmung der Verjährung bei höherer Gewalt (§ 206 BGB n.F.) und zur Ablaufhemmung bei nicht voll Geschäftsfähigen (§ 210 BGB n.F.).

Hierbei hat der Gesetzgeber offensichtlich übersehen, dass von dem bisherigen § 203 BGB auch der Fall erfasst war, dass eine Partei die Kosten des Rechtsstreits nicht aufzubringen imstande, ist und eine Regelung hierzu nunmehr ausdrücklich in §§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB n.F. erfolgt. Denn in der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drucks. 14/6040, S. 271) heißt es zu § 1600 b Abs. 6 S. 2 BGB lediglich: "Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung aus der Neugestaltung des Verjährungsrechts: An die Stelle der in § 1600 b Abs. 6 S. 2 bislang genannten Verweisung auf die bisherigen §§ 203, 206 tritt die Verweisung auf die §§ 206, 210 R.E."

Aus dem fehlenden Verweis auf § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB kann deshalb nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es die Absicht des Gesetzgebers war, eine der bisherigen ständigen Rechtsprechung entgegenstehende Regelung zu treffen, zumal mit der Neuregelung in § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB gerade sichergestellt werden sollte, dass die bedürftige Partei zur Rechtsverfolgung ebensoviel Zeit hat wie diejenige, die das Verfahren selbst finanziert und in der Begründung des Gesetzentwurfs darüber hinaus noch ausdrücklich auf die bisherige Rechtsprechung zu § 203 BGB a.F. Bezug genommen wird (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 116).

Nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 erster Hs. BGB beginnt die Hemmung der Verjährung grundsätzlich mit der Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrages. Dies ist hier erst mit Verfügung des Familiengerichts vom 17.03.2005 erfolgt. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 zweiter Hs. BGB tritt die Fristhemmung jedoch bereits mit der Einreichung des Antrages ein, wenn die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrages veranlasst wird. Hierbei ist in entsprechender Anwendung des § 167 ZPO eine Verzögerung dann unschädlich, wenn sie nicht vom Antragsteller zu vertreten ist, sondern auf dem Geschäftsablauf des Gerichtes beruht (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 204 Rn. 7 und 32). Das ist hier der Fall. Die Bekanntgabe des am 01.03.2005 innerhalb der Zwei-Jahres-Frist des § 1600 b Abs. 1 S. 1 BGB beim Familiengericht eingegangenen Prozesskostenhilfeantrages hätte bei einem zügigen Geschäftsablauf rechtzeitig vor dem Fristablauf am 10.03.2005 an den Antragsgegner veranlasst werden können. Dass dies nicht geschehen ist, hat der Antragsteller nicht zu vertreten, denn die Akte wurde der zuständigen Familienrichterin offensichtlich erst nach dem 14.03.2005 erstmals vorgelegt, die sodann am 17.03.2005 die Übersendung des Prozesskostenhilfeantrages an den Antragsgegner verfügte.

Aus den genannten Gründen bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass ihm Prozesskostenhilfe nicht versagt werden konnte.

Nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist der Antragsteller nicht in der Lage, zu den Kosten der Prozessführung beizutragen.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB § 1600b Abs. 1 BGB § 1600b Abs. 6

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