28.09.2015 · IWW-Abrufnummer 179772
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 28.04.2015 – 1 Sa 382 d/14
Krankenpfleger in einer psychiatrischen Einrichtung des Diakonischen Werks sind entsprechend den Richtbeispielen zu den Entgeltgruppen in die Entgeltgruppe 8 AVR-DD eingruppiert.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 28.04.2015 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung ihrer Berufung im Übrigen - das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 15.10.2014 - 3 Ca 742 b/14 - teilweise abgeändert und der Tenor des Urteils zur Klarstellung wie folgt formuliert:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.12.2011 nach der Entgeltgruppe 8 der Anlage 1 zu den Arbeitsrichtlinien für Einrichtungen, die dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen sind, zu vergüten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge) trägt die Klägerin 47 %, der Beklagte 53 %.
Die Revision für den Beklagten wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin und um Zahlung der entsprechenden Vergütung.
Die Klägerin trat am 01.10.1990 als teilzeitbeschäftigte Krankenschwester, nach Änderung der Berufsbezeichnung seit 2004: Gesundheits- und Krankenpflegerin, in die Dienste des Beklagten. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Dienstvertrag vom selben Tag zugrunde (Anlage K 1 = Bl. 6 d. A.). Danach finden auf das Dienstverhältnis die "Arbeitsrichtlinien des diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DD)" in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.
Die Klägerin arbeitet in der vom Beklagten in R. betriebenen psychiatrischen Einrichtung auf einer Station. Die Einrichtung wird vom Psychiatrieplan des Landes Schleswig-Holstein erfasst.
Der Beklagte hat die Klägerin der Entgeltgruppe 7 A der Anlage 1 der AVR-DD zugeordnet. Die beim Beklagten errichtete Mitarbeitervertretung hat mit Schreiben vom 22.05.2008 geltend gemacht, die Mitarbeiter im Pflegedienst seien in die Entgeltgruppe 8 AVR-DD einzugruppieren. Die Klägerin hat mit am 05.12.2012 beim Beklagten eingegangenem Schreiben beantragt, sie in die Entgeltgruppe 8 einzugruppieren.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Vergütungsdifferenzen zwischen dem ab Juli 2007 gezahlten Grundgehalt der Entgeltgruppe 7 und der Entgeltgruppe 8 AVR-DD geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, sie erfülle die Voraussetzungen eines Richtbeispiels der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD, da sie als Gesundheitspflegerin in einer psychiatrischen Einrichtung eingesetzt werde. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 20.06.2012 (Az. 4 AZR 438/10) stehe fest, dass in einer solchen Einrichtung besch äftigte Pflegekräfte "in der Psychiatrie" tätig und deshalb nach der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD zu vergüten seien. Da die Mitarbeitervertretung auch ihre Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht habe, seien diese nicht verfallen. Zudem habe sie, die Klägerin, ihre Ansprüche bereits im Juni 2008 sowie mit Schreiben vom 01.12.2012 geltend gemacht.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
Der Beklagte hat beantragt,
Er hat gemeint, die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (4 AZR438/10) sei nicht übertragbar, denn sie habe die AVR des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg betroffen. Das Bundesarbeitsgericht habe zudem bei seiner Auslegung der dortigen AVR wesentliche Gesichtspunkte übersehen. Allein die Tätigkeit in einer psychiatrischen Einrichtung erfülle das Richtbeispiel "Gesundheitspfleger ..., in der Psychiatrie" nicht. Maßgebend sei, dass dem Betreffenden besondere, gerade durch den Charakter der psychiatrischen Einrichtung begründete pflegerische Tätigkeiten übertragen sind. Das habe der Schlichtungsausschuss der arbeitsrechtlichen Kommission des diakonischen Werkes mit Beschluss vom 21.10.2013 klargestellt. Die Klägerin sei weder Fachpflegerin für Psychiatrie, noch nehme sie vergleichbare Aufgaben wahr. Sie erledige die normalen Aufgaben einer Gesundheits- und Krankenpflegerin.
Etwaige vor dem 01.01.2011 entstandene Ansprüche seien verjährt. Darüber hinaus seien vor Dezember 2011 entstandene Ansprüche mangels schriftlicher Geltendmachung verfallen. Schließlich habe die Klägerin die Differenzvergütung falsch berechnet.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.05.2014 festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.11.2013 nach der Entgeltgruppe 8 der Anlage 1 AVR-DD zu vergüten. Den weitergehenden Feststellungsantrag hat das Arbeitsgericht als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin Leistungsklage hätte erheben können. Auf den zweiten Hilfsantrag hat das Arbeitsgericht der Klägerin für den Zeitraum 01.12.2011 bis 31.10.2013 als Differenz zwischen der Entgeltgruppe 7 und der Entgeltgruppe 8 Vergütung in Höhe von 1.318,81 € zugesprochen. Dabei hat es die Berechnung des Beklagten zugrunde gelegt und die weitergehende Klage für diesen Zeitraum wegen unzutreffender Berechnung der Differenzvergütung abgewiesen. Ansprüche für die Zeit vor dem 01.12.2011 seien verfallen. Zu einer früheren ordnungsgemäßen Geltendmachung habe die Klägerin nicht ausreichend vorgetragen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts ist den Parteien am 10.11.2014 zugestellt worden. Der Beklagte hat hiergegen am 12.11.2014 Berufung eingelegt und diese am 11.12.2014 begründet. Die Klägerin hat ihrerseits am 21.11.2014 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 10.02.2015 am 02.01.2015 begründet.
Der Beklagte meint, die Klägerin sei während des gesamten streitbefangenen Zeitraums zutreffend in Entgeltgruppe 7 AVR-DD eingruppiert. Nicht jede Gesundheits- und Krankenpflegerin, die in einer psychiatrischen Einrichtung arbeite, erfülle die Merkmale des Richtbeispiels "Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie". Der Ausgangspunkt des Bundesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts, wonach ein Mitarbeiter, der ein Richtbeispiel einer Entgeltgruppe erfülle, in jedem Fall in diese eingruppiert sei, ohne dass es auf die Prüfung der Unter- und Obersätze ankomme, treffe nach dem Willen des AVR-Normgebers nicht zu. Die Richtbeispiele würden nur "häufig anfallende" Tätigkeiten benennen. Sie seien tätigkeits- und nicht einrichtungsbezogen zu verstehen. Es bedürfe einer Prüfung im Einzelfall.
Aber selbst wenn bei erfülltem Richtbeispiel eine weitere Prüfung entbehrlich sei, erfülle bei zutreffender Auslegung der AVR-DD nicht jeder Gesundheits- und Krankenpfleger, der in einem Arbeitsverhältnis zu einem Träger einer psychiatrischen Einrichtung steht, das streitbefangene Richtbeispiel. Die Wortbedeutung " Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie" sei nicht zwingend institutionsbezogen zu verstehen. Gemeint sein könne auch eine Tätigkeit auf dem Gebiet der Psychiatrie.
Die systematische Auslegung spreche gegen ein institutionsbezogenes Verständnis des Richtbeispiels. Die AVR-DD gingen in § 12 Abs. 4 Satz 2 von einer tätigkeitsbezogenen Ausrichtung aus. Die Verfasser der Eingruppierungsordnung hätten an keiner Stelle institutionsbezogene Richtbeispiele formuliert, wohl aber zahlreiche tätigkeitsbezogene. So finde sich das Richtbeispiel "Gesundheitspflegerin ... in der ... Psychiatrie" in einem Satz mit zwei tätigkeitsbezogenen Richtbeispielen. Für das tätigkeitsbezogene Verständnis spreche auch, dass es anderenfalls in psychiatrischen Einrichtungen keine eingruppierungsmäßige Unterscheidung zwischen "normalen" Gesundheits- und Krankenpflegern und den Stationsleitungen gebe. Bei institutionsbezogenem Verständnis seien sie gleich zu vergüten. Nach der Vorgabe des § 12 Abs. 4 AVR-DD erforderten die Ober- und Untersätze der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD einen Tätigkeitsbezug des Richtbeispiels.
Dafür spreche auch die historische Auslegung der AVR-DD, die das BAG und das Arbeitsgericht unterlassen hätten. Aus der Entstehungsgeschichte folge, dass die Verfasser der Entgeltordnung bei der Formulierung des streitbefangenen Richtbeispiels keineswegs beabsichtig hätten, alle bei einem Arbeitgeber beschäftigten Gesundheits- und Krankenpfleger in die Entgeltgruppe 8 A einzugruppieren, nur weil dieser eine psychiatrische Einrichtung betreibt. Das bestätige der korrigierende Beschluss des Schlichtungsausschusses der arbeitsrechtlichen Kommission vom 21.10.2013. Dort sei ausdrücklich von Klarstellung und nicht von Änderung die Rede. Für das Verständnis des Beklagten spreche schließlich die teleologische Interpretation. Mit der Entgeltgruppe 8 sollten ein durch die Tätigkeit gefordertes vertieftes oder erweitertes Fachwissen sowie entsprechende Fähigkeiten eingruppierungsrechtlich durch Heraushebung belohnt werden. Das spreche für einen tätigkeits- und gegen einen institutionsbezogenen Ansatz. Die Annahme des Bundesarbeitsgerichts, dass pauschalierend für alle ausgebildeten Gesundheits- und Krankenpfleger zu vermuten sei, dass diese in der Psychiatrie schwierige Aufgaben wahrnehmen, was eine Heraushebung aus der Entgeltgruppe 7 AVR-DD rechtfertige, sei unbegründet. So würden Altenpfleger in psychiatrischen Einrichtungen anders behandelt als Gesundheits- und Krankenpfleger.
Wenn sich danach die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 A AVR-DD nicht allein mit der Beschäftigung eines Gesundheits- und Krankenpflegers in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen lasse, müsse im Sinne des Obersatzes der Entgeltgruppe ermittelt werden, ob der Klägerin Aufgaben übertragen worden sind, die ein vertieftes oder erweitertes Fachwissen mit entsprechenden Fähigkeiten voraussetzten. Hierzu bedürfe es der Übertragung von schwierigen Aufgaben zur eigenständigen Wahrnehmung in den Tätigkeitsbereichen Pflege/Betreuung oder Erziehung. Dass die Klägerin derartige Tätigkeiten ausübe, habe sie nicht vorgetragen. Tatsächlich sei das auch nicht der Fall.
Sei die Klägerin schon in der Vergangenheit zutreffend in die Entgeltgruppe 7 AVR-DD eingruppiert, könne sie erst recht für die Zeit ab 01.11.2013 keine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 AVR-DD verlangen. Dem stehe die klarstellende Neufassung der Richtbeispiele durch Beschluss des Schlichtungsausschuss vom 21.10.2013 entgegen. Die AVR würden durch arbeitsrechtliche Kommissionen vereinbart, die paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite besetzt seien. Gegebenenfalls schließe sich ein Schlichtungsverfahren an, das zu einer Entscheidung führe. Die Entscheidung des Schlichtungsausschusses, wie sie hier vorliege, habe dieselbe Rechtsqualität wie eine Einigung zwischen den in der arbeitsrechtlichen Kommission paritätisch vertretenen Parteien.
Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des neu formulierten Richtbeispiels nicht, denn sie sei weder Fachpflegekraft in der Psychiatrie, noch verrichte sie vergleichbare Aufgaben. Vielmehr übe die Klägerin normale Tätigkeiten einer Gesundheits- und Krankenpflegerin aus. Auf die Bestandsschutzregelung könne sie sich gleichfalls nicht berufen. Bestandsschutz werde nur gewährt, wenn eine Eingruppierung bereits erfolgt sei und die Vergütung aus dieser Entgeltgruppe gezahlt worden sei. Ferner werde der Bestandschutz entweder in Form dauerhafter Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 A AVR-DD gewährt oder durch Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen den Entgeltgruppen 7 und 8 AVR-DD. Es gebe also ein Wahlrecht.
Der Beklagte beantragt,
Die Klägerin beantragt,
Anders als der Beklagte meine, sei die Tätigkeit in einer psychiatrischen Einrichtung grundsätzlich mit solchen Erschwernissen verbunden, die eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 A AVR-DD rechtfertigten. Es sollten die mit einer Tätigkeit in einer psychiatrischen Einrichtung verbundenen erhöhten Anforderungen abgegolten werden. Das habe das Bundesarbeitsgericht und ihm folgend das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
Die Klägerin hält auch die vergangenheitsbezogene Feststellungsklage für zulässig. Es sei zu erwarten, dass ein Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führe. Sie, die Klägerin, habe sich in der Vergangenheit nicht gegen die Abrechnungen des Beklagten gewandt. Lediglich die Vergütungsgruppe habe sie beanstandet. Die Zahlungsansprüche könne sie ohne entsprechendes Programm nicht berechnen.
Durch das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 22.05.2008 seien auch ihre Vergütungsansprüche für die Vergangenheit wirksam geltend gemacht worden. Die Mitarbeitervertretung habe unter dem Betreff "Eingruppierung in der Pflege" dem Beklagten mitgeteilt, dass eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 8 AVR-DD vorzunehmen sei. Das reiche aus.
Die Klägerin beantragt,
Der Beklagte beantragt,
Er ist der Ansicht, für die vergangenheitsbezogene Feststellungsklage fehle das Feststellungsinteresse. Denn die Klägerin sei in der Lage, die Vergütungsdifferenz mit einer Leistungsklage geltend zu machen. Im vorliegenden Fall sei auch nicht zu erwarten, dass ein Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führe. Die Parteien seien sich nicht nur über die Eingruppierung dem Grunde nach, sondern auch über die Höhe der sich daraus ergebende Nachzahlung uneinig. Die Erhebung einer Leistungsklage sei der Klägerin auch zumutbar.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A. Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
I. Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 b) ArbGG statthaft. Sie ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO.
II. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Der Beklagte wendet sich erfolglos gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die Klägerin ab dem 01.11.2013 nach der Entgeltgruppe 8 AVR-DD zu vergüten ist. Denn die Klägerin war im streitbefangenen Zeitraum in die Vergütungsgruppe 8 AVR-DD eingruppiert. Der Beklagte hat der Klägerin das sich daraus ergebende Entgelt zu zahlen.
1. Der Feststellungsantrag ist als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig (BAG 31.07.2002 - 4 AZR 163/01 - ; 20.06.2012 - 4 AZR 438/10 - ), jedenfalls soweit er ab Klagzustellung in die Zukunft gerichtet ist. Dagegen wendet sich der Beklagte nicht.
2. Die Eingruppierung der Klägerin richtet sich kraft vertraglicher Vereinbarung der Parteien nach der Anlage 1 zu den AVR-DD und damit nach folgenden Regelungen:
In der Anlage 1 (Eingruppierungskatalog) heißt es auszugsweise:
Die Anmerkungen zu den Entgeltgruppen lauten unter anderem:
Mit Beschluss vom 21.10.2013 hat der Schlichtungsausschuss der arbeitsrechtlichen Kommission des diakonischen Werkes die Anlage 1B zum Eingruppierungskatalog hinsichtlich der Entgeltgruppe 8 A mit Wirkung ab dem 01.11.2013 wie folgt geändert (Bekanntgabe mit Schreiben vom 24.10.2013, Anlage B 1 = Bl. 64 d.A.):
3. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.11.2013 nach der Entgeltgruppe 8 AVR-DD zu vergüten. Der Vergütungsanspruch folgt aus der dynamischen Besitzstandregelung in Abs. 1b) des Beschlusses vom 21.10.2013 i.V.m. der bis zum 31.10.2013 geltenden Fassung der Entgeltgruppe 8 AVR-DD. Bis zum 31.10.2013 hatte die Klägerin einen Vergütungsanspruch nach dieser Entgeltgruppe. Ihre Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin in dem Psychiatrischen Krankenhaus in R. entsprach den Anforderungen des Richtbeispiels einer "Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie" wie es in der seinerzeit geltenden Fassung der Entgeltgruppe formuliert war. Die Berufungskammer schließt sich insoweit im Ergebnis und in der Begründung der ausführlichen Entscheidung der 6. Kammer (Urt. v. 18.02.2015 - 6 Sa 161/14) an und macht sich diese zu Eigen. Die 6. Kammer hat zu der identischen Problematik im Fall einer Kollegin der Klägerin ausgeführt:
Dem haben sich auch alle weiteren Kammern des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein angeschlossen. Soweit das Gericht in der mündlichen Verhandlung noch Zweifel daran geäußert hat, ob die Worte "in der Psychiatrie" nach ihrem Wortlaut überhaupt tätigkeitsbezogen verstanden werden können, hält es hieran nicht fest.
cc) Die Voraussetzungen des Richtbeispiels der Entgeltgruppe 8 AVR-DD "Gesundheitspflegerin in der Psychiatrie" sind erfüllt.
(1) Die Klägerin ist Gesundheitspflegerin im Sinne der Regelung. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
(2) Die Klägerin übt ihre Tätigkeit auch "in der Psychiatrie" aus. Sie arbeitet auf einer Station des vom Beklagten betriebenen psychiatrischen Krankenhauses. Die Einrichtung ist vom Psychiatrieplan des Landes Schleswig-Holstein erfasst. Es handelt sich unstreitig um eine psychiatrische Einrichtung im Sinne des fraglichen Richtbeispiels. Hiergegen wendet sich der Beklagte weder im ersten noch im zweiten Rechtszug.
Es kann offen bleiben, ob das Merkmal bereits dann erfüllt wäre, wenn die Tätigkeit zwar in einer psychiatrischen Einrichtung erbracht wird, dort aber nicht im Pflegebereich, oder ob es notwendig ist, dass sie auf einer psychiatrischen Station ausgeübt wird. Denn die Klägerin ist - wie ausgeführt - auf einer psychiatrischen Station tätig.
Damit ist das Richtbeispiel erfüllt.
e) Nach der bis zum 31.10.2013 geltenden Fassung der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD war die Klägerin in diese Entgeltgruppe eingruppiert. Mit der Neufassung des streitgegenständlichen Richtbeispiels durch den Beschluss vom 24.10.2013 hat sich an der Begründetheit des mit dem Hauptantrag verfolgten Anspruchs nichts geändert.
Die Klägerin ist unstreitig keine "Fachpflegekraft in der Psychiatrie mit entsprechender Tätigkeit". Ob sie als Gesundheits- und Krankenpfleger/in mit vergleichbaren Aufgaben" befasst war und ist, kann offen bleiben.
Denn die Klägerin kann jedenfalls aufgrund des durch Nr. 1. b) des Beschlusses des Schlichtungsausschusses vom 21.10.2013 gewährten Bestandsschutzes weiterhin verlangen nach der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD vergütet zu werden. Danach wird Gesundheitspflegern/innen in der Psychiatrie, die am 31.10.2013 in die Entgeltgruppe 8 A eingruppiert sind, für die Dauer ihres Arbeitsverhältnisses ein dynamischer Besitzstand garantiert. Da die Klägerin, wie ausgeführt, in die Entgeltgruppe 8 A AVR-DD eingruppiert war, ist ihr dieser dynamische Besitzstand garantiert. Hierfür bedarf es weder eines formellen Eingruppierungsakts des Arbeitgebers noch der tatsächlichen Zahlung der entsprechenden Vergütung. Der Besitzstand knüpft schon nach dem Wortlaut "eingruppiert sind" an die Tarifautomatik an. Der Mitarbeiter wird nicht, vielmehr ist er in eine Entgeltgruppe eingruppiert. Es handelt sich um einen Akt der Rechtsanwendung. Es gibt danach keine "falsche" Eingruppierung. Fraglich kann allein sein, ob der Arbeitgeber das tarifgerechte Ergebnis erkannt hat oder - wie hier - nicht. Seine falsche Beurteilung hat auf den Bestandsschutz selbstverständlich keinen Einfluss.
Etwas anderes folgt nicht aus § 12 AVR-DD. Nach Absatz 1 der Norm "ist" der Mitarbeiter eingruppiert. Auch aus den Absätzen 2 bis 4 folgt nicht, dass es eines Anerkennungsaktes des Arbeitgebers bedarf. Vielmehr sind dort Grundsätze genannt, nach denen der Mitarbeiter eingruppiert ist: das Gepräge der Tätigkeit muss Tätigkeitsmerkmale erfüllen, maßgeblich ist nicht die berufliche Ausbildung, sondern die für die Ausübung der Tätigkeit in der Regel erforderliche Qualifikation.
Es ergibt im Übrigen keinen Sinn, demjenigen Bestandschutz einzuräumen, der ohnehin schon in die Entgeltgruppe 8 eingruppiert ist und die entsprechende Vergütung bezieht, weil er die Voraussetzungen die nach der Klarstellung gelten auch vorher schon erfüllt hatte. Für ihn hat sich durch den Beschluss vom 24.10.2013 nichts geändert. Er hatte vor und nach dem 31.10.2013 einen originären Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 AVR-DD.
Auf die vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob ein Wahlrecht zwischen der dauerhaften Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 A AVR-DD und der Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen der Entgeltgruppe 7 und der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD dem Anspruch der Klägerin entgegensteht, kommt es nicht an. Die Klägerin verlangt keine Eingruppierung, sondern Feststellung, dass der Beklagte sie nach der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD zu vergüten hat. Die Klägerin war am 31.10.2013 in die Entgeltgruppe 8 A AVR-DD eingruppiert und hatte folglich einen entsprechenden Vergütungsanspruch. Es ist Sache der "Parteien vor Ort", also der Arbeitsvertragsparteien, ob auf die Vergütungsansprüche ab November 2013 das Grundgehalt nach der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD gezahlt wird oder das Grundgehalt nach der Entgeltgruppe 7 zuzüglich einer dynamischen Besitzstandszulage. In beiden Fällen erhielte die Klägerin was sie begehrt und was ihr zusteht. Festzustellen ist daher, dass der Beklagte künftig verpflichtet ist, die Klägerin entsprechend Entgeltgruppe 8 AVR-DD zu vergüten.
B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.
I. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 b) ArbGG statthaft. Sie ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO. Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 ArbGG. Die Klägerin hat sich sowohl mit der vom Arbeitsgericht verneinten Zulässigkeit der vergangenheitsbezogenen Feststellungsklage auseinandergesetzt, als auch mit der Ausschlussfristenproblematik.
II. Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.
1. Die mit dem Hauptantrag erhobene Eingruppierungsfeststellungsklage ist zulässig, auch soweit sie einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erfasst.
a) Soweit der Beschäftigte mit seiner Klage die Feststellung begehrt, dass der beklagte Arbeitgeber verpflichtet ist, an ihn Entgelt nach einer bestimmten Entgeltgruppe zu zahlen, ist das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO regelmäßig zu bejahen. Es handelt sich in einem solchen Fall um eine im öffentlichen Dienst allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage. Gegen deren Zulässigkeit bestehen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken (BAG 31.07.2002 - 4 AZR 163/01 - ; 20.06.2012 - 4 AZR 438/10 - ). Auch in der Privatwirtschaft sind Eingruppierungsfeststellungsklagen zulässig (BAG 28.05.1997 - 10 AZR 580/96 -; 08.06.2005 - 4 AZR 416/04 - ). Nichts anderes gilt für Eingruppierungsfeststellungsklagen von Mitarbeitern christlicher Kirchen (BAG 21.05.2003 - 4 AZR 420/02 -; 14.01.2004 - 4 AZR 10/03 - ).
b) Im Verhältnis der Eingruppierungsfeststellungsklage zur Leistungsklage besteht kein Vorrang der Leistungsklage. Der Arbeitnehmer kann zwar Klage auf Zahlung der fälligen Entgeltdifferenz für die Vergangenheit erheben; er muss dies aber nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts werden Klagen auf Zahlung eines höheren tarifvertraglichen Entgelts gerade im öffentlichen Dienst grundsätzlich als zulässig angesehen, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen wird und auf diese Weise der Rechtsfrieden wiederhergestellt werden kann (vgl. BAG 17.10.2007 - 4 AZR 1005/06 -; 14.01.2004 - 4 AZR 1/03 - ). Das gilt jedenfalls dann, wenn über die weiteren Faktoren, die die Vergütungshöhe bestimmen, kein Streit besteht.
c) Danach besteht für die Eingruppierungsfeststellungsklage der Klägerin das erforderliche rechtliche Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.
Die Parteien streiten im Kern darüber, ob die Klägerin Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD verlangen kann. Über weitere für die Vergütungsberechnung relevante Faktoren besteht kein erkennbarer Streit. Zwar hat die Klägerin für die Bezifferung des Hilfsantrags eine Berechnung vorgenommen, die der Beklagte für falsch hält. Die Berechnung lässt in der Tat relevante Vorschriften außer Acht, insbesondere die zur Überleitung (§ 18 AVR-DD). Das räumt die Klägerin aber in beiden Rechtszügen ein, verteidigt ihre Berechnung nicht und beruft sich vielmehr darauf, sie sei mit ihren Mitteln und ohne EDV- gestütztes Berechnungsprogramm zur Berechnung nicht in der Lage. Dagegen wendet sie sich an keiner Stelle gegen die Faktoren, die der Beklagte seiner Berechnung zugrunde gelegt hat. Sie greift dessen Berechnung nicht einmal an.
2. Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg, und zwar soweit sie Ansprüche geltend macht, die den Zeitraum vom 01.12.2011 bis zum 31.10.2013 betreffen. Für diesen Zeitraum hat das Arbeitsgericht die Feststellungsklage abgewiesen und nur teilweise nach dem Hilfsantrag auf Zahlung erkannt. Die Klägerin kann auch für diesen Zeitraum Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 A AVR-DD verlangen. Auf die Ausführungen unter A. II. 3. kann verwiesen werden. Die in oben genannten Zeitraum entstandenen Differenzvergütungsansprüche der Klägerin sind nicht nach § 45 AVR verfallen.
a) § 45 AVR lautet:
Nach § 21 a AVR-DD sind die Bezüge für den Kalendermonat zu berechnen und am 15. eines jeden Monats für den laufenden Monat zu zahlen.
b) Die Klägerin hat die streitigen Ansprüche erstmals mit am 05.12.2012 beim Beklagten eingegangenem Schreiben geltend gemacht. Da die Bezüge für den Kalendermonat am 15. eines jeden Monats für den laufenden Monat zu zahlen sind, hat sie damit die Ausschlussfrist für die Zeit ab Dezember 2011 gewahrt. Das ist zwischen den Parteien auch nicht weiter umstritten.
3. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg, soweit sie Ansprüche für die Zeit vor dem 01.12.2011 weiter verfolgt. Die in diesem Zeitraum entstandenen Differenzvergütungsansprüche sind nach § 45 AVR-DD verfallen. Die Klägerin kann die begehrte weitergehende Feststellung nicht verlangen. Der Hilfsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen, denn er war nur für den Fall der Unzulässigkeit der Feststellungsantrag gestellt worden.
a) Dass die Klägerin ihre Ansprüche außer mit dem am 05.12.2012 zugegangenen Schreiben gegenüber dem Beklagten schriftlich geltend gemacht hat, hat sie in zweiter Instanz nicht mehr behauptet, sondern sich nur noch auf das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 22.05.2008 bezogen.
b) Das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 22.05.2008 reicht als Geltendmachung im Sinne des § 45 AVR-DD nicht aus. Damit sind keine individuellen Ansprüche der Klägerin geltend gemacht worden. Vielmehr hat die Mitarbeitervertretung ihre Sicht der Dinge dargelegt. Die Geltendmachung im Sinne von § 45 AVR-DD hat durch den Gläubiger oder seinem Bevollmächtigten zu erfolgen. Ein Mitbestimmungsgremium ist nicht Vertreter des einzelnen Arbeitnehmers (LAG Hamm 26.06.2008 - 17 Sa 929/07 -).
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens. Dabei wurde zugrunde gelegt, dass die Klägerin mit ihrem Hauptantrag sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft Ansprüche geltend gemacht hat.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Das Gericht sieht die Bedeutung des hier streitigen Vergütungsgruppenmerkmals durch die Entscheidung des BAG vom 20.06.2012 (4 AZR 438/10) als noch nicht ausreichend geklärt an. Jene Entscheidung verhält sich zu der hier in Rede stehenden Auslegung des Begriffs "Psychiatrie" als institutsbezogen oder tätigkeitsbezogen nicht. Außerdem hat der Beklagte zahlreiche durchaus gewichtige Argumente vorgebracht, die gegen die Auslegung des BAG sprechen. Schließlich ist auch die Besitzstandsregelung noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Überprüfung gewesen. Die Auslegung des Vergütungsgruppenmerkmals ist auch entscheidungserheblich.
Verkündet am 28.04.2015
Revision wurde eingelegt: BAG - AZ: 6 AZR 275/15