09.09.2015 · IWW-Abrufnummer 145317
Sozialgericht Stuttgart: Gerichtsbescheid vom 19.06.2015 – S 11 AL 7303/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Stuttgart
Az.: S 11 AL 7303/13
Gerichtsbescheid
in dem Rechtsstreit
....
- Kläger -
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Dr.
gegen
Bundesagentur für Arbeit
vertreten durch den Geschäftsführer des Operativen Service der Agentur für Arbeit Frankfurt am Main
- Beklagte -
Die 11. Kammer des Sozialgerichts Stuttgart hat ohne mündliche Verhandlung
am 19.06.2015 in Stuttgart
durch den Richter Dr. ......
für Recht erkannt:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 8. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Haftungsbescheid der Beklagten.
Der Kläger ist der Sohn des am 18. November 2010 verstorbenen Herrn Ö. T..
Mit Bescheid vom 25. November 2005 forderte die Beklagte von Ö. T. Arbeitslosenhilfe in Höhe von 34.152,73 €, Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 7190,92 € sowie zur sozialen Pflegeversicherung in Höhe von 801,39 €, insgesamt also 42.145,04 € zurück. Dieser Bescheid wurde nach erfolglosem Klageverfahren rechtskräftig.
Mit Beschluss vom 23. März 2012 erteilte das Notariat N. V – Nachlassgericht – dem Kläger und der Witwe des Verstorbenen je zur Hälfte einen gemeinschaftlichen Erbschein, beschränkt auf die in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen unbeweglichen Nachlassgegenstände.
Mit Urteil des Amtsgerichts Gölhisar, Türkei, vom 25. November 2010 wurde das Erbe des Ö. T. zu drei Vierteln dem Kläger und zu einem Viertel der Witwe des Verstorbenen zugesprochen.
Mit Bescheid vom 8. November 2012 nahm die Beklagte den Kläger als Erben des Verstorbenen für die bestehenden Verbindlichkeiten in Anspruch. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2013 zurück.
Am 23. Dezember 2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben.
Der Kläger trägt vor,
der Haftungsbescheid sei unrichtig. Er habe der Beklagten angeboten, ab Januar 2013 monatliche Raten von 150 € zu bezahlen. Eine höhere Zahlung sei derzeit nicht möglich.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 8. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Bescheid für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sach-verhalt geklärt ist (§ 105 Absatz 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG). Die Beteiligten sind im Erörterungstermin vom 11. Juni 2015 gehört worden (§ 105 Absatz 1 Satz 2 SGG); sie haben sich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. November 2012 stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar. Als solcher bedarf er einer Ermächtigungsgrundlage. Dazu muss zum einen für die getroffene Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage bestehen; zum anderen muss die Behörde ermächtigt sein, gerade in der Form des Verwaltungsaktes zu handeln. Ob eine solche Verwaltungsaktsbefugnis besteht, ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 31 SGB X, Rn. 15 ff.).
Nach § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geht das Vermögen des Erblassers als Ganzes auf den oder die Erben über. Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten. Hierzu zählen nach § 1967 Abs. 2 BGB die vom Erblasser herrührenden Schul-den. Diese Vorschriften ordnen eine Rechtsnachfolge an. Eine Verwaltungsaktsbefugnis lässt sich ihnen nicht entnehmen.
Eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Haftungsbescheiden findet sich in § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Nach § 34 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gehen Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten (§ 34 Abs. 1 SGB II) auf den Erben über. Dieser Anspruch kann, wie sich aus § 34 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II ergibt, durch Leistungsbescheid festgesetzt werden (BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R –, Rn. 12). Vergleichbare Regelungen, die auf die streitgegenständliche Forderung Anwendung finden könnten, enthält das Dritte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB III) nicht.
Da die Forderung gegen den Erblasser durch bestandskräftigen Verwaltungsakt festgesetzt ist, kann und muss die Beklagte diesen Verwaltungsakt nach Maßgabe der §§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X, 5 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), 265 AO, 1958, 1960 Abs. 3, 1961 BGB, 747, 748, 778, 779, 781 bis 784 Zivilprozessordnung (ZPO) gegen die Erben vollstrecken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Rechtsmittelbelehrung
Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Stuttgart, Theodor-Heuss-Str. 2, 70174 Stuttgart, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte ein-gehen. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.