25.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144794
Landessozialgericht Hamburg: Urteil vom 01.04.2015 – L 5 KA 66/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landessozialgericht Hamburg
Urt. v. 01.04.2015
Az.: L 5 KA 66/13
Tenor:
1. Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. August 2013 wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Regress wegen Überschreitung der Richtgrößen im Bereich Heilmittel.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Orthopädie an der vertragsärztlichen Versorgung in H. teil. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 unterrichtete die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. den Kläger, dass eine Prüfung wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens bei Heilmitteln in Höhe von 88.971 Euro für das Verordnungsjahr 2007 eingeleitet worden sei. Dem Kläger wurde Gelegenheit gegeben, innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme abzugeben bzw. die Berücksichtigung weiterer Praxisbesonderheiten zu beantragen; auf die Möglichkeit einer Regressminderung und eines Angebots einer individuellen Richtgröße wurde hingewiesen.
Mit Schreiben vom 13. November 2009 legte der Kläger gegen die Regressandrohung Widerspruch ein. Als Praxisbesonderheiten machte er seine ambulant operative Tätigkeit sowie seine belegärztliche Tätigkeit im Jahr 2007 geltend. Hinzu komme eine Schwerpunktbetreuung von Osteoporose-Patienten. Er beanstandete zudem eine fehlende Gegenüberstellung der verordneten und der abgerechneten Heilmittel.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2009 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von 64.298 Euro als Ergebnis der Richtgrößenprüfung Heilmittel 2007 fest. Ausgehend von einem das Richtgrößenvolumen um 25% überschreitenden Betrag in Höhe von 88.971 Euro wurden davon zunächst diejenigen unklar gebliebenen Verordnungskosten abgezogen, die der ärztlichen Tätigkeit des Klägers nicht sicher zugeordnet werden konnten (1.764 Euro). Kosten für Ergotherapie und Logopädie waren in dieser Berechnung nicht enthalten. Kosten in Höhe von 8.099 Euro für betreute Patienten wurden zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, ebenso Kosten in Höhe von 5.057 Euro für manuelle Lymphdrainagen. Die verbliebene Überschreitung des Richtgrößenvolumens habe der Kläger dagegen nicht hinreichend erklärt. Er sei verpflichtet gewesen, etwaige Praxisbesonderheiten und die damit in Zusammenhang stehenden Überschreitungen im Einzelnen darzulegen. Die Prüfungsstelle ermittelte unter Berücksichtigung der Differenzquote (Brutto-Verordnungssumme zur Nettoverordnungssumme = 85,58%) einen Regress in Höhe von 64.298 Euro.
Mit seinem am 22. Dezember 2009 eingelegten und am 5. Oktober 2010 begründeten Widerspruch beantragte der frühere Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, noch nicht wie vorgesehen über den Widerspruch am 6. Oktober 2010 zu entscheiden, wobei er ausführte: "Im Interesse unseres Mandaten muss die Angelegenheit vertieft bearbeitet werden, um gegebenenfalls eine Rücknahme des Widerspruchs anzuempfehlen und in Verhandlungen über eine zukünftige individuelle Richtgröße einzutreten". In seiner vorsorglich beigefügten Widerspruchsbegründung ließ der Kläger vortragen, dass er aufgrund seiner Tätigkeitsschwerpunkte insbesondere im Bereich der ambulanten und stationären Operationen zu einer kleinen Gruppe von Orthopäden gehöre, die nicht nur konservativ, sondern auch durch ambulantes Operieren eine beleg- und konsiliarärztliche Tätigkeit praktizierten. Seit 1993 übe er eine osteologische Tätigkeit (inklusive Osteodensitometrie (Knochendichtemessung)) aus, was zu einem überdurchschnittlich hohen Anteil an chronisch behandlungspflichtigen Patienten geführt habe mit einem hohen Anteil an Verordnungen von Antiosteoporotika und Opiaten. Aufgrund seiner fachlichen Akzeptanz werde er von einzelnen Krankenkassen als Referenz- oder Zweitmeinungsarzt herangezogen. Das führe zu Behandlungen von Patienten mit besonders schweren Krankheitsbildern. Durch sein breites Spektrum an ambulanten und stationären Operationen ergebe sich eine weit über die Fachgruppe hinaus notwendige Nachversorgung mit Heilmitteln. Wegen des besonderen Patientenguts und der besonderen Patientenstruktur sei ein Richtgrößenprüfung mit der Fachgruppe nicht möglich. Es würden Praxisbesonderheiten geltend gemacht. Deswegen seien die Quartalsabrechnungen überprüft und einige Auffälligkeiten festgestellt worden, die positiv zu seinen Gunsten zu berücksichtigen seien. Er habe im Vergleich zu der maßgeblichen Fachgruppe in allen Quartalen deutlich weniger Fälle abgerechnet. Die Abweichungen lägen zwischen 28% und 36%. Er betreue auch ambulant deutlich mehr jüngere Patienten als die Kollegen seiner Fachgruppe, sodass sich der Zuschnitt der Praxis vom typischen Zuschnitt der Vergleichsgruppe unterscheide. So sei die Behandlung sämtlicher postoperativer Schädigungen oder Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates als absolute Praxisbesonderheit anzuerkennen. Er habe in jedem Einzelfall die entsprechenden Leitlinien und Empfehlungen der zuweisenden Kollegen in Krankenhäusern und insbesondere den Heilmittelkatalog des Gemeinsamen Bundesausschusses beachtet. Bei Beachtung der Heilmittelrichtlinie sei eine Unwirtschaftlichkeit im Verordnungsverhalten nicht indiziert.
Nachdem der Beklagte beschlossen hatte, über den Widerspruch im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, wies er den Widerspruch gegen den Bescheid der Gemeinsamen Prüfungsstelle vom 1. Dezember 2009 mit Beschluss vom 2. März 2011 zurück. Zur Begründung führt der Beklagte aus, osteodensitometrische Untersuchungen seien gegenüber der Fachgruppe im geringeren Maße abgerechnet worden. Bei dieser geringen Abrechnungshäufigkeit sei eine Praxisbesonderheit nicht anzuerkennen. Eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Arzneiverordnungen, hier Antiosteoporotika und Opioide, könne nicht entlastend berücksichtigt werden. Zu berücksichtigen wären Einsparungen bei Arzneikosten, die eventuell höhere Heilmittelkosten erklären könnten. Detaillierte Angaben, inwieweit Mehrkosten bei Heilmitteln in einem ursächlichen Zusammenhang mit Minderausgaben bei Arzneimittel stünden, lägen nicht vor. Welche Heilmittelverordnungen vermehrte Kosten bei der Osteoporosebehandlung verursachten, werde vom Kläger nicht benannt. Auch die Häufigkeit postoperativer Behandlungen liege im Fachgruppendurchschnitt bzw. meist darunter. Eine Praxisbesonderheit könne im Vergleich zu den Werten der ebenfalls diese Leistungen abrechnenden Praxen bei der postoperativen Behandlung nicht gesehen werden. Ein Vergleich mit der Fachgruppe sei zulässig, da die durchschnittliche Fallzahl des Klägers bei 66% liege, also mehr als 20% der Falldurchschnittszahl der Fachgruppe erreiche. Auch sei keine Abweichung bei den jüngeren Patienten zu erkennen. Die Leistung nach Nr. 18311des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) (Behandlung und ggf. Diagnostik von Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates (...) und/oder einer entzündlichen Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates bei Jugendlichen und Erwachsenen (außer degenerativen und funktionellen Erkrankungen der Wirbelsäule)) werde durchschnittlich in 29,4% gegenüber 19,4% der Fachgruppe abgerechnet und damit doppelt so häufig wie in der Fachgruppe. Aus dem häufigen Ansatz der Behandlung und ggf. Diagnostik von Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates und der Röntgenaufnahmen der Extremitäten oder deren Teile sei keine Praxisbesonderheit abzuleiten, die eine mehr als 25%ige Überschreitung der Richtgrößen rechtfertigen könne.
Hiergegen hat der Kläger am 26. April 2011 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben, die mit Schriftsatz vom 12. November 2012 durch seine jetzigen Prozessbevollmächtigten begründet worden ist. Der Beschluss des Beklagten vom 2. März 2011 sei aus formellen und materiellen Gründen rechtswidrig. Das Prüfungsverfahren sei schon in rechtswidriger Weise gegen ihn eröffnet worden, da nach den gesetzlichen Vorgaben lediglich 5% der Fachgruppe zu prüfen seien. Der Beklagte habe den Antrag des Klägers auf eine den Regress ablösende Individualvereinbarung ignoriert. Nach der Begründung des Beschlusses habe eine sachangemessene Prüfung offensichtlich nicht stattgefunden. Nach Berücksichtigung der in den Stellungnahmen beschriebenen Praxisbesonderheiten und Behandlungsschwerpunkte sei eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens nicht mehr feststellbar, denn z.B. seine Zweitmeinungstätigkeit habe vor allen Dingen zur Folge, dass eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Patienten mit besonderem Versorgungsbedarf sich bei ihm häufe. Dies habe er bei Durchsicht der Heilmittelverordnungsdaten der zehn teuersten Patienten feststellen können. Die zehn teuersten Patienten hätten allein 25.000 Euro an Heilmitteln verbraucht. Dass er bei seiner insgesamt geringen Fallzahl solche multimorbiden Patienten nicht mit dem vorgegebenen Richtgrößenvolumen versorgen könne, liege auf der Hand. Warum der Beklagte dies nicht berücksichtigt habe, sei unverständlich.
Der Beklagte hat dagegen eingewandt, das Auswahlverfahren sei nicht zu beanstanden. Die Darlegungen zum Thema "Freistellung vom Verordnungsvolumen" lägen neben der Sache. Auch eine individuelle Richtgrößenvereinbarung könne nach Festsetzung eines Regresses nicht mehr getroffen werden. Der Kläger habe es unterlassen, einen konkreten Sachverhalt unter Nennung von Patienten, deren Behandlung zur Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten führen solle, mitzuteilen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. August 2013 den Beschluss des Beklagten vom 2. März 2011 aufgehoben und ihn antragsgemäß verurteilt, erneut über den Widerspruch gegen den Bescheid der Gemeinsamen Prüfungsstelle vom 1. Dezember 2009 zu entscheiden. Der Kläger sei nach § 84 Abs. 6 in Verbindung mit § 106 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) wegen Überschreitens der Richtgrößen bei seinen Heilmittelverordnungen in Regress zu nehmen. Nach § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V habe der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Für deren Vorhandensein trage zwar der Kläger die Darstellungs- und Feststellungslast, die Prüfgremien seien allerdings zu Ermittlungen von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig seien. Dem Vortrag des Klägers, seine zehn teuersten Patienten hätten allein 25.000 Euro an Heilmittel verbraucht, hätten die Prüfgremien von Amts wegen nachgehen müssen, weil dies typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich sei. Der Kläger sei mit diesem Vortrag auch nicht ausgeschlossen, denn dieser Umstand hätte spätestens im Widerspruchsverfahren augenfällig werden müssen. Dem Beklagten wäre es auch möglich gewesen, die zehn teuersten Patienten des Klägers und das von diesen in Anspruch genommene Heilmittelvolumen zu ermitteln und auszuwerten. Es könne deshalb offenbleiben, ob der Bescheid des Beklagten vom 2. März 2011 auch deshalb aufzuheben war, weil es die Prüfgremien versäumt hätten, mit dem Kläger über die Vereinbarung einer individuellen Richtgröße zu verhandeln.
Gegen dieses ihm am 19. September 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 27. September 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er darauf, dass der Kläger weder im Verfahren vor der Gemeinsamen Prüfstelle noch im Widerspruchsverfahren behauptet habe, bereits seine zehn teuersten Patienten könnten die Richtgrößenüberschreitung erklären. Zwar hätte der Beklagte diesem Vortrag nachgehen müssen, doch könne ihm kein Vorwurf mangelnder Sachaufklärung gemacht werden. Es sei Sache des darlegungs- und beweispflichtigen Klägers darzustellen, warum die zehn teuersten Fälle nachzuprüfende Praxisbesonderheiten zwingend vermuten ließen, zumal die teuersten Fälle auch die unwirtschaftlichsten Behandlungen sein könnten. Im Übrigen habe man die zehn teuersten Fälle ja auch überprüft und festgestellt, dass die hohen Kosten aus der Verordnung für manuelle Lymphdrainagen, Kosten für Hausbesuche und Wegegelder resultierten. Diese Kosten seien in diesen und auch in den übrigen Fällen als regressmindernder Umstand gewertet worden. Hinsichtlich des verbliebenen Kostenvolumens hätten die "zehn teuersten Fälle" keine herausragende Rolle mehr gespielt. Ohne nähere Begründung des Vertragsarztes habe man anhand der Diagnosen dieser Behandlungsfälle auch keine Besonderheiten erkennen können, die den richtgrößenüberschreitenden Verbrauch von Heilmitteln hätten erklären können. Im Verwaltungsverfahren habe der Kläger auch keinen Antrag auf Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung (IRV) gestellt. Außerdem sei seit 2013 keine Richtgrößenvereinbarung über Heilmittel mehr geschlossen worden, deshalb sei der Abschluss einer IRV unmöglich. Schließlich stünde der Tenor des sozialgerichtlichen Urteils mit den Entscheidungsgründen nicht in Einklang. Müssten die zehn teuersten Fälle regressmindernd berücksichtigt werden, bliebe immer noch ein Regressbetrag in Höhe von 39.298 Euro übrig. Insoweit hätte die Klage keinen Erfolg haben dürfen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. August 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wendet ein, ausweislich der Verwaltungsakte sei bereits einer Mitarbeiterin der Prüfungsstelle aufgefallen, dass die zehn teuersten Fälle ein Verordnungsvolumen von 25.000 Euro verursacht hätten. Derartige Praxisbesonderheiten seien zu berücksichtigen, wenn sie bekannt oder der Abrechnungsstelle aus den vorhandenen Unterlagen erkennbar seien. In welchem Umfang der Beklagte dies angeblich getan habe, sei nicht ersichtlich, der Bescheid leide deshalb an einem Begründungsmangel. Auch die vorgetragene Praxisbesonderheit der Osteoporosepatienten sei nicht ausgewertet und erfasst worden. Der Beklagte sei auch nicht in die gebotenen Verhandlungen über den Abschluss einer IRV eingetreten. Der Beklagte selbst habe diese in seinem Einleitungsschreiben in Aussicht gestellt.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.
Der Senat hat über die Berufung am 1. April 2015 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird ebenso verwiesen wie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung erweist sich als begründet, da das Sozialgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben hat. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 2. März 2011 und Neubescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Gemeinsamen Prüfstelle vom 1. Dezember 2009. Beide Bescheide sind rechtmäßig, denn der Beklagte hat weder entgegen dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) erkennbare und ihm bekannte Praxisbesonderheiten des Klägers nicht berücksichtigt noch musste er dem Kläger eine individuelle Richtgrößenvereinbarung anbieten.
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 2. März 2011, mit dem dieser den Regress, den die Prüfstelle wegen der unwirtschaftlichen Verordnung von Heilmitteln im Jahr 2007 festgesetzt hat, bestätigte (zur Anfechtung allein des Bescheides des Beschwerdeausschusses vgl. BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 37/08 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 26).
2. Rechtsgrundlage des Verordnungsregresses ist § 106 Abs. 2 und 5a SGB V (hier zu Grunde zu legen in der ab 8. November 2006 geltenden Fassung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407 (a.F.)) in Verbindung mit § 84 Abs. 6 und 8 SGB V a.F. Nach § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V a.F. hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens von mehr als 25 % nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit er nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Diesen Vorgaben wird der angefochtene Bescheid gerecht.
a) Die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungen des Klägers durfte im Wege der Richtgrößenprüfung erfolgen. Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Beklagte habe ihn entgegen § 106 Abs. 2 Satz 6 (a.F., jetzt Abs. 2 Satz 2) SGB V in die Richtgrößenprüfung einbezogen. Nach dieser Bestimmung sollen Auffälligkeitsprüfungen nach Satz 1 Nr. 1 in der Regel für nicht mehr als 5 vom Hundert der Ärzte einer Fachgruppe durchgef ührt werden. Damit soll erreicht werden, dass die Prüfgremien die Zahl entsprechender Prüfverfahren in der Regel auf 5 % der betroffenen Ärzte der jeweiligen Arztgruppe beschränken, um eine unangemessene Ausweitung von Prüfungen auf größere Teile der Ärzteschaft zu vermeiden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) BT-Drs. 16/3100, S. 136). Der Kläger kann daraus kein subjektives Recht herleiten, dass die Beklagte ihm gegenüber verpflichtet wäre, diese Grenze einzuhalten. Die Beschränkung betrifft erkennbar allein das Verhältnis zwischen Prüfungsstelle und deren Aufsichtsbehörde. Dass bei einer unbegründeten Grenzüberschreitung der Kreis der Vertragsärzte insgesamt betroffen wäre, gibt dem einzelnen Vertragsarzt kein Abwehrrecht, einwenden zu können, gerade er wäre zu Unrecht in die Prüfung miteinbezogen worden (vgl. Clemens, in: jurisPK-SGB V, Stand 2008, § 106 Rn. 247). Ob diese Grenze im Streitfall überschritten war, kann deshalb hier dahinstehen.
b) Der Beklagte hat auch nicht bei der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten von seinem Beurteilungsspielraum fehlerhaft Gebrauch gemacht. Soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht, steht den Prüfgremien ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (zuletzt Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. Mai 2014 - B 6 KA 13/13 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 44). Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich auf die Überprüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 21. April 1993 - 14a RKa 11/92, SozR 3-1300 § 35 Nr. 5, BSGE 72, 214 [BSG 21.04.1993 - 14a RKa 11/92]).
aa) Das SGB V regelt selbst nicht, unter welchen Voraussetzungen Praxisbesonderheiten anzuerkennen sind. § 106 Abs. 5a Satz 5 SGB V a.F. sieht allerdings vor, dass die Vertragspartner in Vereinbarungen nach § 106 Abs. 3 SGB V a. F. die Grundsätze des Verfahrens der Anerkennung von Praxisbesonderheiten bestimmen. In der entsprechenden Anlage 1 des 4. Nachtrags zur Prüfungsvereinbarung über das Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die gemeinsame Prüfungsstelle- und den Beschwerdeausschuss vom 21. April 2005 heißt es dazu:
"§ 3 Praxisbesonderheiten (1) Der besondere Versorgungsbedarf eines Vertragsarztes ist als Praxisbesonderheit anzuerkennen, wenn sich die Versorgungsverhältnisse dieses Vertragsarztes maßgeblich von den arztgruppentypischen durchschnittlichen Versorgungsverhältnissen derjenigen Vertragsärzte unterscheiden, für die dieselbe Richtgröße gilt, und außerdem die im Zusammenhang der Besonderheit ausgestellten Verordnungen geeignet und notwendig sind. (2) Die Prüfungsstelle beschließt unter Beachtung dieser Vereinbarung die Grundsätze des Verfahrens der Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Die Kosten für verordnete Arznei-, Verband- und Heilmittel, die durch gesetzlich bestimmte oder in den dieser Vereinbarung sowie in der Richtgrößenvereinbarung nach § 84 Abs. 6 u. 8 SGB V als vorab anerkannte Praxisbesonderheiten bedingt sind, sollen vor der Einleitung eines Prüfungsverfahrens von den Verordnungskosten des Vertragsarztes abgezogen werden; der Vertragsarzt ist hierüber zu informieren. Weitere Praxisbesonderheiten ermittelt die Prüfungsstelle auf Antrag des Arztes, auch durch Vergleich mit den Diagnosen und Verordnungen in einzelnen Anwendungsbereichen der entsprechenden Fachgruppe. (3) Praxisbesonderheiten können nur für Verordnungen anerkannt werden, 1. die keine Anhaltspunkte für eine unwirtschaftliche Anwendung, für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikation oder für eine Mengenausweitung geben, oder 2. die für Indikationsgebiete erfolgen, bei denen im Hinblick auf Arznei- oder Heilmittel regelmäßig von Praxisbesonderheiten ausgegangen werden kann."
bb) Die Praxisbesonderheiten müssen sich auf Besonderheiten der Patientenversorgung beziehen (vgl. Clemens, aaO., § 106 Rn. 117). Es müssen Umstände vorliegen, die aus der Zusammensetzung der Patienten herrühren, die sich auf das Behandlungsverhalten eines Arztes auswirken und die in Praxen der Vergleichsgruppe nicht anzutreffen sind (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 79/03 R, ArztR 2005, 291). Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Urteil vom 30. April 2014 - L 11 KA 16/12, juris).
cc) Für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast dem Arzt (BSG, Urteil vom 27. Juni 2001 - B 6 KA 43/00 R, SozR 3-2500 § 106 Nr. 54, und Urteil vom 16. Juli 2008 - B 6 KA 57/07 R, BSGE 101, 130-137, SozR 4-2500 § 106 Nr. 19; Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand August 2014, § 106, Rn. 355, 378). Die Prüfgremien sind lediglich dann zu Ermittlungen von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind (BSG, Urteil vom 14. Mai 2014 - B 6 KA 13/13 R, aaO.). Der Kläger verkennt diese Beweislastverteilung, wenn er - wie das Sozialgericht - darauf abstellt, dass der Beklagte den ihm bekannten Umstand, dass allein die zehn "teuersten" Patienten des Klägers ein Verordnungsvolumen von 25.000 Euro verursacht hätten, nicht unter dem Gesichtspunkt "Praxisbesonderheiten" berücksichtigt habe. Ob typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedliche und daher augenfällige Umstände vorliegen, kann insbesondere auch bei besonders kostenintensiven Fällen, die in der Arztpraxis behandelt werden, in Erwägung zu ziehen sein. Eine Verpflichtung des Beklagten, die teuersten Patientenfälle näher zu beleuchten, folgt daraus aber noch nicht. Schwere Behandlungsfälle mit erhöhtem Behandlungsbedarf kommen in jeder Praxis vor und sind deshalb auch mitbestimmend für den Vergleichswert der Arztgruppe. Sie machen als solche nicht von vornherein eine Praxisbesonderheit aus (vgl. BSG, Urteil vom 9. November 1982 - 6 RKa 16/82, SozR 2200 § 368n Nr. 31). Wenn nur zehn Patienten derart hohe Heilmittelkosten verursachen, deutet dies allerdings auf einen spezifischen, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichenden Behandlungsbedarf der Patientenklientel hin. Es ist dann aber Sache des Vertragsarztes, darauf aufbauend den besonderen Zuschnitt seiner Patientenschaft zu beschreiben und plausibel zu machen, aufgrund welcher Umstände seine Praxis signifikant von vergleichbaren Arztpraxen abweicht. Diese Umstände liegen allein in der Sphäre des Klägers. Er muss deshalb darlegen, weshalb sich die Zusammensetzung seiner Patienten auf sein Behandlungsverhalten ausgewirkt hat. Dazu müssen spezielle Strukturen aufgezeigt werden und es ist notwendig, dass der Vertragsarzt seine Patientenschaft und deren Erkrankungen "systematisiert". Dies kann z.B. in der Weise geschehen, dass er die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz von seinen Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Behandlung bzw. Arzneien durchschnittlich für die Therapie einer solchen Erkrankung erforderlich ist (vgl. Clemens in: jurisPK, Stand August 2014, § 106 Rn. 152). Daraus lassen sich dann der besondere Zuschnitt der von ihm behandelten Patientenschaft, evtl. auch seine spezifischen Behandlungsmethoden sowie ggf. auch seine spezifischen Qualifikationen erkennen. All dies konnte der Beklagte aus den vorliegenden Behandlungsausweisen nicht ohne weiteres erkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Arzt jedenfalls gehalten, solche Umstände im Prüfungsverfahren, also spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss, geltend zu machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne weiteres an Hand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen. Nur Aspekte, die auf der Basis der im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen so offenkundig sind, dass die Gremien dem schon von Amts wegen nachgehen müssen bzw. die anhand der bei der Kassenärztlichen Vereinigung vorhandenen Unterlagen oder der Angaben des Arztes zumindest erkennbar sind, bedürfen keines Hinweises des Arztes (BSG, Urteil vom 21. März 2012 - B 6 KA 17/11 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 35). Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass die Kenntnis von wenigen Patienten, die hohe Heilmittelkosten verursachten, für sich genommen noch nicht aussagekräftig ist. Dieser Umstand könnte auch auf eine besonders unwirtschaftliche Behandlung gerade dieser Patienten hindeuten. Der Kläger hat demgegenüber die erforderliche Konkretisierung nicht - auch nicht während des gerichtlichen Verfahrens - vorgenommen. Er hat lediglich allgemein ausgeführt, es liege auf der Hand, dass er bei seiner insgesamt geringen Fallzahl nicht solche multimorbiden Patienten (gemeint sind die "zehn teuersten Fälle") in dem vorgegebenen Richtgrößenvolumen versorgen könne. Praxisbesonderheiten musste und konnte der Beklagte aus diesem Umstand nicht anerkennen; er musste die notwendigen Ermittlungen zu den näheren Umständen, die allein die Sphäre des Klägers betrafen, auch nicht selbst durchführen. Soweit es dem Beklagten möglich war, hat er überdies die hohen Heilmittelkosten (auch) der in Rede stehenden Patienten berücksichtigt, da er besonders kostenintensive Behandlungselemente generell regressmindernd wertete.
dd) Für die von dem Kläger noch geltend gemachte Praxisbesonderheit "Osteoporosepatienten" gilt dasselbe: Wenn der Kläger rügt, der Beklagte habe die Osteoporosepatienten nicht erfasst und ausgewertet, verkennt er auch hier die Verteilung der Darlegungs- und Feststellungslast. Es wäre seine Sache gewesen, die entsprechende Konkretisierung vorzunehmen. Der Kläger hatte jedoch - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - nicht mitgeteilt, welche Heilmittelverordnungen vermehrte Kosten bei der Osteoporosebehandlung verursachten.
3. Der Beklagte war auch nicht gehalten, dem Kläger die Vereinbarung einer individuellen Richtgröße anzubieten. Abweichend von § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V wird ein zu erstattender Mehraufwand nicht festgesetzt, soweit die Prüfungsstelle mit dem Arzt eine individuelle Richtgröße vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten gewährleistet (§ 106 Abs. 5d Satz 1 SGB V). In dieser Vereinbarung muss sich der Arzt verpflichten, ab dem Quartal, das auf die Vereinbarung folgt, jeweils den sich aus einer Überschreitung dieser Richtgröße ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten (§ 106 Abs. 5d Satz 2 SGB V). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, auf den Abschluss einer IRV hinzuwirken, ergibt sich hieraus nicht; auch die Gesetzesbegründung (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) BT-Drucks 15/1525 S. 117 zu Nr. 82 (§ 106) Buchstabe k sieht eine "Hinwirkungspflicht" der Prüfgremien nicht vor (vgl. BSG, Urteil vom 28. August 2013 - B 6 KA 46/12 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 42; LSG NRW, Urteil vom 30. April 2014 - L 11 KA 16/12, juris). Stattdessen werden die Prüfgremien ermächtigt, von den ansonsten zwingenden gesetzlichen Vorgaben über die Festsetzung der Mehrbedarfe abzuweichen; ihnen wird ein Initiativrecht eingeräumt. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der geprüfte Arzt von sich aus Interesse am Abschluss einer IRV bekundet oder sogar den Abschluss einer IRV beantragt. In diesem Fall sind die Prüfgremien verpflichtet, in Verhandlungen über den Abschluss einer IRV einzutreten und dürfen den Abschluss einer IRV nicht aus sachfremden Gründen vereiteln. Ein unbedingter "Anspruch" des Arztes auf Abschluss einer IRV besteht hingegen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 28. August 2013 - B 6 KA 46/12 R, aaO.). Ein derartiger Antrag des Klägers liegt im Streitfall nicht vor. Der bloße Hinweis seines früheren Prozessbevollmächtigten in dem Begründungsschreiben vom 5. Oktober 2010, die Angelegenheit müsse vertieft bearbeitet werden, um gegebenenfalls die Rücknahme des Widerspruchs "anzuempfehlen" und in Verhandlungen über eine zukünftige individuelle Richtgröße einzutreten, behält sich einen solchen "Antrag" gerade noch vor. Der Beklagte handelte nicht ermessenfehlerhaft, wenn er nicht von sich aus auf den Abschluss einer IRV zurückkam. Der damalige Prozessbevollmächtigte hatte bereits mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 eine Begründung des Widerspruchs Anfang Januar 2010 angekündigt, sie dann tatsächlich dem Beklagten erst einen Tag vor der vorgesehenen Behandlung des Widerspruchs (am 6. Oktober 2010) übersandt. Auch jetzt wäre aber noch Zeit geblieben, den Antrag zu stellen, denn der Beklagte entschied über den Widerspruch erst in seiner Sitzung vom 2. März 2011, nachdem man in das schriftliche Verfahren übergegangen war.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keinen Antrag gestellt haben.
5. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.