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17.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144679

Oberlandesgericht Jena: Beschluss vom 14.01.2015 – 6 W 76/14

1. Eine "irrige Annahme oder Erwartung" des Erblassers im Sinne des § 2078 Abs. 2 BGB kann nicht nur in positiv vorhandenen Fehlvorstellungen des Erblassers liegen, sondern auch in Erwartungen, die er bei der Testamentserrichtung unbewusst als selbstverständlich vorausgesetzt hat.

2. Eine solche unbewusste Selbstverständlichkeit muss für den letzten Willen nicht nur ursächlich, sondern der den Erblasser maßgeblich bewegende Grund gewesen sein, um die Anfechtung zu rechtfertigen.


Oberlandesgericht Jena

Beschl. v. 14.01.2015

Az.: 6 W 76/14

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 4) gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Nachlassgerichts - Meiningen vom 18.12.2013 (Nichtabhilfeentscheidung vom 03.02.2014) wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 4) hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf 5.263,50 € festgesetzt.
Gründe

I.

Die Erblasserin ist 2011 im Alter von 94 Jahren verwitwet und kinderlos gestorben. Sie hatte am 08.08.1972 mit ihrem Ehemann ein gemeinschaftlichtes Testament errichtet (Bl. 2 d.A.), in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Ferner trafen sie zu Gunsten ihres Patenkindes - des Beteiligten zu 5) - folgende Regelung:

"Erbe des Überlebenden ist unser Patenkind ..., wohnhaft in ...,

....

Diese Erbeinsetzung erfolgt in der Erwartung, daß ... uns in kranken und alten Tagen bei Bedürftigkeit pflegt und wartet. Sofern er diesen Verpflichtungen schuldhaft nicht nachkommt, soll der Überlebende auch berechtigt sein, einen anderen Erben einzusetzen. Insoweit wird ihm Testierfreiheit eingeräumt."

Nach dem Tod ihres Ehemanns im November 1973 bewohnte die Erblasserin das Eigenheim der Eheleute alleine, bis sie im Alter von 89 Jahren zu gebrechlich wurde, um sich selbst zu versorgen. Im Oktober 2006 zog sie deshalb zu dem Beteiligten zu 5) und dessen Familie. Im Haus des Beteiligten zu 5) bewohnte sie ein eigenes Zimmer und musste nicht mehr selbst kochen, putzen etc. Das übernahmen nun die Ehefrau und die Mutter des Beteiligten zu 5). Er selbst war als Fernfahrer oft tagelang nicht zuhause. 2008 starb die Ehefrau des Beteiligten zu 5). Zudem nahmen die körperlichen Kräfte der Erblasserin stetig und deutlich ab, weshalb der Beteiligte zu 5) zunächst einen ambulanten Pflegedienst mit der Körperpflege der Erblasserin beauftragte. Ab dem Winter 2008 verbrachte die Erblasserin ihre Tage - mit Ausnahme der Wochenenden - in einer Tagespflegeinrichtung; bis sie im November 2010 ein Zimmer in einem Altenpflegeheim bezog. Hier lebte sie bis zu ihrem Tod im Dezember 2011.

Im April 2012 unterrichtete das Nachlassgericht die Beteiligten zu 1) bis 4) als Nichten bzw. Neffen - und damit nächste leibliche Verwandte - der Erblasserin von der letztwilligen Verfügung aus dem Jahr 1972. Mit Anwaltsschriftsatz vom 11.06.2012 (Bl. 21f. d.A.) erklärte die Beteiligte zu 4) deren Anfechtung mit der Begründung, der Beteiligte zu 5) sei der testamentarischen Auflage zur Pflege der Erblasserin nicht nachgekommen.

An ihrer Testamentanfechtung festhaltend trat die Beteiligte zu 4) in der Folge dem Antrag des Beteiligten zu 5) vom 12.11.2012, ihm einen Erbschein als testamentarischer Alleinerbe der Erblasserin zu erteilen (Bl. 25f. d.A.), entgegen.

Mit Feststellungsbeschluss vom 18.12.2013 (Bl. 71ff. d.A.) verlautbarte das Nachlassgericht seine Absicht, dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 5) zu entsprechen. Die von der Beteiligten zu 4) erklärte Anfechtung des Testaments ginge ins Leere. Weil die Ehegatten ins Kalkül gezogen hätten, dass ihre Erwartung der Pflege und Wartung durch den Beteiligten zu 5) möglicherweise nicht erfüllt werde und für diesen Fall im Testament Vorsorge, nämlich die Regelung getroffen hätten, dass der Überlebende anderweitig testieren könne, fehle es an einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum im Sinne des § 2078 Abs. 2 BGB.

Gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 02.01.2014 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 4) am 14.01.2014 Beschwerde eingelegt (Bl. 83ff. d.A.), die im Wesentlichen auf das Vorbringen gestützt ist, die Erblasserin hätte erst erkennen können, dass ihre an den Beteiligten zu 5) gerichtete Erwartung zur Pflege und Wartung fehlgeschlagen sei, als dieser sie in das Pflegeheim "abgeschoben" habe. Zu diesem Zeitpunkt sei die Erblasserin indes bereits derartig dement gewesen, dass sie nicht mehr neu hätte testieren können.

Mit der Begründung, auf eine zwischenzeitlich etwa eingetretene Testierunfähigkeit der Erblasserin käme es nicht an, entscheidend sei allein ein - hier nicht vorliegender - Irrtum der Testierenden bei der Errichtung des Testaments, half das Nachlassgericht der Beschwerde nicht ab und legte sie mit Beschluss vom 03.02.2014 (Bl. 92f. d.A.) dem Senat zur Entscheidung vor.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 4) ist nach § 58 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 63, 64 FamFG).

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Feststellungsbeschluss nach § 352 Abs. 2 FamFG ist nicht zu beanstanden. Im Ergebnis zutreffend hat das Nachlassgericht angenommen, dass die Beteiligte zu 4) das Ehegattentestament aus dem Jahr 1972 nicht wirksam angefochten hat. Gegen die beabsichtigte Erteilung eines den Beteiligten zu 5) als testamentarischen Alleinerben ausweisenden Erbscheins ist deshalb nichts zu erinnern.

Da das gemeinschaftliche Testament der Eheleute ... aus dem Jahr 1972 stammt, der Ehemann bereits 1973 und die Ehefrau erst 2011 verstorben sind, steht außer Frage, dass sich die vorliegend zu beurteilenden erbrechtlichen Verhältnisse ausschließlich nach dem BGB beurteilen. Das ZGB der DDR ist erst am 01.01.1976, d.h. nach der Errichtung des Ehegattentestaments und auch nach dem durch den Tod des Ehemanns ausgelösten ersten Erbfall in Kraft und am 03.10.1990, d.h. lange vor dem hier verfahrensgegenständlichen zweiten Erbfall außer Kraft getreten.

Dies vorausgeschickt, haben sich die Eheleute ... am 08.08.1972 im Sinne des § 2269 Abs. 1 BGB gegenseitig zu Alleinerben und den Beteiligten zu 5) zum Schlusserben eingesetzt; letzteres jedoch mit der Möglichkeit für den überlebenden Ehegatten, im Fall einer enttäuschten Pflegeerwartung neu zu testieren. Gegen die Zulässigkeit eines solchen in einem gemeinschaftlichen Testament angeordneten Änderungsvorbehalts bestehen keine rechtlichen Bedenken (Braun in Burandt/Rojahn, ErbR, 2. Aufl. 2014, Rn. 28ff. zu § 2271 BGB m.w.N). Da die Erblasserin ihren Änderungsvorbehalt nicht ausgeübt hat, hängt die Frage, wer sie beerbt hat, nur davon ab, ob die Beteiligte zu 4) das gemeinschaftliche Testament wirksam angefochten hat.

Diese Frage hat das Nachlassgericht im Ergebnis zutreffend verneint; auch wenn die Begründung namentlich der Nichtabhilfeentscheidung (eine enttäuschte Pflegeerwartung sei als Motivirrtum im Sinne des § 2078 Abs. 2 1.Alt. BGB unbeachtlich) mit Blick auf das Beschwerdevorbringen zu kurz greift.

In der Tat fehlt es von vornherein an einer "irrigen Annahme oder Erwartung" des Testierenden im Sinne des § 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB, wenn er - wie vorliegend mit dem Änderungsvorbehalt geschehen - im Testament selbst Regelungen für verschiedene Möglichkeiten der künftigen Entwicklung trifft. In einem solchen Fall kann sich der Erblasser nicht in einem Motivirrtum befinden; seine Regelung für die von ihm antizipierten verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten kann daher nicht durch Anfechtung außer Kraft gesetzt werden (BayObLG, Beschluss v. 19.10.2000, Az. 1Z BR 116/99, zitiert nach juris, dort Rn. 43 m.w.N.).

Ein von einer Aufhebung der letztwilligen Verfügung profitierender Anfechtungsberechtigter (§ 2080 BGB) kann die Anfechtung jedoch nicht nur auf positiv vorhandene Fehlvorstellungen des Erblassers, sondern darüber hinaus auch auf Erwartungen stützen, über die sich der Erblasser bei der Testamentserrichtung keine konkreten Gedanken gemacht hat, die er aber als selbstverständlich vorausgesetzt hat (BGH, Urteil v. 20.02.2008, Az.: IV ZR 32/06, zitiert nach juris, dort Rn. 22 m.w.N.). Als eine solche "unbewusste" Selbstverständlichkeit müssen die Eheleute Hellmann bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vorausgesetzt haben, dass der überlebende Ehegatte geistig noch in der Lage sein werde, ein Fehlgehen der Pflegerwartung zu erfassen und von dem ihm eingeräumten Änderungsvorbehalt auch Gebrauch zu machen. Genau diese in die Zukunft gerichtete "unbewusste" Selbstverständlichkeit stellt die Beteiligte zu 4) mit der Beschwerdebegründung in Abrede, indem sie (erstmals) eine Demenz und Testierunfähigkeit der Erblasserin für den Zeitpunkt deren Umzugs in das Pflegeheim behauptet.

Ob die Erblasserin im November 2010 - oder auch schon früher - infolge einer schwergradigen Demenz tatsächlich im Sinne des § 2229 Abs. 3 BGB testierunfähig war, mag indes dahinstehen. Für die rechtliche Beurteilung der von der Beteiligten zu 4) erklärten Testamentsanfechtung kommt es hierauf nicht an. Denn um die Anfechtung zu rechtfertigen, muss ein Motivirrtum nicht nur ursächlich für den letzten Willen gewesen sein, sondern für den Erblasser den letztlich entscheidenden, ihn bewegenden Grund darstellen. Dafür kommen nur besonders schwerwiegende Umstände in Betracht, die gerade diesen Erblasser mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren (BGH aaO.).

In Würdigung der hier zu berücksichtigenden besonderen Umstände des Einzelfalls fehlt es auch bei Unterstellung einer hochgradigen Demenz der Erblasserin, wie sie die Beteiligte zu 4) behauptet, an einem kausalen Motivirrtum der testierenden Eheleute ... in Bezug auf die Regelungen zur Schlusserbfolge. Mit der Formulierung zur Schlusserbeneinsetzung haben die Eheleute zu erkennen gegeben, "in kranken und alten Tagen" eine Wartung und Pflege durch den Beteiligten zu 5) nur nach Maßgabe des Möglichen und Zumutbaren zu erwarten. Denn lediglich ein "schuldhaftes" Unterlassen der Pflegeverpflichtung sollte den Änderungsvorbehalt begründen und den überlebenden Ehegatten in die Lage versetzen, über sein Erbe frei und anderweitig zu bestimmen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass eine von dem Beteiligten zu 5) ohnehin nicht erwartetete überobligatorische Pflege als zur Anfechtung berechtigender Motivirrtum ausscheidet; und zwar unabhängig davon, wie es um die geistigen Kräfte des überlebenden Ehegatten bei Eintritt des Pflegebedarfs bestellt war.

Dass der Beteiligte zu 5) mit der Unterbringung der Erblasserin in der Vollzeit- oder auch schon in der Tagespflegeeinrichtung "schuldhaft" gegen seine Pflegeverpflichtung verstoßen hat, vermag der Senat indes nicht zu erkennen. Im Gegenteil. Er hat die hochbetagte Erblasserin zu sich genommen, als sie den eigenen Haushalt nicht mehr allein versorgen konnte. Er hat sie zunächst durch seine Ehefrau und Mutter, später dann zusätzlich durch einen ambulanten Pflegedienst versorgen lassen. Dass er wegen seiner beruflichen Tätigkeit als oft und lange ortsabwesender Fernfahrer Wartungsleistungen wie das Kochen, Putzen etc., aber auch Pflegeleistungen wie Waschen, Anziehen etc. nicht höchstpersönlich übernehmen konnte, liegt auf der Hand und stellt ebenso wenig einen schuldhaften Verstoß gegen die Testamentsauflage dar, wie der Umstand, dass er die fortschreitend gebrechlicher werdende, nun über 90-jährige Erblasserin ab dem Winter 2008 tagsüber in einer professionellen Tagespflegeeinrichtung und schließlich im November 2010 in einem Vollzeitpflegeheim untergebracht hat, als nach dem Tod seine Ehefrau mit der Erkrankung der Mutter eine stetige Betreuung durch der Erblasserin vertraute Familienangehörige nicht mehr zu gewährleisten war.

Weil nach alledem die Testamentsanfechtung der Beteiligten zu 4) nicht durchgreift, bleibt es bei der testamentarischen Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 5). Der im Jahr 2011 verstorbenen Erblasserin folgt er mithin kraft Testaments als Alleinerbe nach. Gegen die von dem Nachlassgericht beabsichtigte Erbscheinserteilung ist nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts orientiert sich an dem Interesse der Beteiligten zu 4), Miterbin zu 1/4 nach ihrer 21.054 € hinterlassenden Tante geworden zu sein (§§ 40, 61 GNotKG).

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 1 und 2 FamFG) liegen nicht vor.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 2269; BGB §§ 2078 ff.

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