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26.05.2015 · IWW-Abrufnummer 177052

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 17.12.2014 – 4 Sa 404/14


Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.5.2014 - 11 Ca 4288/13 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:


1) Es wird festgestellt, dass die dem Kläger erteilte Weisung der Beklagten vom 27.8.2013, seine Arbeitsleistung ausschließlich im Betrieb der Beklagten in C-Stadt zu erbringen, unwirksam ist.


2) Es wird festgestellt, dass die Fahrten des Klägers von seinem Wohnort, Weinberghalde 3, A-Stadt, zur Betriebsstätte der Beklagten im C-Straße, C-Stadt, Dienstreisen sind.


3) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.


II. Die Beklagte hat die erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 2/3 der Beklagten und zu 1/3 dem Kläger auferlegt.


III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, an welchem Ort der Kläger seine Arbeitsleistung zu erbringen hat.



Der am 10.08.1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 01.06.1986 auf der Grundlage mehrerer, zeitlich aufeinanderfolgender Arbeitsverträge, derzeit als Software-Ingenieur und Servicemitarbeiter beschäftigt. In der Zeit vom 16.05.2002 bis 31.12.2012 erfolgte die Beschäftigung des Klägers auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 17.09.2002 als Systementwickler.



Bis zum 31.07.2009 unterhielt die Beklagte neben ihrem Standort in C-Stadt einen weiteren Standort in L., den sie zum 01.08.2009 veräußerte. Bis zu diesem Zeitpunkt war L. der Arbeitsort des Klägers. Nach dem 01.08.2009 verrichtete der in A-Stadt wohnende Kläger seine Arbeit ganz überwiegend zu Hause in seinem Home-Office. Soweit er von zu Hause aus zur Betriebsstätte der Beklagten nach C-Stadt mit seinem Privat-Pkw fuhr, wurden die Fahrzeiten von der Beklagten als Arbeitszeit anerkannt. Darüber hinaus wurden ihm hierfür Kilometergeld gezahlt und Spesen erstattet.



Im Jahr 2012 beabsichtigte die Beklagte, das Team Datenbank, welchem der Kläger angehörte, zu reduzieren. Der Kläger erklärte sich deshalb bereit, in das Team Logistik-Software zu wechseln. Zur Umsetzung dieser Maßnahme unterzeichneten die Parteien unter dem 06.03./07.03.2013 einen Anstellungsvertrag, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 47 bis 55 d. A. Bezug genommen wird und der u. a. folgende Regelungen enthält:

Präambel Mit Wirkung ab dem 01.01.2013 fassen die Vertragsparteien den bestehenden Anstellungsvertrag neu; soweit Rechte aus dem Tag der Einstellung herzuleiten sind, bleiben diese unberührt. An die Stelle und unter Aufhebung der bisherigen Regelungen, Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen tritt ab diesem Zeitpunkt folgende Neufassung des Anstellungsvertrages: 1. Aufgaben, Pflichten und Tätigkeit 1.1. Der Mitarbeiter ist als Software-Ingenieur und Servicemitarbeiter tätig. ... 4. Vergütung 4.1. Gehalt 4.1.1. Der Mitarbeiter erhält ein Monatsgehalt von 4.590,00 EUR brutto. Das Monatsgehalt ist nachschüssig zahlbar ab Monatsende. 4.1.2. Über das in 4.1.1. geregelte Monatsgehalt hinaus erhält der Mitarbeiter ein 13. Gehalt in Höhe von 4.590,00 EUR, das SHD je zur Hälfte mit den Monatsgehältern von Mai und November eines jeden Jahres auszahlt. ... 4.4 Die Präambel dieses Vertrages regelt, dass an die Stelle und unter Aufhebung der bisherigen Regelungen, Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen nur noch die Regelungen dieser Neufassung des Anstellungsvertrages treten. In Abweichung hiervon wird ausschließlich für die nachfolgenden Punkte geregelt, dass 4.4.1. die bestehende betriebliche Altersversorgung im Form einer Direktversicherung unverändert fortgeführt wird. 4.4.2. die Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 16.05.2002 (Firmenfahrzeug) unverändert fortgeführt wird.



In der Folgezeit kam es zwischen den Parteien zu Unstimmigkeiten über die Frage, ob der Kläger seine Arbeitsleistung am Betriebssitz der Beklagten in C-Stadt zu erbringen hat oder berechtigt ist, in seinem Home-Office zu arbeiten. Diesbezüglich fand am 27.08. ein Gespräch statt, in dessen Verlauf dem Kläger von Seiten der Beklagten erklärt wurde, er sei vertraglich verpflichtet, seine Arbeitsleistung in C-Stadt zu erbringen und nicht berechtigt, Fahrten zwischen seinem Wohnort und dem Arbeitsort (C-Stadt) als Arbeitszeit zu deklarieren und als Dienstreisen abzurechnen.



Mit Schreiben vom 12.09.2013 erklärte der Kläger die Anfechtung seiner Erklärung zum Abschluss des Arbeitsvertrages vom 06.03./07.03.2013 wegen Irrtums und Täuschung.



Der Kläger hat erstinstanzlich u. a. vorgetragen, im Zuge der Veräußerung des Standortes L. zum 01.08.2009 sei zwischen ihm und seinem Vorgesetzten die Abrede getroffen worden, dass sein Wohnort zugleich auch "sein Arbeitsplatz" sei. Sein Vorgesetzter habe ihn angewiesen, ab sofort von zu Hause aus zu arbeiten. Im Zuge der Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages wegen Wechsel in das Team Logistik-Software sei ihm von Seiten der Beklagten explizit zugesichert worden, dass der Änderungsvertrag lediglich eine Änderung der Tätigkeitsbeschreibung und der zugeteilten Abteilung dokumentiere, während allen anderen Abreden und Absprachen unberührt bleiben und dem bisherige Arbeitsvertrag entsprechen sollten. Die Präambel des Anstellungsvertrages vom 06.03./07.03.2013 sei unbeachtlich, da sie nicht Vertragsinhalt geworden sei. Im Übrigen komme es darauf aber auch nicht an, weil er den Vertrag wirksam wegen Irrtums und arglistiger Täuschung angefochten habe.



Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es dem Kläger zu gestatten, weiterhin in Vollzeit im Home-Office an dessen Wohnort, Weinberghalde 3, A-Stadt, zu arbeiten. 2. festzustellen, dass die Fahrten des Klägers von dessen Wohnort, Weinberghalde 3, A-Stadt, zur Betriebsstätte der Beklagten im C-Straße, C-Stadt, Dienstreisen sind.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hat unter anderem vorgetragen, sie bestreite, dass zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten im Zuge des Verkaufs des Standortes L. vereinbart worden sei, dass der Kläger fortan bei sich zu Hause arbeiten solle. Dies sei aber letztlich auch unerheblich, weil alle bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen mit der Neufassung des Anstellungsvertrages vom 06.03./07.03.2013 aufgehoben worden seien. Hierauf sei der Kläger im Rahmen der Vertragsverhandlungen auch ausdrücklich hingewiesen worden. Der Kläger habe in Ermangelung eines Anfechtungsgrundes den neuen Anstellungsvertrag auch nicht wirksam angefochten. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.05.2014 (Bl. 372 bis 379 d. A.).



Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14.05.2014 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 10 bis 17 dieses Urteils (= Bl. 380 bis 387 d. A.) verwiesen.



Gegen das ihm am 12.06.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.07.2014 Berufung eingelegt und diese am 12.08.2014 begründet.



Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, die Anordnung der Beklagten, seine Arbeitsleistung zukünftig ausschließlich in ihrem Betrieb in C-Stadt zu erbringen, sei als unwirksame Versetzung zu qualifizieren. Die Beklagte sei an die zwischen ihm und seinem Vorgesetzten anlässlich der Veräußerung des Standortes L. im Jahre 2009 getroffene Vereinbarung gebunden, wonach er berechtigt sei, zu Hause im Home-Office zu arbeiten. Vor dem Hintergrund der damaligen Festlegung seines Arbeitsortes sei er bei der Unterzeichnung der Neufassung des Anstellungsvertrages vom 06.03./07.03.2013 davon ausgegangen, dass diese Festlegung unberührt bleibe. Falls die Beklagte beabsichtigt hätte, die bisherige Festlegung des Arbeitsorts zu ändern, so hätte sie ihn darauf hinweisen müssen. Da die Neufassung des Anstellungsvertrages keine Regelung bezüglich des Arbeitsorts enthalte, könne sie die im Jahr 2009 getroffene Vereinbarung nicht ersetzen. Die Beklagte habe ihn arglistig getäuscht, indem sie ihn hierüber bewusst im Unklaren gelassen habe. Die Anordnung der Beklagten, zukünftig ausschließlich am Betriebssitz in C-Stadt zu arbeiten, entspreche auch nicht billigem Ermessen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass er sein familiäres und soziales Umfeld in A-Stadt habe, wo er mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Familienhaus lebe. Seine arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten habe er bislang ohne jedwede Beanstandung in seinem Home-Office erbracht. Es bestünden keine betrieblichen Notwendigkeiten für eine Versetzung von A-Stadt nach C-Stadt. Er könne seine Aufgaben als Software-Ingenieur und Servicemitarbeiter auch künftig problemlos in seinem Home-Office erbringen. Seine Fahrten zwischen diesem Home-Office und dem Betrieb der Beklagten in C-Stadt seien auch weiterhin - wie in der Vergangenheit - als Dienstreisen zu qualifizieren.



Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und 1. festzustellen, dass die dem Kläger erteilte Weisung, spätestens ab dem 09.09.2013 seine Arbeitsleistung ausschließlich im Betrieb der Beklagten in C-Stadt zu erbringen, unwirksam ist, 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Software-Ingenieur und Service-Mitarbeiter und im Übrigen auf der Grundlage des Anstellungsvertrages der Parteien vom 17.09.2002 zu unveränderten Bedingungen in seinem Home-Office in der Weinberghalde 3 in A-Stadt weiter zu beschäftigen, 3. festzustellen, dass die Fahrten des Klägers von seinem Wohn- ort, Weinberghalde 3, A-Stadt, zur Betriebsstätte der Beklagten C-Straße, C-Stadt, Dienstreisen sind.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht im Wesentlichen geltend, soweit der Kläger im Berufungsverfahren seine Klageanträge geändert habe, so stelle dies eine gemäß § 533 ZPO unzulässige Klageänderung dar. Darüber hinaus sei das neue Vorbringen des Klägers verspätet und könne daher keine Berücksichtigung mehr finden. Auf eine etwaige, mit seinem Vorgesetzten getroffene Vereinbarung aus dem Jahr 2009 bezüglich des Arbeitsorts könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil der Vorgesetzte als Teamleiter nicht dazu berechtigt gewesen sei, arbeitsvertragliche Vereinbarungen zu ändern, aufzuheben oder zu begründen. Der Kläger sei bei der Neufassung des Anstellungsvertrages ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass mit Abschluss dieses Vertrages alle bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen neu gefasst würden. Auf die Frage, ob sie - die Beklagte - ihr Weisungsrecht bezüglich des Arbeitsortes nach billigem Ermessen ausgeübt habe, komme es daher überhaupt nicht an. Für die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben des Klägers sei es erforderlich, dass dieser seine Tätigkeit am Betriebssitz ausübe. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger vom Datenbankteam in das Team Logistik-Software gewechselt sei und sich seine Arbeitsaufgaben und die Strukturen der Leistungserbringung damit geändert hätten. Eine Vereinbarung dahingehend, dass die Fahrt zwischen Wohnort des Klägers und dem Betriebssitz Dienstreisen seien, sei weder ausdrücklich noch konkludent getroffen worden.



Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die in zweiter Instanz zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I. Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache überwiegend Erfolg.



II. 1. Die zulässige Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der dem Kläger erteilten Weisung vom 27.08.2013, seine Arbeitsleistung ausschließlich im Betrieb der Beklagten in C-Stadt zu erbringen, ist begründet.



a)



Soweit der Kläger seinen Klageantrag zu 1. im Berufungsverfahren neu formuliert hat und dies als Klageänderung zu qualifizieren ist, so erweist sich diese gemäß § 533 ZPO als zulässig, da das Feststellungsbegehren sowohl sachdienlich ist als auch auf dem selben Lebenssachverhalt beruht, den das Berufungsgericht seiner Entscheidung über die Berufung nach § 529 ZPO ohnehin zugrunde zu legen hat. Das Berufungsvorbringen des Klägers enthält insoweit auch keine neuen Angriffsmittel, deren Berücksichtigung im Berufungsverfahren die Vorschriften des § 67 ArbGG entgegenstehen könnten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass kein Sachvortrag des Klägers ersichtlich ist, der geeignet gewesen sein könnte, die Erledigung des Rechtsstreits zu verzögern.



b)



Der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Versetzungsmaßnahme stehen vorliegend nicht bereits vertraglich getroffene Regelungen entgegen. Keiner der zwischen dem Kläger und der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen geschlossenen Arbeitsverträge enthält eine Bestimmung des Ortes, an dem der Kläger seine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Der Kläger kann sich diesbezüglich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe anlässlich der Veräußerung des Standortes L. zum 01.08.2009 die Vereinbarung getroffen, dass sein Arbeitsort fortan an seinem Wohnsitz in A-Stadt sein solle. Soweit die Behauptung des Klägers zutrifft, sein Vorgesetzter habe ihn seinerzeit angewiesen, ab sofort von zu Hause aus zu arbeiten, so stellt sich diese Erklärung lediglich als Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts gemäß § 106 GewO dar. Eine vertraglich bindende, den Arbeitsort des Klägers für die Zukunft festlegende Abrede, lässt sich aus einer solchen Erklärung und deren Befolgung durch den Kläger nicht ableiten. Es sind keinerlei Umstände ersichtlich, aus denen sich - auch aus Sicht des Klägers - ergeben könnte, dass die Beklagte seinerzeit auf die Möglichkeit einer anderweitigen Ausübung ihres Direktionsrechts für die Zukunft verzichten wollte. Ebensowenig kann allein daraus, dass der Kläger über einen langen Zeitraum seine Arbeitsleistung ganz überwiegend in seinem Home-Office erbracht hat, auf eine entsprechende örtliche Konkretisierung geschlossen werden (vgl. Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Auflage, § 106 GewO, Rz. 16, m. N. a. d. R.).



c)



Die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Weisung ergibt sich jedoch aus § 106 GewO. Danach kann der Arbeitgeber u. a. den Ort der Arbeitsleistung, soweit dieser nicht durch Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt ist, nur nach billigem Ermessen näher bestimmen.



Eine vertragliche Festlegung des Arbeitsortes lässt sich dem zwischen den Parteien unter dem 06.03./07.03.2013 geschlossenen Anstellungsvertrag, ebenso wie den zuvor geschlossenen Arbeitsverträgen, nicht entnehmen. Zwar gilt dann, wenn ein Arbeitsvertrag keine ausdrücklichen Regelungen zum Arbeitsort enthält, der Betriebsort in aller Regel als vertraglich festgelegter Arbeitsort (BAG v. 03.12.1985 - 4 AZR 325/84 - AP Nr. 5 zu § 1 TVG Tarifverträge Großhandel Nr. 5; a. A. Preis, a. a. O.). Hiervon kann jedoch im vorliegenden Fall in Ansehung aller maßgeblichen Umstände nicht ausgegangen werden. Zu berücksichtigen ist nämlich insbesondere, dass der Kläger seit dem 01.08.2009 seine Arbeitsleistung keineswegs ausschließlich am Betriebsort, sondern ganz überwiegend in seinem Home-Office erbracht hatte, was selbstverständlich auch der Beklagten bei Neufassung des Arbeitsvertrages bekannt war. Anhaltspunkte dafür, dass allein aus der Art der im Vertrag vom 06.03./07.03.2013 vereinbarten Tätigkeit des Klägers (Software-Ingenieur und Servicemitarbeiter im Team Logistik-Software) im Gegensatz zu seiner vorherigen Tätigkeit (Systementwickler im Datenbankteam) auf den Betriebssitz als Erfüllungs- und damit zugleich als vertraglich vereinbarter Arbeitsort des Klägers geschlossen werden könnte, sind nicht ersichtlich. Die Beklagte kann in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass nach dem Inhalt des Vertrages vom 06.03./07.03.2013 alle vorherigen vertraglichen Regelungen aufgehoben worden seien. Eine vertragliche Regelung bezüglich des Arbeitsortes, die durch den neuen Vertrag aufgehoben worden sein könnte, existiert nicht. Der Umstand, dass der Kläger seit dem 01.08.2009 seine Arbeitsleistung ganz überwiegend von zu Hause aus erbracht hatte, beruht vielmehr - wie bereits ausgeführt - auf einer diesbezüglichen Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts.



Die Weisung der Beklagten vom 27.08.2013 an den Kläger, seine Arbeitsleistung künftig ausschließlich am Betriebssitz in C-Stadt zu erbringen, entspricht nicht billigem Ermessen und ist daher unwirksam.



Nach § 106 Satz 1 GewO hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Auch wenn die Versetzung des Arbeitnehmers nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages zulässig ist, muss die Ausübung des Direktionsrechts gemäß § 106 Satz 1 GewO billigem Ermessen entsprechen. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Dies unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie die Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Dies gebietet eine Berücksichtigung und Bewertung der Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Hierzu gehören im Arbeitsrecht die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG v. 21.07.2009 - 9 AZR 404/08 - EzA § 4 TVG Luftfahrt Nr. 18, m. w. N.).



Diesen Erfordernissen wird der Sachvortrag der Beklagten nicht gerecht. Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit einer Direktionsrechtsausübung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 106 GewO. Dazu gehört, dass er darlegt und ggf. beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht (BAG v. 13.03.2007 - 9 AZR 433/06 - Rz. 81, AP Nr. 26 zu § 307 BGB). Die Beklagte hat schon nicht ausreichend vorgetragen, dass berechtigte eigene Interessen daran bestehen, dass der Kläger künftig ausschließlich am Betriebssitz arbeitet. Der Sachvortrag der Beklagten erschöpft sich insoweit in der pauschalen und vom Kläger bestrittenen Behauptung, die in der Hauptaufgabenliste (Anlage 1 zum Anstellungsvertrag, Bl. 454 d. A.) genannten Tätigkeiten (u. a. Erstellen/Ändern/Testen von Programmen nach Anweisung; Konzeption und Erstellung von kundenspezifischen Lösungen nach Vorgabe; Unterstützung der Hotline und des Betreuungsteams) könnten nur am Betriebssitz und nicht aus dem Home-Office heraus erledigt werden. Dieses Vorbringen erweist sich in Ermangelung jeglicher konkreter Darlegungen sowie vor dem Hintergrund, dass der Kläger zuvor seine Tätigkeit als Systementwickler ganz überwiegend von zu Hause aus erledigt hat, als unzureichend. Auch aus dem Wechsel des Klägers vom Datenbankteam in das Team Logistik-Software ergibt sich nichts für die Notwendigkeit einer ausschließlichen Tätigkeit am Betriebsort. Demgegenüber bestehen erhebliche Interessen des Klägers an der Beibehaltung seines Home-Office als zeitlich überwiegenden Arbeitsort. Diese ergeben sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger bei einer ausschließlichen Tätigkeit am Betriebssitz in C-Stadt entweder dorthin umziehen bzw. zumindest dort eine Zweitwohnung anmieten oder aber täglich die Wegstrecke von seinem Wohnort zum Betriebssitz (über 300 km) und zurück mit einem Pkw oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen müsste. Die streitbefangene Maßnahme entspricht daher nicht billigem Ermessen i. S. v. § 106 GewO.



2. Der Klageantrag zu 3 ist ebenfalls begründet. Der Kläger kann die Feststellung verlangen, dass es sich bei seinen Fahrten von seinem Wohnort zur Betriebsstätte der Beklagten um Dienstreisen handelt.



Es kann offen bleiben, ob sich die Qualifizierung dieser Fahrten als Dienstreisen bereits zwangsläufig allein daraus ergibt, dass in Ermangelung einer anderweitigen wirksamen Ausübung des Direktionsrechts der Wohnsitz des Klägers nach wie vor dessen Arbeitsort ist. Der Anspruch des Klägers auf Behandlung dieser Fahrten als Dienstreisen folgt - jedenfalls solange die Beklagte nicht in wirksamer Weise einen anderen Arbeitsort bestimmt - aus der zwischen den Parteien seit dem 01.08.2009 praktizierten Individualübung (vgl. zum Begriff Richardi, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 8 Betriebsübung, Rz. 3). Auch eine solche ist geeignet, vertragliche Pflichten zu begründen bzw. zu konkretisieren (LAG Rheinland-Pfalz v. 25.04.2006 - 5 Sa 1003/05 - zitiert nach [...]).



Die Beklagte hatte ab dem 01.08.2009, wie sich auf den Gehaltsabrechnungen (Bl. 74 bis 231 d. A.) ergibt, die Fahrzeiten des Klägers von zu Hause zur Betriebsstätte durchweg als Arbeitszeit anerkannt und ihm diesbezüglich auch (unstreitig) Fahrtkosten erstattet. Aus dieser langjährigen Handhabung sind ein auf die Beibehaltung dieser Übung gerichteter Vertrauenstatbestand zugunsten des Klägers und somit auch eine entsprechende rechtliche Verpflichtung der Beklagten entstanden, falls man nicht ohnehin - was ebenfalls naheliegt - von einer zumindest konkludent zustande gekommenen Vereinbarung zwischen den Parteien über die Anerkennung dieser Fahrten als Dienstreisen ausgeht.



3. Der Klageantrag zu 2. ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch, (weiterhin) auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 17.09.2002 beschäftigt zu werden.



Der Anstellungsvertrag vom 17.09.2002 ist durch den Vertrag vom 06.03./07.03.2013 abgelöst worden und bildet daher nicht mehr die Grundlage für die Beschäftigung des Klägers. Dieser hat den Vertrag vom 06.03./07.03.2013 in Ermangelung eines Anfechtungsgrundes auch nicht wirksam angefochten. Da der Vertrag vom 06.03./07.03.2013 - wie bereits ausgeführt - weder eine Regelung den Arbeitsort des Klägers betreffend beinhaltet noch eine zuvor bestehende Regelung tangiert, liegt weder ein diesbezüglicher Irrtum (§ 119 BGB) noch eine arglistige Täuschung seitens der Beklagten (§ 123 Abs. 1 BGB) vor.



III. Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.



Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Vorschriften§ 69 Abs. 2 ArbGG, § 533 ZPO, § 529 ZPO, § 67 ArbGG, § 106 GewO, § 106 Satz 1 GewO, § 119 BGB, § 123 Abs. 1 BGB, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG, § 72 a ArbGG

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