26.05.2015 · IWW-Abrufnummer 177051
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 14.02.2015 – 4 Sa 423/14
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 6.2.2014 - 1 Ca 1737/13 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 7,5 Stunden gutzuschreiben.
2. Im Übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.
II. Der Kläger hat 75 % und die Beklagte 25 % des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten, für den 05.08.2013 7,5 Stunden vom Arbeitszeitkonto des Klägers in Abzug zu bringen.
Der 62 Jahre alte Kläger ist seit vielen Jahren bei der Beklagten, einem Unternehmen der Chemischen Industrie, beschäftigt. Er erbringt seine Arbeitsleistung im Rahmen einer vollkontinuierlichen Wechselschicht.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der Chemischen Industrie (im Folgenden: MTV-Chemie) Anwendung. Dieser Tarifvertrag enthält u. a. folgende Bestimmungen:
Die nach Maßgabe dieser tariflichen Vorschriften zu gewährenden Altersfreizeiten fasst die Beklagte bei den in vollkontinuierlicher Wechselschichtarbeit tätigen Arbeitnehmern zu Freischichten zusammen, die jeweils vor Beginn eines Kalenderjahres festgelegt werden. So waren für den Kläger für das Jahr 2013 in seinem Schichtplan insgesamt 18 Altersfreizeitschichten vorgesehen, u. a. am 05.08.2013.
Für die Zeit vom 30.07. bis einschließlich 01.08.2013 wurde dem Kläger von der Beklagten Urlaub bewilligt. Am 02.08.2013 war der Kläger zum Zweck des Abbaus von Mehrarbeit von der Arbeit freigestellt. Am 03.08. und 04.08.2013 hatte er nach seinem Schichtplan frei. Am 05.08.2013 lag ein zuvor festgelegter Altersfreizeittag des Klägers. Am 06.08.2013 war der Kläger wieder zum Abbau von Mehrarbeit von der Arbeit freigestellt. Für die Zeit ab dem 07.08. bis einschließlich 18.08.2013 war dem Kläger (wieder) Urlaub gewährt worden.
Die Beklagte brachte für den 05.08.2013 vom Arbeitszeitkonto des Klägers 7,5 Stunden in Abzug.
Der Kläger hat erstinstanzlich geltend gemacht, die von der Beklagten vorgenommene Belastung eines Arbeitszeitkontos für den 05.08.2013 sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere könne sich die Beklagte diesbezüglich nicht auf die Regelung in § 2a Ziff. 6 MTV-Chemie berufen, da er für diesen Tag weder Urlaub noch den Abbau seines Zeitguthabens beantragt habe.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, der auf den 05.08.2013 festgelegte Altersfreizeittag des Klägers sei gemäß § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie entfallen. Unerheblich sei, dass dem Kläger für diesen Tag nicht explizit Urlaub gewährt worden sei. Vielmehr reiche es nach § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie aus, dass die Schicht, auf die die Altersfreizeit vorab festgelegt sei, von Urlaubszeiten des Arbeitnehmers umschlossen sei. Dass dem Kläger 7,5 Stunden von seinem Arbeitszeitkonto entnommen worden seien, beruhe auf dem Umstand, dass das Zeitsystem automatisch 7,5 Stunden abbuche, wenn für den betreffenden Tag vom Arbeitnehmer keine Arbeitszeit "gestochen" werde und der Personalabteilung keine Meldung für einen Abwesenheitsgrund vorliege. Da der Kläger sich weigere, sich für den 05.08.2013 einen Urlaubstag anrechnen zu lassen, sei der Zeitabzug gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.02.2014 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 9 dieses Urteils (= Bl. 58-62 d. A.) Bezug genommen. Den Streitwert hat das Arbeitsgericht im erstinstanzlichen Urteil auf 5.000,00 € festgesetzt und die Berufung zugelassen.
Gegen das ihm am 15.07.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.08.2014 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht sei bei seiner Entscheidung erkennbar von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, indem es angenommen habe, er habe sich vom 30.07. bis 18.08.2013 durchgängig in Urlaub befunden. Die Vorschrift des § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie sei in Ansehung ihres eindeutigen Wortlauts vorliegend nicht anwendbar. Die betreffende Tarifnorm sei - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts - insoweit auch nicht auslegungsbedürftig.
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 13.08.2014 (Bl. 91-96 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht im Wesentlichen geltend, der auf den 05.08.2013 festgelegte Altersfreizeittag sei gemäß § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie entfallen. Die Vorschrift erfordere nicht, dass für den einzelnen Urlaubstag, der konkret mit der zuvor festgelegten Altersfreizeit kollidiere, explizit Urlaub beantragt worden sei. Es reiche vielmehr aus, dass der Arbeitnehmer - wie vorliegend der Kläger - an dem betreffenden Tag wegen Urlaubs (objektiver Grund) und damit aus einem anderen Grund als der Altersfreizeit nicht arbeite. Die Nichtarbeit aus einem anderen Grund i. S. v. § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie müsse lediglich objektiv vorliegen. Grund dafür, dass der Kläger im Zeitraum vom 30.07. bis zum 18.08.2013 durchgehend keine Arbeitsleistung erbracht habe, sei, dass er während dieser Zeit wegen eines Urlaubswunsches nicht habe arbeiten wollen. Dass der Kläger an einzelnen Tagen während des betreffenden Zeitraums zum Zwecke des Abbaus von Zeitguthaben freigestellt gewesen sei, sei ohne Relevanz. Entscheidend sei allein, dass die Altersfreizeit in einen zusammenhängenden Zeitraum falle, in welchem keine Arbeitsleistung erbracht werde, unabhängig davon, ob an einzelnen Arbeitstagen die Arbeit nun wegen beantragten Urlaubs oder beantragten Abbaus von Zeitguthaben ausfalle. Da für den 05.08.2013 kein Urlaubsantrag des Klägers oder ein Antrag auf Zeitausgleich vorliege und seine Altersfreizeit wegen Nichtarbeit aus einem anderen Grunde i. S. v. § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie entfallen sei, seien nach ihrem Abrechnungssystem die für den betreffenden Tag vergüteten 7,5 Stunden automatisch vom Zeitguthaben des Klägers abgebucht worden. Dies erkläre auch, warum dem Kläger für den 05.08.2013 kein weiterer Urlaubstag angerechnet worden sei.
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungserwiderungsschrift vom 15.10.2014 (Bl. 113-123 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache zum Teil Erfolg.
II. 1. Der Antrag des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, seinem Arbeitszeitkonto 7,5 Stunden gutzuschreiben, ist zulässig und begründet.
a) Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Bei einem Streit über die Führung eines Arbeitszeitkontos kann der Arbeitnehmer entweder die Erhöhung seines Zeitguthabens um eine bestimmte Stundenzahl oder eine Zeitgutschrift in bestimmter Höhe erlangen. Dient die begehrte Zeitgutschrift der Rückgängigmachung der Streichung eines Zeitguthabens, so ist keine Konkretisierung des Leistungsbegehrens dahingehend erforderlich, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll. Wird in einem solchen Fall dem Antrag auf Gutschrift stattgegeben, weiß der Arbeitgeber, was er zu tun hat, nämlich die von ihm auf einem bestimmten Arbeitszeitkonto vorgenommene Kürzung ungeschehen zu machen (BAG v. 31.07.2014 - 6 AZR 759/12 - NZA-RR 2015, 28, m. w. N.).
Dem entspricht der gestellte Antrag.
b) Der Klageantrag zu 1. ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 611 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Wiedergutschrift der von seinem Arbeitszeitkonto für den 05.08.2013 in Abzug gebrachten 7,5 Stunden.
Geht es um die Korrektur der Arbeitszeiterfassung auf einem Arbeitszeitkonto, kommt dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos aus § 611 Abs. 1 BGB zu, wenn das Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch nach der zugrundeliegenden Abrede vertraglich bestimmt. Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Es drückt damit - in anderer Form - seinen Vergütungsanspruch aus. Wegen dieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen und dort eingestellte Stunden streichen. Kürzt oder streicht der Arbeitgeber zu Unrecht ein Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf (Wieder-)Gutschrift der gestrichenen Stunden (BAG v. 31.07.2014 - 6 AZR 759/12 - NZA-RR 2015, 28, m. w. N.).
Vorliegend hat der Kläger am 05.08.2015 zwar keine Arbeitsleistung erbracht. Gleichwohl hat er für diesen Tag einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung, da er berechtigterweise - wie auch im Schichtplan der Beklagten vorgesehen - seine Altersfreizeit gemäß § 2a MTV-Chemie in Anspruch nahm.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass zugunsten des Klägers ein Anspruch auf Altersfreizeit für den 05.08.2013 entstanden war. Dieser Anspruch ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht gemäß § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie entfallen. Nach dieser Vorschrift entfällt die Altersfreizeit, wenn der Arbeitnehmer am gleichen Tag aus einem anderen Grund, insbesondere wegen Urlaub, Krankheit, Feiertag oder Freistellung von der Arbeit, nicht arbeitet.
Im Streitfall liegt kein Sachverhalt vor, der nach Maßgabe der betreffenden tariflichen Vorschrift einen Wegfall der Altersfreizeit des Klägers am 05.08.2013 begründen könnte. Insbesondere befand sich der Kläger - entgegen der Auffassung der Beklagten - an diesem Tag nicht in Urlaub. Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger für den 05.08.2013 weder Urlaub beantragt hatte, noch die Beklagte ihn zur Erfüllung eines Urlaubsanspruchs von der Arbeit freigestellt hatte. Für die Ansicht der Beklagten, eine Nichtarbeit "wegen Urlaubs" gemäß § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie liege auch dann vor, wenn die vorgesehene Altersfreizeit von Tagen umschlossen sei, an denen der Arbeitnehmer nicht arbeiten müsse - z. B. wegen Urlaubs, zum Zwecke des Abbaus von Mehrarbeitsstunden, wegen Freischichten o. ä. - bietet die Tarifnorm keinerlei Anhaltspunkte. Die tarifliche Bestimmung ist im Hinblick auf ihren klaren Wortlaut, insbesondere in Ansehung der Formulierung "am gleichen Tag" auch nicht im Sinne der Beklagten auslegungsfähig.
Der Kläger hat am 05.08.2013 auch nicht aus "einem anderen Grund" i. S. v. § 2a Ziffer 6 MTV-Chemie nicht gearbeitet. Einziger Grund für die Nichtarbeit des Klägers an diesem Tag ist nämlich vielmehr gerade der Umstand, dass er - wie im Schichtplan vorgesehen - die ihm zustehende Altersfreizeit in Anspruch genommen hat.
2. Die Feststellungsklage (Klageantrag zu 2) ist nicht hinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und daher unzulässig.
Auch eine Feststellungsklage muss nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Streitgegenstand und der Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis müssen klar umrissen sein, sodass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann. Bei einer stattgebenden Entscheidung darf keine Unklarheit über den Umfang der Rechtskraft bestehen. Dabei sind bei einer Feststellungsklage grundsätzlich keine geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer Leistungsklage (BAG v. 14.12.2011 - 4 AZR 242/10 - AP Nr. 106 zu § 256 ZPO 1977).
Diesen Anforderungen wird der Feststellungsantrag des Klägers nicht gerecht. Er umfasst sämtliche denkbaren Fallkonstellationen der Anrechnung von Urlaubstagen oder Arbeitszeitguthaben auf Altersfreizeittage, ohne dass sich dem Antrag und seiner Begründung entnehmen lässt, für welche konkreten Fälle die begehrte Feststellung gerichtlich getroffen werden soll. Bei einer stattgebenden Entscheidung bestünde keinerlei Klarheit über den Umfang der Rechtskraft.
III. Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.