26.03.2015 · IWW-Abrufnummer 144113
Landgericht Aachen: Urteil vom 28.03.2014 – 9 O 169/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Aachen
9 O 169/11
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die am 22.11.1970 geborene Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung nach Tarif NK3, in deren tariflichem Leistungsumfang eine 100%-ige Kostenerstattung bei ambulanter Heilbehandlung vorgesehen ist. Zudem ist ein jährlicher Selbstbehalt von 300,00 € vereinbart, welcher im Jahr 2010 bereits voll ausgeschöpft ist und von dem im Jahr 2011 noch 242,84 € offen sind. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (Teil 1: MB/KK 94, Teil 2: Tarifbedingungen und Teil 3: Tarife) der Beklagten zugrunde, wegen deren Einzelheiten auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 11 ff. GA) Bezug genommen wird.
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Die Klägerin ist mit dem am 10.03.1973 geborenen N E verheiratet, welcher gesetzlich krankenversichert ist.
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Der bei der Klägerin und ihrem Ehemann bestehende Kinderwunsch hat sich bislang nicht erfüllt. Die Klägerin war zwar zunächst mehrfach auf natürlichem Wege schwanger geworden, es kam jedoch jeweils zu einem Frühabort. Daraufhin wurden vier Inseminationen durchgeführt, ohne dass dadurch eine Schwangerschaft eingetreten wäre.
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Sodann wurde eine In-vitro-Fertilisation (IVF) erfolglos durchgeführt. Es erfolgte sodann eine IVF unter Zuhilfenahme der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI). Für durchgeführte Behandlungen und Medikamente sind der Klägerin Kosten in Höhe von insgesamt 7.091,27 € sowie weitere Kosten in Höhe von 7.166,79 € entstanden. Wegen der Einzelheiten dieser Kosten wird auf die Aufstellung auf S. 4 f. der Klageschrift (Bl. 4 f. GA) und auf S. 1 des Schriftsatzes vom 13.02.2012 (Bl. 164 GA) Bezug genommen.
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Die Klägerin bat die Beklagte um Leistungszusage und Erstattung der bisherigen Behandlungskosten, was die Beklagte mit Schreiben vom 16.09.2010 ablehnte. Nach Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten machte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 03.12.2010 erneut Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend. Die Klägerin begehrt insofern unter Bezugnahme auf eine Abtretungserklärung ihres Rechtsschutzversicherers vom 01.09.2011 (Bl. 127 GA) auch Freistellung von den ihr entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 1.307,81 € ausgehend von einem Streitwert von 32.691,27 € und einer 1,3 Geschäftsgebühr.
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Die Klägerin behauptet, Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch sei eine krankhafte Störung der Zona pellucida (Eizellwand) der Eizellen der Klägerin. Bei ihrem Ehemann lägen keine krankhaften Befunde vor. Die Erfolgsaussichten der durchgeführten Behandlungen hätten bezogen auf den Eintritt einer klinischen Schwangerschaft jeweils nicht unter 15 % gelegen. Die allgemeinen hormonellen und gesundheitlichen Werte der Klägerin seien überproportional. Die zuvor eingetretenen Schwangerschaften seien erfolgserhöhend zu werten. Die Klägerin behauptet weiter, alle ihr berechneten Leistungen und Medikamente seien für die Kinderwunschbehandlung erforderlich gewesen.
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Die Klägerin hat mit ihrer Klage zunächst die Anträge zu (1) bis zu (3) gestellt. Mit bei Gericht am 15.02.2012 eingegangenem Schriftsatz hat sie ihre Klage um den Antrag zu (4) erweitert.
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Die Klägerin beantragt,
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(1) die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.091,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,
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(2) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Gesamtkosten der IVF/ICSI-Behandlung so lange zu erstatten, solange die Erfolgsaussicht der Behandlung hinsichtlich des Eintritts einer klinischen Schwangerschaft wenigstens 15 % beträgt,
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(3) die Beklagte zu verurteilen, sie von Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte Eberlein und Hochgräber in Höhe von 1.307,81 € freizustellen,
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(4) die Beklagte zu verurteilen, weitere 7.166,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klageerweiterung an die Klägerin zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet, dass die Klägerin krank i.S.d. Versicherungsbedingungen ist und behauptet, der Ehemann der Klägerin sei krank, da er an einer ausgeprägten Asthenozoospermie und einer Teratozoospermie leide. Insofern sei der Ehemann der Klägerin der alleinige Verursacher der Kinderlosigkeit. Hilfsweise bestreitet die Beklagte unter Berücksichtigung der Krankheit des Ehemannes, der Fehlgeburten und des Alters der Klägerin eine Erfolgswahrscheinlichkeit von mindestens 15 %. Die Beklagte wendet sich zudem gegen die Höhe im einzelnen im Schriftsatz vom 30.09.2011 (Bl. 132 ff. GA) näher dargelegter Rechnungspositionen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Gutachten der Sachverständigen Dr. S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das am 20.07.2012 bei Gericht eingegangene schriftliche Gutachten sowie die Ergänzungsgutachten vom 19.02.2013 und vom 15.11.2013 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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I.
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Behandlungskosten und auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung weiterer durch eine künstliche Befruchtung entstehenden Behandlungskosten aus dem Versicherungsvertrag.
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Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein Versicherungsfall gegeben ist. Gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK 94 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht.
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Unter einer Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen ist dabei ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler Körper- oder Geisteszustand zu verstehen. Im Falle einer Kinderwunschbehandlung ist dabei nicht die Kinderlosigkeit an sich eine Krankheit, denn Kinderlosigkeit braucht nicht auf einer organisch bedingten Unfähigkeit zur Fortpflanzung zu beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1986, Iva ZR 78/85 – zitiert nach juris). Jedoch stellt eine organisch bedingte Sterilität – unabhängig von ihren konkreten körperlichen Krankheitsursachen – einen regelwidrigen Körperzustand dar, welcher als Krankheit und damit als Versicherungsfall zu qualifizieren ist, wobei die IVF hierfür eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellen kann (vgl. BGH a.a.O.). Die Krankheit als Versicherungsfall ist dabei nach den allgemeinen Grundsätzen vom Versicherungsnehmer zu beweisen.
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Vorliegend ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar davon auszugehen, dass eine idiopathische Sterilität vorliegt. Es steht jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine organisch bedingte Sterilität bei der Klägerin als Versicherungsnehmerin gegeben ist.
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Die Sachverständige Dr. S führte insofern nachvollziehbar und für die Kammer überzeugend aus, dass bei der Klägerin eine eingeschränkte Indikation zur IVF wegen idiopathischer Unfruchtbarkeit gegeben sei. Gemäß den Untersuchungsbefunden seien bei der Klägerin jedoch keine erkennbaren organischen Ursachen der Fertilitätsstörung feststellbar. Zervikalkanal und Cavum uteri seien unauffällig, beide Tuben seien im Rahmen der Echovist-Untersuchung als durchgängig dargestellt worden. Auch die Hormonwerte seien unauffällig. Da die Klägerin bereits mehrfach schwanger gewesen sei und nach mehreren Versuchen mit Zyklusmonitoring und intrauteriner Insemination (IUI) keine Schwangerschaft entstanden sei, könne dies ein Hinweis darauf sein, dass eine Fertilitätsstörung vorliege. Welche Störung letztendlich im Einzelnen oder in Kombination als Ursache für die Schwangerschaftsverluste und das schlechte Outcome bei künstlichen Befruchtungen vorliege, könne jedoch nicht mit Sicherheit bestimmt werden. In solchen Fällen bestehe die Indikation zur künstlichen Befruchtung vor allem bei bereits erfolgten Inseminationsbehandlungen und aufgrund des Alters der Frau.
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Nach den weiteren nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen ist vorliegend zudem nicht auszuschließen, dass die Ursache der sekundären Ehesterilität beim Ehemann liege. Dies ergebe sich aus den Ergebnissen der Spermiogramme. Danach seien beim Ehemann der Klägerin zwei Kriterien vorhanden, wonach eine Indikation für eine ICSI vorliege. Diese Kriterien seien zu wenig Sperrmedien mit Progressivmotilität (WHO A) und nicht ausreichend normalgeformte Spermien. Zwar spräche die Tatsache, dass die Klägerin bereits mehrfach schwanger gewesen sei, gegen eine schwere Form der männlichen Fertilitätsstörung. Die Ursache der Ehesterilität könne jedoch nach Betrachtung der vorliegenden Befunde auch beim Ehemann der Klägerin liegen.
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Nach Auffassung der Kammer ist im Falle einer derartigen idiopathischen Sterilität ohne erkennbare Ursache beim Versicherungsnehmer (und mit nicht ausschließbarer Ursache beim Ehepartner des Versicherungsnehmers) der Nachweis eines regelwidrigen Körperzustandes und damit einer Krankheit i.S.d. Versicherungsbedingungen nicht erbracht. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat in einer Entscheidung vom 27.05.1993 (8 U 850/93 – zitiert nach juris) zwar ausgeführt, dass auch im Falle einer idiopathischen Unfruchtbarkeit eine Erstattungsfähigkeit der Kosten in der privaten Krankenversicherung gegeben sei, wobei es die Krankheit nicht in einer konkreten körperlichen Ursache beim Versicherungsnehmer oder dessen Ehepartner sah, sondern in der „fehlenden Fortpflanzungsfähigkeit“ der Eheleute. Für die Frage der Krankheit ist nach Auffassung des OLG Nürnberg nicht die konkrete Ursache der Sterilität entscheidend, sondern vielmehr die Sterilität selbst. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass nach den versicherungsrechtlichen Grundsätzen eine Erkrankung gerade beim Versicherungsnehmer vorliegen (und gegebenenfalls bewiesen werden) muss. Im Falle einer idiopathischen Sterilität mag zwar die Unfruchtbarkeit der Eheleute feststehen. Festzustellen ist dabei jedoch gerade nicht, ob diese Sterilität beim Ehemann oder der Ehefrau gegeben ist.
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Soweit das Oberlandesgericht München in einem Urteil vom 16.06.1998 (25 U 6476/97 – zitiert nach juris) die Auffassung vertreten hat, dass der Krankenversicherer Kosten einer künstlichen Befruchtung auch dann zu übernehmen habe, wenn bei beiden Ehegatten eine Fertilitätsstörung vorliege und sich die Ursache der Kinderlosigkeit nicht aufklären lasse, widerspricht auch dies den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung, nach denen Zweifel der Aufklärbarkeit des Vorliegens eines regelwidrigen körperlichen Zustands zulasten des beweisbelasteten Versicherungsnehmers gehen. Insofern hat das Oberlandesgericht München die zitierte Rechtsprechung aus dem Jahr 1998 durch Urteil vom 23.11.2004 (25 U 3379/04 – zitiert nach juris) aufgegeben. Nach dieser Entscheidung ist der Krankenversicherer einer Ehefrau nicht verpflichtet, die Kosten einer IVF zu übernehmen, wenn eine Ursache der Kinderlosigkeit bei der Ehefrau nicht nachgewiesen werden kann, da nicht die Kinderlosigkeit, sondern nur die organische Ursache derselben eine Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt.
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Der letztgenannten Auffassung schließt sich die Kammer an. Die Unaufklärbarkeit der Frage, ob eine Krankheit in der Person der Klägerin gegeben ist, geht nach den Regeln über die Beweislastverteilung zu ihren Lasten. Die bloße Möglichkeit, dass sich die Sterilitätsursache im Körper der Klägerin befinden kann, reicht zur Annahme des Versicherungsfalls nicht aus (vgl. dazu auch OLG München, Urteil vom 26.06.2007, 25 U 5263/06 – zitiert nach juris). Dem steht auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.09.2010 (IV ZR 187/07 – zitiert nach juris), durch welche das vorgenannte Urteil des Oberlandesgerichts München aufgehoben wurde, nicht entgegen. Die Aufhebung erfolgte, da der Bundesgerichtshof anders als die Vorinstanz eine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, beim Ehemann als Versicherungsnehmer als erwiesen erachtet hat, da insofern die Ergebnisse mehrerer Spermiogramme einen pathologischen Befund ergeben hätten. Der Bundesgerichtshof hat jedoch gerade nicht ausgeführt, dass die Diagnose einer idiopathische Sterilität ebenfalls zur Bejahung eines Versicherungsfalls geführt hätte. Nach der Definition des Bundesgerichtshofs im angegebenen Urteil zählt zu einer Krankheit im Sinne der Bedingungen auch eine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. Hieraus ist jedoch zu schließen, dass eine körperliche Ursache für die Sterilität vorhanden sein muss, welche, um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zu begründen, gerade beim Versicherungsnehmer gegeben sein muss.
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Mangels Bestehens eines Hauptanspruchs hat die Klägerin auch kein Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren und auf Zahlung von Zinsen gemäß §§ 280, 286, 288, 291 BGB.
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II.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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III.
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Streitwert:
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Bis zum 14.02.2012: 32.691,27 €,
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ab dem 15.02.2012: 39.858,06 €.