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03.02.2015 · IWW-Abrufnummer 143749

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 20.10.2014 – 32 SA 72/14



1. Macht ein Versorgungsunternehmen gegenüber einem Kunden Vergütungsansprüche aus Energielieferungen geltend, die der Kunde bisher nicht beglichen hat, weil er den Abschluss eines Vertrages und die vom Unternehmen veranlassten Energielieferungen bestreitet, erfasst die Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG diese Zahlungsansprüche nicht, da nicht der Anspruch auf Grundversorgung oder eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung Streitgegenstand ist.

2. Ist die für die Zuständigkeit maßgebliche Rechtslage für ein Gericht ohne umfangreiche Rechtsprüfung leicht erkennbar und wird gleichwohl trotz erhobener Einwendungen einer Partei und ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit entgegenstehender obergerichtlicher Rechtsprechung die Verweisung an ein sachlich nicht zuständiges Gericht ausgesprochen, kann ein grober Rechtsfehler vorliegen, der die Verweisung als willkürlich erscheinen und die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO entfallen lässt.


Oberlandesgericht Hamm

32 SA 72/14

Tenor:

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht M bestimmt.

G r ü n d e:

2

A.

3

Als sogenannter virtueller Energielieferant betreibt die Klägerin ein bundesweit agierendes Energielieferungsunternehmen. Nach dem Klagevortrag schließt sie mit ihren Kunden ausschließlich Sonderkundenverträge im Sinne von § 41 EnWG. Sie behauptet, mit dem Beklagten einen derartigen Energieliefervertrag für den Zeitraum vom 01.04.2011 bis einschließlich 28.03.2013 geschlossen und dem Beklagten daraufhin mit Energie versorgt zu haben. Ihre Leistungen hat sie mit insgesamt 4925,66 EUR abgerechnet. Diesen Betrag zuzüglich Zinsen, Mahnauslagen, Bankrücklastkosten und vorgerichtlich entstandener Anwaltsgebühren macht sie im Klagewege gegen den Beklagten geltend. Der Beklagte bestreitet im Wesentlichen, mit der Klägerin einen Energieliefervertrag abgeschlossen zu haben und durch sie mit Energie beliefert worden zu sein.

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Mit Verfügung vom 17.06.2014 hat das Amtsgericht M die Parteien darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die amtsgerichtliche Zuständigkeit bestünden, da die Klägerin Ansprüche aus einem Sonderkundenvertrag im Sinne von § 41 EnWG geltend mache. Nach §§ 102 f. EnWG seien für die sich aus diesem Gesetz ergebenden Streitigkeiten die Landgerichte ausschließlich zuständig, vorliegend das Landgericht E. Nachdem die Klägerin diesem Hinweis unter Bezugnahme auf dem Beschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 14.03.2011 (1 AR 8/11) widersprochen hatte, hat das Amtsgericht den Parteien mit Verfügung vom 08.07.2014 mitgeteilt, die Bedenken gegen die Zuständigkeit bestünden fort, da es im vorliegenden Fall nicht um nur der Höhe nach streitige Zahlungsansprüche aus einem unstreitig zustande gekommenen Vertrag, sondern um den streitigen Vertragsschluss nach § 41 EnWG gehe. Dieser Rechtsauffassung ist die Klägerin erneut entgegengetreten und hat hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht E beantragt.

5

Mit Beschluss vom 04.08.2014 hat sich das Amtsgericht M für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht E verwiesen. Zur Begründung hat es auf den Inhalt seiner Verfügungen vom 17.06.2014 und 08.07.2014 Bezug genommen.

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Das Landgericht E hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 09.09.2014 ebenfalls für unzuständig erklärt, die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.

7

B.

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I.

9

Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Zuständigkeitsstreit durch das Oberlandesgericht Hamm zu entscheiden. Das Oberlandesgericht Hamm ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht für die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte.

10

II.

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Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Das Amtsgericht M und auch das Landgericht E haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt. Das Amtsgericht M hat am 04.08.2014 einen gemäß § 281 Abs. 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss erlassen. Das Landgericht E hat mit seinem Vorlagebeschluss vom 09.09.2014 seine Zuständigkeit verneint. Beide Beschlüsse sind als "rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO anzusehen. Sie zeigen einen den Parteien bekannt gemachten, beiderseitigen gerichtlichen Kompetenzkonflikt auf (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO-Kom., 30. Aufl. 2014, § 36 Rz. 25 m.w.Nachw.).

12

III.

13

Zuständig ist das Amtsgericht M.

14

1.

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Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO kommt dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 04.08.2014 zwar grundsätzlich Bindungswirkung zu. Ausnahmsweise entfällt diese aber. Das kann der Fall sein, wenn höherrangiges Verfassungsrecht verletzt ist, wenn beispielsweise das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unzureichend gewährt oder der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) objektiv willkürlich entzogen wurde. Einfache Rechtsfehler des verweisenden Gerichts bei der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage genügen allerdings nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. Senat, Beschluss vom 02.01.2012, 32 SA 102/11, zitiert über Juris.de, Tz 9; OLG Brandenburg, Beschluss vom ein 20.09.2011, 1 AR 47/11, BeckRS 2011, 23530, unter II. 3. der Gründe, jeweils m.w.Nachw.).

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2.

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Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts M hat keine Bindungswirkung. Er genügt den vorstehend beschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

a)

19

Die Auffassung des Amtsgerichts M, dass der vorliegende Rechtsstreit gemäß § 102 EnWG in die ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte fällt, ist rechtsfehlerhaft.

20

Der Senat hat sich bereits mehrfach mit dieser Zuständigkeitsfrage befasst und hierzu erlassene Beschlüsse veröffentlicht, u.a. Senat, Beschluss vom 02.01.2012 (32 SA 102/11), Senat, Beschluss vom 23.07.2012 (32 SA 32/12), jew. veröffentlicht unter juris.de. An der in diesen Beschlüssen dargestellten Rechtsauffassung hält der Senat fest.

21

Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Dies gilt gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG auch dann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist.

22

Mit der Klage macht die Klägerin Vergütungsansprüche aus Energielieferungen geltend, deren Bezahlung der Beklagte verweigert, weil er einen Vertragsschluss mit der Klägerin und durch sie veranlasste Energielieferungen bestreitet. Derartige Zahlungsansprüche werden von der Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG nicht erfasst, da hier nicht der Anspruch auf Grundversorgung oder eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung Streitgegenstand ist. Es geht nicht um einen Anspruch, der sich auf eine Norm des EnWG als Anspruchsgrundlage stützen lässt. Der vorliegende Rechtsstreit betrifft Zahlungsansprüche aus einem Energielieferungsvertrag, die sich aus § 433 Abs. 2 BGB und nicht aus Anspruchsgrundlagen des EnWG ergeben können.

23

In diesem Sinne haben bislang die Oberlandesgerichte - im Hinblick auf die veröffentlichten Entscheidungen wohl einhellig - entschieden, vgl. Senat, Beschlüsse vom 02.01.2012 (32 SA 102/11), vom 23.07.2012 (32 SA 32/12) und vom 29. Juli 2011 (32 SA 57/11), alle veröffentlicht unter juris.de; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2011 (1 AR 47/11); OLG Celle, Beschluss vom 23. Dezember 2010 (13 AR 9/10); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2010 (VI-W (Kart) 8/10); OLG Frankfurt (Main), Beschluss vom 16. Dezember 2010 (11 AR 3/10); OLG München, Beschluss vom 15.05.2009 (AR (K) 7/09); OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Januar 2011 (5 AR 35/10), alle zitiert nach juris.de; wohl auch: KG Berlin, Beschluss vom 9. Oktober 2009 ( 2 AR 48/09); OLG Köln, Beschluss vom 03.04.2008 (8 W 19/08), beide zitiert nach juris.de.

24

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt auch nicht ganz oder teilweise von einer energiewirtschaftsrechtlichen Vorfrage ab (§ 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Die Rechtsfrage, ob die Parteien einen Sonderkundenvertrag im Sinne von § 41 EnWG abgeschlossen haben und ob die Klägerin den Beklagten auf der Grundlage eines solchen Vertrages mit Energie beliefert hat, ist auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches und nicht mit den Regelungen des EnWG zu beantworten. Das EnWG gibt dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung (§ 36 Abs.1 EnWG) und regelt damit nur das „Ob“ der Versorgung, nicht dagegen die Einzelheiten zum Abschluss oder zur Abwicklung des Individualvertrages über die Energielieferungen. Etwas anders folgt auch nicht aus der Bestimmung des § 41 EnWG, die lediglich den notwendigen Inhalt von Verträgen außerhalb der Grundversorgung zum Gegenstand hat.

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Eine weite Auslegung des § 102 EnWG über den Wortlaut hinaus ist nicht geboten. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass durch § 102 EnWG jegliche Verfahren, an denen Energieversorger beteiligt sind, bei den Landgerichten konzentriert sein sollen. Einer derartigen Konzentration bedarf es für individuelle Streitigkeiten über einzelvertragliche Ansprüche nicht.

26

b)

27

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage erweist sich der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts M auch als grob rechtsfehlerhaft. Diese Bewertung wird zwar nicht bereits durch die Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung begründet. Es treten aber weitere Umstände hinzu, nach denen sich die amtsgerichtliche Entscheidung als nicht mehr nachvollziehbar und mithin willkürlich darstellt.

28

Die Gründe des amtsgerichtlichen Verweisungsbeschlusses vom 04.08.2014 nehmen auf die amtsgerichtlichen Verfügungen vom 17.06.2014 und 08.07.2014 Bezug, einen weitergehenden Inhalt haben sie nicht. Aus diesen Verfügungen ergibt sich, dass das Amtsgericht die Auffassung vertritt, die Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG sei einschlägig, weil die Klägerin Ansprüche aus einem Sonderkundenvertrag im Sinne von § 41 EnWG geltend mache (Verfügung vom 17.06.2014), und dass die von der Klägerin in Bezug genommene Entscheidung des OLG Brandenburg (Beschluss vom 14.03.2011, Az.: 1 AR 8/11) nach Ansicht des Amtsgerichts nicht einschlägig sei, weil es nicht nur um der Höhe nach streitige Zahlungsansprüche aus einem unstreitig zustande gekommen Vertrag, sondern aus einem streitigen Vertragsschluss nach § 41 EnWG gehe (Verfügung vom 08.07.2014). Diese Begründung stellt zwar noch einen Bezug zwischen dem vorliegenden Fall und einer Bestimmung des EnWG her. Sie lässt aber nicht erkennen, in welcher Weise sich der Rechtsstreit aus dem EnWG ergeben oder nach dem EnWG, insbesondere der genannten Vorschrift des § 41 EnWG, zu entscheiden sein soll. Abgesehen von den Unterschieden im Sachverhalt - streitige Vergütungshöhe bei unstreitigem Vertrag einerseits und streitiger Vertragsabschluss andererseits - wird nicht begründet, warum der Rechtsstreit nach den Vorschriften des EnWG zu beurteilen ist. Eine Auseinandersetzung mit den Gründen der in Bezug genommen Entscheidung des OLG Brandenburg oder der in dieser Entscheidung zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung erfolgt nicht. Ebenso wenig erfolgt eine Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung des Senats, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Amtsgerichts bereits wiederholt veröffentlicht war.

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Fallgestaltungen wie die vorliegende haben bereits mehrfach Anlass zu Beschlussfassung des Senats über die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit nach § 36 Nr. 6 ZPO gegeben. Bislang hat der Senat entsprechende Vorgehensweisen von Amtsgerichten im Lichte des Zwecks des § 281 ZPO, eine baldige Klärung der Gerichtszuständigkeit herbeizuführen und zeitaufwändige Rückverweisungen zu vermeiden, hingenommen. Eine derartige Situation ist allerdings nach der Veröffentlichung der Senatsentscheidungen vom 02.01.2012 (32 SA 102/11) und vom 23.07.2012 (32 SA 32/12), jeweils veröffentlicht in juris.de, nicht mehr gegeben. Die Rechtslage ist für jedes Gericht im Zuständigkeitsbereich des Senats seitdem auch ohne eine umfangreiche Rechtsprüfung leicht zu erkennen. Wird dann dennoch, wie hier geschehen, ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung an das sachlich nicht zuständige Landgericht verwiesen, stellt sich diese Verweisung nicht mehr nur als einfacher Rechtsfehler dar. Der Rechtsfehler ist nunmehr als grob zu beurteilen, der willkürlich erscheint und deswegen die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO entfallen lässt.

RechtsgebieteZPO, EnWGVorschriften36 I Nr. 6 ZPO, 281 ZPO, 102 EnWG

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