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17.12.2014 · IWW-Abrufnummer 143511

Sozialgericht München: Urteil vom 24.10.2014 – S 28 KA 222/12

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


S 28 KA 222/12

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 17.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.02.2012 rechtswidrig war.
II. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der Zuweisung des Regelleistungsvolumens (RLV) im Quartal streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Erhöhung des RLV (mit Bezug zur Fallzahl) wegen im Aufbau befindlicher Praxis (Jungpraxis) hat.

Der Kläger ist Radiologe und seit 1991 zur vertragsärztlichen Versorgung zuge-lassen. Er war vom 01.04.2001 bis 31.03.2007 in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Seit dem 01.04.2007 übt er seine vertragsärztliche Tätigkeit in Einzelpraxis aus.

Mit Bescheid vom 15.12.2008 wies die Beklagte dem Kläger ein RLV für das Quartal 1/09 in Höhe von 25.881,06 EUR zu, das sich u.a. aus einer Fallzahl von 378 sowie einem Fallwert i.H.v. 68,25 EUR berechnete. Auf Antrag des Klägers erhöhte die Beklagte mit Bescheid vom 21.04.2009 die RLV relevante Fallzahl vorläufig und vorbehaltlich der tatsächlich abgerechneten individuellen Fallzahl im Abrechnungsquartal auf die Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe i.H.v. 1239, da der Kläger die Voraussetzungen einer Jungpraxis erfülle. Daraus ergab sich ma-ximal ein RLV i.H.v. 84.832,35 EUR.

Mit Bescheid vom 04.06.2009 gab die Beklagte auch dem Antrag des Klägers auf Fallwerterhöhung statt und erhöhte diesen um den Faktor 1,4476 auf 98,80 EUR. Das RLV für das Quartal wurde auf 122.804,92 EUR angepasst.

Mit Bescheid vom 17.01.2011 hob die Beklagte den Bescheid vom 21.04.2009 auf. Zugleich wurde das RLV auf 37.465,91 EUR festgesetzt. Die sich aufgrund der Neufestsetzung des RLV ergebende Überzahlung wurde zurück gefordert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass tatsächlich keine Jungpraxis vorliege. Die Stattgabe des klägerischen Antrags sei deshalb zu Unrecht erfolgt. Der Kläger habe sich erstmals zum 01.01.1991 niedergelassen. Seine Erstniederlassung liege somit länger als fünf Jahre zurück. Zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrages im April 2009 sei bei der Beklagten das Datum der Erstniederlassung in den maßgeblichen Unterlagen nicht korrekt hinterlegt gewesen. Deshalb sei fälschlicherweise von einer Erstniederlassung ausgegangen worden, die noch nicht fünf Jahre zurückliege. Die buchungsmäßige Abwicklung erfolge mit dem nächstmöglichen Ho-norarbescheid.

Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 24.01.2011 Widerspruch ein.

Mit Honorarbescheid 4/2010 vom 18.05.2011 behielt die Beklagte für das Quartal Honorar i.H.v. 11.127,75 EUR ein.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.01.2011 mit Be-scheid vom 08.02.2012 zurück. Eine Jungpraxis liege vor, wenn die Praxis im Vorjahresquartal zwar bereits in Betrieb gewesen sei, sich aber noch im Aufbau befinde. D.h., dass die für das RLV relevante Fallzahlen im entsprechenden Vorjahresquartal noch unterdurchschnittlich seien. Der Zeitpunkt der Erstniederlassung dürfe dabei, gerechnet ab dem Antragsquartal, nicht länger als fünf Jahre zurückliegen. Die Erstzulassung des Klägers datiere vom 01.01.1991 und liege damit länger als fünf Jahre zurück. Auch das Aufgreifkriterium des Planungsbereichswechsels sei nicht einschlägig. Vertrauensschutz sei nicht entstanden, da bereits im Ausgangsbescheid auf die Voraussetzungen einer Jungpraxis hingewiesen worden sei. Zudem sei in diesem Bescheid der Vorbehalt enthalten, dass sich eine Anpassungsmöglichkeit ergeben könne, wenn sich nach der Zuweisung ergebe, dass der der Zuweisung zugrunde gelegte Sachverhalt nicht zutreffend sei. Demnach sei dem Kläger bekannt gewesen, dass er keinen Anspruch auf Fallzahlerhöhung habe.

Der Kläger hat am 01.03.2012 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er ist u.a. der Auffassung, dass die Jungpraxisregelung Anwendung findet und er sich zudem auf Vertrauensschutz berufen kann.

Die Beklagte hat mit Ersetzungsbescheid vom 25.06.2014 wegen Berücksichti-gung der Regress- und Nachverrechnungen von MRT-Leistungen den RLV rele-vanten Fallwert erhöht und für das Quartal das klägerische RLV auf 56.054,76 EUR angepasst. Der Kläger hat daraufhin die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Der Kläger verweist darauf, dass im Quartal 2/2009 die Beklagte ebenfalls einen Aufhebungsbescheid im Zusammenhang mit der Frage der Anwendung der Jungpraxisregelung erlassen habe. Hiergegen sei Widerspruch eingelegt worden, der noch nicht verbeschieden sei.

Der Kläger beantragt: 1. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 17.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.02.2012 rechtswidrig war. 2. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Beklagte beantragt, die Klageabweisung.

Die Beklagte hat u.a. ausgeführt, dass die Voraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht vorliegen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG umgestellt. Die diesbezüglichen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

Insbesondere ist von einer Erledigung des streitgegenständlichen Bescheids in prozessrechtlicher Hinsicht auszugehen. Zwar hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass sich der Bescheid vom 17.01.2011 nicht im eigentlichen Sinne erledigt hat. Das Gericht geht jedoch - aufgrund vergleichbarer Interessenlage und unter Berücksichtigung des Art. 19 Abs. 4 GG - von einem weiten Erledigungsbegriff aus, der auch solche Fälle umfasst, in denen die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes für den Kläger keine praktische Bedeutung mehr hätte (vgl. hierzu Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 20. Auflage, § 113 Rn. 102 f.). Mit dem Bescheid vom 25.06.2014 ist eine Art überholende Kausalität eingetreten. Infolge der nachträglichen RLV-Fallwerterhöhung der Beklagten (Bescheid vom 25.06.2014) erfolgte eine Anpassung des für zugewiesenen RLV auf 56.054,76 EUR. Diese RLV-Erhöhung deckt den streitgegenständlichen Rückforderungsbetrag i.H.v. 11.127,75 EUR voll ab, so dass es im streitgegenständlichen Quartal auf die Frage der Erhöhung der RLV-Fallzahl nicht mehr ankommt.

Auch das Feststellungsinteresse des Klägers ist vorhanden, da im Quartal 2/2009 ein gleich gelagerter Sachverhalt existiert, der eine – von Klägerseite bestrittene - Honorarrückforderung der Beklagten i.H.v. 26.590 EUR zum Gegenstand hat. Dies-bezüglich ist ein Widerspruchsverfahren noch anhängig.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 17.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.02.2012 ist rechtswidrig.

Das Gericht kann vorliegend die Rechtsfrage, ob bei Austritt aus einer Gemein-schaftspraxis und Gründung einer Einzelpraxis die Jungpraxisregelung anzuwenden ist, offen lassen. Denn selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der ursprüngliche Bescheid vom 21.04.2009 mangels Anwendbarkeit der Jungpraxisregelung rechtswidrig war, lagen die Voraussetzungen zur Aufhebung dieses Bescheids nicht vor.

Rechtsgrundlagen des streitgegenständlichen Aufhebungsbescheids sind § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä sowie § 34 Abs. 4 EKV-Ä. Nach der Rechtsprechung des BSG sind die bundesmantelvertraglichen Honorarberichtigungsvorschriften auch auf Degressionsbescheide aus dem vertragszahnärztlichen Bereich anwendbar (BSG, Urteil vom 30.06.2004, Az. B 6 KA 34/03 R, Rn. 20). Die Honorarminderung aufgrund Punktwertdegression im vertragszahnärztlichen Bereich ist mit der abgestaffelten Vergütung von der das Regelleistungsvolumen überschreitenden Leistungsmenge im vertragsärztlichen Bereich vergleichbar. Nach Auffassung der Kammer findet die genannte BSG-Rechtsprechung daher auch auf Bescheide zur Zuweisung des RLV Anwendung.

Die Beklagte hat im Bescheid vom 17.01.2011 darauf hingewiesen, dass bei ihr zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrages im April 2009 das Datum der Erstniederlassung des Klägers in den maßgeblichen Unterlagen nicht korrekt hinterlegt gewesen sei. Es würde sich somit, unterstellt man die Nichtanwendbarkeit der Jungpraxisregelung, um einen Fall der individuell fehlerhaften Rechtsanwendung der Beklagten bei Erlass des Bescheides zur Erhöhung der RLV-Fallzahl handeln. In dieser Konstellation wären nach der Rechtsprechung des BSG im Rahmen des Berichtigungsverfahrens die speziellen Vertrauenstatbestände des § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB X entsprechend heranzuziehen (BSG, ebenda, Rn. 30).

Da vorliegend die Beklagte den Bescheid vom 21.04.2009 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen hat, wäre § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X einschlägig, wonach die Rücknahme nur in den Fällen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X möglich ist.

Die Voraussetzungen der § 45 Abs. 2 Satz 3 und § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X waren zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nicht gegeben. Insbesondere beruht der Bescheid vom 21.04.2009, seine Rechtswidrigkeit unterstellt, nicht auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Bezie-hung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Ebenso wenig kannte der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes oder kannte sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Da zum damaligen Zeitpunkt die Rechtsfrage, ob bei Austritt aus einer Gemeinschaftspraxis und Gründung einer Einzelpraxis die Jungpraxisregelung anzuwenden ist, ungeklärt war, kommt die Annahme von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nicht in Betracht. Die einschlägigen Regelungen im Honorarvertrag 2009 sowie in den "Durchführungsrichtlinien gemäß Abschnitt 2.1, Teil D, 1, 1.1 Absatz 3, Korrektur des Regelleistungsvolumens mit Bezug zur Fallzahl" sind hinsichtlich dieser Fragestellung nicht aussagekräftig. In den Durchführungsrichtlinien heißt es lediglich, dass eine Jungpraxis vorliegt, wenn die Praxis im Vorjahresquartal zwar bereits in Betrieb war, sich aber noch im Aufbau befindet (IV.1.1).

Schließlich kann die Beklagte die Aufhebung auch nicht auf dem allgemeinen Vorbehalt im Bescheid vom 21.04.2009 gründen.

Folglich lagen die Voraussetzungen zur Aufhebung des Bescheides vom 17.01.2011 unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vor. Die Aufhebung war daher rechtswidrig.

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren war für notwendig zu erklären, § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

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