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20.10.2014 · IWW-Abrufnummer 143037

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 20.03.2014 – 5 W 167/14

1. Maßnahmen nach § 409 Abs. 1 ZPO gegen einen Gerichtssachverständigen erfordern den sicheren Nachweis, dass er den Auftrag und die für seine Erfüllung benötigten Akten erhalten hat.

2. Dem Beleg eines Paketdienstes über die Auslieferung der Sendung kann nicht in entsprechender Anwendung von §§ 415 ff ZPO erhöhte Beweiskraft beigemessen werden. Der Beweiswert derartiger Auslieferungsbelege ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls nach § 286 ZPO frei zu würdigen (hier verneint).

3. Die Anwaltskosten eines gerichtlichen Sachverständigen im erfolgreichen Beschwerdeverfahren nach § 409 Abs. 2 ZPO hat nicht die Staatskasse zu tragen.


Oberlandesgericht Koblenz

Beschl. v. 20.03.2014

Az.: 5 W 167/14

In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigter:
gegen
- Beklagter -
Prozessbevollmächtigter:
weiter beteiligt:
Prof. Dr. med.
- Sachverständiger und Beschwerdeführer -
Verfahrensbevollmächtigte:
wegen Arzthaftung
hier: sofortige Beschwerde eines gerichtlichen Sachverständigen gegen einen
Kosten- und Ordnungsmittelbeschluss
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach
sowie die Richter am Oberlandesgericht Weller und Dr. Menzel
am 20. März 2014
beschlossen:
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Sachverständigen Professor Dr. H. wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 17. Dezember 2013 aufgehoben.
Gründe

Der gerichtliche Sachverständige wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen einen Kosten- und Ordnungsgeldbeschluss des Landgerichts. An den Beschwerdeführer waren mit Auftragsschreiben der Kammervorsitzenden vom 16. November 2012 Akten gesandt worden zur Erstellung eines ergänzenden Gutachtens. Man bat den Sachverständigen um "Auftragsbestätigung".

Nach der später eingeholten Auskunft des DHL - Paketdienstes ist die Akte am 21. November 2012 an "B." ausgeliefert worden. Eine Mitarbeiterin dieses Namens war seinerzeit in der Praxis des Sachverständigen als Helferin tätig.

Am 11. Januar 2013 ordnete die Kammervorsitzende an, beim Sachverständigen telefonisch wegen der erbetenen Auftragsbestätigung nachzufragen. Als das ohne Ergebnis blieb, erinnerte die Geschäftsstelle des Landgerichts schriftlich, "damit der Erhalt der Akte bestätigt ist" (Bl. 239 GA). Der Sachverständige antwortete per Fax am 12. Februar 2013

"In unserer Praxis keine Akte eingegangen".

Mit Schreiben vom 19. Juli 2013 forderte die Kammervorsitzende den Sachverständigen auf, die Akten nebst Ergänzungsgutachten dem Gericht zurückzusenden. Der Sachverständige antwortete, sein Erstgutachten habe er bereits im April 2012 übersandt. Seither sei es "nicht mehr bei ihm aufgetaucht".

Durch Beschluss vom 9. Oktober 2013 ordnete das Landgericht die Herausgabe der Akten binnen 10 Tagen an.

Daraufhin teilte die vom Sachverständigen zunächst beauftragte Rechtsanwältin mit, erst der der Beschluss vom 9. Oktober 2013 habe ihrem Mandanten verdeutlicht, dass Frau B. das Paket angenommen habe; sie sei nicht mehr in der Praxis beschäftigt; das Paket und sein Inhalt nicht auffindbar. Später teilte die Bevollmächtigte mit, die zwischenzeitlich befragte Frau B. könne sich an die konkrete Akte nicht erinnern, deren Herausgabe mangels Auffindbarkeit nicht möglich sei.

Das führte zu dem nunmehr angefochtenen Beschluss, durch den dem Sachverständigen neben den "durch die Nichtherausgabe entstehenden Kosten" auch ein Ordnungsgeld von 800 € auferlegt worden ist.

Mit seiner sofortigen Beschwerde behauptet der Sachverständige, die Akte sei nicht in seiner Praxis eingetroffen. Bei Frau B. habe es sich um eine zuverlässige Mitarbeiterin gehandelt. Dass sie das Paket in Empfang genommen habe, sei auszuschließen, da die Unterschrift auf dem DHL - Empfangsbekenntnis keinerlei Ähnlichkeit mit der Unterschrift der Frau B. habe. Möglicherweise habe der DHL - Mitarbeiter, dem Frau B. als Empfangsberechtigte bekannt gewesen sei, oder eine andere Person den Namen B. in das Empfangsbekenntnis eingetragen und die Unterschrift gefälscht. Jedenfalls stehe gesichert fest, dass das Paket nicht in der Praxis angekommen sei.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Durch das DHL - Empfangsbekenntnis sei in analoger Anwendung von § 415 ff ZPO bewiesen, dass die Akte in den Herrschaftsbereich des Sachverständigen gelangt und dort seiner Mitarbeiterin, Frau B., ausgehändigt worden sei. Sein gegenläufiges Vorbringen in der Beschwerde habe der Sachverständige nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere fehle eine eidesstattliche Versicherung der Frau B.. Richtig sei zwar, dass die Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis von der Unterschrift der Frau B. abweiche. Wie jedoch gerichtsbekannt sei, werde der Empfang von Paketsendungen heute auf dem Display elektronischer Geräte quittiert; die dort geleisteten Unterschriften wichen sehr häufig deutlich von handschriftlichen Unterschriften ab.

Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 409 Abs. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Zweiwochenfrist eingelegt, die ungeachtet der fehlenden Rechtsmittelbelehrung (§ 232 Satz 2, letzter Halbsatz ZPO) mit der am Mittwoch, dem 29. Januar 2014 an die ehemalige Bevollmächtigte des Sachverständigen bewirkte Zustellung zu laufen begann.

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil die Entscheidung des Landgerichts durchgreifenden Bedenken begegnet.

Die Rechtsfolgen des Einbehalts von Akten und der Gutachtenverweigerung regelt § 409 Abs. 1 ZPO. Sowohl die Belastung des Sachverständigen mit Kosten als auch das Ordnungsgeld setzen voraus, dass der Gutachter wirksam ernannt worden ist und die Gerichtsakten oder sonstigen Unterlagen erhalten hat. Beides lässt sich hier nicht feststellen.

Bei seiner abweichenden Entscheidung hat das Landgericht wesentlichen Tat-sachenstoff nicht berücksichtigt und im Übrigen nicht überzeugend gewürdigt.

Im Einzelnen:

Der Sachverständige sollte den im Dezember 2012 erteilten Gutachtenauftrag schriftlich bestätigen. Diese Bestätigung ist schon seinerzeit ausgeblieben. Professor Dr. Hermann teilte im Gegenteil dem Gericht durch Fax vom 12. Februar 2013 mit, in seiner Praxis sei keine Akte eingegangen (Bl. 239 GA).

Das wird nur scheinbar durch die Mitteilung der DHL - Vertriebs GmbH falsifiziert, wonach die Sendung am 21.11.2012 einem Empfangsberechtigten des Sachverständigen ausgeliefert wurde. Die Mitteilung "Der Auslieferungsnachweis ist beigefügt" bezieht sich auf eine sogenannte "Auskunft zum Auslieferungsnachweis für Sendungsnummer 564300096597". Zwar stimmt die Sendungsnummer mit dem beim Landgericht Koblenz vorgehaltenen Einlieferungsbeleg überein, auffällig ist jedoch, dass im "Auslieferungsnachweis" die Spalte "Empfängeranschrift" leer geblieben ist.

Im Übrigen ist dokumentiert, dass die Sendung am 21. 11.12 um 9.57 Uhr einer "anwesenden Person" namens B. zugestellt worden sei, die das Ganze handschriftlich mit einer Paraphe abgezeichnet hat, die als "Bn" interpretiert werden kann.

Wie das Landgericht richtig gesehen hat, weist dieses Namenskürzel wenig Ähnlichkeit mit der authentischen Unterschrift der seinerzeit bei dem Sachverständigen beschäftigten Mitarbeiterin B. auf.

Einen Erfahrungssatz dahin, dass derartige Unterschriften, die bei nahezu allen Paketdiensten auf dem Display eines Erfassungsgerätes zu leisten sind, stets erheblich von der üblichen Unterschrift des Empfängers abweichen, gibt es nicht. Gäbe es den Erfahrungssatz, wäre damit im vorliegenden Fall erst Recht nicht bewiesen, dass es sich bei der Paraphe auf dem Auslieferungsnachweis um die Unterschrift der Frau B. handelt.

Hinzu kommt, dass keinerlei Motiv denkbar ist, aus dem Frau B. die an ihren Arbeitgeber adressierte Sendung sollte verschwinden lassen. Aus ihrer Tätigkeit beim Sachverständigen wusste sie, dass dieser regelmäßig mit der Paketpost gerichtliche Gutachtenaufträge erhielt. Ihr war demnach bekannt, dass derartige Pakete Akten und Krankenunterlagen enthielten, die - außer für die Verfahrensbeteiligten - für niemand von Interesse sind.

Soweit das Landgericht demgegenüber gemeint hat, dem DHL - Auslieferungsnachweis komme in analoger Anwendung von §§ 415 ff ZPO volle Beweiskraft zu, kann dem nicht gefolgt werden. Methodisch scheidet eine analoge Anwendung bereits mangels Regelungslücke aus. Im Übrigen misst der Gesetzgeber den von § 415 ZPO erfassten Urkunden gerade deshalb stärkere Beweiskraft bei, weil ihr Inhalt wegen der besonderen Bindungen, denen Behörden unterliegen (Art. 20 Abs. 3 GG), verlässlicher erscheint als der Inhalt von Privaturkunden. Das lässt sich nicht auf Auslieferungsbelege privater Paketdienste übertragen.

Soweit mit dem pauschalen Hinweis "§§ 415 ff ZPO" auch § 416 ZPO erfasst ist, geht die angefochtene Entscheidung daran vorbei, dass der Auslieferungsnachweis lediglich eine Kopie des Namenskürzels enthält. Damit ist das vorgelegte Schriftstück unstreitig nicht von der Zeugin B. "unterschrieben" im Sinne von § 416 ZPO. Auch § 416 a ZPO ist nicht einschlägig.

Im Übrigen sind die Zustellung von Dokumenten und die Anforderungen an den Nachweis einer erfolgten Zustellung in den §§ 166 ff ZPO geregelt. Wenn das auch nicht auf den Nachweis der Aktenübersendung an einen Sachverständigen übertragbar ist, zeigt die Verweisung in § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO doch, dass der dort in Bezug genommene § 418 ZPO nur für Zustellungsurkunden gilt. Auch vor diesem Hintergrund ist kein Raum für die vom Landgericht bemühte Analogie.

Der Senat kann dem Landgericht auch nicht darin beipflichten, der Sachverständige habe versäumt, durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft zu machen, die Akte nicht erhalten zu haben. Das verkennt die Beweislast. Nicht der Sachverständige muss beweisen, die Akte nicht erhalten zu haben (was praktisch unmöglich ist); ihm muss vielmehr nachgewiesen werden, dass die Akte mit dem Gutachtenauftrag bei ihm eingetroffen ist.

Dieser Beweis ist durch den vorliegenden Auslieferungsnachweis nicht geführt, der nach allgemeinen Beweisregeln frei zu würdigen ist (§ 286 ZPO). Angesichts der dargestellten Ungereimtheiten ist der Senat nicht davon überzeugt, dass Akte und Gutachtenauftrag dem Sachverständigen zugegangen sind. Die angefochtene Entscheidung musste daher aufgehoben werden.

Dem Antrag der Beschwerde, der Staatskasse die Kosten und Auslagen des Sachverständigen aufzuerlegen konnte allerdings nicht entsprochen werden.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind ohnehin nicht zu erheben, da das Rechtsmittel erfolgreich war.

Im Übrigen ist die Auseinandersetzung über die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht kontradiktorisch ausgestaltet. Die Kosten einer erfolgreichen Beschwerde des Sachverständigen sind nicht in entsprechender Anwendung des § 46 OWiG der Staatskasse aufzuerlegen, weil diese ist nicht am Rechtsstreit beteiligt ist.

Ob Auslagen des Sachverständigen für seine anwaltliche Vertretung von § 7 JVEG erfasst werden, steht nicht zur Entscheidung an (vgl. dazu OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juli 2013, 14 W 380/13 in NJW - RR 2013, 1342).

RechtsgebietBeweisrechtVorschriften§ 286 ZPO; § 291 ZPO; § 371a ZPO; § 380 ZPO; § 402 ZPO; § 404a ZPO; § 407a ZPO; § 409 ZPO; § 415 ZPO; § 416 ZPO; § 416a ZPO; § 7 JVEG

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