12.05.2014 · IWW-Abrufnummer 171602
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 17.03.2014 – 1 Sa 23/13
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Beschäftigten innerhalb der Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, um diskriminierungsrechtliche Ansprüche zu vermeiden. Die Unterlassung des Präventionsverfahrens hat somit nicht nur kündigungsschutzrechtlich, sondern auch diskriminierungsrechtlich keine Rechtsfolgen (im Anschluss an BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 und BAG 24.01.2008 - 6 AZR 96/07).
In der Rechtssache
...
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 1. Kammer - durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Dr. Natter, den ehrenamtlichen Richter Enderes...
und den ehrenamtlichen Richter Ruoff
auf die mündliche Verhandlung vom 17.03.2014.
für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.10.2013 - 29 Ca 3414/13 - wird zurückgewiesen.
2.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht.
Die am 03.08.1954 geborene Klägerin besitzt einen Abschluss als Diplomökonomin an der Universität T. Nach der Immigration in die Bundesrepublik Deutschland war sie von 1985 bis 2004 bei der S. AG in verschiedenen Funktionen tätig. Von 2004 bis Februar 2011 übte sie verschiedene Funktionen bei der Firma H. Management GmbH, zuletzt als kaufmännische Regionalleiterin aus.
Im Jahr 2009 erlitt die Klägerin einen Burnout. Seit 2009, ggf. auch erst seit 2010 ist die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 % anerkannt. Ob der Grad der Behinderung auch auf den Burnout im Jahr 2009 zurückzuführen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Das Arbeitsverhältnis mit der Firma H. endete am 28.02.2011 aus betriebsbedingten Gründen. Im Jahr 2012 bewarb sich die Klägerin beim LA Baden-Württemberg auf eine Stelle als Leiterin der Organisationseinheit 011 (Qualitätsmanagement/Controlling). Am 03.09.2012 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab 01.10.2012 als Vollzeitbeschäftigte für Tätigkeiten der Entgeltgruppe 13 im LA eingestellt werde (Anlage BK 1). Nach § 3 des Arbeitsvertrags betrug die Probezeit sechs Monate. Das monatliche Bruttoentgelt der Klägerin betrug EUR 3.725,66.
Für die Einarbeitungsphase erstellte das LA einen Einarbeitungsplan (Anlage 2 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013). In welchem Umfang der Einarbeitungsplan durchgeführt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin erhielt außerdem die Gelegenheit, an zwei EFQM-Modulen der Deutschen Gesellschaft für Qualität teilzunehmen. Sie schloss diese Ausbildung am 26.01.2013 erfolgreich ab.
Am 18. Januar 2013 teilte der Präsident des LAs, Herr S., der Hauptschwerbehindertenvertretung der P. beim Innenministerium Baden-Wüttemberg im Rahmen eines Gesprächs mit, dass die Klägerin seine Erwartungen bislang nicht erfüllt habe. Am 11.02.2013 führte Herr S. mit der Klägerin ein Personalgespräch. Im Rahmen dieses Gesprächs teilte Herr S. der Klägerin mit, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Probezeit zu beendigen. Unter dem Datum des 14.02.2013 erstellte Herr S. hierzu einen Eignungsbericht. Hierin hielt Herr S. fest, die Klägerin habe die fachlichen Anforderungen und Erwartungen nicht erfüllen können. Insbesondere habe sie die Aufträge zur Erstellung einer Dienstanweisung zum Mitarbeiterfeedback und zum Wissens- und Erfahrungstransfer nicht erledigt. Es sei nicht zu erwarten, dass die erkennbaren Defizite behoben werden könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Eignungsbericht (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 11.07.2013) verwiesen.
Unter dem Datum des 13.02.2013 übersandte der Hauptschwerbehindertenvertreter, Herr Dr. K., dem Innenministerium eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin (Anlage 3 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013). Mit Schreiben vom 20.02.2013 (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013) hörte das Innenministerium den Hauptpersonalrat der P. zu der beabsichtigten Probezeitkündigung an. Im Briefkopf des Schreibens ist auch die Hauptschwerbehindertenvertretung der P. aufgeführt. Das Schreiben ging am 21.02.2013 an den Hauptpersonalrat und den Hauptschwerbehindertenvertreter per Mail ab. Der Hauptschwerbehindertenvertreter gab auf das Schreiben vom 20.02.2013 hin keine weitere Stellungnahme ab. Ob er hierauf nach einem Gespräch mit Herrn O. ausdrücklich verzichtete, ist zwischen den Parteien streitig. Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats teilte dem Innenministerium mit Mail vom 25.02.2013 (Anlage BK 5) noch vor der Sitzung des Hauptpersonalrats mit, dass der Hauptpersonalrat der Kündigung widersprechen werde. Die letztliche Einschätzung des Hauptpersonalrats folge nach der Sitzung. Mit Mail vom 26.03.2013 (Anlage BK 6 - nicht vorgelegt) teilte der Vorsitzende mit, der Hauptpersonalrat habe die Ablehnung der Kündigung bestätigt.
Mit Schreiben vom 08.03.2013 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 31.03.2013 (Anlage K 1). Mit Schreiben vom 18.04.2013 (Anlage K 2) machte die spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Entschädigungsanspruch in Höhe von drei Monatsgehältern geltend. Zur Begründung führte sie aus, das beklagte Land habe es unterlassen, das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX vor dem Ausspruch der Kündigung durchzuführen. Mit Schreiben vom 25.04.2013 (Anlage K 3) lehnte das beklagte Land die Zahlung einer Entschädigung ab.
Mit ihrer am 13.05.2013 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von EUR 11.176,98 geltend macht. Sie hat vorgetragen, das beklagte Land habe vor Ausspruch der Kündigung kein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX eingeleitet. Damit sei ihr die Möglichkeit genommen worden, etwaige möglicherweise behinderungsbedingte Fehlleistungen zu beheben. Das beklagte Land habe es auch unterlassen, die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten und das Integrationsamt hinzuziehen.
Im Gütetermin vom 26.06.2013 erschien für das beklagte Land aufgrund eines verspätet vorgelegten Antrags auf Terminverlegung niemand. Daraufhin verurteilte das Arbeitsgericht das beklagte Land, an die Klägerin EUR 11.176,98 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.05.2013 zu bezahlen. Gegen das am 11.07.2013 zugestellte Versäumnisurteil legte das beklagte Land bereits am 04.07.2013 Einspruch ein.
Es hat vorgetragen, ein Anspruch auf Entschädigung bestehe nicht, weil die Klägerin nicht durch die Unterlassung des Präventionsverfahrens nach den §§ 1, 7 Abs. 1 AGG benachteiligt worden sei. Eine Rechtspflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens habe nicht bestanden. Innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses bedürfe eine Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung. Da § 84 Abs. 1 SGB IX eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstelle, scheide vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit eine Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens aus.
Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte nicht für Kündigungen gelte, die in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses erfolgten. Durch ein auch bei einer Probezeitkündigung vorzuschaltendes Präventionsverfahren würden schwerbehinderte Arbeitnehmer besser gestellt als nicht behinderte Arbeitnehmer. Auch bei schwerbehinderten Arbeitnehmern müsse der Arbeitgeber Gelegenheit haben, den Arbeitnehmer frei von Kündigungsbeschränkungen zu erproben.
Selbst wenn man eine grundsätzliche Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens innerhalb der Wartezeit annähme, sei sie im vorliegenden Fall hierzu nicht verpflichtet gewesen, weil die Kündigung nicht im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung der Klägerin erfolgt sei. Ausweislich des Eignungsberichts von Herrn S. sei die Kündigung nicht aufgrund behinderungsbedingter Fehlleistungen der Klägerin erfolgt. Ein Verstoß gegen § 84 Abs. 1 SGB IX liege somit nicht vor.
Das beklagte Land hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 26.06.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 26.06.2013 aufrechtzuerhalten.
Sie hat vorgetragen, das beklagte Land verkenne, dass § 84 Abs. 1 SGB IX eine "angemessene Vorkehrung" im Sinne des Art. 2 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen sei. Wenn eine solche Vorkehrung nicht getroffen werde, sei dies als Diskriminierung zu werten. Es sei dem beklagten Land vor der Einstellung bekannt gewesen, dass sie über keine Erfahrungen in der öffentlichen Verwaltung verfüge. Man habe ihr damals zugesagt, sie auf allen Gebieten zu unterstützen. Leider habe sie erfahren müssen, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Es sei ihr keineswegs eine Hospitation bei allen Abteilungen zugebilligt worden. Die Hospitation habe sich auf die Abteilung I des LAs beschränkt. Sie habe daraufhin eigenständig Kontakt mit den anderen Abteilungen aufgenommen.
Vor Ausspruch der Kündigung sei es unterlassen worden, mit ihr ein Mitarbeitergespräch zu führen. Das Gespräch mit Herrn S. am 11.02.2013 sei für sie völlig überraschend gewesen. Ganz offensichtlich habe das beklagte Land die Wartezeit nutzen wollen, um das Arbeitsverhältnis ohne größere Schwierigkeiten zu beenden.
Bei der Höhe der Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass sie bislang einen höchst stringenten beruflichen Werdegang gehabt habe. Die sehr kurze Beschäftigungsdauer beim LA stelle einen Makel in ihrem beruflichen Lebenslauf dar. Zu berücksichtigen sei auch, dass sie eine andere lukrative Stelle ausgeschlagen habe.
Mit Urteil vom 23.10.2013 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kammer habe bereits Zweifel, ob sich die Klägerin nicht zunächst gegen die Kündigung vom 08.03.2013 habe zur Wehr setzen müssen. Zwar unterliege das Arbeitsverhältnis nicht dem Kündigungsschutzgesetz. Wenn sich die Klägerin aber darauf berufe, dass die Kündigung mit einer Diskriminierung einhergehe, sei die Kündigung sittenwidrig. Jedenfalls die formalen Mängel der Kündigung habe die Klägerin innerhalb der Frist des § 4 KSchG rügen müssen.
Es könne aber auch keine Diskriminierung der Klägerin durch formale Fehler oder durch das Fehlen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (Anm.: gemeint ist das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX) festgestellt werden. Die Klägerin habe noch keinen Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderte genossen. Das Bundesarbeitsgericht habe in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass das Präventionsverfahren lediglich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Beachtung finde. Wenn der Gesetzgeber einen Kündigungsschutz erst nach Ablauf von sechs Monaten normiere, so habe dies den Grund, dass beide Arbeitsvertragsparteien sechs Monate lang die Möglichkeit haben sollten, sich ohne besondere Beschränkungen zu testen. Verlange man nun als Voraussetzung für eine Kündigung die Durchführung eines Präventionsverfahrens, so führe dies zu einer Bevorzugung der schwerbehinderten Mitarbeiter.
Der angeführte Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe auch mit der Behinderung in keinerlei Zusammenhang. Dies gelte auch dann, wenn das beklagte Land die Anforderungen an die Klägerin möglicherweise zu hoch angesetzt habe und sich die Klägerin möglicherweise mehr Unterstützung versprochen habe. Allein das Unterlassen von Unterstützung sei nicht zwingend Ausdruck einer Benachteiligung.
Gegen das ihr am 31.10.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.12.2013 (Montag) Berufung eingelegt und diese am 27.12.2013 begründet. Sie trägt vor, die Auffassung des Arbeitsgerichts, sie habe die Kündigung vom 08.03.2013 mit dem Argument der Sittenwidrigkeit angreifen müssen, treffe nicht zu. Es gebe keine gesetzliche Vorschrift, die als Voraussetzung für eine Entschädigungsklage die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verlange. Das Arbeitsgericht habe die Zielrichtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verkannt. Dieses wolle bereits die Entstehung von Ungleichbehandlungen verhindern.
Das Arbeitsgericht habe ferner verkannt, dass sie keine Bevorzugung ihrer Person als Schwerbehinderte begehre. Tatsache sei, dass für Schwerbehinderte zur Vermeidung von Nachteilen besondere Schutzmaßnahmen getroffen worden seien. Das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX sei zu beschreiten, sobald personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen aufträten. Auch wenn das Präventionsverfahren kündigungsschutzrechtlich erst nach Erfüllung der Wartezeit relevant werde, gehe es vorliegend um die Durchführung des Präventionsverfahrens zur Vermeidung einer Benachteiligung. Die Unterlassung des Präventionsverfahrens stelle einen Verstoß gegen Art. 2 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen dar.
Das beklagte Land habe schließlich die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Hauptpersonalrats nicht hinreichend dargelegt. Lediglich die Vorlage von E-Mails genüge nicht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.10.2013 - 29 Ca 3414/13 - abzuändern und das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26.06.2013 aufrechtzuerhalten.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es trägt vor, die Klägerin scheine das Präventionsverfahren immer wieder mit einem Kündigungsschutzverfahren zu verwechseln. Es gebe keine rechtliche Veranlassung, die Beteiligung der Hauptschwerbehindertenvertretung und des Hauptpersonalrats im Detail darzustellen. Es sei Sache der Klägerin, konkrete Anhaltspunkte für eine Diskriminierung zu benennen. Unabhängig davon sei die Hauptschwerbehindertenvertretung und der Hauptpersonalrat ordnungsgemäß vor der Kündigung beteiligt worden.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei gekündigt worden, weil die Klägerin die fachlichen Anforderungen und damit verbundenen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Die im Zeitpunkt des Arbeitsantritts bestehenden Aufträge seien nur mit deutlicher Unterstützung der Stabsstelle des LAs und mit zeitlicher Verzögerung bearbeitet worden. Es sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass die erkennbaren Defizite in absehbarer Zeit behoben werden würden. Indizien für eine Diskriminierung der Klägerin als schwerbehinderter Mensch seien damit ersichtlich.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Dies wird zwar in § 15 Abs. 2 AGG nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen in § 15 AGG (BAG 25.04.2013 - 8 AZR 287/08 - NZA 2014, 224).
a) Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist Beschäftigte im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG. Das beklagte Land ist als Arbeitgeber nach § 6 Abs. 2 AGG passiv legitimiert.
b) Die Klägerin hat ihren Entschädigungsanspruch rechtzeitig innerhalb der Fristen des § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Im Streitfall hat die Frist frühestens mit dem Zugang der Kündigung vom 08.03.2013 begonnen. Denn frühestens zu diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin erkennen, dass das beklagte Land die Kündigung ohne die vorherige Durchführung des Präventionsverfahrens und eine - nach Auffassung der Klägerin - ungenügende Beteiligung des Hauptpersonalrats sowie der Hauptschwerbehindertenvertretung ausgesprochen hatte. Zum Zeitpunkt des Personalgesprächs zwischen der Klägerin und dem Präsidenten des LAs, Herrn S., am 11.02.2013, hatte die Klägerin noch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein - aus ihrer Sicht - Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG vorliege. Demzufolge hat die Klägerin die zweimonatige Frist zur schriftlichen Geltendmachung mit ihrem Schreiben vom 18.04.2013 gewahrt. Die weitere dreimonatige Frist zur Klageerhebung nach § 61b Abs. 1 ArbGG hat die Klägerin durch ihre am 13.05.2013 eingegangene Klage ebenfalls eingehalten.
c) Die Klägerin war nicht gehalten, vorrangig eine Bestandsschutzklage zu erheben, um die Unterlassung des Präventionsverfahrens und die - aus ihrer Sicht - unzureichende Beteiligung des Hauptpersonalrats und der Hauptschwerbehindertenvertretung zu rügen. Das Arbeitsgericht hat insoweit Zweifel geäußert, ob sich die Klägerin nicht zunächst gegen die Kündigung des beklagten Landes vom 08.03.2013 hätte zur Wehr setzen müssen. Jedenfalls könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, der Hauptpersonalrat und die Hauptschwerbehindertenvertretung seien nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Diese Zweifel teilt die Kammer nicht.
aa) Das Verhältnis von Kündigungsschutz und Diskriminierungsschutz regelt § 2 Abs. 4 AGG dahingehend, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Welche Bedeutung dieser Vorschrift zukommt, war bislang bei Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, umstritten. Mit Urteil vom 19.12.2013 (6 AZR 190/12 - Rn 22 ff.) hat sich das Bundesarbeitsgericht der Auffassung angeschlossen, dass § 2 Abs. 4 AGG Kündigungen während der Wartezeit von vorneherein nicht erfasst. Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich die Kammer der ausführlich begründeten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts an.
bb) Hieraus folgt, dass die Klägerin weder mit ihren diskriminierungsrechtlichen Einwendungen, das beklagte Land habe das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt und den Hauptpersonalrat sowie die Hauptschwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt, in einem eventuellen Bestandsschutzprozess ausgeschlossen gewesen wäre noch erst recht im vorliegenden Entschädigungsprozess mit diesen Einwendungen ausgeschlossen ist, weil sie sich nicht gegen die Kündigung des beklagten Landes vom 08.03.2013 gerichtlich gewandt hat. Das Kündigungsschutzgesetz und das allgemeine Entschädigungsgesetz verfolgen unterschiedliche Zwecke. Mit der Kündigungsschutzklage erstrebt der Arbeitnehmer Bestandschutz, also die Erhaltung des gekündigten Arbeitsverhältnisses. Mit der Entschädigungsklage verlangt der Arbeitnehmer einen Ausgleich des immateriellen Schadens, den er durch den behaupteten Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG erlitten hat. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG knüpft nicht an eine diskriminierungsbedingte Unwirksamkeit der Kündigung, sondern ausschließlich daran an, dass der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf ein benachteiligungsfreies Verfahren nicht gewahrt hat. So hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX), entschieden, der Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG sei, das Recht des schwerbehinderten Menschen auf ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren zu schützen (BAG 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 - NZA 2011, 153; BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 - NZA 2012, 667; BVerwG 03.03.2011 - 5 C 16/10 - NJW 2011, 2452). Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG sanktioniert somit das durch eine Diskriminierung erlittene "Verfahrensunrecht".
Für die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung, der Bestandsschutzprozess entfalte eine Sperrwirkung für Einwendungen im Entschädigungsprozess, gibt es keine rechtliche Grundlage. In der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG kommt der - unvollkommen geäußerte - Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes im Kündigungsschutzprozess klarzustellen (BAG 19.12.2013 aaO Rn 30). Nicht abgeleitet werden kann aus der Vorschrift im Umkehrschluss, dass der Arbeitnehmer mit Einwendungen, die er im Bestandsschutzprozess hätte erheben können, im Entschädigungsprozess ausgeschlossen ist. Ein derartiges Verständnis der Norm ergibt sich weder aus den Gesetzesmaterialien noch lässt es sich aus dem Zweck der Vorschrift herleiten. Wenn § 2 Abs. 4 AGG bei Kündigungen, die mangels Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen, keine "Sperrwirkung" entfaltet, dann "sperrt" die Norm den Arbeitnehmer erst recht nicht mit Einwendungen im Entschädigungsprozess.
2. Die Klägerin ist nicht wegen ihrer Behinderung bei Ausspruch der Kündigung vom 08.03.2013 benachteiligt worden. Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass das beklagte Land gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG verstoßen hat.
a) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfahren hat, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Anders als im Bewerbungsverfahren, bei dem die weniger günstige Behandlung des schwerbehinderten Bewerbers im Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren, also in der Versagung einer Chance liegt (zuletzt BAG 22.08.2013 - 8 AZR 563/12 - NZA 2014, 82 Rn. 36), lässt sich im vorliegenden Fall die weniger günstige Behandlung nicht an einer konkreten anderen Person festmachen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG stellt jedoch nicht ausschließlich auf eine konkrete andere Vergleichsperson ab, sondern lässt eine hypothetische Vergleichsperson genügen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG entspricht damit der Legaldefinition der unmittelbaren Diskriminierung in Art. 2 Abs. 2a der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000. Folgerichtig verlangt der Europäische Gerichtshof nicht, dass die beschwerte Person, die behauptet, Opfer einer Diskriminierung geworden zu sein, identifizierbar ist (EuGH 10.07.2008 - C-54/07 - AP Richtlinie 2000/43/EG Nr. 1