14.02.2013 · IWW-Abrufnummer 170029
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 23.01.2013 – 2 Sa 104/12
Für Lokführer beginnt die Arbeitszeit am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. Eine ein- bis zweimal im Monat stattfindende Verlängerung des Anfahrtsweges um etwa 75 Minuten stellt keine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz dar.
Tenor: 1. Die Berufung des Klägers wird auf seine Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Die Parteien streiten um den Umfang der Arbeitszeit am 22. Juni 2011 bzw. um die Frage der Arbeitszeit von Lokführern bei unterschiedlichen Einsatzstellen. Dem liegt ausweislich des Tatbestandes des Urteils des Arbeitsgerichts Rostock vom 01.02.2012 - 4 Ca 1276/11 - folgender Sachverhalt zur Grunde: Der 1953 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit 1974 als Lokführer beschäftigt. Seine ursprüngliche Einsatzstelle war A-Stadt. Am 11. Dezember 2002 wurde der Kläger von A-Stadt in die Einsatzstelle S. versetzt. Sein regelmäßiger Arbeitsort ist seither S.. In B-Stadt herrscht unter den Lokführern Personalbedarf. Die Beklagte entschloss sich, diesen Personalbedarf durch ein roulierendes System von in S. tätigen Lokführern zu schleißen. Arbeitnehmer mit Einsatzort in S. werden über die Einsatzpläne, die mit dem Betriebsrat abgesprochen worden sind, maximal zweimal im Monat in B-Stadt eingesetzt. Der Betrieb der Beklagten stellt die Region Mecklenburg-Vorpommern dar. Diese Idee wurde zunächst als Pilotprojekt umgesetzt. Dabei wirkte der Gesamtbetriebsrat mit. Nach Anhörung der Beschäftigten wurde das Pilotprojekt schließlich in den Echtbetrieb überführt. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger seine individuelle Zustimmung zu dieser Verfahrensweise abgegeben hat. Jedenfalls existiert eine Unterschriftenliste, auf der auch der Kläger unterschrieben hat, die von der Beklagten vorgelegt worden ist als Nachweis für das Ergebnis der Mitarbeiterbefragung. Der Kläger glaube nicht, dass er seine Zustimmung erteilt hat. Jedenfalls wird seit 2009 so verfahren. So hat der Kläger auch am 22. Juni 2011 nach dem Dienstplan einen Einsatz in B-Stadt gehabt. Dafür schrieb die Beklagte dem Kläger die für diesen Tag geplante Arbeitszeit, die mehr als 1/261 h der Gesamt-Jahresarbeitzeit beträgt, gut. Der Betriebsrat stimmte diesem Dienstplan im Vorfeld gemäß der Regelungsabsprache zu. Unter dem 20. Januar 2010 schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag. Danach war der Kläger als Triebfahrzeugführer Strecke auf unbestimmte Zeit bei der Beklagten weiter beschäftigt worden. Einen Arbeitsort haben die Parteien im Vertrag nicht vereinbart. Nach § 2 des Vertrages wurde vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis die jeweils für die Betrieb oder Betriebsteil der Beklagten betrieblich/fachlich einschlägigen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweiligen Fassung angewendet werden. Zum Inhalt des Vertrages wird auf die Anlage B1 verwiesen. Somit findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien insbesondere der Tarifvertrag für Lokomotivf ührer von Schienenverkehrsunternehmen des Agv MoVe (fortan: LfTV) Anwendung. Dieser enthält, soweit hier von Belang, folgende Regelungen: § 12 Arbeitsbedingungen (1) Der Arbeitnehmer hat bei Vorliegen betrieblicher Erfordernisse jede ihm übertragene Tätigkeit - auch an einem anderen Arbeitsort und in einem anderen Betrieb - des jeweiligen Arbeitgebers auszuüben, die ihm nach seiner Befähigung, Ausbildung, körperlichen Eignung und seinen sozialen Verhältnissen zugemutet werden kann... § 30 Arbeitszeit, Reisezeit an arbeitsfreien Sonn- oder gesetzlichen Feiertagen (1) Bei Firmenreisen (Dienstreisen) gilt nur die Zeit der tatsächlichen betrieblichen Inanspruchnahme am auswärtigen Einsatzort als Arbeitszeit, es wird jedoch mindestens die für diesen Tag geplante Arbeitszeit, mindestens aber 1/261 des individuellen regelmäßigen Jahresarbeitszeit-Solls verrechnet. Nach Erledigung des auswärtigen Arbeitsauftrages ist die Weiter- oder Rückreise unverzüglich anzutreten und die Arbeit fortzusetzen, soweit dazu die Verpflichtung besteht... § 52 Arbeitszeitverteilung/Arbeitszeitbewertung (12) Eine Schicht umfasst den gesamten Zeitraum einschließlich der Fahrgastfahrten, Bereitschaftszeiten und Tätigkeitsunterbrechungen zwischen 2 Ruhezeiten bzw. Zeiten ohne Arbeitsverpflichtung (ZoA) von mehr als 5 und weniger als 9 Stunden Dauer... § 53 Beginn und Ende der Arbeitszeit (1) Die Arbeitszeit beginnt und endet am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. Durch betriebliche Regelungsabrede kann festgelegt werden, dass ein Zeitverwaltungssystem durch ein Daten-Terminal zu bedienen ist. (2) Für Arbeitnehmer beginnt und endet die Arbeitszeit am Ort des Dienstbeginns (Schichtsymmetrie). Abweichungen davon, innerhalb der politischen Gemeinde, bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall für den Transfer zurück zum Ort des Arbeitsbeginns innerhalb einer angemessenen Zeit auf seine Kosten verantwortlich. Näheres regelt eine Betriebsvereinbarung, in der eine vergleichbare, von der politischen Gemeinde abweichende, räumliche Zuordnung vorgesehen werden kann... Mit der beim Arbeitsgericht Rostock am 31. August 2011 eingegangenen Klage begehrt der Kläger hauptsächlich einen Zuschlag zur Arbeitszeit am 22. Juni 2011 und hilfsweise die Feststellung, zur Arbeit in B-Stadt nicht verpflichtet zu sein. Eine Klage auf Feststellung der Arbeitszeit vom 22. Juni 2011 mit 13 Stunden und 20 Minuten bzw. hilfsweise festzustellen, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, seinen Dienst auf dem Hauptbahnhof B-Stadt zu beginnen, hat das Arbeitsgericht Rostock durch das vorgenannte Urteil abgewiesen und für Recht erkannt: I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen. III. Der Streitwert wird auf 2.907,00 EUR festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, nach § 53 Abs. 1 LfTV beginne und Ende die Arbeitszeit am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. Dieser ergebe sich nach der Auslegung über die Dienstpläne. Deshalb sei am fraglichen Tag die Meldestelle B-Stadt der Arbeitsplatz gewesen. Der Vortrag des Klägers, er habe seinen Rucksack holen und wegbringen müssen, sei ohne Belang. Eine arbeitsrechtliche Weisung, dass er bevor er seinen Dienst in B-Stadt beginne, in S. erscheinen müsse, bestehe nicht. Der gelegentliche Einsatz des Klägers wie auch der anderer Lokführer aus S. überschreite auch nicht die Grenzen des Ermessens. Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Der Kläger hat gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, wegen der Abholung des Rucksackes und der Umkleidung müsse er die Meldestelle in S. aufsuchen. Auch sei die Auslegung von § 53 Abs. 1 LfTV fehlerhaft. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sei auch zu berücksichtigen, dass er bereits nach S. versetzt worden sei. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Rostock vom 01.02.2012 - 4 Ca 1276/11 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Arbeitszeit des Klägers vom 22. Juni 2011 mit 13 Stunden 20 Minuten festzustellen; festzustellen, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, seinen Dienst auf dem Hauptbahnhof B-Stadt zu beginnen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte tritt der angefochtenen Entscheidung bei. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. 1. Auch wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass er am 22. Juni 2011 die Meldestelle in S. aufgesucht hat um anschließend nach B-Stadt zu fahren, ist der Hauptantrag nicht begründet. Das Arbeitsgericht Rostock hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nach § 53 Abs. 1 LfTV die Arbeitszeit am vorgeschriebenen Arbeitsplatz beginnt und dass sie aus § 53 Abs. 2 ergibt, dass der Ort des Dienstbeginns mit Zustimmung des Betriebsrats unterschiedlich festgelegt werden kann. Nach Auffassung der Kammer ist es dem Kläger auch zumutbar, ein- bis zweimal im Monat den Rucksack mit den Materialien mit nach Hause zu nehmen, um von dort aus ohne Zwischenstopp in S. die Reise zum Arbeitsort nach B-Stadt anzutreten. Entsprechendes gilt für die Dienstkleidung, wenn der Kläger den Wunsch hat, seine nicht besonders auffällige Dienstkleidung nicht schon auf dem Weg zur Arbeit zum Arbeitsort zu tragen. Die Dienstkleidung ist nicht in einem markanten und signalgebenden Ton gehalten, so dass von einer auffälligen Bekleidung, wie sie der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.11.2009 -1 ABR 54/08 - zur Grunde gelegt hat, nicht ausgegangen werden kann. Ob die Umkleidezeit selbst zur Arbeitszeit gerechnet werden muss, braucht mangels konkreter Angaben des Klägers hierzu nicht entschieden zu werden. Die Zuweisung des Arbeitsorts B-Stadt ist auch keine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG. Die Weisung, ein- bis zweimal im Monat insgesamt etwa 2,5 Stunden An- und Abfahrtzeit zum Arbeitsort in Kauf zu nehmen, stellt keine erhebliche Änderung der Umstände dar, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass dem Betriebsrat sämtliche Umstände im Zusammenhang mit dem Personalüberhang an der Meldestelle S. bekannt sind und er deshalb bei der Zustimmung zu den Dienstplänen im Sinne von § 87 BetrVG auch mit den Personalmaßnahmen hinsichtlich des Klägers einverstanden ist. Auch der Hilfsantrag ist nicht begründet. Die Entscheidung, die Lokführer in einem roulierenden System ein- bis zweimal im Monat in B-Stadt einzusetzen, statt einen Lokführer dauerhaft von S. nach B-Stadt zu versetzen, ist in Absprache und mit Zustimmung der Mehrheit der Belegschaft getroffen worden. Und auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Klägers hinsichtlich seines Wohnorts in A-Stadt nicht zu beanstanden. 2. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Zur Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG besteht kein Anlass.