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27.07.2012 · IWW-Abrufnummer 168948

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 13.12.2011 – 11 Sa 863/11

- Einzelfall zur Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft -


Tenor: Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.05.2011 - 17 Ca 10234/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob die Tätigkeit der Klägerin im sogenannten G -S (G ), der beim J angesiedelt ist, als Bereitschaftsdienst oder als Rufbereitschaft anzusehen ist. Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt seit dem Jahre 1985 als Sozialarbeiterin beschäftigt. Durch Einrichtung des G , der über eine Notrufnummer erreichbar ist, stellt die Stadt eine 24-stündige Erreichbarkeit des J sicher, auch an Wochenenden und Feiertagen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des TVöD-VKA Anwendung. Das Arbeitsgericht hat auf den Hilfsantrag der Klägerin durch Urteil vom 12.05.2011 (Bl. 52 ff. d.A.) erkannt, dass die nachts und am Wochenende von der Klägerin verrichtete Tätigkeit im Rahmen des G als Bereitschaftsdienst zu werten sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Sofortdienst könne sachgerecht nur ausgeführt werden, wenn die Klägerin in der Wahl ihres Aufenthaltsortes eingeschränkt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Gegen das ihr am 25.07.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte unter dem 10.08.2011 Berufung eingelegt und diese am 09.09.2011 begründet. Die Beklagte trägt vor, die Klägerin könne aufgrund der zur Verfügung gestellten technischen Hilfsmittel, Blackberry-Mobiltelefon sowie Laptop mit funktionsfähiger UMTS-gestützter Internetverbindung nebst Software, von jedem beliebigen Ort aus die Daten des Meldeamts aufrufen. Eine Frist zur Arbeitsaufnahme sei ihr unstreitig nicht gesetzt. Etwaigen Beeinträchtigungen, z.B. akustischer Natur oder Anwesenheit Dritter, könne die Klägerin durch Ortswechsel oder kurzfristigen Rückruf begegnen. Sie sei daher in der Wahl ihres Aufenthaltsortes nicht eingeschränkt. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.05.2011 - Az.: 17 Ca 10234/10 - abzuändern und die Klage (insgesamt) abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Klägerin führt aus, dass sie auf Gefährdungsmeldungen unmittelbar reagieren und ggfs. Sofortmaßnahmen ergreifen müsse. Sie könne daher ihre Tätigkeit nur von zu Hause aus verrichten. Zudem sei die Internetverbindung über den UMTS-Stick äußerst instabil und die Akku-Leistung des Laptops unzureichend. Die Entgegennahme einer Kindeswohlgefährdungsmittelung an öffentlichen Orten hält sie für nicht statthaft und verweist auf datenschutzrechtliche Bedenken. Mit der Seriosität und dem Ernst der Arbeit wäre es nicht vereinbar, wenn sie die Meldung der akuten Kindeswohlgefährdung für den Anrufer hörbar etwa im Rahmen einer Feier, eines Konzerts, einem Fußballstadion oder einer Kneipe entgegen nehmen würde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze vom 09.09.2011, 17.11.2011 und 06.12.2011 Bezug genommen. Entscheidungsgründe: I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet. II. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die nächtliche Tätigkeit sowie den Dienst am Wochenende im Rahmen des G zutreffend als Bereitschaftsdienst im Sinne des § 7 Abs. 3 TVöD gewertet. 1. Bereitschaftsdient liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer, ohne dass von ihm wache Aufmerksamkeit gefordert wird, für Zwecke des Betriebs an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen kann. Bereitschaftsdienst ist danach keine volle Arbeitsleistung, sondern eine Aufenthaltsbeschränkung, die mit der Verpflichtung verbunden ist, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden (BAG, Urt. v. 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 -). Demgegenüber liegt Rufbereitschaft vor, wenn der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort selbst bestimmen kann. Mit dem Wesen der Rufbereitschaft ist es nicht vereinbar, wenn zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme zeitliche Vorgaben bestehen, die den Arbeitnehmer faktisch zwingen, sich in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz aufzuhalten (BAG, Urt. 31.01.2002 - 6 AZR 214/00 -). Das wesentliche Differenzierungskriterium ist demnach die freie Bestimmung des Aufenthaltsortes. Nur wenn der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, sich um persönliche oder familiäre Angelegenheiten kümmern zu können, z.B. Teilnahme an einer sportlichen oder kulturellen Veranstaltung, liegen die Voraussetzungen einer Rufbereitschaft vor (LAG Köln, Urt. v. 13.08.2008 - 3 Sa 1453/07 -). 2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen erweist sich die G -Tätigkeit der Klägerin nicht als Rufbereitschaft, sondern als Bereitschaftsdienst. Zwar hat die Beklagte der Klägerin ausdrücklich keine zeitlichen oder örtlichen Vorgaben erteilt. Jedoch ist eine an den Zwecken des G ausgerichtete, sachgerechte Wahrnehmung der Tätigkeit ohne Gefährdung des Einsatzzweckes zur Überzeugung der Berufungskammer nicht möglich, wenn die Klägerin nicht unverzüglich auf die Meldung der Kindeswohlgefährdung reagiert und zu diesem Zweck die Wahl ihres Aufenthaltsortes erheblich einschränkt. Sie muss sich unmittelbar in der Nähe einer geeigneten Arbeitsmöglichkeit aufhalten. Dabei ist zu beachten, dass der G nicht lediglich eine Ansprechstelle außerhalb der regulären Tagesdienstzeiten darstellt. Vielmehr ist er nach seiner Konzeption so ausgerichtet, dass über die Notrufnummer eine schnelle und fallgerechte Reaktion auf Meldungen besorgter Bürger oder öffentlicher Stellen gewährleistet wird. Die Einrichtung des G beruht darauf, dass der Gesetzgeber als Reaktion auf Vernachlässigungsfälle mit Todesfolge den Schutzauftrag im novellierten Kinder- und Jugendhilfegesetz präzisiert und verstärkt hat. Nach dem eigenen Internetauftritt der Beklagten kann der G bei akutem Handlungsbedarf unmittelbar Hilfestellung leisten und verfügt über die erforderliche Entscheidungskompetenz. Er hat die Möglichkeit, ein gefährdetes Kind in Obhut zu nehmen. In dieses Bild passt auch die von der Klägerin dargestellte, unwidersprochen gebliebene Darstellung ihrer Tätigkeit. Sie hat nach telefonischer Kontaktaufnahme den Sachverhalt zu ermitteln, ggfs. den Anrufer zu beraten, die Polizei zu informieren, die Herausnahme des Kindes aus der Gefährdungslage zu arrangieren oder ähnliche Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Zur Ausübung dieser Tätigkeit bedarf es des Zugriffs auf das Intranet der Beklagten und Daten des Einwohnermeldeamts. Die Aufgabenstellung, insbesondere die potentielle Gefährdungssituation, führt faktisch zu einer zeitlichen Vorgabe, die einer freien Gestaltung einer an sich arbeitsfreien Zeit entgegen steht. Sie schränkt auch die freie Wahl des Aufenthaltsortes wesentlich ein. Es ist für die Berufungskammer ohne weiteres nachvollziehbar, wenn die Klägerin um eine sachgerechte Entgegennahme eines Anrufs über die Notfallnummer zu ermöglichen, öffentliche Orte mit Hintergrundkulisse meidet. Sie sind geeignet, die Kontaktaufnahme mit dem Anrufer erheblich zu stören und die Gesprächsführung zu beeinträchtigen. Die Erörterung der Gefahrenlage, einschließlich der damit verbundenen persönlichen Daten der Betroffenen, gehört nicht an die Öffentlichkeit. Es ist auch nicht zu verkennen, dass die Wahrnehmung der Öffentlichkeit beim Anrufer irritierend wirken, ihn eventuell sogar von der Darlegung notwendiger Einzelheiten abhalten kann. Ob für die Klägerin die Möglichkeit besteht, einen ruhigeren Platz zum Telefonieren aufzusuchen ist, ist rein spekulativ und wäre davon abhängig, welche Veranstaltung die Klägerin wann und wo in ihrer Freizeit aufsucht. Auch der von der Beklagten dargelegte Weg über die Fertigung von Notizen mit anschließendem Rückruf erscheint nicht überzeugend. Zum einen hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, dass die Nummer des Anrufers bei der Rufweiterleitung auf das Diensthandy nicht übermittelt wird. Zum anderen erfordern Notfälle ggfs. eine sofortige, keine zeitverzögerte Reaktion. Darüber hinaus ist auch nicht sicher gestellt, dass ein Rückruf tatsächlich zu alsbaldiger erneuter Kontaktaufnahme führt. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht gegeben sind.

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