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13.07.2012 · IWW-Abrufnummer 168880

Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 13.07.2011 – 6 Sa 1957/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor: Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Frankfurt am Main vom 2. Dezember 2010 - 20 Ca 4279/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und Annahmeverzugslohn. Der am 31. August 1961 geborene und verheiratete Kläger, der schwerbehindert ist mit einem Grad der Behinderung von 80, ist seit 14. März 1983 bei der Beklagten in der telefonischen Kundenbetreuung Teilzeit mit 20 Wochenstunden und einem Monatsverdienst von € 1.537,34 brutto beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich des bargeldlosen und kartengestützten Zahlungsverkehrs. Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet. Der Kläger ist Mitglied des Betriebsrates seit 2002. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 15. Juni 2010 (vgl. Anlage K 2 zur Klageschrift vom 22. Juni 2010 Bl. 14 d. A. und Anlage zur Klageerwiderung vom 29. September 2010 Bl. 101 d. A.) außerordentlich und fristlos. Gegen diese ihm am 16. Juni 2010 zugegangene Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 22. Juni 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 30. Juni 2010 zugestellten Kündigungsschutzklage. Die Beklagte beantragte vor Ausspruch der Kündigung mit Schreiben vom 23. April 2010 beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers (vgl. Anlage K 1 zur Klageschrift vom 22. Juni 2010, Bl. 7 - 13 d. A. und Anlage zur Klageerwiderung vom 29. September 2010, Bl. 71 - 77 d. A.) wegen des Kündigungssachverhalts des unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit und beharrlicher Arbeitsverweigerung und zum Verdacht des Arbeitszeitbetruges durch Vortäuschen von Betriebsratstätigkeit. Der Betriebsrat fasste am 26. April 2010 den Beschluss, der Kündigung nicht zuzustimmen (vgl. Anlage zur Klageerwiderung vom 29. September 2010, Bl. 78 d. A.). Die Beklagte beantragte weiter vor Ausspruch der Kündigung mit Antragschrift vom 23. April 2010 (vgl. Anlage zur Klageerwiderung vom 29. September 2010, Bl. 88 - 94 d. A.) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers beim Landeswohlfahrtsverband Hessen. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen stimmte der Kündigung mit Bescheid vom 07. Mai 2010, eingegangen bei der Beklagten vom 11. Mai 2010, zu (vgl. Anlage zur Klageerwiderung vom 29. September 2010, Bl. 95 - 100 d. A.). Der Kündigungssachverhalt, der diesen Zustimmungsanträgen zugrunde liegt, besteht hinsichtlich des Vorwurfs des unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit und der beharrlichen Arbeitsverweigerung darin, dass der Kläger trotz vorangegangener Abmahnungen vom 22. März 2010 und 23. März 2010 (vgl. Anlagen zur Klageerwiderung vom 29. September 2010, Bl. 82 - 84 und Bl. 85 - 87 d. A.) ohne Genehmigung seiner Vorgesetzten am 15. April 2010 während seiner laut Einsatzplan von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr festgelegten Arbeitszeit im Anschluss an seine Mittagspause für ein Gruppenfoto zur anstehenden Betriebsratswahl zur Verfügung stand und deshalb erst wieder um 13.57 Uhr eingestochen hat, statt um 13.34 Uhr nach Beendigung der 30minütigen Mittagspause, wobei der Kläger an diesem Tag allerdings nicht um 17.31 Uhr, sondern um 17.49 Uhr ausgestochen hat, und dass der Kläger am 16. April 2010 während seiner laut Einsatzplan von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr festgelegten Arbeitszeit von 9.47 Uhr bis 12.01 Uhr ausgestochen hat, um Wahlflyer zu verteilen und dann von 14.47 Uhr bis 16.41 Uhr nachgearbeitet hat. Der weitere Kündigungssachverhalt, der diesen Zustimmungsanträgen zugrunde liegt, besteht hinsichtlich des Vorwurfs des Verdachtes des Arbeitszeitbetruges darin, dass der Kläger am 14. April 2010 ganztätig, d. h. für die gesamte Arbeitszeit laut Einsatzplan von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr Betriebsratstätigkeit angegeben hat, obwohl nach Aussage der Betriebsratsvorsitzenden es an diesem Tag keine weiteren Betriebsratstätigkeiten bzw. -termine gab als einen sog. Commissiontermin und einen Termin des Personalausschusses, an dem der Kläger nicht teilgenommen hat, und dass der Kläger weiter am 15. April 2010 ganztägig, d. h. für die gesamte Arbeitszeit laut Einsatzplan von 9.00 Uhr bis 17.30 Uhr Betriebsratstätigkeit angegeben hat, wobei der Kläger schon um 8.09 Uhr eingestochen hat wegen Betriebsratstätigkeit zur Vorbereitung der Betriebsratssitzung, die an diesem Tag von 9.00 Uhr bis 9.55 Uhr stattgefunden hat und an der der Kläger auch teilgenommen hat. Die Beklagte bezweifelt die Erforderlichkeit einer Vorbereitung der Betriebsratssitzung durch den Kläger und hat den Verdacht, dass keine erforderliche Betriebsratstätigkeit zumindest von 10.00 Uhr bis 17.49 Uhr stattgefunden hat. Der Kläger teilte in der Anhörung vom 22. April 2010 mit, dass er erforderlicher Betriebsratstätigkeit nachgegangen sei. Die Frist zu einer schriftlichen Stellungnahme gemäß Schreiben der Beklagten vom 22. April 2010 (vgl. Anlage zur Klageerwiderung vom 29. September 2010, Bl. 69 d. A.) ließ der Kläger verstreichen. Die Beklagte leitete nach Zustimmungsverweigerung des Betriebsrates ein Zustimmungsersetzungsverfahren beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen 20 BV 274/10 ein. In der Folge beantragte die Beklagte erneut die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers wegen des Vorwurfs des Verdachtes eines Arbeitszeitbetruges des Klägers durch Vortäuschen von Betriebsratstätigkeit mit Schreiben vom 17. Mai 2010 (vgl. Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 18. November 2010, Bl. 152, 153 d. A.), weil der Kläger angab, am 05. Mai 2010 in der Zeit von 16.00 Uhr bis 17.30 Uhr und am 07. Mai 2010 in der Zeit von 9.14 Uhr bis 12.20 Uhr Betriebsratstätigkeit nachgegangen zu sein. Anlässlich dieser Anhörung stimmte der Betriebsrat der Kündigung des Klägers mit Beschluss vom 15. Juni 2010 zu. Die Beklagte sprach daraufhin die streitgegenständliche Kündigung aus. Das Beschlussverfahren wurde für erledigt erklärt. Die Beklagte beantragte erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers wegen des Vorwurfs des Verdachtes eines Arbeitszeitbetruges mit Schreiben vom 01. April 2011 (vgl. Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 19. April 2011, Bl. 293 - 297 d. A.), weil der Kläger angab, am 31. März 2010 ganztägig Betriebsratstätigkeit nachgegangen zu sein, insbesondere von 13.00 Uhr an einen offiziellen Termin wahrgenommen zu haben. Die Beklagte führte im Zustimmungsantrag aus, dass laut Aussage der Betriebsratsvorsitzenden am 31. März 2011 keine Betriebsratsaktivitäten geplant gewesen seien. Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 01. April 2011 auch die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers wegen des Vorwurfs des unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit, weil der Kläger am 29. April 2010 zwischen 16.02 Uhr und 17.06 Uhr ohne Genehmigung seiner Vorgesetzten beim Auszählen der Stimmen der Betriebsratswahl während seiner laut Einsatzplan an diesem Tag festgelegten Arbeitszeit anwesend war. Der Betriebsrat stimmte der außerordentlichen Kündigung des Klägers erneut am 07. April 2011 zu. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 02. Dezember 2010 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 15. Juni 2010 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 6.918,03 brutto abzüglich € 3.262,55 gezahlten Arbeitslosengeldes nebst Zinsen zu zahlen. Es hat zum Kündigungsgrund des unerlaubten Fernbleibens von der Arbeitsleistung angenommen, dass der Kläger trotz Abmahnung sich unerlaubt während seiner Arbeitszeit vom Arbeitsplatz entfernt habe und somit seine Arbeitspflicht verletzt habe. Dennoch könne im vorliegenden Fall jedoch die erforderliche negative Zukunftsprognose nicht festgestellt werden, weil das unerlaubte Fernbleiben vom Arbeitsplatz ausschließlich zum Zwecke der Wahlwerbung erfolgt sei und somit nach Abschluss der Betriebsratswahl mit Bekanntwerden des Wahlergebnisses am 29. April 2010 keine Wiederholungsgefahr bestehe. Das Arbeitsgericht hat weiter hinsichtlich des Kündigungsgrundes des Vorwurfs des Verdachtes des Arbeitszeitbetruges wegen Vortäuschens von Betriebsratstätigkeit angenommen, dass sich ein dringender Tatverdacht aus den Darlegungen der Beklagten nicht ergebe. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, insbesondere auch zu der angezweifelten Betriebsratstätigkeit bzw. deren Erforderlichkeit wird auf die angegriffene Entscheidung Bezug genommen, ebenso hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Erwägungen des Arbeitsgerichtes im Einzelnen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte innerhalb der zu Protokoll der Sitzungsniederschrift des Berufungsgerichtes vom 13. Juli 2011 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des dringenden Verdachtes eines Arbeitszeitbetruges verkannt. Zu den vom Kläger behaupteten Betriebsratstätigkeiten habe die Beklagte konkret entgegnet und für ihren Vortrag Beweis angeboten. Bei anderen behaupteten vermeintlichen Betriebsratstätigkeiten würden die Ausführungen des Klägers nicht dessen Darlegungs- und Beweislast genügen. Der Kläger müsse, damit sich das Gericht von der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit überzeugen kann, die Betriebsratstätigkeit so substantiiert darlegen, dass zum einen nachvollzogen werden kann, was der Kläger genau getan hat, und dass das Gericht anhand dieser Schilderung entscheiden kann, ob die entfaltete Betriebsratstätigkeit erforderlich war und die beanspruchte Zeit hierfür benötigt wurde. Auch müsse die Ankündigung während der Arbeitszeit Wahlwerbung machen zu wollen, bei der späteren Einlassung des Klägers, es habe Betriebsratstätigkeit gegeben, mitberücksichtigt werden. Die Beklagte meint weiter, das Arbeitsgericht habe auch den Kündigungssachverhalt des unerlaubten Entfernens des Klägers vom Arbeitsplatz falsch bewertet. Die Annahme des Arbeitsgerichtes, es gebe andere Sanktionsmöglichkeiten, sei falsch. Ein Lohnabzug sei nicht möglich, da der Kläger für die Wahlwerbung ausgestochen habe. Abmahnungen seien bereits ausgesprochen. Die Annahme eines beanstandungsfreien Vertragsverhältnisses in der Vergangenheit sei deshalb auch unzutreffend. Der Kläger habe mehr als deutlich gemacht, dass er sich über Anweisungen der Vorgesetzten hinweg setzt. Dies führe zu einer nicht unerheblichen Diskreditierung der Vorgesetzten. Die Beklagte meint, wer derart eklatant seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletze wie der Kläger, der dokumentiere, dass er auch zukünftig nicht bereit sei, die Vorgaben des Arbeitgebers einzuhalten. Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 02. Dezember 2010 - 20 Ca 4279/10 - die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger meint, die Kündigung verstoße gegen § 85 SGB IX, weil die Beklagte nicht innerhalb eines Monats (§ 88 Abs. 3 SGB IX) nach Zugang der Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt habe. In § 91 Abs. 1 SGB IX sei geregelt, dass die §§ 85 ff. SGB IX mit Ausnahme des § 86 SGB IX auch bei einer außerordentlichen Kündigung gelten. Die Regelung des § 91 Abs. 5 SGB IX verdränge deshalb nicht die Regelung des § 88 Abs. 3 SGB IX. Der Kläger meint weiter, dass auch kein Kündigungsgrund bestehe. Er habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Es sei nicht richtig, dass die Beklagte bzw. der seinerzeitige Betriebsratsvorsitzende anlässlich der bevorstehenden Betriebsratswahl 2010 darüber informiert hätten, dass Wahlwerbung nicht während der Arbeitszeit erfolgen dürfe und dafür keine Freistellung von der Arbeit wie bei Betriebsratstätigkeit in Anspruch genommen werden könne. Richtig sei vielmehr, dass die Information dahin lautete, dass nicht erwartet werden könne, dass dafür bezahlt werde, dass während der Arbeitszeit Wahlwerbung gemacht wird. Entsprechend habe der seinerzeitige Betriebsratsvorsitzende Jäger im November 2009 darauf hingewiesen, dass nachgearbeitet werden müsse, ansonsten es dazu führen würde, dass kein Vergütungsanspruch besteht. So sei auch bei den vorangegangenen Betriebsratswahlen verfahren worden. Die ausgefallene Arbeitszeit sei nachgearbeitet worden. Der Kläger meint weiter, dass auch der Kündigungsgrund eines Verdachtes auf Arbeitszeitbetrug nicht vorliege. Der Kläger verteidigt die Ansicht des Arbeitsgerichtes, dass die Beklagte keine Umstände dargelegt habe, die seine schriftsätzlichen Einlassungen zu den konkreten Betriebsratstätigkeiten widerlegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens und der Rechtsausführungen der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 c ArbGG), außerdem frist- und formgerecht eingelegt worden (§ 66 ArbGG, §§ 517, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig. In der Sache ist die Berufung der Beklagten jedoch unbegründet. Die Kündigung ist nicht aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB begründet. Aufgrund dessen steht dem Kläger auch der Annahmeverzugslohn in der ausgeurteilten Höhe zu (§§ 611, 615 BGB). Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für die Kündigung abzugeben (erste Stufe) und ob sodann bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Interessenabwägung sich ergibt, dass auch die konkret ausgesprochene Kündigung gerechtfertigt ist (zweite Stufe). Dabei können nicht nur erwiesene Vertragspflichtverletzungen, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder Vertragspflichtverletzung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigen Arbeitnehmer abgeben. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstört (BAG, Urteil v. 26.03.1992 - 2 AZR 519/91 - AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbare Handlung). Der Verdacht, der unter diesen Voraussetzungen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, muss allerdings objektiv durch Tatsachen begründet sein, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können (vgl. BAG, Urteil v. 14.09.1994 - 2 AZR 164/94 - AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbare Handlung). Eine beharrliche Verletzung der Arbeitspflicht rechtfertigt in der Regel eine außerordentliche Kündigung. Erforderlich sind wiederholte, bewusste und nachhaltige Verletzungen der Arbeitspflicht (vgl. BAG, Urteil v. 21.11.1996 - 2 AZR 357/95 - AP Nr. 130 zu § 626 BGB). Auch der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen (vgl. BAG, Urteil v. 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - AP Nr. 197 zu § 626 BGB). Zunächst zum Kündigungsgrund der beharrlichen Arbeitsverweigerung bzw. des unerlaubten Entfernens vom Arbeitsplatz: Die nicht abgemahnten Vorwürfe insoweit betreffen den 05. April 2010 mit 23 Minuten unentschuldigten Fernbleibens vom Arbeitsplatz im Anschluss an die Mittagspause für ein Gruppenfoto für die Betriebsratswahl, den 16. April 2010 in der Zeit von 9.47 Uhr bis 12.01 Uhr aufgewandte Zeit für das Verteilen von Wahlflyern und den 29. April 2010 von 16.02 Uhr bis 17.06 Uhr für die Teilnahme des Klägers an der Stimmenauszählung der Betriebsratswahl. Nach Ansicht des Berufungsgerichts erfüllen diese Sachverhalte nicht den Tatbestand der beharrlichen Arbeitsverweigerung im Sinne der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes. Auch soweit dem Kläger gleichwohl der Vorwurf gemacht werden muss, seine Arbeitspflicht verletzt zu haben, die durch die gemäß Einsatzplan festgelegte Arbeitszeit konkretisiert war, so ist doch diese Pflichtverletzung nicht so gravierend, als dass sie unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Parteien eine außerordentliche Kündigung zu begründen vermag. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Ausübung des Weisungsrechtes des Arbeitgebers (§ 106 GewO) billigem Ermessen entsprechen muss. Es ist nicht ersichtlich, dass die Vorgesetzte des Klägers bei ihrer Entscheidung dem Kläger die Teilnahme an der Stimmauszählung zur Betriebsratswahl während der Arbeitszeit zu verweigern nach billigem Ermessen gehandelt hat. Nicht verkannt wird dabei, dass dem Kläger weiter der Vorwurf gemacht werden muss, dass er eigenmächtig bzw. sogar gegen ausdrückliche Anweisung seiner Vorgesetzten über seine Arbeitszeit disponiert hat. Die Beklagte hat auch unter Beweisantritt vorgetragen, dass dem Kläger verdeutlicht worden ist, dass die Wahlwerbung außerhalb der Arbeitszeit zu erfolgen hat. Spätestens mit den Abmahnungen hätte dem Kläger auch klar sein müssen, dass damit die Arbeitszeit vor bzw. nach der gemäß Einsatzplanung festgelegten Arbeitszeit gemeint ist, dass es also nicht nur darum geht, dass die Beklagte die für die Wahlwerbung aufgewandte Zeit nicht wie Betriebsratstätigkeit vergüten will, sondern auch auf Einhaltung der festgelegten Arbeitszeiten besteht. Da es keine abstrakten Kündigungsgründe gibt, muss aber anhand der Umstände des vorliegenden Einzelfalls beurteilt werden, ob dieses Fehlverhalten des Klägers eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt; die ordentliche Kündigung des Klägers ist nach § 15 Abs. 1 KSchG ausgeschlossen. Dabei ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie ein Interesse an der Einhaltung der einmal festgelegten Arbeitszeit hat, auch wenn es zu keinen betrieblichen Störungen gekommen ist und der Arbeitsanfall durch Nacharbeit des Klägers bewältigt werden konnte, wovon das Berufungsgericht Mangels entgegenstehenden Sachvortrags der Beklagten ausgeht. Zu Gunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass das über 15 Jahre bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien bis auf die hier in Rede stehenden Pflichtverletzungen, die einen Bezug zu den Betriebsratswahlen haben, unbelastet war. Die Zukunftsprognose erscheint daher positiv, auch wenn bei erfolgreicher Anfechtung der Betriebsratswahl durch den Kläger und seine Kollegen die Wahl zu wiederholen wäre. Jedenfalls aber sind die dem Kläger vorzuhaltenden Pflichtverletzungen nicht so gravierend, als dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien unwiederbringlich zerstört wäre. Weiter zum Kündigungsgrund des Verdachtes des Arbeitszeitbetruges: Hierzu ist festzustellen, dass die Beklagte dem Betriebsrat keine dringenden Verdachtsmomente für einen derartigen Verdacht mit den Anträgen auf Zustimmungserteilung vom 23. April 2010, 17. Mai 2010 und 01. April 2011 mitgeteilt hat. Dies wäre jedoch erforderlich. Auch im Rahmen des Zustimmungsverfahrens nach § 103 BetrVG hat der Arbeitgeber die Kündigungsgründe anzugeben. Hierbei muss er den Betriebsrat über alle Gesichtspunkte unterrichten, die ihn zu der Kündigung veranlassen. Dazu bedarf es der konkreten Angaben aller Tatsachen, auf die der Arbeitgeber seine Kündigung stützt. Dabei gilt wie im Rahmen des § 102 BetrVG, dass soweit die dem Betriebsrat mitgeteilten Umstände eine Kündigung nicht rechtfertigen können, der Arbeitgeber weitere Tatsachen im Kündigungsschutzprozess nicht nachschieben kann, wenn sie ihm im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrates bekannt sind. Dies gilt auch dann, wenn der Betriebsrat der Kündigung aufgrund der ihm mitgeteilten Kündigungsgründe zugestimmt hatte und/oder zu den neuen Kündigungsgründen gehört wird (vgl. BAG, Urteil v. 01.04.1981 - 7 AZR 1003/78 - AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972 und BAG, Urteil v. 26.09.1991 - 2 AZR 132/91 - AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Kündigungsgründe, die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sind, können nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber vor der Einführung dieser Kündigungsgründe in den Prozess den Betriebsrat hierzu angehört hat (vgl. BAG, Urteil v. 11.04.1985 - 2 AZR 139/84 - AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972). Die Beklagte hat dem Betriebsrat an Verdachtsmomenten für den Arbeitszeitbetrug durch Vortäuschen von Betriebsratstätigkeit bezüglich des 14. und 15. April 2010 in der Anhörung vom 23. April 2010 mitgeteilt, dass nach Aussage der Betriebsratsvorsitzenden am 14. April 2010 Betriebsratstätigkeit außer des Commissiontermins und des Termins des Personalausschusses nicht angefallen sind und ebenfalls nach Aussage der Betriebsratsvorsitzenden am 15. April 2010 nach Abschluss der Personalausschusssitzung keine weiteren Termine des Betriebsrates und aus ihrer Sicht auch keine weiteren Angelegenheiten, welche aus Betriebsratssicht an diesem Tag noch bestanden, angefallen sind. Auch in der Anhörung vom 01. April 2011 bezüglich der vom Kläger angegebenen Betriebsratstätigkeit am 31. März 2010 beruft sich die Beklagte als Verdachtsmoment auf die Aussage der Betriebsratsvorsitzenden. Damit hat die Beklagte dem Betriebsrat aber keine objektiven Tatsachen dargelegt, die den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges durch Vortäuschen von Betriebsratstätigkeiten begründen und so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Einer Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Klägers im Prozess zu den nach seiner Einlassung ausgeübten Betriebsratstätigkeiten und deren Erforderlichkeit bedarf es daher nicht. Auf diesen Prozessvortrag kann die Beklagte nämlich den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges durch Vortäuschen von Betriebsratstätigkeit nicht stützen, weil sie zu diesen ihr erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt gewordenen Umständen den Betriebsrat nicht angehört hat. Dies gilt auch dann, wenn der Betriebsrat - wie im Streitfall - der Kündigung zugestimmt hat (vgl. BAG, Urteil v. 11.04.1985 - 2 AZR 239/84 - aaO.). Die Kündigung ist hingegen nicht nach § 85 SGB IX unwirksam. Die außerordentliche Kündigung ist nicht in der Frist des § 88 Abs. 3 SGB IX zu erklären. Maßgeblich ist allein § 91 Abs. 5 SGB IX. Anderenfalls wäre ein schwerbehindertes Betriebsratsmitglied, dessen Kündigung der Betriebsrat nicht zugestimmt hat (§ 103 BetrVG) unkündbar, da der Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt nur innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB gestellt werden kann und ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG nicht innerhalb eines Monats rechtskräftig durchgeführt werden kann. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglos eingelegten Rechtsmittels nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen. Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht.

RechtsgebieteBGB, BetrVGVorschriftenBGB § 626 BetrVG § 102 BetrVG § 103

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