15.03.2001 · IWW-Abrufnummer 010380
Landgericht Stuttgart: Beschluss vom 31.01.2001 – 8 Qs 88/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
8 Qs 88/00
AG Stuttgart
26 Gs 15 354/00
- 8. Strafkammer -
Beschluss vom 31. Januar 2001
in dem Ermittlungsverfahren gegen die ...
Tenor:
1.
Auf die Beschwerde der Beschuldigten wird festgestellt, dass die Anordnung der Durchsuchung des Arbeitsplatzes der Beschuldigten durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2000 und die Durchsuchung selbst rechtswidrig waren.
2.
Soweit sich die Beschwerde darüber hinaus gegen die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung der Beschuldigten und der Wohnung ihrer Eltern in der ... durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2000 richtet, wird sie als unbegründet verworfen.
3.
Im übrigen wird die Sache zur Entscheidung nach § 98 Absatz 2 Satz 2 Strafprozessordnung an das Amtsgericht Stuttgart zurückgegeben.
4.
Die Beschwerdeführerin trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens; die Hälfte der ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
1.
Die Beschwerdeführerin machte mit ihrer am ... 1999 bei dem zuständigen Finanzamt ... eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 1998 einen Verlust von DM ... aus der Vermietung ihrer - am .... 1998 für DM ... erworbenen - im 1. Stock und im Dachgeschoss liegenden Wohnung im Gebäude ... geltend und begehrte den Ausgleich mit ihren positiven Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
Das Finanzamt erkannte mit Einkommensteuerbescheid vom ... 1999, geändert am ... 2000, im Veranlagungsverfahren für 1998 den Verlust nicht an, weil es davon ausging, dass die Beschwerdeführerin mit dem angegebenen Mieter in einem eheähnlichen Verhältnis lebt.
Die Beschwerdeführerin legte mit Schreiben vom ... 1999 gegen den Bescheid Einspruch ein und behauptete, eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit dem Mieter liege nicht vor.
Sie machte zudem mit ihrer am ... 2000 bei dem Finanzamt ... eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 1999 einen weiteren Verlust von DM ... aus der Vermietung derselben Wohnung geltend.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom ... 2000 hat das Amtsgericht Stuttgart auf Antrag der Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamts Stuttgart II die Durchsuchung
a. der in demselben Gebäude befindlichen Wohnung der Beschwerdeführerin ( 1. Stock und Dachgeschoss ) und
b. der - ebenfalls am ... gekauften - Wohnung ihrer Eltern ( EG ), sowie
c. des Arbeitsplatzes der Beschwerdeführerin bei einer Versicherung in ... zur Sicherstellung von Beweismitteln angeordnet.
Alle Durchsuchungen wurden am ... 2000 durchgeführt.
Mit der Beschwerde wird die Aufhebung des gesamten Beschlusses und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungen des Arbeitsplatzes und der Wohnungen begehrt.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss sei rechtswidrig, weil er keine die Durchsuchung rechtfertigenden Verdachtsmomente enthalte. Ein mündlicher Mietvertrag sei zivilrechtlich wirksam, Mietzahlungen müßten auf dem Überweisungsträger nicht als solche bezeichnet werden. Die Beschwerdeführerin und ihr jetziger Mieter hätten nur bis ca. Ende 1996 zusammen gelebt, daraus könnten für die Jahre 1998 und 1999 keine Schlüsse gezogen werden. Die Ähnlichkeiten im Schriftbild der Schreiben der Beschwerdeführerin an das Finanzamt mit jenem der Schreiben des Mieters an das Finanzamt seien im vorliegenden Verfahren unerheblich.
Zudem seien die sicherzustellenden Beweismittel im angefochtenen Beschluss nicht hinreichend konkretisiert.
Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss widerspreche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere dem Übermaßverbot. Vor allem die Durchsuchung des Arbeitsplatzes berge die Gefahr einer existenzgefährdenden Situation für die Betroffene. Der Tatvorwurf liege im Bereich der geringen Schuld und zudem hätten mildere Mittel als die Durchsuchung zur Verfügung gestanden, z.B. die Vernehmung von Zeugen oder das Auskunftsersuchen im Besteuerungsverfahren.
Das zulässige Rechtsmittel ist, soweit es sich gegen die Durchsuchung des Arbeitsplatzes richtet, begründet und soweit es sich gegen die Durchsuchung der Wohnungen richtet unbegründet.
Die Beschwerde gegen die Beschlagnahme ist als Antrag nach § 98 Absatz 2 Satz 2 Strafprozessordnung zu werten.
2.
Die Beschwerde gegen die Durchsuchung ist zulässig.
Die Anordnung der Durchsuchung hat sich zwar durch den Vollzug erledigt, das Interesse der Beschwerdeführerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und deren Anordnung besteht jedoch wegen der mit der Durchsuchung verbundenen tiefgreifenden Eingriffe in die Grundrechte der Beschwerdeführerin und der Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes fort.
Art. 13 GG schützt zudem nicht nur Wohnungen i.e.S. sondern auch - aufgrund der gebotenen weiten Auslegung - den Arbeitsraum der Beschwerdeführerin bei der Versicherung ( vgl. hierzu BVerfG B.v.27.5.1997 in NJW 97,2165 und BayObLG B.v. 17.7.1992 in wistra 1993,79, sowie Nack in KK, 4. Aufl. § 103 Rdn.8 m.w.N).
3.
Die Durchsuchung des Arbeitsplatzes verstieß bei vorliegendem Anfangsverdacht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG NJW 1994,2079).
a. Der Durchsuchungsbeschluss bezeichnet hinreichend konkret den bestehenden Anfangsverdacht. Er stellt auch die tatsächlichen Umstände, aus denen sich dieser ergibt, ausreichend dar. Soweit die Bezeichnung "Einkommensteuerhinterziehung 9998" den unzutreffenden Eindruck einer vollendeten Tat erweckt, ergibt sich aus den Gründen ("verschweigt um geltend machen zu können") der Verdacht des Versuchs.
b. Die Durchsuchung des Arbeitsplatzes ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie zur Klärung des Anfangsverdachtes geeignet und erforderlich ist, sowie zur Schwere des Tatverdachtes und der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat in einem angemessenen Verhältnis steht.
Dies ist hier nicht der Fall.
Die Durchsuchung des Arbeitsplatzes war nicht geeignet zur Klärung des Anfangsverdachts beizutragen, der dahin ging, die Beschwerdeführerin lebe mit dem angeblichen Mieter - entgegen der Steuererklärung - in einem eheähnlichen Verhältnis und nutze die Wohnung der Beschwerdeführerin im 1. Stock und Dachgeschoss gemeinsam mit ihm. Eigengenutzte Wohnungen sind jedoch nicht mit anderen Einkünften ausgleichsfähig.
Maßgebend für die Durchsuchung des Arbeitsplatzes war offenbar eine auffällige Übereinstimmung im Schriftbild der Schreiben der Beschwerdeführerin in deren Steuerakten und jenen des angeblichen Mieters aus dessen Steuerakten betreffend den Lohnsteuerjahresausgleich 1997.
Darauf dürfte die Vermutung gründen, die Beschwerdeführerin habe dem angeblichen Mieter dessen Schreiben an das Finanzamt erstellt und dabei einen ihr am Arbeitsplatz zur Verfügung stehenden Schreibcomputer genutzt o.ä..
Selbst wenn dem so wäre, ließe sich aus einer solchen Schreib- und Formulierungshilfe kein - auf allgemeine Lebenserfahrung oder kriminalistische Erfahrungssätze gestützter - Schluss auf ein fortbestehendes eheähnliches Verhältnis ziehen.
Dies umso weniger, als der Beruf der Beschwerdeführerin - Kontoristin - und der des angeblichen Mieters - Fernmeldemechaniker - sowie deren zumindest früheres Zusammenleben eine Schreibhilfe aus Freundschaft oder gegen Entgelt auch ohne Fortdauer eines Verhältnisses als durchaus möglich erscheinen ließen.
Dass etwa die Durchsuchung des Arbeitsplatzes zur Auffindung anderer, zum Nachweis einer fortbestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft geeigneter Beweismittel hätte führen können, sieht die Kammer nicht. Diese Durchsuchung war daher zur Klärung des Verdachts ungeeignet und schon deshalb unverhältnismäßig, ihre Anordnung und Durchführung rechtswidrig.
Dahingestellt bleiben kann, was zweifelhaft erscheint, ob in Fällen wie dem vorliegenden die Durchsuchung des Arbeitsplatzes neben der der Wohnung erforderlich ist.
Darauf kommt es indes nicht mehr an, da schon die mangelnde Geeignetheit zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt.
4.
Die Durchsuchung der Wohnungen und deren Anordnung war rechtmäßig.
a. Für den erforderlichen Anfangsverdacht gilt das oben unter 3a. ausgeführte.
b. Die Durchsuchungsanordnung enthält die gemäß §§ 102,103 und 105 StPO erforderlichen Angaben (Nack in KK 4. Aufl. §103 Rdn.6).
Es lagen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass sich in den Wohnungen Gegenstände befinden würden, die als Beweismittel im Verfahren in Betracht kommen könnten. Die ... geborene, ... geschiedene Beschwerdeführerin und ihr ebenfalls ... geborener angeblicher Mieter hatten bereits zuvor eheähnlich zusammengelebt, waren umgezogen und lebten wiederum unter einem Dach, die Beschwerdeführerin angeblich in der Wohnung ihrer Eltern, der angebliche Mieter in der Wohnung der Beschwerdeführerin direkt darüber. Ein schriftlicher Mietvertrag lag zunächst nicht vor und die monatlichen Oberweisungen an die Beschwerdeführerin waren nicht ausdrücklich als Miete deklariert.
Die gesuchten Beweismittel sind in der Anordnung bestimmt, wobei es ausreicht, wenn, wie hier, die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind. Nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden, zumal der konkret formulierte Tatverdacht - der ( versuchten ) Einkommensteuerhinterziehung durch Geltendmachung der Verluste einer in Wahrheit eigengenutzten Wohnung - die in Frage kommenden Beweismittel präzisiert.
c. Die Durchsuchung der Wohnungen und deren Anordnung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Sie war geeignet zur Klärung des Anfangsverdachts beizutragen, nachdem Wohnungen regelmäßig auch Mittelpunkt der nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind.
Die Durchsuchung war auch erforderlich, da mildere Mittel, die ein gleichwertiges Ergebnis hätten zeitigen können, nicht ersichtlich waren.
Den von der Beschwerdeführerin als mildere Mittel benannten Zeugen (Mutter und angeblicher Mieter) stehen allesamt Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechte zu, ein Auskunftsersuchen erscheint im konkreten Fall ebenfalls wenig geeignet. Auf beides mußte sich die Steuerfahndung nicht verweisen lassen.
Die Durchsuchung und ihre Anordnung stehen auch - insbesondere wegen der Auswirkungen auf die Folgejahre - in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Tatverdachts und zur Bedeutung der aufzuklärenden versuchten Einkommensteuerhinterziehung.
Der angestrebte Verkürzungsbetrag beläuft sich für das Jahr 1998 auf DM (etwas unter 10.000) ... plus DM ... Solidaritätszuschlag und für das Jahr 1999 auf DM (etwas über 10.000) ... plus DM ... Solidaritätszuschlag.
Der Einwand der Beschwerdeführerin, die für 1998 angestrebte Verkürzung von ca. DM ... komme in den Bereich einer Einstellung nach § 153 a StPO, Durchsuchung und mögliche Geldauflage stünden deswegen in einem eklatanten Mißverhältnis, geht daher fehl. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle beantragte die Durchsuchungsanordnung erst, nachdem die Beschwerdeführerin für das Folgejahr 1999 einen weiteren anzurechnenden Verlust aus Vermietungen geltend machte.
5.
Den weiteren Antrag, den Beschlagnahmebeschluss vom 16.10.2000 aufzuheben, wertet die Kammer als Antrag nach § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO, da im genannten Durchsuchungs- und Beschlagnahmebschluss des Amtsgerichts die einzelnen Beweismittel nicht konkret bezeichnet sind und damit die Beschlagnahme nicht wirksam ist ( BVerfG B. v. 3.9.91 in wistra 92,60, Nack in KK 4.Aufl. § 98 Rdn.2 a.E., OLG Stuttgart B.v. 26.10.1992 - 4 V As 5 /92 - und LG Oldenburg StV 94,178 m.w.N.)
6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Absatz 1 und 4 Strafprozessordnung.