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07.07.2005 · IWW-Abrufnummer 051910

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 20.05.2005 – 2 Ss OWi 108/05

Von der Anordnung eines Fahrverbotes kann gem. § 4 Abs. 4 BKatV in Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zu Gunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist und die Verhängung des Fahrverbotes trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre. Derartige Umstände müssen den Feststellungen jedoch zu entnehmen sein


Beschluss

Bußgeldsache
gegen B.E.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit (fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit).

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwerte vom 25. August 2004 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 05. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht (als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seiner Verteidiger beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Schwerte zurückverwiesen.

Gründe:
Der Landrat des Kreises Unna hat mit Bußgeldbescheid vom 28. November 2003 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km ein Bußgeld in Höhe von 65,00 ? sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVG festgesetzt, weil der Betroffene am 14. Oktober 2003 um 10.07 Uhr in Schwerte-Villigst, Rote-Haus-Straße, Fahrtrichtung Schwerte, mit dem PKW XXXXXXXXX die auf 70 km begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um zurechenbare 30 km überschritten hatte.

Auf den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht ihn durch das angefochtene Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 100,00 ? verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen.

Zur Sache entsprechen die Feststellungen des angefochtenen Urteils denen des Bußgeldbescheides. Der Betroffene, der von Beruf angestellter Taxifahrer ist und drei Kinder in der Ausbildung hat, hat den Verkehrsverstoß zugestanden und ergänzend erklärt, er habe sich mit seinem Taxi auf der Rückfahrt nach Essen befunden, nach dem er zuvor einen Fahrgast nach Iserlohn befördert hatte.

Das Amtsgericht hat ferner festgestellt, dass der Betroffene 3 mal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon 2 mal wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Zur letzten der im Urteil festgestellten Voreintragungenist insoweit jedoch lediglich mitgeteilt worden, dass der Betroffene durch Bußgeldbescheid der Stadt Gelsenkirchen vom 08. Oktober 2002 wegen Überschreitung der zulässigen . Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 60,00 ? verurteilt worden ist.

Das Absehen von der Verhängung des noch im Bußgeldbescheid gem. § 4 Abs. 2 BKatV festgesetzten einmonatigen Regelfahrverbotes hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

?Trotz der einschlägigen Vorbelastungen, die allerdings auch schon einige Zeit zurücklagen, erschien es geboten, unter Erhöhung der Regelbuße vom Regelfahrverbot abzusehen. Der Betroffene ist, was sich ohne weiteres aus seiner Berufstätigkeit ergibt, dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Er ist Vielfahrer. Es handelt sich bei der Rote-Haus-Straße um eine völlig freie, gut ausgebaute Strecke. Einmündungen von Nebenstraßen sind gut sichtbar. Für Ortsfremde besteht eine ?Benachteiligung? insoweit, als sich der Starenkasten direkt hinter einer Eisenbahnunterführung befindet und erst im letzten Moment sichtbar ist.

Es wäre in der Gesamtschau unvertretbar, dem Betroffenen für einen relativ geringfügigen Verstoß ein einmonatiges Fahrverbot aufzuerlegen. Vielmehr war nach § 4 Abs. 4 BKatV zu verfahren.?

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die in zulässiger Weise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist und der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzenden Ausführungen beigetreten ist.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs. Die Erwägungen, auf Grund derer das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalles der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGHSt 38, 125 ff. = NZV 1992, 286 ff.). Diesem ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist. Der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist vielmehr durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Beschluss des hiesigen 4. Senats für Bußgeldsachen vom 18. Februar 2003 in 4 SsOWi 73/03 m. w. N.).

Von der Anordnung eines Fahrverbotes kann gem. § 4 Abs. 4 BKatV in Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zu Gunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist und die Verhängung des Fahrverbotes trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände ausreicht (vgl. OLG Hamm, VRS 92, 369).

Derartige Umstände sind der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht hinreichend zu entnehmen.
Soweit das Amtsgericht das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots damit begründet hat, dass die einschlägigen Vorbelastungen schon einige Zeit zurücklägen, geht dies fehl, da gegen den Betroffenen zuletzt durch Bußgeldbescheid der Stadt Gelsenkirchen vom 08. Oktober 2002 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße festgesetzt worden ist.
Obwohl das Amtsgericht - entgegen § 29 StVG - weder das Datum der Rechtskraft des Bußgeldbescheides mitteilt noch Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung getroffen hat, steht zu vermuten, dass die Anordnung eines Fahrverbotes hier bereits gem. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV indiziert war.
Ungeachtet dessen könnte auch ohne Regelfall die Verhängung des einmonatigen Fahrverbotes aus § 4 Abs. 2 S. 1 BKatV folgen, weil die drei - bislang nicht in ausreichender Weise - mitgeteilten Voreintragungen des Betroffenen die beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nahe legen.

Ob die bislang mitgeteilten Voreintragungen jedoch noch verwertbar oder inzwischen möglicherweise tilgungsreif sind, wird in der erneuten Hauptverhandlung anhand der noch einzuholenden neuen Auszüge aus dem Verkehrszentralregister zu überprüfen sein.

Soweit das Amtsgericht das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots ferner damit begründet hat, der als angestellter Taxifahrer arbeitende Betroffene sei dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen, was sich ohne weiteres aus dessen Berufstätigkeit ergebe, ist eine existenzielle Gefährdung des Betroffenen durch die Verhängung eines Fahrverbotes weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen worden.
Der Grundsatz, dass berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten als selbstverschuldet hinzunehmen sind und für ein Absehen von einem Fahrverbot nicht ausreichen, gilt grundsätzlich auch für Taxifahrer, da anderenfalls die Nebenfolge bei bestimmten Berufsgruppen praktisch ausscheiden würden (vgl. Senatsbeschluss vom 06. Januar 2000 in 2 SsOWi 1274/99; ferner Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG, Rdnr. 25 m. w. N.).
Den Urteilsausführungen ist in diesem Zusammenhang auch nicht zu entnehmen, inwieweit der Betroffene in der Lage gewesen wäre, das Fahrverbot zumindest teilweise in der Zeit seines Jahresurlaubs abzuwickeln und dadurch die beruflichen Auswirkungen eines einmonatigen Fahrverbots zumindest abzumildern. In der Rechtsprechung ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass es nicht dem gesetzgeberischen Willen entspricht, nur gewisse Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Hausfrauen und Rentner, die sich in aller Regel nicht auf die Notwendigkeit ihrer Fahrerlaubnis berufen können, mit dem Regelfahrverbot zu belegen, Berufstätige aber selbst im Falle beharrlicher Verstöße davon auszunehmen (vgl. zur Frage der Verhängung eines Fahrverbotes gegen einen mehrfach verkehrsrechtlich in Erscheinung getretenen Taxifahrer: Senatsbeschluss vom 18. Juli 1995 in 2 SsOWi 386/95 = NZV 1995, 498; ferner Beschluss des hiesigen 4. Senats für Bußgeldsachen vom 02. Dezember 2003 in 4 SsOWi 719/03).

Im Übrigen hat der Amtsrichter die Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet (vgl. OLG Hamm, VRS 95, 138). Auch hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Es ist nicht ersichtlich, ob der Betroffene überhaupt eine Gefährdung seiner Existenz vorgetragen hat.

Nicht sachgerecht ist auch die Erwägung des Amtsgerichts, dass Ortsunkundige den ?Starenkasten?, der sich unmittelbar hinter dem Brückenpfeiler befindet, erst sehr spät erkennen können, da dieser Umstand die Gefährlichkeit des Geschwindigkeitsverstoßes und die Schuld eines Betroffenen nicht reduziert, worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsmittelbegründung zutreffend hingewiesen hat.

Da somit das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auf einer nicht tragfähigen Begründung beruht, kann das angefochtene Urteil - angesichts der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot - im gesamten Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

Die Sache war daher in diesem Umfang an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.

Für die erneut zu treffende Entscheidung weist der Senat daraufhin, dass der verhältnismäßig lange Zeitablauf seit Begehung der Tat nicht zur Folge haben muss, allein deshalb von einem Fahrverbot abzusehen. Zwar ist bei einem Zeitrahmen von etwa zwei Jahren, der bis zur neuen tatrichterlichen Verhandlung zudem nicht erreicht werden dürfte, eine eingehendere Prüfung der Frage, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck noch erfüllen kann, naheliegend. Neben dem Zeitablauf ist aber auch zu prüfen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, und ob darüber hinaus in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (vgl. BayObLG, NZV 2004, 210).

RechtsgebietBKatVVorschriftenBKatV 4

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