23.10.2001 · IWW-Abrufnummer 011210
Finanzgericht Köln: Urteil vom 30.01.2001 – 13 K 6855/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Urteil des Finanzgerichts Köln vom 30.01.2001
Senatsentscheidung
13. Senat
13 K 6855/00
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, unter welchen ? zeitlichen und verfahrensmäßigen ? Voraussetzungen das Wahlrecht bezüglich des körperschaftsteuerlichen Verlustabzugs gemäß § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG in der für Verluste des Jahres 1997 geltenden Fassung des Standortsicherungsgesetzes vom 13.9.1993 (BStBl I 1993, 774) ? a. F. ? in Verbindung mit § 8 Abs. 1 KStG ausgeübt werden kann.
Mit Bescheid vom 5.1.1999 wurde die Klägerin endgültig zur Körperschaftsteuer 1995 veranlagt. In dem Bescheid wurde nach einer Außenprüfung bei der Klägerin die ursprüngliche, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung vom 9.12.1996 geändert. Im Rahmen der Betriebsprüfung bei der Klägerin wurden u. a. verdeckte Gewinnausschüttungen in Höhe von insgesamt 105.000 DM festgestellt. Diese führten im wesentlichen dazu, daß die Körperschaftsteuer gegen über der ursprünglichen Festsetzung in Höhe von 17.485 DM um 94.011 DM auf 111.496 DM erhöht wurde. Die Steuererhöhung ergab sich zum einen aus dem höheren zu versteuernden Einkommen und zum anderen daraus, daß die gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG durchzuführende Herstellung der Ausschüttungsbelastung neben einer Minderung der Körperschaftsteuer um 46.929 DM eine Steuererhöhung um 52.781 DM zur Folge hatte.
Am 13.4.1999 ging beim Beklagten die Körperschaftsteuererklärung der Klägerin für 1997 ein, die einen Verlust in Höhe von 182.564 DM auswies. In dem amtlichen Erklärungsvordruck für das Jahr 1997, den die Klägerin für ihre Körperschaftsteuererklärung verwandte, ist unter der Randziffer 83 ein Verlustrücktrag auf das Einkommen 1995 vorgesehen. Darunter befindet sich in derselben Spalte ein Kästchen mit den daneben stehenden Worten ?Kein Rücktrag?. Dieses Kästchen hat die Klägerin nicht angekreuzt.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 11.5.1999 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 KStG für 1997 das zu versteuernde Einkommen auf ./. 182.564 DM festgestellt. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Ebenfalls am 11.5.1999 hat der Beklagte den Körperschaftsteuerbescheid für 1995 vom 5.1.1999 gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. in Verbindung mit § 8 Abs. 1 KStG dahingehend geändert, daß er den gesamten Verlust aus 1997 in Höhe von 182.564 DM von dem Einkommen in Höhe von 234.766 DM abgezogen hat. Dementsprechend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 11.5.1999 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1997 ? endgültig ? fest, daß ein verbleibender Verlust zum Schluß des Veranlagungszeitraums 1997 nicht besteht.
Der Verlustrücktrag nach 1995 führte lediglich zu einer Verminderung der Körperschaftsteuer um 1 DM auf nunmehr 111.495 DM. Diese geringe Auswirkung ergab sich daraus, daß sich zwar durch die Verminderung des zu versteuernden Einkommens die tarifliche Körperschaftsteuer von bisher 105.644 DM auf 23.490 DM verringerte. Da sich aber gleichzeitig das EK 45 verminderte, während sich das EK 02 erhöhte, führte die Herstellung der Ausschüttungsbelastung für die in beziehungsweise für 1995 vorgenommenen (verdeckten) Gewinnausschüttungen nunmehr zu einer Erhöhung der Körperschaftsteuer um 107.550 DM bei einer Minderung von 19.545 DM.
Die Klägerin ließ sowohl den Körperschaftsteuerbescheid für 1995 als auch den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftssteuer auf den 31.12.1997, jeweils vom 11.5.1999, bestandskräftig werden.
Erst mit Schreiben vom 14.4.2000 hat die Klägerin mit dem Hinweis auf den Vorbehalt der Nachprüfung in dem Körperschaftsteuerbescheid für 1997 gemäß § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. beantragt, den für 1997 festgestellten Verlust nicht auf das Jahr 1995 zurück zu tragen, ?sondern als Verlustvortrag festzustellen, der für eine Verrechnung im Jahre 1998 vorgesehen ist?. Der Beklagte hat den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 3.5.2000 abgelehnt. Er beruft sich bei seiner Ablehnung auf R 115 Abs. 4 EStR 1997 zu § 10d EStG. Danach kann der Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. (nur) bis zur Bestandskraft des aufgrund des Verlustrücktrags geänderten Steuerbescheids gestellt werden.
Gegen diesen Ablehnungsbescheid erhob die Klägerin am 18.5.2000 zunächst Sprungklage mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, einen im Jahre 1997 bei der Klägerin entstandenen Verlust von 182.564 DM zur Verrechnung mit dem zu versteuernden Einkommen 1998 zuzulassen. Die Klage ist unter dem Aktenzeichen 13 K .../00 beim Finanzgericht Köln weiter anhängig und ruht gemäß § 74 FGO bis zum rechtskräftigen Abschluß des vorliegenden Verfahrens.
Am 25.7.2000 reichte die Klägerin beim Beklagten eine berichtigte Körperschaftsteuererklärung für 1997 ein, nach der sich der steuerliche Verlust um 1.533 DM auf 184.097 DM erhöhte. In Zeile 83 der Erklärung kreuzte die Klägerin diesmal ausdrücklich ?Kein Rücktrag auf 1995? an. Die Klägerin änderte mit Bescheid vom 8.11.2000 die Körperschaftsteuerfestsetzung für 1997 entsprechend, wobei sie den Vorbehalt der Nachprüfung aufrecht erhielt. Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1997 änderte der Beklagte ebenfalls und stellte nunmehr mit Bescheid vom 8.11.2000 einen verbleibenden Verlustabzug in Höhe von 1.533 DM fest.
Auf Hinweis des Gerichts in dem Verfahren 13 K ..../00 beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 11.9.2000 beim Beklagten, aufgrund der Ausübung ihres Wahlrechts nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. den Körperschaftsteuerbescheid für 1995 gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. zu ändern, indem der Verlustrücktrag aus 1997 rückgängig gemacht wird. Der Antrag wurde von dem Beklagten mit Bescheid vom 25.9.2000 wiederum abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Sprungklage, der der Beklagte rechtzeitig zugestimmt hat.
Die Klägerin macht geltend, es bestehe grundsätzlich keine zeitliche Begrenzung für die Antragstellung nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F.. Das Wahlrecht zur Zuordnung des Verlustabzugs könne daher bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung des Verlustentstehungsjahres uneingeschränkt ausgeübt werden. Die in R 115 Abs. 4 EStR 1997 vertretene Verwaltungsauffassung sei nicht rechtmäßig.
Die Verlustverrechnungsregelung gemäß § 10d Abs. 1 Satz 1 bis 4 EStG a.F. sei als verfahrensrechtliche Spezialvorschrift anzusehen, die den Änderungsvorschriften der AO vorgehe. § 10d EStG sei eine eigenständige Korrekturvorschrift neben den Vorschriften der AO (Hinweis auf BFH-Urteil vom 6.6.2000 VII R 104/98, BStBl II 2000, 491). Sie sei in der Weise ausgestaltet, daß nach Vorgabe des Gesetzes ein Verlustrücktrag in das zweite vorangegangene Kalenderjahr erfolge, wenn nicht der Steuerpflichtige von seinem Wahlrecht auf anderweitige Verteilung ausdrücklich Gebrauch mache. Solange sich der Verlust noch ändern könne, weil das Verlustentstehungsjahr nicht bestandskräftig veranlagt sei, könne diese spezielle Änderungsvorschrift zur Anwendung kommen.
Eine etwaige Bestandskraft des Jahres 1995 schließe es nicht aus, den Verlustrücktrag rückgängig zu machen. § 10d EStG ermögliche ausdrücklich, die Bestandskraft des Rücktragsjahres zu beseitigen. Das in § 10d EStG vorgesehene Wahlrecht könne bis zur bestandskräftigen Veranlagung des Verlustentstehungsjahrs mehrfach unterschiedlich ausgeübt werden. Im vorliegenden Falle sei das Wahlrecht im übrigen überhaupt noch nicht ausgeübt worden, weil der Verlustrücktrag kraft der gesetzlich vorgesehenen Grundregelung durchgeführt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid für 1995 über Körperschaftsteuer und Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 KStG vom 11.5.1999 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen
Er hält unter Bezugnahme auf R 115 Abs. 4 EStR 1997 an seiner Rechtsauffassung fest und verweist ergänzend auf das BMF-Schreiben vom 27.9.2000 IV A 4 ? S 0062 ? 5/00 ?Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung? (BStBl I 2000, 1232) und die dort unter Tz. 4 zitierte BFH-Rechtsprechung. Danach sei ein Steuerpflichtiger nach Eintritt der Bestandskraft an die Ausübung seines Wahlrechts gebunden. Im Streitfall könne sich dies nur auf die Bestandskraft des Bescheides für das Rücktragsjahr beziehen. Ändere sich die Höhe des Verlustes, seien die Steuerbescheide für die Rücktragsjahre gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu berichtigen sei. Das bedeute, daß auch nur insoweit ? also innerhalb des Korrekturrahmens des § 351 AO ? ein Antrag im vorgenannten Sinne möglich sei. Der von der Klägerin mit der Abgabe der berichtigten Körperschaftsteuererklärung 1997 gestellte Antrag, von einem Verlustrücktrag in vollem Umfang abzusehen, könne deshalb nur Wirkung entfalten, soweit sich der Verlust erhöhe.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Sprungklage gemäß § 45 Abs. 1 FGO zulässig und begründet.
Da der Beklagte der Sprungklage innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zugestimmt hat, ist die vorliegende Verpflichtungsklage gemäß § 45 Abs. 1 FGO ohne Vorverfahren zulässig.
Der Klägerin fehlt es auch nicht an der gemäß § 40 Abs. 2 FGO erforderlichen Klagebefugnis. Die von der Klägerin begehrte Aufhebung des Bescheides vom 11.5.1999 hat zwar zur Folge, daß dadurch der Körperschaftsteuerbescheid für 1995 vom 5.1.1999 wieder wirksam wird, in dem die Körperschaftsteuer und das zu versteuernde Einkommen höher festgesetzt sind als in dem Bescheid vom 11.5.1999. Eine Beschwer und somit eine Klagebefugnis für die Klägerin ergibt sich aber gleichwohl daraus, daß ihr ein erheblich günstigerer Verlustvortrag nach 1998 solange verwehrt ist, wie der Verlustrücktrag nach 1995 bestehen bleibt.
Die Aufhebung des Bescheides vom 11.5.1999 hat die Rückgängigmachung des Verlustrücktrages zur Folge und führt über § 10d Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 EStG a. F. dazu, daß auf den 31.12.1997 ein entsprechend erhöhter verbleibender Verlustabzug festzustellen ist. Daß der Verlustfeststellungsbescheid vom 8.11.2000 nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, ist aufgrund der vorgenannten Änderungsvorschrift unerheblich, da die Rückgängigmachung des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG a. F. in Verbindung mit § 8 Abs. 1 KStG Bindungswirkung für den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs entfaltet (vgl. Antweiler in Arthur Andersen, KStG, § 33 Rz. 79).
II.
Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Verlustrücktrag nach 1995 rückgängig zu machen.
Für die ab dem Veranlagungszeitraum 1994 entstandenen Verluste ist nach § 10d, § 52 Abs. 13 EStG in der Fassung des Standortsicherungsgesetzes die bis dahin vorgeschriebene Reihenfolge des Verlustabzuges nicht mehr ausschließlich zwingend. Der Steuerpflichtige hat vielmehr ein antragsabhängiges Wahlrecht. Gemäß § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a: F., der über § 8 Abs. 1 KStG auch für Körperschaften Anwendung findet, ist auf Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise von dem in Satz 1 vorgesehenen Verlustrücktrag abzusehen. Dabei ist gemäß § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. in dem Antrag die Höhe des abzuziehenden Verlusts und der Veranlagungszeitraum anzugeben, in dem der Verlust abgezogen werden soll.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall unzweifelhaft erfüllt. Die Klägerin hat deutlich zum Ausdruck gebracht, daß von einem Verlustrücktrag in vollem Umfang abgesehen und zum 31.12.1997 ein vortragsfähiger Verlust festgestellt werden soll, der eine Verlustverrechnung in 1998 ermöglicht.
Der Ausübung des in § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. vorgesehenen Wahl- bzw. Antragsrechts steht nach Auffassung des Senats die Bestandskraft des Körperschaftsteuerbescheides für 1995 vom 11.5.1999, in dem der Verlustrücktrag vorgenommen wurde, nicht entgegen. Die anderslautende Meinung der Finanzverwaltung in R 115 Abs. 4 EStR 1997 ist nach der Überzeugung des Gerichts mit der Rechtslage nicht vereinbar. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, aus Sinn und Zweck sowie der Systematik des § 10d Abs. 1 EStG i. V. m. § 10d Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 EStG a. F.. § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. sieht für die Antragstellung keine spezielle gesetzliche Frist vor. Auch die Frist für die Abgabe der Steuererklärung (§ 149 Abs. 2, § 109 Abs. 1 AO) ist nicht maßgeblich, weil der Antrag nach Satz 4 nicht zwingend mit der Steuererklärung verknüpft ist (vgl. Orth in Hermann/Heuer/Raupach, Abschnitt II Nr. 3 d der Neukommentierung zu § 10d EStG).
Mangels einer gesetzlichen Befristung muß ein Antrag gemäß § 10 d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. nach Überzeugung des Senats solange möglich sein, wie ein Verlustrücktrag nach der Regelung des § 10d Abs. 1 EStG a. F. zu gewähren oder zu berichtigen wäre. Das Wahl- bzw. Antragsrecht kann daher bis zum Ablauf der Verjährungsfrist des Verlustentstehungsjahres jederzeit ausgeübt werden (so auch Orth, a. a. O., Abschnitt 2 Nr. 3 d der Neukommentierung zu § 10 d EStG; Antweiler, a. a. O., Rz. 73 f; Zwerger in Dötsch/Eversberg/ Jost/Witt, § 32 KStG, Rz. 117).
Da mit der Antragstellung (ganz oder teilweise) ein Verzicht auf den Verlustrücktrag bewirkt werden soll, muß die Antragstellung auch solange zulässig sein, wie der Verlustrücktrag ansonsten von Amts wegen durchzuführen oder zu ändern wäre. Die zeitliche Grenze für einen Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. ergibt sich daher letztlich aus der Festsetzungsverjährungsfrist (§§ 169 ff. AO) für das Verlustentstehungsjahr. Dies folgt aus § 10d Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG a. F..
Bei diesen Regelungen handelt es sich um spezielle Verfahrensvorschriften außerhalb der AO. Sie ermöglichen die Änderung der bestandskräftigen Veranlagungen der Abzugsjahre. § 10d Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz EStG a.F. enthält außerdem bezüglich der Verjährungsfristen für die Abzugsjahre in Ergänzung zu § 171 AO eine zusätzliche Ablaufhemmung. Auch wenn für die Rücktragsjahre bereits unanfechtbare Steuerbescheide ergangen sind, sind diese insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist. Eine Änderungsmöglichkeit besteht also solange, wie im Rahmen der Rücktragsgewährung nach § 10d Abs. 1 EStG a. F. Veränderungen eintreten können.
Seit der Neuregelung des § 10d Abs. 1 EStG durch das Standortsicherungsgesetz ist auch das vom Gesetzgeber in Satz 4 eingeführte Wahl- bzw. Antragsrecht ein wesentliches Element des in § 10d Abs. 1 EStG a. F. geregelten Verlustabzuges. Der Gesetzgeber hat dem Steuerpflichtigen einen Gestaltungsspielraum eingeräumt, innerhalb dessen er künftig selbst unter Abwägung aller im Einzelfall gegebenen Tatbestandsmerkmale das bestehende Verlustrücktragsvolumen optimal proportionieren kann. Er sollte das Instrumentarium des Verlustrücktrages so einsetzen können, daß es höchstmögliche Steuerentlastungen mit sich bringt (vgl. Zwerger, a. a. O., KStG § 33 Rz. 118; Antweiler, a. a. O. KStG § 33 Rz. 68 f).
Vom Tatbestandsmerkmal der Änderungsvorschrift des § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. ?insoweit zu ändern, als der Verlustabzug zu gewähren oder zu berichtigen ist? ist somit auch eine erstmalige oder geänderte Ausübung des Wahlrechts nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. mit umfaßt. Da die Änderungsmöglichkeit des § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. gemäß § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG a. F. solange erhalten bleibt, wie für das Verlustentstehungsjahr noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, kann der Steuerpflichtige sein Wahl- bzw. Antragsrecht auch in diesem zeitlichen Umfang ausüben.
Die Regelungen des § 10 d Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EStG a. F. stammen zwar aus der Zeit vor dem Wirksamwerden des Standortsicherungsgesetzes und waren ursprünglich allein dafür konzipiert, die sich nach der früheren Gesetzesfassung aus der Entstehung oder der Änderung eines Verlusts für das Rücktragsjahr zwingend ergebenden materiell-rechtlichen Folgerungen auch verfahrensrechtlich umsetzen zu können. Da diese Änderungsnorm jedoch mit der Einführung des Wahlrechts keine Einschränkung erfahren hat und für die Ausübung des Wahlrechts keine gesetzliche Frist vorgesehen ist, muß sie auch dann Anwendung finden, wenn der Änderungsgrund nicht in der Entstehung eines Verlusts oder in der Änderung der Verlusthöhe, sondern allein in der erstmaligen oder geänderten Ausübung des Antragsrechts im Sinne des § 10 d Abs. 1 Satz 4 besteht. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber die Vorschrift an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen müssen (vgl. Antweiler, a. a. O., KStG § 33 Rz. 77).
Vor diesem systematischen Hintergrund kann der in R 115 Abs. 4 EStR 1997 niedergelegten Auffassung der Finanzverwaltung, wonach der Antrag nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. (nur) bis zur Bestandskraft des aufgrund des Verlustrücktrages geänderten Steuerbescheides gestellt werden kann, nicht zugestimmt werden. Der Körperschaftsteuerbescheid für das Verlustrücktragsjahr regelt ebenso wie der Körperschaftsteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr ausschließlich die Festsetzung einer Körperschaftsteuerschuld bzw. die gesonderte Feststellung der in § 47 Abs. 2 KStG genannten Besteuerungsgrundlagen. Sie treffen keine rechtsverbindlichen Feststellungen dazu, in welcher Weise das Wahlrecht ausgeübt wurde (vgl. Zwerger, a. a. O., KStG § 33 Rz. 116 a).
Der Beklagte kann sich deshalb auch nicht mit Erfolg auf die in dem BMF-Schreiben vom 27.9.2000 IV A 4 ? S 0062 ? 5/00 ?Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung? (BStBl I 2000, 1232) unter Tz. 4 aufgeführten BFH-Urteile berufen. Die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 13.2.1997 IV R 59/95, BFH/NH 1997, 635 und vom 25.2.1992 IX R 41/91, BStBl II 1992, 621) legt auch das BMF zu Recht in dem Sinne aus, daß ? nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung Wahlrechte grundsätzlich nur noch ausgeübt oder widerrufen werden können, soweit die Steuerfestsetzung nach §§ 129, 164, 165 172 ff. AO oder nach entsprechenden Regelungen in den Einzelsteuergesetzen korrigiert werden können?.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, stellt § 10d Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EStG a. F. gegenüber den Vorschriften der AO aber eine eigenständige Korrekturvorschrift dar. Die Regelung ermöglicht es, die Bestandskraft der für die Rücktragsjahre ergangenen Steuerbescheide insoweit zu durchbrechen, als die Steuerschuld durch die Berücksichtigung des Verlustabzugs gemindert wird (vgl. BFH-Urteil vom 6.6.2000 VII R 104/98, BStBl II 2000, 491, und vom 1.9.1998 VIII R 4/97, BFH/NH 1999, 599, m. w. N.). Deshalb kann aus der Bestandskraft des Steuerbescheides für das Verlustrücktragsjahr gerade keine zeitliche Beschränkung für die Ausübung des Wahl- bzw. Antragsrechts nach § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. abgeleitet werden.
Diese Schlußfolgerung könnte nur gezogen werden, wenn die Änderungsvorschrift des § 10d Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EStG a. F. nicht auf eine erstmalige oder geänderte Ausübung des Antragsrechts im Sinne des § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG a. F. anzuwenden wäre. Eine solche Einschränkung zu Lasten des Steuerpflichtigen kommt aber ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung nicht in Betracht, zumal auch im übrigen keinerlei Anhaltspunkte vorliegen, daß der Gesetzgeber eine solche Begrenzung des Gestaltungsspielraums gewollt hat. Vielmehr spricht die Zielsetzung des Standortsicherungsgesetzes, wonach eine höchstmögliche Steuerentlastung für die Unternehmen erreicht werden sollte (vgl. Antweiler, a. a. O., Rz. 69) dafür, daß dem Steuerpflichtigen das Wahlrecht solange wie möglich erhalten bleiben sollte.
Soweit die Auffassung der Finanzverwaltung in der Literatur geteilt (vgl. Gehrmann, INF 1994, 13, 46, 51) oder in anderer Form eine zeitliche Begrenzung befürwortet wird, die vor dem Eintritt der Festsetzungsverjährung des Verlustentstehungsjahres liegt (vgl. Paus, DB 1994, 1842, und Schlagheck, GmbHR 1995, 869), werden hierfür allenfalls Aspekte der Verwaltungsökonomie und der Rechtssicherheit angeführt. Diese Gesichtspunkte können aber nicht zu einer den Steuerpflichtigen belastenden Einschränkung führen, die weder im Wortlaut noch in der Systematik des Gesetzes einen Anknüpfungspunkt findet.
Selbst wenn der Gesetzgeber tatsächlich nicht übersehen hätte, welche Mehrbelastung mit der Einführung eines fristlosen und widerrufbaren Antragsrechts für die Finanzverwaltung verbunden ist (so Schlagheck, GmbHR 1995, 869, 870, Fn. 5), so könnte dieser Mißstand nur durch eine entsprechende gesetzliche Regelung behoben werden.
Da zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Klägerin im April 2000 für das Verlustentstehungsjahr 1997 noch keine Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO eingetreten war, ist der Beklagte verpflichtet, den Verlustrücktrag nach 1995 antragsgemäß in vollem Umfang rückgängig zu machen.
Offen bleiben kann dabei, ob die Klägerin ihr Wahlrecht bereits mit Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für 1997 im April 1999 erstmals ausgeübt hat. Da das Gesetz keine Unwiderruflichkeit des Antrags vorsieht, ist allgemein anerkannt, daß der Steuerpflichtige eine einmal getroffene Wahl hinsichtlich des Verlustrücktrags grundsätzlich auch nachträglich wieder ändern kann (vgl. Paus, DB 1994, 1842).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FG0.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO:
III.
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Frage, unter welchen ? zeitlichen und verfahrensmäßigen ? Voraussetzungen das Wahlrecht gemäß § 10d Abs. 1 Satz 4 § EStG a. F. ? nunmehr geregelt in § 10 d Abs. 1 Satz 7 EStG ? ausgeübt werden kann, grundsätzliche Bedeutung hat.