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06.05.2005 · IWW-Abrufnummer 050713

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz: Beschluss vom 10.02.2004 – L 1 ER 4/04 KR

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 1 ER 4/04 KR
S 7 ER 134/03 KR Sp

LANDESSOZIALGERICHT
RHEINLAND-PFALZ

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit
? Antragsteller und Beschwerdeführer ?
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
AOK-Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Geschäftsführer der Regionaldirektion, Worms-Alzey, Goethestraße 24, 67547 Worms
? Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin ?

hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz am 10. Februar 2004 durch

Präsidenten des Landessozialgerichts Bartz
Richterin am Landessozialgericht Æurkoviæ
Richter am Sozialgericht Dr. Holzheuser

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 28.11.2003 - S 7 ER 134/03 KR - abgeändert.

2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 11.9.2003 gegen den Bescheid vom 2.9.2003 wird für die Zeit vom 1.3.2003 bis zum 5.9.2003 angeordnet.

3. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu 1/3 zu erstatten.

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Antragsteller bei der Antragsgegnerin krankenversichert ist.

Der am 1946 geborene, verheiratete Antragsteller war vom 1.9.1992 bis zum 13.1.2002 selbständig tätig. Vom 12.10.2001 bis zum 30.10.2001 übte bei der Firma W und anschließend vom 14.1.2002 bis zum 15.1.2003 bei der Firma K eine abhängige Beschäftigung aus. Bis zu diesem Zeitpunkt war er bei der Firma ?S ? privat krankenversichert. Vom 16.1.2003 bis zum 28.2.2003 bezog der Antragsteller von der Arbeitsamtsdienststelle Grünstadt Leistungen. Diese meldete ihn bei der Antragsgegnerin an. Am 1.3.2003 nahm der Antragsteller eine Tätigkeit bei der Firma B Transporte in W auf. Mit Schreiben vom 13.3.2003 stellte die Antragsgegnerin gegenüber der Firma B eine Mitgliedsbescheinigung nach § 175 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) aus und bat die Firma, diese Mitgliedsbescheinigung zu ihren Unterlagen zu nehmen. Zudem stellte die Antragsgegnerin am 18.3.2003 eine Versicherungsbestätigung zur ?Krankenversicherung? aus und begrüßte den Antragsteller mit Schreiben vom 19.3.2003 als ihr Mitglied. Mit weiterem Schreiben vom 27.3.2003, welches als ?Bescheinigung? überschrieben und an den Antragsteller adressiert ist, bestätigte die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller bei ihr ab dem 1.3.2003 nach § 5 Abs. 1 SGB V versichert sei. Mit Wirkung zum 1.4.2003 beendete der Antragsteller sein privates Versicherungsverhältnis bei der Firma ?S ?. Am 28.5.2003 bat die Antragsgegnerin den Antragsteller, einen Fragebogen bezüglich der versicherungsrechtlichen Beurteilung in der Kranken- und Pflegeversicherung für Personen ab Vollendung des 55. Lebensjahres auszufüllen und an sie unterschrieben zurückzusenden. Mit Bescheid vom 2.9.2003 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller schließlich mit, dass er bei ihr nicht gesetzlich krankenversichert sei, weil er in den letzten 5 Jahren vor der Anmeldung zur gesetzlichen Krankenversicherung privat versichert gewesen sei. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 11.9.2003 Widerspruch erhoben. Über diesen hat die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden.

Am 30.10.2003 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Speyer (SG) einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Das SG hat mit Beschluss vom 28.11.2003 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, weder die Voraussetzungen des § 86 a noch des § 86 b Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien erfüllt. Der Antragsteller habe bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung habe keinen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz begründet; der Antragsteller habe diese Beschäftigung nämlich nach Vollendung seines 55. Lebensjahres begonnen. Die Schreiben der Antragsgegnerin vom 18.3.2003, 19.3.2003 und 27.3.2003 seien im Übrigen auch keine Verwaltungsakte im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB X). Hierdurch habe die Antragsgegnerin keine verbindliche Rechtsfolge gesetzt.

Gegen den ihm am 2.12.2003 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 18.12.2003 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

Der Antragsteller trägt im Wesentlichen vor:
Entgegen der Ansicht des SG stellten die Schreiben der Antragsgegnerin sehr wohl Verwaltungsakte dar. Mit allen Schreiben hätte die Antragsgegnerin verbindlich seine Aufnahme als Mitglied festgestellt. Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Mitgliedschaft nicht erfüllt seien. Sie hätte genügend Zeit gehabt, die Rechtslage umfassend zu prüfen. Sein Geburtsdatum sei ihr von Anfang an bekannt gewesen. Jedenfalls sei die Antragsgegnerin verpflichtet, ihm Schadensersatz zu leisten und ihm unter dem Gesichtspunkt der ?Naturalrestitution? nach § 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Versicherungsschutz zu gewähren. Sie habe es verschuldet, dass er wegen Fristablauf nicht mehr in seine private Krankenversicherung zurückkehren könne. Im Übrigen habe er bereits ärztliche Leistungen in Anspruch genommen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 28.11.2003 - S 7 ER 134/03 KR - aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Bescheides vom 2.9.2003 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig und weist noch einmal daraufhin, dass der Antragsteller bei Aufnahme seiner Beschäftigung in der Firma B in W bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatte und nicht über erforderliche Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung verfüge.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Er ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und teilweise auch begründet. Der entsprechend § 123 SGG ausgelegte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dieser Fall ist hier gegeben: Mit dem Bescheid vom 2.9.2003 hat die Antragsgegnerin eine Entscheidung über die Versicherungspflicht des Antragstellers getroffen. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt indes bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflicht sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen oder sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten die aufschiebende Wirkung.

Bei dem Antrag nach § 86 b Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung und unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage in der Hauptsache. Aufgrund des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage in § 86 a Abs. 2 SGG genannten Fällen ist für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur Raum, wenn das Privatinteresse Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an einem Sofortvollzug hat. Deswegen kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 SGG lediglich bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides in Betracht oder wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Bei der danach gebotenen summarischen Prüfung erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt vom 2.9.2003 zumindest für den Zeitraum 1.3.2003 bis 5.9.2003 als offensichtlich rechtswidrig.

Vorliegend kann es dahinstehen, ob die Schreiben der Antragsgegnerin vom 13.3.2003 i.V.m. der ?Versicherungsbestätigung zur Krankenversicherung? und 19.3.2003 als feststellende Verwaltungsakte zu qualifizieren sind (vgl. zur Problematik der so genannten Begrüßungsschreiben BSG, Urteil vom 21.5.1996 - 12 RK 67/94 -), weil jedenfalls das Schreiben vom 27.3.2003 als ein feststellender Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X anzusehen ist.

Nach dieser Vorschrift ist unter anderem Voraussetzung für einen Verwaltungsakt, dass er zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts erlassen wird. Entscheidendes Merkmal der ?Regelung? ist, ob die Behörde eine potenziell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. ob durch sie Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt werden oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte mit Außenwirkung abgelehnt wird (vgl. BVerwGE 55, 280, 285; 69, 374, 377; 77, 268, 271). Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte (vgl BSG, Urteil vom 30.9.1996, Az.: 10 RKg 20/95; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.6.1999, Az.: L 5 K 51/98).

Aus der Sicht des Empfängers hat die Antragsgegnerin jedenfalls mit Schreiben vom 27.3.2003 eine Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X getroffen. Das als ?Bescheinigung? bezeichnete Schreiben stellt fest, dass der Antragsteller bei der Antragsgegnerin ab dem 1.3.2003 gemäß § 5 Abs. 1 SGB V versichert ist. Durch dieses Schreiben begründete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller verbindlich seine ihrer Ansicht nach bei ihr bestehende Pflichtmitgliedschaft.

Diesen den Antragsteller begünstigenden bestandskräftigen Bescheid hat die Antragsgegnerin konkludent am 2.9.2003 zurückgenommen. Hierzu wäre sie nur berechtigt gewesen, wenn die Voraussetzungen des § 45 SGB X erfüllt wären. Dies ist indes nicht der Fall. Zwar ist der Bescheid vom 27.3.2003 rechtswidrig, weil der Antragsteller durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma B in W nicht Pflichtmitglied der Antragsgegnerin geworden ist. Dies schließt § 6 Abs 3 a SGB V aus. Nach dieser Vorschrift ist der durch die Versicherungspflicht begründete Eintritt in das System der gesetzlichen Krankenversicherung für über 55-jährige Personen ausgeschlossen, wenn sie keine ausreichenden Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung nachweisen können. Diese Einschränkung bezieht sich auf jeden der in § 5 SGB V genannten Tatbestände der Versicherungspflicht.

Indes liegen die Voraussetzungen einer Rücknahme dieses den Antragsteller begünstigenden Bescheides für die Vergangenheit nicht vor. Der Antragsteller hat auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut; sein Vertrauen ist unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme auch schutzwürdig (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen des Antragstellers in den Bestand des Verwaltungsaktes ist nicht ausgeschlossen, denn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 bis 3 SGB X liegen nicht vor. Weder hat er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, noch beruht der Verwaltungsakt auf Angaben, die der Antragsteller vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Der Antragsteller hatte gegenüber der Antragsgegnerin von Anfang an wahrheitsgemäße Angaben gemacht. Zudem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom 27.3.2003 kannte oder zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Dagegen dürfte die Antragsgegnerin wohl berechtigt sein, den rechtswidrigen Bescheid vom 27.3.2003 mit Wirkung für die Zukunft, also ab dem 6.9.2003, aufzuheben. Gemäß § 37 Abs. 2 SGB X ist davon auszugehen, dass der Bescheid dem Antragsteller spätestens am 5.9.2003 zugegangen ist.

Insoweit weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass es sich vorliegend nur um eine summarische Prüfung handelt. Deswegen kann es offen bleiben, ob es der Antragsgegnerin aus einem allgemeinem Rechtsgrundsatz, z.B. venire contra factum propium, verwehrt ist, sich auf § 45 SGB X zu berufen. Dagegen könnte sprechen, dass die Antragsgegnerin durch ihr (rechtswidriges) Verhalten beim Antragsteller den Anschein erweckt hat, er sei bei ihr versichert, er berechtigterweise darauf vertraut und im Hinblick darauf seinen privaten Krankenversicherungsvertrag gelöst hat und ihm eine Rückkehr in die private Krankenversicherung aufgrund des allein von der Antragsgegnerin zu verantwortenden Zeitablaufs nicht mehr möglich ist.

Eventuelle Schadensersatzansprüche des Antragstellers sind in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

RechtsgebietSGB XVorschriften§ 45 SGB X

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