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10.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142660

Sozialgericht Stuttgart: Urteil vom 18.02.2014 – S 16 KR 4073/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Sozialgericht Stuttgart

Az.: S 16 KR 4073/10

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit
- Kläger -
Proz.-Bev.:
gegen
AOK Baden-Württemberg
vertreten durch den Geschäftsführer der Bezirksdirektion Ludwigsburg-Rems-Murr-Kreis
- Beklagte -

Die 16. Kammer des Sozialgerichts Stuttgart
hat ohne mündliche Verhandlung am 18. Februar 2014 durch
den Richter am Sozialgericht ..... als Vorsitzender
sowie die ehrenamtlichen Richter ..... und .....
für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch auf eine Implantatversorgung.

Der 1962 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an Zahnlosigkeit und fortgeschrittener Atrophie des Oberkiefers. Die Beklagte versorgte ihn im Jahr 2007 mit einer Totalprothese für den Oberkiefer und einer Teilprothese für den Unterkiefer.

Am 18. August 2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Versorgung mit vier Implantaten im Bereich des Oberkiefers (Regio 12, 14, 22 und 24). Zur Begründung legte er einen Befundbericht des Facharztes für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Dr. K. vor. Darin wurde ausgeführt, der ständige Druck, der durch den langjährig getragenen totalen Zahnersatz im Oberkiefer bestanden habe, habe zu einer vollständigen Knochenauflösung des Alveolarkamms im Seitenzahnbereich geführt. Die Oberkieferprothese beginne die Knochengrenze zu überschreiten und in die Kieferhöhlen einzubrechen. Aufgrund dessen bestehe bereits eine chronische Kieferhöhlenentzündung. Aufgrund der extremen Atrophie des Oberkieferalveolarkammes mit beidseitigen Einbrüchen in die Kieferhöhle sei ein implantatgetragener Zahnersatz die einzige Möglichkeit, den Oberkiefer prothetisch zu rehabilitieren; ansonsten drohe Zahnlosigkeit des Oberkiefers ohne weitere Versorgungsmöglichkeit mit Zahnersatz. In der Folge zeigte der Kläger der Beklagten auch Mängel des vorhandenen Zahnersatzes an.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. August 2008 die beantragte Implantatversorgung ab und leitete die Mängelanzeige an den Gutachter der Kassenzahnärztlichen Vereinigung weiter. Mit Gutachten vom 20. Oktober 2008 führte Dr. Z. nach ambulanter Untersuchung des Klägers aus, es sei anzunehmen, dass die Oberkieferprothese, die der Kläger aus eigener Initiative bei einem befreundeten Zahntechniker wegen Würgereiz kürzen lassen habe, frei von Mängeln gewesen sei. Mit prothetischen Mitteln könne der Halt der Prothese nicht optimiert werden. Nur durch umfangreiche kieferchirurgische Maßnahmen könne eine Stabilisierung eventuell erreicht werden. Die Erfolgsaussichten seien angesichts des bisherigen Krankheitsverlaufs jedoch eher vorsichtig zu beurteilen.

Über das Ergebnis der Begutachtung unterrichtete die Beklagte den Kläger. Der Kläger legte daraufhin Widerspruch gegen die Ablehnung der Implantatversorgung ein. Er machte geltend, bei ihm bestehe ein Krankheitsbild, das aufgrund seiner Schwere unter die Ausnahmeindikationen falle. Der implantatgetragene Zahnersatz sei für ihn die einzige Möglichkeit, ein Leben zu führen, bei dem er noch Essen und sich artikulieren könne. Aufgrund der bestehenden Kommunikationsprobleme habe er so gut wie keine Chance auf einen Arbeitsplatz.

Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg. Mit sozialmedizinischem Gutachten vom 1. Dezember 2008 stellte Dr. Dr. U. nach Aktenlage die Diagnose atrophierter zahnloser Oberkiefer und gelangte zu dem Ergebnis, eine Ausnahmeindikation für eine Implantatbehandlung liege nicht vor. Zu den Ausnahmeindikationen gehörten beispielsweise ein großer Kieferdefekt nach Tumoroperationen, bei angeborenen Missbildungen, schweren Unfall- oder Operationsfolgen usw., der zu einer so ungünstigen anatomischen Situation geführt habe, dass eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantation gänzlich ausgeschlossen sei. Mangelzustände nach natürlichem Zahnverlust durch übliche Zahnkrankheiten und deren Folgen gehörten dagegen grundsätzlich nicht zu den Ausnahmeindikationen. Der zahnlose Kiefer stelle, auch im stark atrophierten Zustand, nach dem enggefassten Ausnahmekatalog keine Indikation für zahnimplantologische Leistungen dar. Die Rechtslage lasse keinen Interpretationsspielraum zu. Es komme nicht darauf an, ob die Implantation medizinisch indiziert sei oder nicht. Gestützt auf dieses Ermittlungsergebnis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 eine Kostenübernahme für die vier geplanten Implantate erneut ab.

Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er legte eine „Ärztliche Bescheinigung“ des Zentrums für Psychiatrie ..... vor. Darin berichtete die Diplom-Psychologin K. unter dem 30. Oktober 2009, die optische Entstellung aufgrund des gesundheitlichen Zustandes des Oberkiefers und die dadurch entstehende Stigmatisierung hätten beim Kläger schwere reaktive Depressionen ausgelöst, die sich aufgrund der desaströsen kieferorthopädischen Prognose äußerst therapieresistent zeigten. Ferner reichte der Kläger einen Heil- und Kostenplan der Zahnarztpraxis O. (vom 20. November 2009: Festzuschuss), weitere Atteste des behandelnden Kieferchirurgen Dr. Dr. K. (15. Dezember 2009/8. Januar 2010: Ausgeprägte Alveolarkammatrophie mit Verschlechterungstendenz, Beeinträchtigung des Sprachvermögens, Schluckstörungen, Druckstellen mit nachfolgenden deutlichen Entzündungsreaktionen) sowie einen Kostenvoranschlag vom 14. Dezember 2009 ein, mit dem der Arzt für die Einsetzung von sechs Implantaten im Oberkiefer Gesamtkosten auf der Grundlage des Gebührenverzeichnisses für Zahnärzte in Höhe von 6.037,92 € veranschlagte.

Die Beklagte beauftragte daraufhin die Gutachtensstelle für implantologische Leistungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Stuttgart mit einer Begutachtung. Mit Gutachten vom 8. März 2010 legte der Gutachter Dr. B. aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers dar, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein atrophierter zahnloser Kiefer selbst dann keine Ausnahmeindikation, wenn er aufgrund der starken Atrophie mit konventionellen Totalprothesen nicht funktionstüchtig versorgt werden könne. Insofern handele es sich beim Kläger um keine klassische Ausnahmeindikation. Im Hinblick auf die psychische Gesundheit des Patienten sei es der Beklagten anheimgestellt, ob sie das Beschwerdebild unter die Ausnahmeindikation gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V, Nr. 29 der Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkasse subsummiere.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung stützte sie sich auf das eingeholte Gutachten. Danach liege keine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung vor.

Am 7. Juli 2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben.

Er trägt vor, er leide an einer extremen Atrophie des Oberkieferalveolarkammes mit Protheseninsuffizienz. Die Oberkieferprothese sitze so schlecht, dass sie sechs- bis siebenmal täglich nachgeklebt werden müsse. Es bestehe nur noch eine sehr undeutliche Sprachfähigkeit, der Oberkiefer bilde sich immer weiter zurück. Sein Zahnarzt habe ihm geraten, die Oberkieferprothese so wenig wie möglich zu tragen. Im Bereich der Seitenzähne (Regio 16 und 26) beginne die Prothese, die Knochengrenze zu den Kieferhöhlen zu überschreiten und in die Kieferhöhle einzubrechen. Aufgrund dessen bestehe eine chronische Kieferhöhlenentzündung beidseits. Eine Ausnahmeindikation für implantologische Leistungen sei gegeben. Gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses liege ein besonders schwerer Fall auch dann vor, wenn ein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt bestehe, der seine Ursache in Entzündungen des Kiefers habe. Dies sei bei ihm der Fall. Zwar habe der behandelnde Kieferchirurg Dr. K. mitgeteilt, dass definitiv keine der Ausnahmeindikationen vorliege. Er habe jedoch auch angegeben, dass der Gesundheitszustand wertungsmäßig ein gleiches Gewicht habe, wie die vom Gemeinsamen Bundesausschuss genannten Ausnahmefälle. Es sei zu erwarten, dass der mittlerweile sehr dünne Restkiefer weiter zurückgehen und dadurch ein Kiefer- und Gesichtsdefekt entstehen werde, sodass zumindest in Zukunft definitiv eine der Ausnahmeindikationen eintreten werde. Bei ihm liege ein Fall einer medizinischen Gesamtbehandlung vor. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das maßgebliche Abgrenzungskriterium.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Implantatversorgung im Bereich des Oberkiefers nach den gesetzlichen Bestimmungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist zunächst auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Ergänzend erwidert sie, auch der durch die kassenzahnärztliche Vereinigung bestellte Gutachter habe eine Ausnahmeindikation nicht festgestellt.

Die Kammer hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen (Zeugenauskunft des Zahnarztes O. vom 8. Februar 2011; Zeugenauskunft des Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgen Dr. Dr. Kimmel vom 11. Februar 2011). Zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Beklagte ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten des MDK (Dr. Dr. U. vom 24. Februar 2011) vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schreiben der Beklagten vom 19. August 2011; Schreiben des Klägers vom 23. September 2011).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des streitigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide vom 27. August 2008 und 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 2010 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Zahnimplantaten durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Zahnärztliche Behandlungen gehören gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zwar grundsätzlich zur Krankenbehandlung, welche Krankenkassen ihren Versicherten schulden. Der Anspruch umfasst dabei die Tätigkeit des Zahnarztes, die u.a. zur Verhütung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Hierzu zählen auch konservierend chirurgische Leistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz erbracht werden.

Die Versorgung mit Implantaten hat der Gesetzgeber durch § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V allerdings grundsätzlich von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift gehören implantologische Leistungen nicht zu der von den Krankenkassen zu leistenden zahnärztlichen Behandlung, es sei denn, es liegen seltene, vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den Regelungsauftrag umgesetzt und in Abschnitt 7 der Behandlungsrichtlinien für Zahnärzte (Zahnbehandlungs-RL) die Ausnahmeindikationen für implantologische Leistungen im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V festgelegt. Besonders schwere Fälle sind danach (a) größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache in Tumoroperationen, in Entzündungen des Kiefers, in Operationen infolge von großen Zysten, in Operation infolge von Osteopathien, in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers oder in Unfällen haben, ferner (b) dauerhaft bestehende extreme Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, (c) eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen sowie (d) nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich. Bei Vorliegen einer derartigen Ausnahmeindikation besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist (B VII.2. Satz 2 Zahnbehandlungs-RL).

Nach diesen Bestimmungen haben Krankenkassen eine Implantatversorgung nicht in allen Fällen zu leisten, in denen Implantate medizinisch geboten sind. Der Anspruch des Versicherten ist vielmehr auf seltene Ausnahmeindikationen, d.h. außergewöhnliche medizinische Situationen beschränkt (LSG Baden-Württemberg vom 23. Januar 2013 - L 5 KR 1100/11 - zit. nach www.sozialgerichtsbarkeit.de, Umdruck S. 3). Dies gilt selbst dann, wenn dem Versicherten auf andere Weise nicht geholfen werden kann, seine Erkrankung also nur durch eine Implantatversorgung geheilt oder gelindert werden kann (BSG vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 37/02 R – zit. nach Juris, Rz. 24; BSG vom 3. September 2003 – B 1 KR 9/02 –zit. nach Juris, Rz. 14). Auch in diesem Fall ist der gesetzliche Leistungsausschluss des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V zu beachten. Die Krankenkassen haben implantologische Leistungen und die dazugehörige Suprakonstruktion deshalb auch dann nur zu erbringen, wenn ein besonders schwerer Fall im Sinne der Zahnbehandlungs-Richtlinie vorliegt.

Eine solche Ausnahmeindikation ist beim Kläger nicht gegeben. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den Zeugenauskünften der behandelnden Ärzte sowie den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des MDK und des von der kassenzahnärztlichen Vereinigung bestellten Gutachters, welche im Urkundenbeweis verwertet werden. Danach leidet der Kläger an einem zahnlosen Oberkiefer mit extremer Atrophie des Alveolarkammes. Dieses Krankheitsbild ist im Katalog der Zahnbehandlungs-Richtlinie nicht aufgeführt. Es gehört damit nicht zu den besonders schweren Fällen, in denen eine Versorgung mit Implantaten ausnahmsweise als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung indiziert ist. Hiermit übereinstimmend haben weder die im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter noch die als sachverständige Zeugen vernommenen Ärzte des Klägers eine entsprechende Ausnahmeindikation beim Kläger angenommen. Zwar hat der behandelnde Kieferchirurg Dr. Dr. K. in seinen Berichten eine Implantatversorgung zur Verhinderung des Fortschreitens der Erkrankung und zur Wiederherstellung der beeinträchtigten Kau- und Sprechfunktion für geeignet und dringend erforderlich gehalten. Das Vorliegen einer in den Richtlinien festgelegten Ausnahmeindikation für die Implantatversorgung hat der Arzt aber ebenso wie der behandelnde Zahnarzt O. und die Gutachter Dr. B. und Dr. Dr. U. verneint.

Die Kammer folgt dieser übereinstimmenden Einschätzung sämtlicher befasster Ärzte. Auch unter Berücksichtigung des Klagevorbringens vermag sie keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer zugelassenen Ausnahmeindikation festzustellen. Beim Kläger besteht nach dem Ergebnis des Verfahrens insbesondere nicht der besonders schwere Fall des Kieferdefektes im Sinne von Abschnitt 7 a) der Zahnbehandlungsrichtlinie. Denn diese Ausnahmeindikation erfasst nach der ausdrücklichen Klarstellung nur solche Veränderungen, die ihre Ursache in einer Operation wegen eines Tumors, einer Zyste oder einer Osteopathie, in einer Entzündung des Kiefers, einer angeborenen Fehlbildung oder in einem Unfall haben (BSG vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 23/00 R - zit. nach Juris, Rz. 17; LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2009 - L 16 KR 51/09 – zit. nach Juris, Rz. 35 f.). Die engen Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung sind im Falle des Klägers nicht erfüllt. Zwar sind beim Kläger nach Angaben des behandelnden Kieferchirurgen Dr. Dr. K. Entzündungen der Kieferhöhlen aufgetreten. Diese sind jedoch nicht die Ursache des Kieferdefekts, sondern Folge der starken Atrophie des Oberkieferknochens, die unter Belastung durch die Zahnprothese zu Knocheneinbrüchen in die Kieferhöhle geführt hat. Sollte sich aus diesen Knocheneinbrüchen - wie der Kläger befürchtet - ein größerer Kieferdefekt entwickeln, beruht dieser auf der Kieferatrophie und damit auf einer Krankheitsursache, die keinem der Ausnahmesachverhalt von Abschnitt 7 a) der Zahnbehandlungsrichtlinie zugeordnet werden kann. Bei der Atrophie, d.h. der allmählichen Rückbildung des zahnlosen Kieferknochens handelt es sich um einen natürlichen Vorgang bei jedem Zahnverlust. Der zahnlose atrophierte Kiefer fällt nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte (BSG vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 23/00 R – zit. nach Juris, Rz. 18; LAG Baden-Württemberg vom 07. August 2013 - L 5 KR 3240/11 - zit. nach www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2009 - L 16 KR 51/09 – zit. nach Juris, Rz. 35 f) schon deshalb nicht unter die besonders schweren Fälle des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V, weil Kieferatrophien keine außergewöhnliche Situation darstellen, sondern bei jedem größeren Zahnverlust auftreten, also in der Praxis außerordentlich häufig sind. Ihre Nichtberücksichtigung im Ausnahmekatalog entspricht insoweit den gesetzlichen Vorgaben. Denn eine Leistungspflicht für Implantate aufgrund aufgetretener Kieferatrophie hätte zur Folge, dass Implantate in zahlreichen Situationen von den Krankenkassen erbracht werden müssten, was der Zielrichtung der gesetzlichen Regelung, den Anspruch auf seltene Ausnahmeindikationen zu beschränken, zuwiderliefe. Der gesetzlich gewollte Leistungsausschluss gilt auch für hochgradige oder ausgeprägte Kieferatrophien. Sie begründen keine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung, selbst wenn sie - wie beim Kläger - zu einer Prothesenlagerinsuffizienz führen (LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2007 - L 11 KR 87/06 –zit. nach Juris; LSG Rheinland-Pfalz vom 2. Oktober 2003 – L 5 KR 36/03 - zit. nach Juris; LSG Hamburg vom 11. April 2013 – L 1 KR 62/12 – zit. nach Juris).

Der Kläger kann danach die Versorgung mit den begehrten Implantaten schon deshalb nicht von der Beklagten beanspruchen, weil bei ihm eine im Richtlinienkatalog aufgeführte Ausnahmeindikation für einen besonders schweren Fall nicht vorliegt. Auf die Frage, ob die Implantatversorgung aus anderen Gründen medizinisch notwendig ist, kommt es nicht an. Ebenso ist rechtlich unerheblich, dass die behandelnden Ärzte im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung dem Gesundheitszustand des Klägers wertungsmäßig das gleiche Gewicht wie einem besonders schweren Fall beigemessen haben. Denn die Gerichte sind nicht befugt, den Richtlinienkatalog zu erweitern. Die in den Zahnbehandlungsrichtlinien festgelegten Ausnahmeindikationen sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng zu interpretieren und lassen eine Auslegung über den Wortlaut hinaus nicht zu (LSG Baden-Württemberg vom 18. Juni 2013 - L 11 KR 4956/11 - zit. nach Juris, Rz. 33; LSG Hessen vom 2. Juli 2009 - L 1 KR 197/07 – zit. nach Juris, Rz. 21; LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2007 - L 11 KR 87/06 - zit. nach Juris, Rz. 20). Es handelt sich um enggefasste Ausnahmefälle, die gerade auch im Falle von Kieferdefekten für die Implantatversorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung bestimmte weitere, qualifizierte Voraussetzungen aufstellen. Diese erfüllt der Kläger - wie dargestellt - nicht.

Die Ablehnung der Implantatversorgung verletzt den Kläger schließlich auch nicht in seinen Grundrechten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 37/02 R - zit. nach Juris; vom 5. Oktober 2005 - B 1 KR 42/05 B - zit. nach Juris, bestätigt durch BVerfG vom 9. Januar 2006 -1 BvR 2344/05 - und vom 23. Mai 2007, B 1 KR 27/07 B), der die Kammer folgt, verstößt die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V und die darauf beruhenden Richtlinien selbst dann nicht gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wenn Implantate als einzig medizinisch sinnvolle Leistung in Betracht kommen. Denn dem Grundgesetz ist ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang nicht zu entnehmen. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung der Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts (vgl. BVerfG vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - zit. nach Juris) bzw. § 2 Abs. 1 a SGB V. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine neue (nicht allgemein anerkannte) Behandlungsmethode als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine solche Situation besteht im Falle des Klägers nicht. Denn bei der Implantatversorgung handelt es sich schon nicht um eine neue (d.h. dem allgemein anerkannten medizinischen Standard nicht entsprechende) Behandlung, sondern um eine in den Einheitlichen Bewertungsmaßstäben für Zahnärzte aufgeführte, jedoch gesetzlich weitgehend ausgeschlossene Behandlungsmethode. Darüber hinaus liegt beim Kläger zur Überzeugung der Kammer auch eine dem geforderten Schweregrad entsprechende Erkrankung nicht vor. Die Kammer hat zwar keinen Zweifel daran, dass der Kläger durch die bestehende Zahnlosigkeit und Prothesenlagerinsuffizienz in seiner Lebensführung erheblich beeinträchtigt ist. Das Krankheitsbild ist nach Auffassung der Kammer mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung dennoch nicht zu vergleichen. Die Implantatversorgung stellt keine „existentielle Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung“ dar. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass psychische Beeinträchtigungen des Klägers aufgrund seiner Zahnsituation nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 3/03 R- zit. nach Juris) mit den Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie zu behandeln sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Stuttgart, Theodor-Heuss-Str. 2, 70174 Stuttgart, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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