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01.09.2004 · IWW-Abrufnummer 042327

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 02.07.1998 – 3 Ss 758/98

Zu den Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Fahrzeughalters im Zusammenhang mit fahrlässigem Dulden des Fahrens ohne Fahrerlaubnis


3 Ss 758/98 OLG Hamm

Beschluss: Strafsache gegen G.P.,
wegen Duldens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Auf die Sprungrevision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 14.04.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.07.1998 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Minden hat die Angeklagte mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässigen Duldens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 100,00 DM verurteilt.

Nach den zugrundeliegenden Feststellungen führte der 25 Jahre alte Sohn Daniel der Angeklagten, der seit etwa seinem 20 Lebensjahr über keine Fahrerlaubnis mehr verfügt und im Haushalt der Angeklagten lebt, am 16.10.1997 gegen 02.10 Uhr in Minden auf öffentlichen Straßen den PKW Rover, amtliches Kennzeichen MI-GP 189 der Angeklagten. Die Angeklagte hatte ihre Fahrzeugschlüssel in einem Korb aufbewahrt, der für den Sohn ohne weiteres zugänglich war. In dieser Form der Aufbewahrung der Fahrzeugschlüssel hat das Amtsgericht ein fahrlässiges Verhalten der Betroffenen gesehen, durch das sie die Fahrt ihres Sohnes ermöglicht habe. Die Angeklagte hätte erkennen können, dass der Anreiz für ihren Sohn, die ohne weiteres zugänglichen Schlüssel zu benutzen und mit ihrem PKW zu fahren, irgendwann dazu führen konnte, Zugriff auf diese Schlüssel zu nehmen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Sprungrevision. Die Revision greift das Urteil mit der Sachrüge an und ist der Ansicht, dass die Feststellungen den Vorwurf der Fahrlässigkeit gegen die Betroffene nicht tragen.

Die zulässige Revision der Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen die Verurteilung wegen fahrlässigen Zulassens des Fahrens eines Kraftfahrzeugs ohne die erforderliche Fahrerlaubnis nicht.
Zwar hat der Sohn der Angeklagten deren Fahrzeug geführt, obwohl er nicht in Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war. Auch hat die Angeklagte diese Tat tatsächlich ermöglicht, weil sie die Fahrzeugschlüssel für ihren Sohn ohne weiteres zugänglich in einem Korb aufbewahrte. Der Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 StVG ist aber nur dann erfüllt, wenn der Angeklagten bezüglich aller Tatbestandsmerkmale Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (vgl. BGHSt 24, 352, 356; BayObLG, NZV 1996, 462; OLG Düsseldorf, VRS 72, 290, 291). Genügend aber auch erforderlich für die Bejahung der Fahrlässigkeit ist danach, dass die Angeklagte ein derartiges Verhalten ihres Sohnes infolge eines erheblichen Mangels an zumutbarer Sorgfalt nicht vorausgesehen und vermieden hat (BGH, a.a.O., BayObLG, a.a.O.).

An die Sorgfaltspflichten des Fahrzeughalters sind dabei nach allgemeiner Auffassung zwar strenge Anforderungen zu stellen; gleichwohl dürfen diese nicht überspannt werden (BayObLG, a.a.O.). Insbesondere wäre etwa die Annahme verfehlt, der Fahrzeughalter müsse ganz allgemein verhindern, dass Personen, die nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis sind, Zugang zu Fahrzeugschlüsseln erhalten können. Eine derart weitgehende Pflicht hätte zur Voraussetzung, dass allgemein befürchtet werden müsste, ein Dritter werde den Besitz des Zündschlüssels oder die Möglichkeit, einen solchen Besitz zu erlangen, dazu mißbrauchen, das Fahrzeug gegen den Willen des Fahrzeughalters eigenmächtig in Betrieb zu setzen. Eine solche Auffassung kann aber nicht vertreten werden, weil sie im Ergebnis darauf hinausliefe, jeden, der nicht im Besitze einer Fahrerlaubnis ist, als potentiellen Täter eines Vergehens gemäß § 21 StVG anzusehen (BayObLG, a.a.O., OLG Düsseldorf, a.a.O.). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung konkreter Umstände, die die Befürchtung eines Missbrauchs begründen, etwa die Kenntnis von früheren einschlägigen Verfehlungen, die vorangegangene abgeschlagene Bitte, das Fahrzeug fahren zu dürfen, oder das Wissen um sonstige Verhaltensweisen hier des Sohnes der Angeklagten, das ihr hätte Anlass geben müssen, die Zuverlässigkeit des Sohnes in Zweifel zu ziehen (vgl. BayObLG, a.a.O., OLG Düsseldorf).

Derartige Feststellungen hat das Amtsgericht nicht getroffen. Allein dem Alter des Sohnes der Angeklagten und dem Umstand, dass dieser über keine Fahrerlaubnis mehr verfügte, können sie nicht entnommen werden, da es keinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, dass ein 25 Jahre alter junger Mann, der nicht mehr in Besitz einer Fahrerlaubnis ist, über kurz oder lang versuchen wird, sich eines Kraftfahrzeugs zu bemächtigen, um damit unerlaubt am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen.

Andererseits ist aber nicht ausgeschlossen, dass solche Feststellungen im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung noch getroffen werden können. Der Senat hat die Sache daher an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen und von einer eigenen freisprechenden Entscheidung abgesehen.

RechtsgebietStVGVorschriftenStVG 21 Abs. 1 Nr. 2

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