04.02.2004 · IWW-Abrufnummer 040291
Landgericht Saarbrücken: Beschluss vom 28.04.2003 – 8 Qs 70/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
8 Qs 70/03
03 Js 792/03StA Saarbrücken
Landgericht Saarbrücken
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren gegen ...... wegen des Verdachts des Diebstahls pp., hat die 8. Große Strafkammer des Landgerichts in Saarbrücken durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Wolff, Richter am Landgericht Görlinger und Richter Klos als beisitzende Richter am 28.4.2003 beschlossen.
1.) Der Beschluss des Amtsgerichts Lebach vom 28.3.2003 wird aufgehoben.
2.) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Landeskasse.
Gründe:
I.
Am 24.3.2003 wurde beim Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten in Lebach durch die dortigen Bediensteten eine Belegungskontrolle der Wohneinrichtungen der Landesaufnahmestelle durchgeführt. Aufgrund eines Amtshilfeersuchens wurden die Beamten des Landesamtes für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten von Polizeibeamten der Polizeiinspektion Lebach unterstützt. Die Polizeibeamten hatten den Auftrag, die Angestellten des Landesamtes zu unterstützen und vor eventuellen Übergriffen zu schützen. Im Rahmen der Belegungskontrollen sollten auch die Personalien von möglicherweise sich unberechtigt in der Wohneinrichtung aufhaltenden Personen festgestellt werden. Gegen 20.00 Uhr am 24.3.2003 wurde das Anwesen der Landesaufnahmestelle, Oderring 27/7 nach vorherigem Anklopfen durch die Beamten der Landesaufnahmestelle und die unterstützenden Polizeibeamten betreten. Dort befanden sich neben dem Beschuldigten drei weitere algerische Asylantragsteller. Im Rahmen der Kontrolle der zuvor überprüften Zimmer, konnte eine größere Anzahl von Kleidungsstücken festgestellt werden, bei den der Verdacht bestand, dass sie aus einer Straftat erlangt waren und dem Beschuldigten gehörten.
Auf Nachfrage erklärte sich der Beschuldigte und die weiteren im Zimmer Oderring 27/7 anwesenden Personen bereit, die an ihren Schränken befestigten Vorhängeschlösser zu entfernen und einen Einblick in den Innenraum der Schränke zu gewähren. Sie waren auch mit einer Überprüfung des Inhaltes der Schränke einverstanden. Bei der Durchsuchung des dem Beschuldigten gehörenden Schrankes wurden zwei Jeansjacken, 1 Lederjacke und 1 Jeanshose sichergestellt.
Durch Schreiben seines Verteidigers vom 26.3.2003 erhob der Beschuldigte bezüglich dieser Gegenstände Widerspruch gegen die Einbehaltung dieser Bekleidungsstücke. Daraufhin wurde von der Staatsanwaltschaft am 27.3.2003 Antrag auf richterliche Bestätigung der beim Beschuldigten durchgeführten Beschlagnahme gestellt. Das zuständige Amtsgericht Lebach hat durch Beschluss vom 28.3.2003 die Sicherstellung der beiden Jeansjacken, der Lederjacke und der Jeanshose richterlich bestätigt.
Gegen diesen Beschluss wendet sich das vom Verteidiger des Beschuldigten am 2.4.2003 eingelegte Rechtsmittel, das er im wesentlichen damit begründet, dass ein Durchsuchungsbeschluss für die am 24.3.2003 bei dem Beschuldigten durchgeführte Maßnahme nicht vorgelegen habe und sichergestellten Gegenstände daher als Beweismittel für das Strafverfahren nicht in Betracht kämen.
II.
Das als Beschwerde gemäß § 304, 305 StPO auszulegende und als solches zulässige Rechtsmittel ist begründet. Die richterliche Bestätigung der am 24.3.2003 durch die Polizeibeamten ausgebrachte Beschlagnahme hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zwar findet sie ihre Grundlage in § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO. Nach dieser Vorschrift hat der Beamte, der einen Gegenstand ohne richterliche Anordnung beschlagnahmt hat, binnen 3 Tagen die richterliche Bestätigung zu beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene ausdrücklich Widerspruch erhoben hat.
Die Prüfung des zur Bestätigung berufenen Richters gilt nicht der Frage, ob die Anordnung der Staatsanwaltschaft oder ihrer Hilfsbeamten ursprünglich zu Recht ergangen ist, sondern sie erstreckt sich lediglich auf die Frage, ob die Beschlagnahme zur Zeit der Prüfung gerechtfertigt ist. (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. § 98 Rdnr. 17).
Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme ist § 94 StPO, wonach Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können sicherzustellen sind. Die Voraussetzung der richterlichen Bestätigung der Beschlagnahme ist somit, dass die Gegenstände als Beweismittel für das gegen den Beschuldigten anhängigen Verfahren in Betracht kommen.
Diese abstrakte Beweiseignung der streitbefangenen Gegenstände ist vorliegend nicht gegeben. Sie dürfen im Strafverfahren gegen den Beschuldigten nicht verwertet werden, da die zu ihrer Auffindung führende Durchsuchungsmaßnahme rechtswidrig gewesen ist.
Zwar war die ursprünglich von den Beamten des Landesamtes beabsichtigte Belegungskontrolle der Landesaufnahmestelle keine dem Richtervorbehalt des Artikels 13 Abs. 1 GG unterfallende Durchsuchungsmaßnahme. Unter einer Durchsuchung in diesem Sinne ist die ziel- und zweckgerichtete Suche von Amtsträgern nach Personen oder Sachen zu verstehen, die der Gewahrsamsinhaber verborgen hält und nicht freiwillig herausgeben will. Sie ist also dann gegeben, wenn geschützte Räume betreten werden und Personen, Sachen oder Spuren im Augenschein genommen werden (Maunz-Dürig GG Komm., Band 2, Artikel 13 Rdnr. 22).
Eine zielgerichtete Suche nach Personen oder Sachen war ursprünglich nicht beabsichtigt. Es sollte lediglich eine Kontrolle der Belegung der Wohnungseinrichtungen der Landesaufnahmestelle durchgeführt werden, wobei die hinzugezogenen Polizeibeamten lediglich den Schutz der Bediensteten der Landesaufnahmestelle gewährleisten sollten. Diese Maßnahme ist als sonstiger Eingriff oder Beschränkung im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG zu werten, deren Rechtmäßigkeit für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung ist und die gegebenenfalls der Überprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugänglich ist.
Zum Zeitpunkt der Durchführung der Belegungskontrolle bestand weder ein Anfangsverdacht einer Straftat noch war ein Ermittlungsverfahren anhängig. Die anfänglich beabsichtigte Maßnahme bedurfte daher mangels Durchsuchungsqualität keiner richterlichen Anordnung.
Dennoch hätte die im Zimmer des Anwesens Oderring 27/7 durchgeführte Maßnahme der Polizeibeamten einer richterlichen Anordnung bedurft.
Die Beamten sind, nachdem in einem anderen Zimmer verdächtige Gegenstände aufgefunden worden sind und aufgrund der Aussage eines Mitbewohners der Verdacht bestand, dass der Beschuldigte als Besitzer hochwertiger Krokodillederstiefel und eines Satelittenreceivers anzusehen ist, in das Zimmer des Beschuldigten eingedrungen, um dort nach weiteren den Tatverdacht erhärtenden Beweismitteln zu suchen. Diese Vorgehensweise stellt eine zweck- und zielgerichtete Nachschau nach beweiserheblichen Gegenständen und damit eine Durchsuchung dar. Diese bedarf gemäß § 102, 105 StPO grundsätzlich einer richterlichen Anordnung, die hier nicht vorlag.
Eine derartige richterliche Durchsuchungsanordnung war nicht deshalb entbehrlich, weil der Beschuldigte sich der Durchsuchung freiwillig unterworfen hat (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 105 Rd. 1). Eine wirksame Einwilligung setzt die Kenntnis aller hierfür maßgeblichen Umstände voraus. Dem Beschuldigten war ausweislich des Vermerks, B1, 9 ff nicht bekannt, dass gegen ihn der Anfangsverdacht einer Straftat bestand und dass die Maßnahme der Auffindung weiterer ihn möglicherweise belastender Beweismittel dienen sollte. Die bestehenden Verdachtsmomente waren ihm offensichtlich nicht mitgeteilt worden.
Die Durchsuchung konnte von den Beamten auch nicht wegen Gefahr in Verzug gemäß § 105 Abs. 1 StPO selbst angeordnet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Begriff ?Gefahr im Verzug? eng auszulegen, wobei die richterliche Anordnung einer Durchsuchung die Regel ist und die nichtrichterliche die Ausnahme bleibt. Das Vorliegen von ?Gefahr im Verzug? muss mit einzelfallbezogenen Tatsachen begründet werden, wobei reine Spekulation und hypothetische Erwägungen oder fallunabhängige Vermutungen nicht ausreichend sind. Die Strafverfolgungsbehörden haben regelmäßig zu versuchen, eine Anordnung des instanziell- und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Dies ist vorliegend unterblieben. Die Beamten konnten nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass eine richterliche Durchsuchungsanordnung zum Durchsuchungszeitpunkt um 20.00 Uhr des 24.3.03 nicht zu erlangen gewesen wäre. Der abstrakte Hinweis auf die Uhrzeit genügt den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen nicht, denn die Gerichte haben die Erreichbarkeit eines Richters auch durch die Errichtung eines Eil-oder Notdienstes zu sichern (BverfG, NStZ 2001, S. 382 ff). Dem ist nach dem Kenntnisstand der Kammer zumindest bei dem zuständigen Amtsgericht Lebach in der Weise Rechnung getragen worden, dass die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters auch außerhalb der allgemeinen Dienstzeiten sichergestellt ist.
Die Beamten haben vorliegend keinen Versuch unternommen, vor Beginn der Maßnahme einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erlangen. Ein solches Vorgehen wäre nur dann zulässig, wenn bereits die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs die Durchsuchung gefährden würde (BverfG, aaO, 384). Zumindest der Versuch, einen Durchsuchungsbeschluss fernmündlich einzuholen wäre den Beamten ohne Gefährdung des Durchsuchungszwecks möglich gewesen.
Auch fehlt es an einer für die wirksame gerichtliche Nachprüfung der Voraussetzungen von ?Gefahr im Verzug? vorauszusetzenden Dokumentation der hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände. Grundsätzlich hat der handelnde Beamte vor oder jedenfalls unmittelbar nach der Durchsuchung seine für den Eingriff bedeutsamen Erkenntnis und Annahmen in den Ermittlungsakten zu dokumentieren. Der für die Durchsuchung maßgebliche Bericht des mit der Durchsuchung befassten Beamten wurde dagegen erst drei Tage nach der Tat gefertigt und enthält darüber hinaus keine konkrete Beschreibung der für die Annahme von ?Gefahr im Verzug? maßgeblichen tatsächlichen Umstände. Aus ihm geht nicht hervor, ob der handelnde Beamte sich bewusst gewesen ist, dass es sich bei der von ihm durchgeführten Maßnahme um eine Durchsuchung handelte. Weder der Begriff ?Durchsuchung? noch ?Gefahr im Verzug? finden in dem Vermerk Erwähnung.
Die Anordnung der Durchsuchung des Anwesens Oderring 27/7, Lebach, genügt somit den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Anordnung einer Durchsuchung wegen ?Gefahr im Verzug? nicht.
Dies führt vorliegend zu einem Beweisverwertungsverbot. Ein Verbot der Verwertung anlässlich einer Durchsuchung gewonnener Beweismittel besteht nicht stets, sondern nur dann, wenn die Durchsuchungsanordnung objektiv willkürlich war oder an einem sonstigen schweren Verfahrensverstoß leidet und kein besonderes Allgemeininteresse an der Tataufklärung besteht (OLG Koblenz, StV 2002, S. 533 ff.). Ein hinreichend schwerer Verstoß liegt nach Auffassung der Kammer hier vor, weil der ermittelnde Beamte die Eingriffsqualität der Maßnahme in keiner Weise erwogen hat und sich ihr auch nicht bewusst gewesen ist. Die Grundrechtsrelevanz des Vorgehens ist, ebenso wie der Richtervorbehalt aus Art 13 Abs. 1 GG, völlig unberücksichtigt geblieben. Die Inanspruchnahme einer Eingriffskompetenz in einen grundrechtsbewehrten Bereich setzt jedoch voraus, dass sich der Handelnde des Eingriffscharakters bewusst ist. Ein ohne dieses Bewusstsein vorgenommener Eingriff hat zwangsläufig zur Folge, dass seine rechtlichen Voraussetzungen ungeprüft bleiben und ist damit objektiv willkürlich.
Die sichergestellten Gegenstände unterliegen damit einem Beweisverwertungsverbot (vgl. auch OLG Koblenz, a.a.O., AG Kiel StV 2002, S. 536 ff) und sind daher als Beweismittel für das gegen den Beschuldigten anhängige Verfahren nicht von Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.