31.05.2012 · IWW-Abrufnummer 122355
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 22.03.2012 – 2 K 103/11
Eine erhebliche Härte im Sinne von § 222 AO ist nur dann gegeben, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und in absehbarer Zeit fällig werden wird; d. h. zur Zeit der Steuereinziehung muss der Gegenanspruch bereits nach Grund und Höhe rechtlich wie tatsächlich schlüssig belegt sein und in naher Zeit fällig werden.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Voraussetzungen für eine Stundung gem. § 222 Abgabenordnung (AO) vorliegen.
Der Beklagte änderte gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin für das Kalenderjahr 2000 durch den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 19.02.2010. Hierdurch ergab sich für die Klägerin eine zusätzliche Zahllast in Höhe von ... €, weil die bisher berücksichtigten negativen Beteiligungseinkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € nunmehr mit ... € berücksichtigt wurden. In Höhe von ... € gewährte der Beklagte auf Grund einer Mitteilung vom ... 2010 durch den Bescheid vom 16.02.2010 gem. § 361 AO Aussetzung der Vollziehung. Es verblieb ein noch offener Restbetrag in Höhe von ... €.
Mit Schreiben vom ... 2010 beantragte die Klägerin die Stundung in Höhe des noch offenen nicht ausgesetzten Betrages. Zur Begründung gab sie an, dass sich die bei ihr entstandene Zahllast aus einer bei der „A KG (im Folgenden KG)” durchgeführten Betriebsprüfung ergeben habe. Die Betriebsprüfung habe Betriebsausgaben der KG nicht als sofort abzugsfähig anerkannt, so dass die Betriebsausgaben zu aktivieren und anschließend abzuschreiben seien. Damit ergäben sich in den Jahren 2002 bis 2008 höhere Verluste der KG und damit auch höhere negative Beteiligungseinkünfte der Klägerin. Diese führten zu Steueransprüchen der Klägerin, welche mit der Zahllast aus dem Einkommensteuerbescheid 2000 zu verrechnen seien.
Im Folgenden wurden Beträge in Höhe von ... € tatsächlich verrechnet. Die Klägerin reduzierte ihren Stundungsantrag durch Schreiben vom ... 2010 auf die verbleibende Differenz in Höhe von ... €.
Durch den Bescheid vom 26.03.2010 lehnte der Beklagte den Stundungsantrag mit der Begründung ab, dass nicht absehbar sei, wann geänderte Mitteilungen bezüglich der Einkünfte aus der KG ergehen würden, aus denen sich die behaupteten Erstattungen ergeben könnten.
Hiergegen legte die Klägerin am 08.04.2010 Einspruch ein. Ergänzend trug sie vor, dass der Beklagte wegen des Untersuchungsgrundsatzes verpflichtet sei, entsprechende Erkundigungen beim Betriebsstättenfinanzamt einzuholen.
Der Beklagte erkundigte sich am ... 2010 und am ... 2011 telefonisch beim Betriebsstättenfinanzamt. Die Nachfrage ergab, dass das für die KG zuständige Finanzamt mittlerweile die Gewinnerzielungsabsicht der KG insgesamt bestritt und dass diesbezüglich ein Verfahren beim Finanzgericht München anhängig gemacht werden sollte und mit einer baldigen Entscheidung nicht gerechnet werden konnte, da insbesondere noch keine Feststellungserklärungen der KG eingereicht worden waren. Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Voraussetzungen für eine Stundung nicht vorlägen, insbesondere könne keine unbillige Härte angenommen werden, da der zu erstattende Betrag nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald fällig werde.
Die Klägerin hielt ihren Einspruch aufrecht und erweiterte ihre Begründung damit, dass es nicht zu ihren Lasten gehen könne, wenn das Betriebsstättenfinanzamt zu Unrecht keine Aussetzung der Vollziehung gewähre und sich bei der Umsetzung der Betriebsprüfungsfeststellungen widersprüchlich verhalte.
Durch Einspruchsentscheidung vom 11.04.2011 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet ab. Es sei ungewiss, ob es überhaupt zu negativen Beteiligungserträgen der Klägerin für die Jahre 2007 und 2008 komme. Entscheidend sei, dass eine Entscheidung aus der sich die von der Klägerin behaupteten Erstattungsansprüche ergeben könnten, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit ergehe. Sofern sich die Klägerin in ihrer Einspruchsbegründung darauf stütze, dass zu Unrecht keine Aussetzung der Vollziehung bei dem Grundlagenbescheid gewährt werde, müsse sie sich hiergegen mit den entsprechenden Rechtsmitteln richten. Diese Frage müsse im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid geklärt werden und könne nicht über einen Stundungsantrag auf das Verfahren des Folgebescheids übertragen werden.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 16.05.2011. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, sie habe einen Anspruch auf Stundung gem. § 222 AO, denn eine erhebliche Härte im Sinne der Vorschrift liege vor. Es handele sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Einzelfall durch eine Abwägung der Interessen von Steuerschuldner und Steuergläubiger auszulegen sei. Ihr, der Klägerin, entstünden in absehbarer Zeit Erstattungsansprüche, denn das Betriebsstättenfinanzamt gehe nun nicht mehr davon aus, dass gar keine Gewinnerzielungsabsicht vorliege, sondern es sei vereinbart, dass lediglich ein Drittel der erklärten Verluste nicht mehr anerkannt werden solle. Die restlichen Verluste seien abzuschreiben. Es sei jedoch nur Aussetzung der Vollziehung für ein Drittel der Verluste gewährt worden. Den Rest wolle das für die KG zuständige Finanzamt erst dann umsetzen, wenn das gerichtliche Verfahren beendet worden sei, obwohl es unstreitig sei, dass zwei Drittel der Verluste berücksichtigt werden müssten. Dies sei eine unzulässige Handlungsweise des Betriebsstättenfinanzamts und hierdurch würde auch die für § 222 AO erforderliche unbillige Härte begründet werden, denn es könne nicht der Klägerin zum Nachteil gereichen, wenn ein Finanzamt gegen seine Pflichten verstoße.
Die Klägerin könne keine weiteren Unterlagen vorlegen, weil die Prozessbevollmächtigte der KG sich weigere, ihr konkrete Unterlagen über den finanzgerichtlichen Prozess zur Verfügung zu stellen. Nach ihren Erkenntnissen werde das Verfahren bei dem Finanzgericht München unter dem Aktenzeichen ... geführt. Mit einer ersten Reaktion werde frühestens im März/April 2012 gerechnet.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Ablehnungsbescheid vom 26.03.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 11.04.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Einkommensteuernachzahlung für 2000 in Höhe von ... € gem. § 222 AO zu stunden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt der Beklagte vor, dass die Voraussetzungen für eine Stundung gem. § 222 AO nicht vorlägen, insbesondere liege keine unbillige Härte vor, da der geltend gemachte Gegenanspruch der Klägerin nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestehe und auch nicht in absehbarer Zeit fällig werde. Entscheidend sei, dass es keine entsprechende ESt-4B Mitteilung des für die KG zuständigen Finanzamts gäbe. Es ergäbe sich aus dem Prinzip von Grundlagen- und Folgebescheid, dass kein Stundungsgrund auf der Ebene des Folgebescheids vorliegen könne, wenn die Erstellung der Grundlagenbescheide nicht zeitnah erfolge. Die Klägerin sei gehalten auf der Ebene des Grundlagenbescheides ihre Rechtsmittel auszuschöpfen. Eine Korrektur vermeintlicher Fehler auf der Ebene des Grundlagenbescheides könne grundsätzlich nicht auf der Ebene des Folgebescheides korrigiert werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Auf das Sitzungsprotokoll des Erörterungstermins vom 18.11.2011 wird verwiesen. Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten und die Rechtsbehelfsakten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.
Gründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Stundung gem. § 222 AO, so dass der Beklagte zu Recht die Stundung abgelehnt hat.
Die Klage ist am 16.05.2011 fristgemäß eingelegt worden. Die Einspruchsentscheidung vom 11.04.2011 gilt gem. § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO am 14.04.2011 als bekannt gegeben, so dass die Klagefrist grundsätzlich am 14.05.2011 abgelaufen wäre. Da der 14.05.2011 jedoch ein Sonnabend war, endete die Klagefrist erst am Montag den 16.05.2011. An diesem Tag wurde die Klage auch eingereicht.
Nach § 222 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis von der Finanzbehörde ganz oder teilweise gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden.
Die Entscheidung über eine Stundung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, die gerichtlich nur in den durch § 102 Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des die Stundung ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die beklagte Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dem Finanzgericht steht nicht das Recht zu, eigenes Ermessen auszuüben und an die Stelle des Ermessens der Finanzbehörde zu setzen. Maßgebender Zeitpunkt für die Prüfung, ob die Behörde von ihrem Ermessen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung (ständige Rechtsprechung, vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 102 FGO Tz. 7 m. w. N.).
Die sog. technische Stundung, in Verwaltungsanweisungen auch Überbrückungsstundung oder Verrechnungsstundung genannt, ist ein Unterfall der Stundung nach § 222 AO. Der aus § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) abgeleitete Grundsatz „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est ” ist ein allgemeiner und begründet keine über die steuerliche Spezialregelung des § 222 AO hinausgehende Stundungsmöglichkeit. In diesem Sinne hat der BFH auch in ständiger Rechtsprechung den bezeichneten aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsatz zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „erhebliche Härte” des § 222 Satz 1 AO herangezogen (BFH vom 24.03.1998 I R 120/97, BStBl II 1999, 3 m. w. N.). Für die Anwendung des Grundsatzes, dass es gegen Treu und Glauben verstoße, etwas zu fordern, was sogleich wieder zurückgewährt werden muss, genügt es nicht, dass nur eine ungewisse oder unbestimmte Aussicht auf Erstattung der Steuer besteht. Wenn in diesem Fall die Verwaltungsbehörde nicht stundet, verletzt sie in Anbetracht eines solchen Gegenanspruchs ihr Ermessen nicht. Eine erhebliche Härte derart, dass die Stundungsablehnung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens rechtswidrig überschritte, ist im Sinne von § 222 AO nur dann gegeben, wenn der Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und in absehbarer Zeit fällig werden wird; d. h. zur Zeit der Steuereinziehung muss der Gegenanspruch bereits nach Grund und Höhe rechtlich wie tatsächlich schlüssig belegt sein und in naher Zeit fällig werden. Denn nur in diesem Fall wäre, wenn nicht sogleich, so doch wenigstens alsbald mit der Zurückgewähr des Stundungsbetrags zu rechnen (BFH vom 06.10.1982 I R 98/81, BStBl II 1983, 397).
Die Entscheidung des Beklagten, die von der Klägerin beantragte Stundung der Steuerrückstände abzulehnen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für eine Stundung liegen nicht vor. Denn die Klägerin hat keine Unterlagen eingereicht, aus denen sich ergibt, dass ihr in absehbarer Zeit Steuererstattungsansprüche entstehen. Sie hat lediglich vorgetragen, dass eine tatsächliche Verständigung zwischen der KG und dem Betriebsstättenfinanzamt zustande gekommen ist, die dazu führen soll, dass ihre entsprechenden Verluste zugewiesen werden. Unterlagen, die diese tatsächliche Verständigung belegen könnten, hat sie ebenso wenig eingereicht, wie andere konkrete Unterlagen wie z. B. entsprechende Steuererklärungen der KG oder Berechnungen des Betriebsstättenfinanzamts. Es kann auch nicht auf Grund der vorliegenden Unterlagen beurteilt werden, ob tatsächlich Fehler bei der Rechtanwendung durch das Betriebsstättenfinanzamt vorliegen, ob also zu Unrecht die Umsetzung einer tatsächlichen Verständigung verweigert wird.
Bei dieser ungeklärten Rechtslage ist die Klägerin verpflichtet, ihre Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber der KG, an der sie beteiligt ist, wahrzunehmen, um ggf. Einfluss nehmen zu können auf die zügige Erstellung der Grundlagenbescheide. Im Gegensatz zu der Klägerin ist der Beklagte hierzu nicht in der Lage, denn er ist nicht befugt, das Betriebsstättenfinanzamt anzuweisen oder Einfluss auf das finanzgerichtliche Verfahren beim Finanzgericht München zu nehmen.
Das Gericht musste auch nicht selbst im Rahmen der Amtsermittlungspflicht entsprechende Unterlagen beim Finanzgericht München oder beim Betriebsstättenfinanzamt anfordern, denn zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Erlass der Einspruchsentscheidung lagen diese Unterlagen definitiv dem Beklagten nicht vor, so dass er sie deswegen auch nicht in seine Ermessensentscheidung hätte einbeziehen können.
Persönliche Billigkeitsgründe sind weder vorgetragen worden, noch sind sie aus den vorliegenden Akten ersichtlich.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der hierfür in § 115 Abs. 2 FGO genannten Voraussetzungen vorliegen.