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18.01.2008 · IWW-Abrufnummer 080165

Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 14.03.2006 – I 108/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT HAMBURG

Aktz: I 108/05

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin (-Kl-) nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich eines Einspruchs gegen einen Lohnsteuernachforderungsbescheid die Änderung desselben durch Herabsetzung des Nachforderungsbetrages.

Die Kl betreibt einen gastronomischen Betrieb, in dem sie u.a. Aushilfskräfte als Arbeitnehmer beschäftigt. Die steuerliche Beratung erfolgte in dem hier relevanten Zeitraum durch die A Treuhandgesellschaft. Zuständig für die Betreuung der Kl waren der Steuerberater B und die Steuerfachangestellte M. Das Mandat wurde nach Mitteilung der jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 31.01.2005, die nach eigenen Angaben aus der genannten Gesellschaft hervorgegangen ist, übernommen. Sowohl der Steuerberater B als auch die Mitarbeiterin M sind weiterhin bei der jetzigen Prozessbevollmächtigten tätig.

Anläßlich einer für den Zeitraum 01.04.2000 bis 31.03.2002 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung ergab sich, dass die Kl im Prüfungszeitraum 2001 und 2002 für einige Arbeitnehmer die gezahlten Aushilfslöhne steuerfrei belassen hatte, obwohl für diese keine Freistellungsbescheinigungen vorlagen. Eine pauschale Nachversteuerung gemäß § 40a Einkommensteuergesetz (-EStG-) wurde angekündigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 12.11.2002 verwiesen. Am 06.12.2002 gab der Bekl einen Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zur Post, mit dem ein Gesamtnachforderungsbetrag in Höhe von EUR 1.689,92 festgesetzt wurde. Der Bescheid wurde den seinerzeitigen Bevollmächtigten bekanntgegeben.

Mit am selben Tag bei dem Bekl eingegangenem Schreiben vom 24.06.2003 reichte die Bevollmächtigte der Kl "zur Begründung unseres Einspruchs vom 06.01.2003" Freistellungsbescheinigungen und Lohnsteuerkarten für den überwiegenden Teil der im Bericht genannten Aushilfen ein und begehrte Erstattung der durch die Prüfung zuviel festgesetzten Lohnsteuer in Höhe von EUR 1.494,95.

Die Lohnsteuerstelle des Bekl wies das Büro der Bevollmächtigten (Frau M) durch Telefonat vom 04.07.2003 darauf hin, dass der Einspruch vom 06.01.2003 weder dort, noch in der anderen in Betracht kommenden Veranlagungsdienststelle vorliege. Zugleich wurde auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit entsprechender Begründung, Nachweisen und Glaubhaftmachung hingewiesen.

Mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 14.07.2003 beantragte die Bevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug sie vor : "Wir hatten für unsere Mandantin fristgerecht am 06 Januar 2003 Einspruch auf dem Postweg eingereicht. ... Es ist für uns nicht erklärlich, aus welchen Gründen der Einspruch Sie nicht erreicht hat." Auf eine als Anlage übersandte Kopie des genannten Einspruchsschreibens wurde verwiesen. Die Kopie lag indes nicht bei. Sie wurde mit Telefax vom 16.07.2003 nachgesandt. Weiter übersandte die Bevollmächtigte - ebenfalls per Fax - am 30.07.2003 die Kopie eines nach Datum, Empfänger, Betreff und Porto unterteilten Blattes, in dem sich u.a. eine Zeile mit den Eintragungen "06.01.03 - FA ..., Hamburg - Antrag Gew.-St.-VZ ab I.Qu. 2003 auf 0 festsetzen ... (K)" befand. Mit der Bezeichnung "... (K)" ist die Kl gemeint.

Ausweislich eines Aktenvermerks des zuständigen Mitarbeiters der Bekl erklärte eine Sachbearbeiterin der Bevollmächtigten hierzu - offenbar telefonisch - ergänzend, der Einspruch vom 06.01.2003 sei in den Umschlag mit dem 2. Schreiben, betreffend die Gewerbesteuervorauszahlungen, gelegt und abgesandt worden. Es würden keine zwei Briefe abgesandt.

Mit Bescheid vom 21.08.2003 lehnte der Bekl unter Hinweis auf fehlenden Nachweis der Absendung, welcher insbesondere nicht durch den Gewerbesteuervorauszahlungen betreffenden Vermerk erbracht sei, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Hiergegen wandte sich die Bevollmächtigte mit Einspruch vom 24.09.2003. Zur Begründung führte sie an, das Fehlen eines Postausgangsvermerks betreffend den Einspruch vom 06.01.2003 beruhe darauf, dass die für die Kl zuständige Mitarbeiterin M - gegen eine bestehende Anweisungslage verstoßend - den Einspruch nicht vorab per Fax an die Bekl gesandt habe. Vielmehr habe sie das Einspruchsschreiben sogleich auf dem Postweg versandt, wo es offensichtlich verloren gegangen sei. Bei der Mitarbeiterin handele es sich um eine langjährig bei der Bevollmächtigten beschäftigte, hochqualifizierte Steuer-Fachangestellte bei der es noch nie zu Unregelmäßigkeiten mit der Ausführung und Umsetzung von getroffenen Weisungen gekommen sei. Die Kopie einer auch von der Mitarbeiterin M abgezeichneten, mit "Anweisung an alle Mitarbeiter zum Faxen von Einsprüchen und Klagen" überschriebenen, bürointernen Verfügung aus ihrem Hause vom 09.09.2002 legte die Bevollmächtigte ergänzend vor.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Einspruchsentscheidung wurde am 24.02.2005 zur Post gegeben.

Die Kl legte am 24.03.2005 Klage ein. Zu deren Begründung führt sie aus, es läge kein Verschulden der Bevollmächtigten vor. Auf Veranlassung des Steuerberaters B sei das vorgelegte Einspruchsschreiben am 06.01.2003 im Sekretariat der Bevollmächtigten gefertigt und der zuständigen Sachbearbeiterin M ausgehändigt worden. Zu deren Aufgaben gehöre es, für die fristgerechte Einreichung fristwahrender Schriftstücke bei den von ihr betreuten Mandanten Sorge zu tragen, mithin sicherzustellen, dass diese Schriftstücke unterzeichnet und rechtzeitig vor Ablauf der Frist abgesendet würden. Die Kl verweist nochmals auf die bereits vorgelegte "Anweisung an alle Mitarbeiter zum Faxen von Einsprüchen und Klagen" vom 09.09.2002 und deren Nichteinhaltung im konkreten Fall. Die Mitarbeiterin M habe - nach ihrer Erinnerung - das Einspruchsschreiben zur Post gegeben. Nachträglich habe sie insoweit einräumen müssen, hierzu auch keinen Vermerk im Postausgangsbuch vorgenommen zu haben, sondern den dort für den 06.01.2003 in einer anderen Angelegenheit der Kl vermerkten Eintrag mit dem streitgegenständlichen Einspruch verwechselt zu haben. Hierbei habe es sich um einen Einzelfall gehandelt. Zum Beweis des Vorstehenden beruft sich die Kl auf das Zeugnis der Mitarbeiterin M. Anders als das Verschulden eines mandatierten Steuerberaters sei einem Steuerpflichtigen ein Verschulden von dessen Mitarbeitern nicht zurechenbar. Im Übrigen liege im konkreten Fall weder ein Auswahl- und Überwachungsverschulden, noch ein Organisationsverschulden der Bevollmächtigten vor.

Die Klägerin beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 24.02.2005 unter Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der überschrittenen Einspruchsfrist aufzuheben und den Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 06.12.2002 dahingehend zu ändern, dass ein um EUR 1.494,95 verringerter Gesamtnachforderungsbetrag festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Kl sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie habe nicht dargelegt und bewiesen, dass kein Organisationsverschulden vorliege. Weder sei generell zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Fristenkontrollorganisation im Büro der Klägervertreterin vorgetragen worden, noch zu der Frage einer organisierten regelmäßigen Überwachung des mit der Fristenkontrolle betreuten Büropersonals. Der Bekl weist zudem auf Widersprüche im Vortrag der Kl zu den konkreten Umständen der behaupteten erstmaligen Versendung des Einspruchsschreibens hin. Angesichts der Fülle des Briefverkehrs einer Steuerberatungsgesellschaft hält er es überdies für unwahrscheinlich, dass sich Büroangestellte Monate bzw. Jahre nach einem angeblichen Versendedatum an die tatsächliche Versendung erinnern. Angesichts der Fehlerhäufung, Unstimmigkeiten und Widersprüche im konkreten Fall und einer nicht erkennbaren ordnungsgemäßen Fristenorganisation sei nach Auffassung des Bekl von einem der Kl zuzurechnenden Organisationsmangel bei der Bevollmächtigten auszugehen.

Der Berichterstatter hat gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGO zu einem Termin am 19.12.2005 geladen, in dem die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten im Einzelnen erörtert wurde. Innerhalb der von ihr bei dieser Gelegenheit ausdrücklich zwecks verbindlicher Äußerung über die Fortsetzung des Verfahrens oder eine Rücknahme der Klage erbetenen Frist bis zum 20.01.2006 hat sich die Klägerin nicht geäußert. Desgleichen nicht auf zweimalige telefonische (25. und 26.01.2006) und eine schriftliche (31.01.2006) Anfragen des Gerichts mit der Bitte um Rückmeldung, bei letzter Anfrage mit nochmaliger Fristsetzung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift über den Erörterungstermin vom 19.12.2005 verwiesen.

Die die Kl betreffenden Arbeitgeberakten, Band 1, zur Steuernummer ... haben dem Gericht vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung im Wege des Gerichtsbescheides. Da die Kl sich trotz selbst ausbedungener Frist und wiederholter Aufforderung durch das Gericht nicht mehr geäußert hat, ist in der Sache zu entscheiden.

Die - zulässige - Klage bleibt ohne Erfolg, denn sie ist unbegründet.

Die Kl ist durch die Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch den Bescheid des Bekl vom 21.08.2003 nicht in ihren Rechten verletzt; die Ablehnung und deren nachfolgende Bestätigung durch die Einspruchsentscheidung vom 24.02.2005 sind rechtmäßig, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (-FGO-). Der angefochtene Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 06.12.2002 ist bestandskräftig. Die von der Kl begehrte Abänderung desselben durch Herabsetzung der darin festgesetzten Abgabenforderungen um den Betrag von EUR 1.494,95 ist daher - trotz der zwischen den Beteiligten insoweit unstreitigen materiell-rechtlichen Unrichtigkeit der Festsetzung - nicht mehr möglich.

Die gegen den am 06.12.2002 zur Post gegebenen Nachforderungsbescheid nach § 355 Abs. 1 AO einzuhaltende Einspruchsfrist endete gemäß §§ 122 Abs. 2 Nr. 1; 108 Abs. 1 Abgabenordnung (-AO-) i.V.m. §§ 187 Abs. 1; 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (-BGB-) am 09.01.2003. Die Kl hat diese Frist versäumt. Einspruch wurde eingehend bei dem Bekl frühestens wirksam mit dem einspruchsbegründenden Schreiben vom 24.06.2003 eingelegt.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Finanzbehörde, die über die versäumte Handlung zu befinden hat (§ 110 Abs. 1, 2 und 4 AO).

Liegen die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung vor, so hat der Betroffene einen Anspruch auf Wiedereinsetzung. Die Entscheidung ist keine Ermessensentscheidung. Die Gerichte können die Entscheidung der Finanzbehörde ohne Einschränkung nachprüfen und gegebenenfalls die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung bejahen und in der Sache entscheiden (Tipke/Kruse-Tipke, Kommentar zur Abgabenordnung, § 110 Rd. 98,99 m.w.N.).

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Tatsachen zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO darzulegen. Ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf der Antragsfrist ist unzulässig. Zulässig ist lediglich, unvollständige Angaben auch nach Ablauf dieser Frist zu erläutern und zu ergänzen. Innerhalb der Antragsfrist wird daher, ohne dass die Behörde dazu auffordern müsste, der fristgerechte eigene Vortrag von Wiedereinsetzungsgründen verlangt, d.h. eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller für die Frage der Wiedereinsetzung entscheidungserheblichen Tatsachen (BFH-Beschluss vom 26.02.2004 - VI B 101/01 - juris - m.w.N. zur BFH-Rspr).

Wird im Fall der Versäumnis einer gesetzlichen Frist - wie im Streitfall der Einspruchsfrist - vorgetragen, das fristwahrende Schreiben sei rechtzeitig abgesandt worden, so bedarf es nach ebenfalls ständiger Rechtssprechung bereits im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 2 AO neben der lückenlosen und schlüssigen Darstellung des Absendevorgangs dessen Glaubhaftmachung durch Vorlage präsenter Beweismittel, die mit hinreichender Sicherheit den Schluss auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen (BFH-Beschluss vom 09.04.1998 - VIII R 35/96 - BFH/NV 1998/1242). Erforderlich ist danach ein Tatsachenvortrag, nach dem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass das Schriftstück nicht nur rechtzeitig bearbeitet, sondern auch rechtzeitig abgesandt worden ist (BFH-Beschluss vom 24. März 1995 - VIII B 62/94 - BFH/NV 1995, 1069). Hierzu bedarf es innerhalb der Monatsfrist der schlüssigen und lückenlosen Darstellung, welche Person zu welcher Zeit (Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten, den Hausbriefkasten des Finanzamtes oder Abgabe bei einem bestimmten Postamt) den Brief, in dem sich das Einspruchsschreiben befunden hat, aufgegeben hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1996 - I R 13/96 - BFH/NV 1997, 120; vom 26. November 1993 - VIII R 53/93 - BFH/NV 1994, 644 und vom 05. November 1998 - I R 90/97 - BFH/NV 1999, 512). Bei Bevollmächtigten, die die steuerrechtliche Beratung - wie im Streitfall die seinerzeitige Vertreterin - berufsmäßig ausüben, ist außerdem die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und diese durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen. Denn zu den in Betracht kommenden objektiven präsenten Beweismitteln gehört bei Angehörigen der steuer- und/oder rechtsberatenden Berufe insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen einer Frist auf der Grundlage der Ausgangseintragung im Postausgangsbuch (vgl. BFH-Urteil vom 07. Dezember 1988 - X R 80/87 - BStBl II 1989, 266 sowie BFH-Beschlüsse vom 05.11.1998 - I R 9/97 - BFH/NV 1999, 512 und vom 24. Februar 2000 - VII B 132/99 - juris - m.w.N.). Wird kein Postausgangsbuch vorgelegt, so ist dies Ausdruck mangelnder Beweisvorsorge (BFH-Beschluss vom 04. November 1999 - X B 81/99 - BFH/V 2000, 546).

Entspricht die Fristen- und Ausgangskontrolle den vorstehend dargelegten Anforderungen nicht, kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gleichwohl in Betracht kommen, wenn eine Bürokraft mit der Absendung des fristgebundenen Schriftstücks beauftragt und auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen worden ist. In einem solchen Fall ist allerdings geboten, dass die Beauftragung der mit der Versendung des Schriftstücks betrauten Kanzleikraft durch eine ausdrückliche und eindeutige Einzelweisung des verantwortlichen bevollmächtigten Berufsträgers erfolgt. Zur Glaubhaftmachung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist es erforderlich, dass die im vorstehend qualifizierten Sinne beauftragte Person den Absendevorgang schlüssig und detailliert - ggf. in der Form einer innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist abzugebenden eidesstattlichen Versicherung - schildert und durch ein präsentes Beweismittel, z.B. eine Notiz über die Erledigung bzw. Versendung - wenn schon nicht in einem Fristenkontrollbuch oder Postausgangsbuch, wenigstens in der Akte - glaubhaft macht (BFH-Beschluss vom 24. Februar 2000 - VII B 132/99 - juris - m.w.N.).

Fehlt es an einer schlüssigen Darstellung der zur Einhaltung der Frist tatsächlich getroffenen, generellen Maßnahmen und ist zudem der Vortrag über eine im konkreten Einzelfall gleichwohl rechtzeitige Absendung des fristwahrenden Schriftstücks mit keinem der bei einer ordnungsgemäßen Büroorganisation zu erwartenden präsenten Beweismittel belegt, kann ein Verschulden des Bevollmächtigten bei der Fristversäumnis nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Das Verschulden des Bevollmächtigten ist dem von ihm vertretenen Steuerpflichtigen zuzurechnen. Die Mängel der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages können nach Ablauf der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 AO auch nicht mehr beseitigt werden. Sie gehen damit ebenfalls zu Lasten des Vertretenen (BFH-Beschluss vom 24. Februar 2000 - VII B 132/99 - juris).

Das Verfahren über die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen versäumter Einspruchsfrist ist ein verwaltungsrechtliches Zwischenverfahren, das abgeschlossen ist, wenn die Verwaltungsinstanz eine Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung getroffen hat. In einem sich anschließenden Klageverfahren können Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ebenfalls nicht mehr vorgetragen bzw. nachgeschoben oder glaubhaft gemacht werden (BFH-Urteil vom 29. Juli 1981 - I R 245/78 - juris).

Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall war der Kl - wie der Bekl im Ergebnis zutreffend entschieden hat - keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO zu gewähren.

Wie bereits eingangs dargelegt, endete die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 AO mit Ablauf des 09.01.2003. Bis zu diesem Zeitpunkt ging bei dem Bekl kein Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid vom 06.12.2002 ein. Eine Einspruchsbekundung gegenüber dem Bekl erfolgte erstmals in Gestalt der am 24.06.2003 eingegangenen Begründung des nach Angabe der Kl am 06.01.2003 abgesandten Einspruchs. Der Einspruch ist daher wegen Fristversäumnis verspätet und damit grundsätzlich unzulässig.

Indem der zuständige Veranlagungssachbearbeiter - nach vorheriger Nachfrage auch an anderer Stelle des Hauses - das Büro des Bevollmächtigten der Kl telefonisch am 04.07.2003 davon unterrichtete, dass ein Einspruch vom 06.01.2003 dem Bekl nicht vorliege und zugleich auf die Möglichkeit und die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinwies, setzte er die einen Monat umfassende Antragsfrist des § 110 AO in Gang. In Fällen, in denen der Steuerpflichtige - wie nach dem eigenen Vortrag der Kl für den Streitfall zu unterstellen ist - überhaupt nichts von der Fristversäumnis weiß, fällt das Hindernis im Sinne des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO jedenfalls ab dem Zeitpunkt weg, in dem die Behörde dem Vertreter mitteilt, dass die Einspruchsfrist versäumt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 31.03.1994 - VIII R 78/93 - juris). Die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand endete daher mit Ablauf des 04.08.2003, § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.

Mit Schreiben vom 14.07.2003 und damit noch innerhalb der Antragsfrist stellte die Kl zum einen den formellen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte zum anderen Einspruch ein. Damit holte sie auch die versäumte Handlung i.S.d. § 110 Abs. 2 Satz 3 AO nach. Durch Telefaxschreiben vom 16.07.2003 und vom 30.07.2003, und damit ebenfalls fristgemäß, übersandte sie ergänzend eine Kopie des von ihr nach eigenen Angaben bereits am 06.01.2003 versandten Einspruchsschreibens und eine fotokopierte Seite, vermutlich aus dem Postausgangsbuch der Bevollmächtigten mit Datum vom 06.01.2003. Zur inhaltlichen Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages erklärte die Bevollmächtigte lediglich, sie habe für die Kl fristgerecht am 06.01.2003 Einspruch auf dem Postweg eingereicht. Es sei für sie nicht erklärlich, aus welchen Gründen der Einspruch den Bekl nicht erreicht habe.

Damit hat die Kl zwar dem Grunde nach vorgetragen, ihr mangelndes Verschulden beruhe auf einer rechtzeitigen Absendung des Einspruchs auf dem Postweg. Dies genügt jedoch nicht einmal im Ansatz den Anforderungen an eine lückenlose und schlüssige Darstellung des konkreten Absendevorgangs. Es fehlen zum einen jegliche Angaben darüber welche Person, zu welcher Uhrzeit, in welcher Weise den Brief, in dem sich das Einspruchsschreiben vom 06.01.2003 befunden haben soll, aufgegeben hat. Zum anderen hat die insoweit verantwortliche Bevollmächtigte, die als Steuerberatungsgesellschaft berufsmäßig steuerrechtliche Beratung ausübte und damit die seit Jahrzehnten bestehenden gesetzlichen Vorschriften bezüglich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die dazu ergangene Rechtsprechung kennen musste, in keiner Weise die in ihrem Hause praktizierte Fristenkontrolle und Postausgangskontrolle nach Art und Umfang geschildert, noch diese durch Vorlage von hierfür in Betracht kommenden objektiven präsenten Beweismitteln glaubhaft gemacht. Soweit die Bevollmächtigte durch Telefax vom 30.07.2003 eine einseitige Kopie einer nach Datum, Empfänger, Betreff und Porto untergliederten Aufstellung diverser Postausgangsstücke übersandt hat, steht mangels entsprechender begleitender Erläuterungen der Bevollmächtigten hierzu zur Überzeugung des Gerichts noch nicht einmal abschließend mit der gebotenen Sicherheit fest, ob es sich hierbei um einen Auszug aus dem Postausgangsbuch oder lediglich aus einem Portobuch handelt (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März 1986 - I R 189/85 - BFH/NV 1987, 720). Ungeachtet dessen kommt hinzu, dass sich auf der überreichten Seite überhaupt keine Eintragung zu dem hier behaupteten Einspruchsschreiben vom 06.01.2003 befindet. Dies wird mittlerweile auch von der Kl nicht mehr behauptet. Nachdem die Bevollmächtigte zunächst noch gegenüber dem Bekl telefonisch erklärt hat, das besagte Einspruchsschreiben sei zusammen mit einem für die Kl bei dem Bekl am fraglichen Tag gestellten Antrag auf Herabsetzung der Gewerbesteuervorauszahlungen versandt worden, worüber sich in der Aufstellung ein Eintrag findet und der bei dem Bekl auch tatsächlich eingegangen ist, trägt sie mit der Klagebegründung vor, die mit der Versendung des Einspruchs beauftragte Bürokraft habe den Eintrag auf der übersandten Postbuchseite verwechselt und - ein weiteres Mal anweisungswidrig - hinsichtlich des Einspruchsschreibens keinen Postausgangsvermerk vorgenommen. An einer hilfsweisen Glaubhaftmachung der behaupteten Versendung in Gestalt einer eidesstattlichen Versicherung durch die Kanzleikraft, aus der sich der konkrete Ablauf der seinerzeitigen Geschehnisse schlüssig und im Einzelnen ergibt, mangelt es bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens und damit denknotwendig auch binnen der insoweit maßgebenden Wiedereinsetzungsfrist. Gleichfalls wurde keine Erledigungs- oder Versendungsnotiz aus der Mandantenakte der Kl bei der Bevollmächtigten vorgelegt.

Damit ist die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist schon wegen des innerhalb der Antragsfrist gänzlich unsubstantiierten Vortrags gemäß § 110 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO ausgeschlossen.

Ungeachtet dessen käme eine Wiedereinsetzung im Streitfall aber auch dann nicht in Betracht, wenn man - entgegen der herrschenden und vom erkennenden Senat geteilten Rechtsauffassung in Literatur und Rechtsprechung (s.a. Tipke/Kruse-Tipke a.a.O, § 110 AO Rd. 91 m.w.N.) - es als zunächst ausreichend ansehen würde, dass innerhalb der Antragsfrist von der Kl als Entschuldigungsgrund lediglich pauschal und unsubstantiiert die rechtzeitige Absendung des Einspruchs behauptet wurde und der gesamte weitere, substantielle Vortrag einschließlich dessen Glaubhaftmachung im späteren Verfahren erfolgt.

Die vorstehend geschilderten Mängel des Begründungsvortrags dauerten bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens an und wurden auch im vorliegenden Klageverfahren nicht beseitigt. Die Kl, respektive ihre jetzige Bevollmächtigte, die aus der seinerzeit Bevollmächtigten hervorgegangen ist, hat nach wie keinerlei Erklärungen über die von ihr tatsächlich praktizierte Fristen- und Postausgangskontrolle abgegeben. Die von ihr insoweit allein vorgelegte "Anweisung an alle Mitarbeiter zum Faxen von Einsprüchen und Klagen" lässt hierüber keine Erkenntnisse zu. Das vorgelegte Schriftstück befasst sich lediglich mit der Anweisung, fristwahrende Schriftsätze spätestens am Tag des Fristablaufs vorab zu faxen und erst dann in die Post zu geben. Aussagen zur Organisation und Sicherstellung der eigentlichen Fristenkontrolle, die durch die Berufsträger zu gewährleisten und zu überwachen ist, sind hierin nicht enthalten. Im Übrigen steht im Streitfall schon nach eigener Aussage der Bevollmächtigten fest, dass die zuständige Mitarbeiterin gegen die vorgelegte Anweisung gehandelt und den hier in Rede stehenden Einspruch vom 06.01.2003 gerade nicht gefaxt hat. Nach Angaben der Bevollmächtigten hat die Mitarbeiterin gegen eine weitere Anweisung, deren Existenz dem Gericht gegenüber allerdings noch nicht durch Vorlage entsprechender Schriftstücke dokumentiert ist, verstoßen, indem sie es unterließ die behauptete Absendung des Einspruchs in dem Postausgangsbuch zu vermerken. Die Bevollmächtigte hat schließlich nicht vorgetragen, dass der für die Kl zuständige, verantwortliche Berufsträger der Mitarbeiterin eine ausdrückliche und eindeutige Einzelweisung unter besonderem Hinweis auf die Eilbedürftigkeit erteilt hat. Wegen der übrigen Unzulänglichkeit des Vortrags bis zum Ende des Antragsverfahrens kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Nach allem hat die Kl die Absendung des Originals des von ihr vorgelegten Einspruchsschreibens vom 06.01.2003 am selben Tag zur Überzeugung des erkennenden Senats nicht glaubhaft gemacht; nicht im Klageverfahren, vor allem aber auch nicht - auch nicht beschränkt auf den relevanten Kern - innerhalb der Frist des § 110 Abs. 2 AO. Nach dem gesamten, zudem nicht widerspruchsfreien Vortrag der Bevollmächtigten der Kl bestehen für das Gericht keine konkreten Anhaltspunkte, um mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von der Annahme ausgehen zu können, das besagte Einspruchsschreiben sei rechtzeitig bearbeitet und auch tatsächlich und zudem rechtzeitig abgesandt worden.

Die Nachholung der Glaubhaftmachung nicht rechtzeitig bzw. noch gar nicht vorgetragener, ein Verschulden im konkreten Fall ausschließender Umstände durch einen erstmals im Klageverfahren angebotenen Zeugenbeweis kommt nicht in Betracht. Einer Beweiserhebung durch Einvernahme der Zeugin M durch den erkennenden Senat bedurfte es mithin nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, § 90a Abs. 2 Satz 2 FGO. Eine Zulassung erfolgt nicht, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO im Streitfall nicht gegeben sind.

RechtsgebietAbgabenordnungVorschriften§ 110 Abs. 2 AO

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