09.03.2007 · IWW-Abrufnummer 070821
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 06.12.2005 – L 3 B 19/05 R
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Az.: L 3 B 19/05 R
Az.: S 34 R 30/05 SG Dortmund
Beschluss
In dem Verfahren XXX
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen am 06.12.2005 durch XXX beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.07.2005 geändert.
Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt XXX Bochum, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beanspruchen kann.
Der am 23.12. in Tunesien geborene Kläger war in Deutschland zuletzt von M ärz 1985 bis November 1990 versicherungspflichtig beschäftigt. Von Dezember 1991 bis März 1994 und von November 1996 bis Mai 2000 bezog er u.a. wegen psychischer Gesundheitsstörungen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit. Ab Juni 2000 sind im Versicherungskonto des Klägers keine Zeiten gespeichert.
Den im November 1999 gestellten Antrag des Klägers auf Weitergewährung der Rente über Mai 2000 hinaus lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 10.04.2000; Widerspruchsbescheid vom 19.09.2000). Dem ablehnenden Bescheid waren Informationen zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes beigefügt. Die anschließend beim Sozialgericht Dortmund (S 34 RJ 171/00) erhobene Klage wurde nach Einholung von Sachverständigengutachten auf u.a. neurologisch-psychiatrischem Gebiet durch Urteil vom 17.05.2002 mit der Begründung abgewiesen, dass der - als Angelernter anzusehende - Kläger ab Juni 2000 wieder in der Lage sei, einer körperlich leichten Arbeit vollschichtig nachzugehen. Nach einem in den Verwaltungsakten befindlichen Vermerk vom gleichen Tag wurde dem Kläger das Merkblatt der Beklagten mit Informationen zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes in dem Verhandlungstermin nicht überreicht; es sei jedoch eine mündliche Aufklärung erfolgt. Die vom Kläger gegen das klageabweisende Urteil beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (L 18 RJ 49/'02) eingelegte Berufung wurde nach weiteren Ermittlungen u.a. auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet mit Urteil vom 08.04.2003 zurückgewiesen. Die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung beim Landessozialgericht enthält keinen Hinweis, dass die Beklagte dem Kläger das Merkblatt mit Informationen zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes ausgehändigt hat.
Am 10.02.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 28.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 mit der Begründung ab, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einem - unterstellten - Eintritt des Leistungsfalls der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung am 10.02.2004 (=Zeitpunkt der AntragsteIlung) nicht erfüllt seien. Mit seiner am 31.01.2005 beim Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage macht der Kläger u.a. geltend, wegen seiner psychischen Erkrankung bereits seit dem Jahre 2000 erwerbsunfähig zu sein. Insoweit legt er den Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im März/April 2005 in der Psychosomatischen Fachklinik Bad XXX vor, in dem er für unfähig gehalten wurde, einer Erwerbstätigkeit in einem täglichen Umfang von mindestens drei Stunden nachzugehen.
Durch Beschluss vom 08.07.2005 hat das Sozialgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten mit der Begründung abgelehnt, dass er die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht erfülle. Ausgehend von der RentenantragsteIlung seien in dem dann maßgeblichen, durch Rentenbezugszeiten verlängerten Zeitraum vom 01.02.1996 bis 09.02.2004 lediglich 16 statt der erforderlichen 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Anhaltspunkte für einen wesentlich vor der Rentenantragstellung im Februar 2004 eingetretenen Versicherungsfall seien auch unter Berücksichtigung des vom Kläger vorgelegten Rehabilitationsentlassungsberichts nicht ersichtlich, zumal das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in dem vorangegangenen Streitverfahren im April 2003 noch von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers ausgegangen sei
Gegen den am 05.09.2005 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 13.09.2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 14.9.2005).
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss war zu ändern, weil der Kläger für das sozialgerichtliche Verfahren Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat.
Nach § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff der Zivilprozessordnung (ZPO) ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist die Rechtsverfolgung des Klägers, der die Kosten für die Prozessführung nicht aufbringen kann, nicht ohne Erfolgsaussicht und erscheint nicht mutwillig. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist in der Regel gegeben, wenn das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen für notwendig hält (MeyerLadewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage München 2005, § 73 a Rdnr.7a m.w.N.). Darüber hinaus kann die Erfolgsaussicht zu bejahen sein, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig und der Ausgang des Verfahrens nicht ohne weiteres zu übersehen ist.
Vorliegend kann offen bleiben, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht des Klagebegehrens unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit weiterer medizinischer Beweiserhebung zu bejahen ist, sich insbesondere aus dem vom Kläger vorgelegten Entlassungsbericht über die stationäre Rehabilitationsmaßnahme im April/Mai 2005 Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er gegebenenfalls schon zu einem Zeitpunkt voll oder teilweise erwerbsgemindert war, der so weit vor April/Mai 2005 bzw. der RentenantragsteIlung im Februar 2004 lag, dass in dem dann maßgeblichen Zeitraum drei Jahre Pflichtbeiträge entrichtet worden und, somit die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Rente gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozailgesetzbuch (SGB VI) erfüllt wären. Erfolgsaussichten hat die Rechtsverfolgung jedenfalls deshalb, weil die Rechtslage insoweit schwierig zu übersehen ist, als der Kläger selbst bei einem fiktiv angenommenen Eintritt des Versicherungsfalls der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung im Februar 2004 (= Monat der AntragsteIlung) im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfüllen könnte. Verletzt der Versicherungsträger nämlich anlässlich eines laufenden Rentenfeststellungsverfahrens die ihm obliegende Pflicht, den Versicherten über die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft durch Zahlung freiwilliger Beiträge aufzuklären, so kann dieser nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R; Urteil vom 24.03.1994,5 RJ 20/93; Urteil vom 16.06.1994, 13 RJ 67/93) in einem späteren Rentenverfahren mittels eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen sein, als dürfe er die in dem maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum fehlenden Beiträge nachentrichten. Nach summarischer Prüfung des Sachverhalts wurde der Kläger zwar in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren auf Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über Mai 2000 hinaus mit Bescheid vom 10.04.2000 auf die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes für den Fall einer erneuten Minderung der Erwerbsfähigkeit hingewiesen und laut Aktenvermerk der Beklagten bei Abschluss des nachfolgenden Klageverfahrens mündlich entsprechend aufgeklärt; das insoweit einschlägige Merkblatt der Beklagten wurde ihm aber weder anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht noch bei Beendigung des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht ausgehändigt. Ob die Beklagte ihrer insoweit bestehenden Hinweispflicht aber durch den Bescheid vom 10.04.2000 in ausreichendem Maße nachgekommen ist bzw. einer eventuell gebotenen Aktualisierung der Belehrung im Verlauf des damaligen Streitverfahrens durch die laut Aktenvermerk der Beklagten am.17.05.2002 erfolgte mündliche Aufklärung - auch vom Umfang her - Genüge getan wurde, lässt sich ebenso wenig ohne weiteres beantworten wie die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vorliegend erfüllt sind.
Gegen diese Entscheidung findet eine Beschwerde nicht statt (§ 177 SGG).