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09.06.2006 · IWW-Abrufnummer 061654

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 03.02.1999 – 13 U 66/98

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper: 13. Zivilsenat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 13 U 66/98

Vorinstanz: Landgericht Münster, 15 O 221/97

Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 13. Januar 1998 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 23.681,26 DM.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe
Nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme hat die statthafte Berufung des Beklagten auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat die Klägerin gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch wegen ihres Verdienstausfalls im Zeitraum von August 1995 bis Juni 1997.

Der Beklagte haftet der Klägerin gem. § 3 Nr. 1 PflVersG i.V.m. den §§ 823, 249, 252 BGB grundsätzlich für 80 % ihrer Schäden aus ihrem am 11. Mai 1986 in S erlittenen Motorrad-Verkehrsunfall, in dessen Folge ihr linker Unterschenkel amputiert werden mußte. Dies steht außer Streit. Dementsprechend hat der Beklagte der Klägerin den ihr bis Juli 1995 entstandenen Verdienstausfall ersetzt, da die Klägerin unfallbedingt nicht mehr in ihrem vor dem Unfallereignis ausgeübten Beruf als Krankenschwester tätig sein konnte. Für die hier maßgebliche Folgezeit steht der Klägerin hingegen kein Ersatz ihres Verdienstausfallschadens zu.

Ob ein Verletzter ohne den Schadensfall durch Verwertung seiner Arbeitskraft bestimmte Einkünfte erzielt hätte, ist durch eine nach §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO anzustellende Prognose zu ermitteln, für die auf der Grundlage gesicherter Anknüpfungstatsachen ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den gewöhnlichen Lauf der Dinge genügt. Maßgebend ist dabei die wahrscheinliche berufliche Entwicklung des Geschädigten (vgl. PalandtHeinrichs, BGB, 58. Aufl., § 252, Rn. 5 ff.).

Hätte die Klägerin die im April 1992 begonnene, von August bis einschließlich Dezember 1993 wegen einer erneuten operativen Unterschenkelstumpfkorrektur mit anschließender Folgebehandlung unterbrochene, sodann im Januar 1994 wiederaufgenommene Umschulung zur Fachlehrerin im Gesundheitswesen (Lehrschwester) fortgeführt und - ggf. nach Nachholung ihrer erkrankungsbedingten Fehlzeiten - abgeschlossen, wäre ihr im streitgegenständlichen Zeitraum von August 1995 bis Juni 1997 kein Verdienstausfallschaden entstanden.

Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ist davon auszugehen, daß die Klägerin nach erfolgreichem Abschluß ihrer Umschulung jedenfalls bis August 1995 einen Arbeitsplatz als Fachlehrerin im Gesundheitswesen erlangt hätte. Die dem entgegenstehende Stellungnahme des Leiters der Krankenpflegeschule des Krankenhauses C vom 09. September 1997 ist nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller Krankenpflegeschulen. Im übrigen steht sie im Gegensatz zur Verpflichtung insbesondere öffentlicher Arbeitgeber, die Integration behinderter Arbeitnehmer nach Kräften zu fördern.

Es mag zutreffen, daß die Klägerin als Lehrschwester gewisse Probleme hätte, Ausbildungsinhalte zu vermitteln, die mit einer körperlich außergewöhnlich schweren Tätigkeit einhergehen. Die Klägerin hat sich insoweit auf die Vermittlung sog. Mobilisierungstechniken bezogen. Es liegt jedoch auf der Hand, daß eine Lehrschwester nicht nur Wissen im Bereich körperlich schwieriger Aufgaben vermittelt. Im übrigen ist es durch eine Absprache im Lehrerkollegium ohne weiteres möglich und allgemein üblich, durch entsprechende Aufgabenverteilung körperlich beeinträchtigtes Lehrpersonal insoweit zu entlasten.

Zudem hat die Beklagte substantiiert dargetan, daß selbst querschnittsgelähmte Lehrerinnen in diesem Beruf tätig sind. Von daher ist nicht nachvollziehbar, daß und warum es der Klägerin nicht gelungen wäre, die Ausbildung abzuschließen und eine entsprechende Anstellung zu finden. Eine Arbeitsaufnahme bei einem anderen Arbeitgeber als dem Krankenhaus C wäre ihr durchaus zuzumuten gewesen. Als Fachlehrerin im Gesundheitswesen hätte die Klägerin aller Voraussicht nach zumindest kein geringeres Einkommen erzielt als als Krankenschwester.

Durch den Abbruch ihrer im Mai 1994 kurz vor dem Abschluß stehenden Umschulung hat die Klägerin gegen ihre Verpflichtung zur Schadensminderung gem. § 254 BGB verstoßen. Der Klägerin wäre es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ohne weiteres möglich und zuzumuten gewesen, ihre Umschulung fortzuführen, abzuschließen und sodann den Beruf der Fachlehrerin im Gesundheitswesen auszuüben. Sie kann nicht damit gehört werden, dies sei ihr wegen ihrer unfallbedingten gesundheitlichen Probleme nicht möglich gewesen.

Der dem Senat seit langem als besonders sachkundig und erfahren bekannte Sachverständige Prof. Dr. Q hat in seinem sorgfältig erstatteten und überzeugend begründeten orthopädischen Gutachten vom 10. Oktober 1998 festgestellt, aus medizinischer Sicht hätten im Mai 1994 keine nachvollziehbaren Gründe für den Abbruch der Umschulung der Klägerin zur Lehrschwester bestanden.

Die Klägerin leide neben der unfallbedingten Unterschenkelamputation links unfallunabhängig unter einer anlagebedingten Verknöcherungsstörung der BWS und LWS (Morbus Scheuermann) sowie einer anlagebedingten Gefügestörung (Spondylolyse) am Übergang von der LWS zum Kreuzbein bei L5/S1. Die von der Klägerin beklagten Beschwerden im Bereich des Unterschenkelstumpfes und der Wirbelsäule seien aufgrund dieser Befunde erklärbar.

Der Sachverständige hat umfangreiche, im Zusammenhang mit einer Stumpfrevisionsoperation erhobene Befunde der Klägerin aus der Zeit von Juni bis September 1993 ausgewertet. Zusätzlich hat er eigene Befunde durch die persönliche Untersuchung der Klägerin im August 1998 erhoben. Wird das Befundmaterial in Beziehung zur körperlichen Belastung der Ausbildung zur Fachlehrerin im Gesundheitswesen gesetzt, so bestehen nach seinen Feststellungen unter Zugrundelegung jahrzehntelanger Erfahrungen in der Beurteilung der beruflichen Belastbarkeit von Patienten mit einer Extremitätenamputation keinerlei Hindernisse. Der Beruf einer Lehrerin sei für eine unterschenkelamputierte Patientin hervorragend geeignet. Zwar könnten und würden bei der Bewältigung des beruflichen Alltags immer wieder Schwierigkeiten auftreten, möglicherweise auch Entzündungen am Stumpf. Dies seien jedoch keine unüberwindlichen Hindernisse.

Der Sachverständige hat desweiteren ausgeführt, es sei durchaus glaubhaft, daß die Klägerin aufgrund ihres unfallunabhängigen Wirbelsäulenleidens nach mehrstündigem Sitzen und auch nach mehrstündigem Stehen Rückenschmerzen verspüre. Gerade der Beruf eines Lehrers biete jedoch die Möglichkeit des Wechsels der Körperhaltung zwischen der Arbeitsposition des Sitzens, Stehens und Gehens.

Der Sachverständige, dem der Ausbildungs- und Arbeitsalltag einer Lehrkrankenschwester aus seiner beruflichen Tätigkeit an den Orthopädischen Kliniken der Universität N geläufig ist, hat im übrigen nachvollziehbar festgestellt, unter Zugrundelegung der erhobenen Befunde ergebe sich keine unfallbedingte Notwendigkeit für den Abbruch der weiteren Ausbildung der Klägerin zur Fachlehrerin im Gesundheitswesen (Lehrschwester). Der Beruf der Lehrschwester erlaube geradezu in idealer Weise die Wahl der Arbeitsposition zwischen Stehen, Gehen und Sitzen für den Fall, daß wegen vorübergehender Beschwerden ein häufigerer Positionswechsel erforderlich sein sollte. Gesundheitliche Störungen der Klägerin begründeten jedenfalls nicht den Abbruch der Umschulung.

An diesen Feststellungen hat der Sachverständige auch im Hinblick auf die hiergegen erhobenen Einwendungen der Klägerin festgehalten, sie habe den körperlichen Belastungen der Umschulung zur Lehrschwester aufgrund ihrer unfallbedingten Beeinträchtigung nicht entsprechen können. Im Rahmen der mündlichen Erläuterung und Ergänzung seines Gutachtens im Senatstermin vom 03. Februar 1999 hat er ausdrücklich wiederholt, unter Zugrundelegung der ihm vorliegenden umfangreichen Befunderhebungen hätten im Frühjahr/Sommer 1994 aus medizinischer Sicht keine nachvollziehbaren Gründe für den Abbruch der Umschulung der Klägerin zur Lehrschwester bestanden.

Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß im Bereich des Unterschenkelstumpfs der Klägerin seit Sommer 1993 Entzündungen aufgetreten seien. Der Unterschenkelstumpf der Klägerin sei zwar verhältnismäßig kurz, vermindert belastbar und aufgrund multipler Revisions-operationen sensibilisiert. Dies stelle jedoch für die moderne Prothesentechnik kein unüberwindliches Problem dar. Zum Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin aus der Universitätsklinik N im Sommer 1993 habe der Unterschenkelstumpf ohne weiteres prothetisch versorgt werden können. Sollte dies im Frühjahr 1994 noch nicht abgeschlossen gewesen sein, beruhe dies nicht auf medizinisch relevanten Gründen. Hin und wieder auftretende Anpassungs- und Trageprobleme der Prothetik seien bei Amputierten normal. Solche Schwierigkeiten bekomme die heutige Prothesentechnik in den Griff. Sie begründeten keine medizinische Notwendigkeit, die Umschulung zur Lehrschwester abzubrechen.

Der einer Lehrerin im Gesundheitswesen mögliche häufige Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen sei ideal, um Stumpfprobleme zu vermeiden und zugleich der anlagebedingt verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule der Klägerin Rechnung zu tragen. Sie könne verschiedenen Unterrichtsmedien ihren körperlichen Vorgaben und Bedürfnissen entsprechend einrichten und einsetzen.

Der Senat folgt den in sich schlüssigen Feststellungen des Sachverständigen, der die hiergegen gerichteten medizinischen Einwendungen der Klägerin überzeugend widerlegt hat. Soweit die Klägerin im übrigen behauptet, im Rahmen der Umschulung sei ihr seitens der Ausbildungsstätte nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, ihrer unfallbedingten Beeinträchtigung durch zeitweises Aufstehen, Hinsetzen o. ä. Rechnung zu tragen, ist dies nicht nachvollziehbar. Einem körperlich beeinträchtigten Auszubildenden wird in aller Regel die Möglichkeit gegeben, die Ausbildung in einer seiner Beeinträchtigung angemessenen Art und Weise zu absolvieren. Sollte die von der Klägerin gewählte Ausbildungsstätte dies nicht zugelassen haben, kann die Klägerin dies dem Beklagten jedenfalls nicht anlasten.

Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, sie habe aus ihrer damaligen Sicht der Dinge nicht damit gerechnet, den körperlichen Belastungen der Umschulung und der Tätigkeit als Lehrschwester standzuhalten. Die Klägerin hätte vor Abbruch ihrer Umschulungsmaßnahme zumindest eingehend abklären müssen, inwieweit die von ihr evtl. subjektiv als nicht tragbar empfundenen Belastungen objektiv trotz ihrer Behinderung zu erfüllen waren. Daß sie dies nicht unternahm, ist ihr anzulasten. Die von ihr erst nach Abbruch ihrer Ausbildung eingeholten ärztlichen Stellungnahmen des Dr. med. C vom 31. Mai 1994 und des Funktionsarztes G vom 01. November 1994, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zudem in der Sache nicht zutreffen, entlasten sie insoweit nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO. Die Festsetzung des Werts der Beschwer folgt aus § 546 Abs. 2 ZPO.

RechtsgebieteBGB, PflVersGVorschriften§ 3 Nr. 1 PflVersG § 249 BGB § 252 BGB § 823 BGB

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