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07.09.2011 · IWW-Abrufnummer 112987

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 06.04.2011 – 4 K 2647/08

1. Ist ein Steuerpflichtige schwer gehbehindert, sind Aufwendungen für die Installation eines Treppenschräglifts auch dann als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, wenn dieser sich nicht innerhalb des Wohnhauses, sondern im dazugehörigen Garten befindet.



2. Die Notwendigkeit der Nutzung eines Treppenschräglifts ist nicht auf die unmittelbare Nutzung innerhalb des Wohnbereichs beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die Nutzung des Gartens.




3. Ein eventuell durch den Einbau des Treppenlifts erlangter Gegenwert ist aufgrund der Zwangsläufigkeit der Krankheit nicht zu berücksichtigen.




4. Die Aufwendungen sind sofort in voller Höhe zu berücksichtigen und nicht auf die Dauer der voraussichtlichen Nutzung nach den Regelungen über die AfA gemäß § 7 EStG abzuschreiben.




5. Zusätzliche Krankheitskosten sind nicht von der Abgeltungswirkung des Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b EStG erfasst.


FG Baden-Württemberg v. 06.04.2011

4 K 2647/08

Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen der Klägerin (Klin) für die Installation eines Treppenschräglifts im Garten ihres Wohngrundstücks als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind.

Die … Klin bewohnte im Streitjahr … ein auf einem Hanggrundstück belegenes Wohnhaus, das einer Erbengemeinschaft, an der die Klin beteiligt war, gehörte. Die Klin lebte dort bereits seit ihrer Kindheit. Aufgrund einer außergewöhnlichen Gehbehinderung war sie im Streitjahr zu 90 % schwerbehindert. Ihr Schwerbehindertenausweis enthielt die Merkzeichen G und aG.

Am 30. März 2007 reichte die Klin ihre Einkommensteuer(ESt-)Erklärung für das Jahr 2005 beim Beklagten (Bekl) ein. Darin begehrte sie u.a. den Abzug von außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 62.779,62 EUR. Dieser Betrag setzte sich aus folgenden Positionen zusammen:

– Gärtnerei: Sträucher freischneiden für Treppenbau: 2.252,89 EUR
– Firma Y, Montage Behindertenaufzug 26.216,00 EUR
– Bauunternehmen X, „Bau betr. Befestigung Treppenlift” 31.853,60 EUR
– weitere im Einzelnen dargestellte Aufwendungen i.H.v. insgesamt 2.457,13 EUR

Mit ESt-Bescheid vom 10. April 2007 setzte der Bekl die ESt der Klin für das Streitjahr fest. Dabei erkannte er lediglich außergewöhnliche Belastungen i.H.v. 1.610 EUR an, die sich jedoch wegen der Anrechnung der sog. zumutbaren Belastung i.H.v. 4.980 EUR steuerlich nicht auswirkten. Zur Begründung führte der Bekl aus, die Ausstattung eines Hauses mit einem Fahrstuhl und eine behindertengerechte Bauausführung führten nicht zu außergewöhnlichen Belastungen. Kosten für den Behindertenaufzug und die Baukosten der Firma X könnten daher nicht berücksichtigt werden.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24. April 2007 legte die Klin Einspruch gegen den ESt-Bescheid vom 10. April 2007 ein. Zur Begründung ließ sie im Wesentlichen ausführen, den Erläuterungen des Bekl hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für den Treppenschräglift „in Höhe von 57.805 EUR” als außergewöhnliche Belastungen stimme die Klägerseite nicht zu. Grundsätzlich führe der Einbau eines Fahrstuhls an ein Wohngebäude sowie die Vornahme anderer Umbauten nach ständiger Rechtsprechung nicht zu außergewöhnlichen Belastungen. Anders verhalte es sich jedoch bei einem Treppenschräglift als medizinisches Hilfsmittel im Sinne der H 33.1 bis 33.4 des Amtlichen ESt-Handbuchs für die Finanzverwaltung (EStH). Das Finanzgericht Berlin habe mit Urteil vom 1. November 1994 (Az. VII 369/91) die Aufwendungen für einen Treppenschräglift als außergewöhnliche Belastungen anerkannt, da der Treppenschräglift kein einheitliches Wirtschaftsgut mit dem Gebäude bilde, sondern sich als gesondert zu bewertendes medizinisches Hilfsmittel, vergleichbar einer Betriebsvorrichtung, werten lasse und die Annahme verlorenen Aufwandes hier vertretbar erscheine. Mit dem Einbau des Treppenschräglifts sei der Zweck verfolgt worden, die Krankheit und Behinderung der Klin erträglich zu machen. Da die Klin … zu 90 % schwerbehindert sei …, handle es sich bei dem Treppenschräglift um ein medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinne, dessen Notwendigkeit der Anschaffung nicht durch Vorlage eines amts- oder vertrauensärztlichen Attestes nachgewiesen werden müsse. Eine Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen entfalle auch nicht deshalb, weil ein Gegenwert vorliege. Bei medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne sei ein Gegenwert anzunehmen, wenn der angeschaffte Gegenstand nicht ausschließlich dem Erkrankten selbst zu dienen bestimmt, sondern auch für Dritte von Nutzen sei. Handle es sich dagegen um ein medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinne, diene es also aufgrund seiner Art ausschließlich dem Erkrankten selbst und sei es nur für diesen bestimmt, trete die Marktfähigkeit, die in einem bestimmten Verkehrswert zum Ausdruck komme, zurück. Ein Gegenwert liege demnach nicht vor. Ferner sei die Berücksichtigung der Aufwendungen auch nicht durch den Behindertenpauschbetrag gemäß § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) abgegolten. Außergewöhnliche Krankheitskosten wie der Einbau eines Treppenschräglifts könnten neben dem Pauschbetrag geltend gemacht werden. In diesem Zusammenhang verweist die Klägerseite auf das Urteil des Finanzgerichts BadenWürttemberg vom 29. Januar 1987 III K 510/83. Weiter ließ die Klin vortragen, für die Befestigung des Treppenliftes im Garten des von ihr bewohnten Grundstücks hätten … die Treppen umgebaut werden müssen. Es liege bei den Gesamtaufwendungen nach Ansicht der Klägerseite „verlorener Aufwand” vor. Ein eventueller späterer Käufer bzw. die Erben … der Klin, die nicht gehbehindert seien, würden den Treppenlift sicherlich wieder vom Grundstück entfernen lassen. Von einem wertbildenden Faktor für das Grundstück könne in diesem Zusammenhang nicht ausgegangen werden. Die Bezeichnung „Behindertenaufzug” auf der Rechnung der Firma Y sei irreführend. Bei dem Produkt „A” handle es sich um einen Treppenlift, nicht um einen Aufzug. Zur Verdeutlichung fügte die Klägerseite die vom Lieferanten im Internet dargestellte Produktbeschreibung bei. Der Treppenlift trage somit nicht Wohnbedürfnissen der Klin Rechnung, sondern diene der Verbesserung der stark eingeschränkten Beweglichkeit der Klin. Die Anschaffung sei aufgrund der außergewöhnlichen Gehbehinderung und der damit verbundenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes in 2005 unerlässlich. Die umfangreichen Erdarbeiten und der Umbau der Treppen seien erforderlich geworden, um den Treppenlift ordnungsgemäß zu befestigen …. Die Rechnung der Firma X sei von der Klin bezahlt worden. Die Handwerksfirma habe versehentlich die Rechnung auf die Erbengemeinschaft C ausgestellt. Nach Mitteilung der Klin erhalte der Bekl in den nächsten Tagen eine berichtigte Rechnung zugesandt.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2007 änderte der Bekl den ESt-Bescheid für 2005 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf einen Bescheid über die Feststellung der Einkünfte der Klin aus ihrer Beteiligung an einer Grundstücksgemeinschaft.

Mit Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2008 wies der Bekl den Einspruch der Klin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, anstelle der bislang anerkannten außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 33 EStG von 1.610 EUR seien zutreffenderweise 2.457,13 EUR anzuerkennen gewesen. Durch das Erfordernis des Ansatzes einer zumutbaren Belastung der Klin ergebe sich hieraus aber keine steuerliche Auswirkung. Die Aufwendungen für die Installation des Außenlifts und die Treppenneugestaltung stellten keine außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG dar. Erwüchsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), werde auf Antrag die ESt dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die zumutbare Belastung des Steuerpflichtigen übersteige, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werde (§ 33 EStG). Mehraufwendungen wegen der behindertengerechten Gestaltung eines für den eigenen Wohnbedarf errichteten Hauses könnten nur dann außergewöhnliche Belastungen sein, wenn sich solche Aufwendungen ausnahmsweise anhand eindeutiger und objektiver, von ungewissen zukünftigen Ereignissen unabhängiger Kriterien von den Aufwendungen unterscheiden ließen, durch die der Steuerpflichtige seinen Wohnbedürfnissen Rechnung trage, und wenn ausgeschlossen sei, dass die durch diese Aufwendungen geschaffenen Einrichtungen jemals wertbildende Faktoren für das Haus darstellen könnten, wenn also eindeutig „verlorener Aufwand” vorliege. Die Ausstattung eines Einfamilienhauses mit einem Fahrstuhl und eine behindertengerechte Bauausführung (wie z.B. der Einbau breiter Türen, eines großen Bades, u.ä.) führten daher grundsätzlich nicht zu außergewöhnlichen Belastungen. Es sei höchstrichterlich geklärt, dass der Steuerpflichtige für die Aufwendungen des Einbaus eines Fahrstuhls in seinem Einfamilienhaus einen Gegenwert erhalte (vgl. BFH-Beschluss vom 15. April 2004 III B 84/03, BFH/NV 2004, 1252). Dies gelte auch dann, wenn die Umgestaltung erst später vorgenommen und das Gebäude bereits vor Eintritt der Behinderung von dem Steuerpflichtigen als Familienwohnung genutzt worden sei. Dem gegenüber könnten Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne, z.B. für einen Treppenschräglift, Hebelift, Spezialbett usw. außergewöhnliche Belastungen darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996, BStBl II 1997, 491 und vom 6. Februar 1997, BStBI II 1997, 607). Nach den vorgenannten Grundsätzen stellten die Aufwendungen für die Installation eines Außenlifts und die Neugestaltung der Außentreppe keine außergewöhnliche Belastung dar, da die Klin durch diese wertbildenden Maßnahmen ein Gegenwert erhalten habe. Dies gelte sowohl für die neue Außentreppe als auch für den Lift, der nicht nur zur Personenbeförderung genutzt werden könne und damit für die in Hanglage befindliche lmmobilie einen wertbildenden Faktor darstelle.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 9. Juni 2008 erhob die Klin Klage, mit der sie sich zunächst gegen die Nichtanerkennung von geltend gemachten Aufwendungen i.H.v. 62.779,62 EUR für den Einbau des Treppenlifts als außergewöhnliche Belastungen wandte. Zur Begründung ließ die Klin im Wesentlichen vortragen, bei den vom Bekl nicht anerkannten Aufwendungen handle es sich um Kosten für den Einbau eines Treppenschrägliftes im Garten. Für die Befestigung des Treppenschrägliftes hätten aufgrund der steilen Hanglage des Hauses in der Q-Strasse zusätzlich die Treppen umgebaut werden müssen. Der Treppenschräglift bestehe aus einem Stuhl zur Beförderung einer einzelnen Person. Zur Verdeutlichung fügte die Klägerseite die vom Lieferanten im Internet dargestellte Produktbeschreibung bei. Da die Klin aufgrund einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Schwerbehinderungsgrad 90 %) überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen sei, sei die Anschaffung des Treppenschrägliftes unerlässlich gewesen.

Andernfalls wäre die Gartennutzung durch sie aufgrund der steilen Hanglage nicht möglich gewesen. Um den Eintritt in das Haus zu ermöglichen, sei im Jahr 2007 ein Rollstuhllift angeschafft worden. Im Treppenhaus des Hauses sei bereits ein Treppenlift in das 1. Obergeschoss vorhanden, der in den Vorjahren angeschafft worden und nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei. Die streitigen Aufwendungen stellten unmittelbare Krankheitskosten im Sinne von § 33 EStG dar, die den Zweck verfolgten, die Krankheit bzw. Behinderung der Klin erträglicher zu machen. Unmittelbare Krankheitskosten seien dem Grunde und der Höhe nach regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, wobei auch die Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien. Bei den Aufwendungen handle es sich um medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne, da der Treppenschräglift aufgrund seiner Art ausschließlich für die Erkrankte angeschafft worden sei, dieser diene und nur für sie nutzbar sei. Der Einbau des Treppenschrägliftes stelle keinen wertbildenden Faktor für das Grundstück dar, da dieser ausschließlich der Erkrankten selbst diene. Es sei vielmehr so, dass eventuelle spätere Käufer bzw. die Erben … der Klin, die nicht gehbehindert seien, den Treppenlift sicherlich wieder vom Grundstück entfernen lassen würden.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2009 ließ die Klin mitteilen, sie verzichte auf die weitere Geltendmachung der Kosten für die von der Fa. X erbrachten Leistungen und mache nur noch die Aufwendungen für die Leistungen der Firma W (Y LIFT) geltend, die nach Abzug von Skonto 25.429,52 EUR (7.628,86 EUR + 17.800,66 EUR) betragen hätten.

Die Klin beantragt,

den geänderten ESt-Bescheid für 2005 vom 16. Mai 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2008 dahingehend abzuändern, dass Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 26.276,65 EUR (25.429,52 EUR + 2.457,13 EUR ./. 1.610 EUR) anerkannt werden, von denen die zumutbare Belastung noch abgeht,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, das von der Klin bewohnte Gebäude sei über eine ebenerdige Zufahrt zu erreichen und der separate Treppenaufgang, der von der Straße zum Haus führe, verfüge nicht über einen Außenlift. Der installierte Lift diene alleine der Benutzung des hinter dem Haus liegenden Gartenstücks. § 33 EStG setze für den Abzug von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen voraus, dass diese zwangsläufig erwachsen seien. Dies sei der Fall, wenn man die Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen zu erbringen habe und soweit sie den Umständen nach notwendig seien und einen angemessenen Betrag nicht überstiegen (§ 33 Abs. 2 EStG). Die Aufwendungen für die Installation eines Behinderten-Außenlifts, der es der Klin erleichtere, in ihren Hausgarten zu gelangen, stellten aus Sicht des Bekl keine notwendigen Aufwendungen i.S.d. § 33 EStG dar. Eine steuermindernde Berücksichtigung der Aufwendungen und damit die Belastung der Allgemeinheit erscheine – neben dem in der Einspruchsentscheidung genannten Argument der Gegenwerttheorie – nach den obigen Ausführungen zu § 33 EStG nicht angemessen (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, Kommentar, § 33 Rz. 30, 15).



Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig und begründet.

Der geänderte ESt-Bescheid für 2005 vom 16. Mai 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2008 sind rechtswidrig und verletzen die Klin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

Gemäß § 33 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung wird, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen erwachsen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), auf Antrag die ESt dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Gemäß § 33 Abs. 2 EStG erwachsen Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (Satz 1). Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bleiben dabei außer Betracht; das gilt für Aufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 und 9 nur insoweit, als sie als Sonderausgaben abgezogen werden können (Satz 2).

A. Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören aber nur dann zu den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. In diesem Sinne werden auch Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920 mit weiteren Nachweisen – m.w.N. –). Der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach bedarf es dann nicht (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 1987 III R 150/86, BStBl II 1987, 596 m.w.N.).

a) In Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung bezüglich des behinderungsbedingten Einbaus von Personenaufzügen sowie behinderungsbedingter sonstiger Umbaumaßnahmen, bei denen bislang im Wesentlichen wegen Verneinung einer Belastung aufgrund der Erlangung eines Gegenwerts bzw. wegen Verneinung der Zwangsläufigkeit keine Abzugsfähigkeit der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen anerkannt wurde (vgl. BFH-Urteile vom 10. Oktober 1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491: zum Neubau eines Einfamilienhauses unter behinderungsbedingtem Einbau eines Fahrstuhls; vom 6. Februar 1997 III R 72/96, BFHE 182, 551, BStBl II 1997, 607: zum nachträglichen behinderungsbedingten Umbau eines Wohnhauses; vom 15. Dezember 2005 III R 10/04, BFH/NV 2006, 931; vom 25. Januar 2007 III R 7/06, BFH/NV 2007, 1081: zum nachträglichen behinderungsbedingten Anbau eines Außenaufzugs am Wohnhaus der Steuerpflichtigen; BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2006 III B 107/06, BFH/NV 2007, 70: zum behinderungsbedingten Einbau eines Aufzugs in eine Mietwohnung durch die Mieter; vgl. jetzt aber BFH-Urteile vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536; BStBl II 2010, 280 und vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, Juris) sind Treppenschräglifte nicht als Bestandteil des jeweiligen Gebäudes, sondern als medizinische Hilfsmittel anzusehen ( FG Berlin, Urteil vom 1. November 1994 VII 369/91 , EFG 1995, 264; FG Rheinland-Pfalz vom 22. September 1997 5 K 2881/96 , Juris: medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne; angedeutet auch in BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491); zurückhaltender: BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2006 III B 107/06, BFH/NV 2007, 701, wonach sich der BFH zur Thematik des Treppenschräglifts noch nicht abschließend geäußert habe; bejaht in BFH-Urteil vom 30. Oktober 2008 III R 97/06, BFH/NV 2009, 728: Einbau eines Treppenlifts in das Wohnhaus von Eltern, deren ebenfalls dort lebender Sohn unfallbedingt querschnittsgelähmt war; zustimmend: BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280).

Ob es sich dabei um medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne (so FG Nürnberg, Urteil vom 4. Dezember 2003 VI 361/2002, EFG 2004, 735), die nicht nur von erkrankten oder behinderten Menschen genutzt werden, sondern auch anderen Personen Verrichtungen des Alltags erleichtern können (zur Unterscheidung vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920), oder um medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne handelt, also um Hilfsmittel, die, wie Brillen, Hörgeräte, Rollstühle usw., nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuelle gesundheitliche Situation des Steuerpflichtigten erforderlich ist (so FG Berlin, Urteil vom 1. November 1994 VII 369/91 , EFG 1995, 264) kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn im Streitfall ist die Nutzung eines Treppenlifts durch die Klin für das Treppensteigen angesichts ihrer außergewöhnlichen Gehbehinderung und ihres dadurch bedingten Behinderungsgrads von 90 v.H., verbunden mit den Einträgen der Merkzeichen G und aG, unzweifelhaft erforderlich.

bb) Der Annahme der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen der Klin für den Erwerb und die Montage des Treppenschräglifts steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Treppenschräglift nicht innerhalb des Wohnhauses installiert wurde, sondern im dazugehörigen Garten. Denn die Anerkennung der Notwendigkeit der Nutzung eines Treppenschräglifts durch die Klin ist nach Überzeugung des Senats nicht auf die unmittelbare Nutzung innerhalb ihres Wohnbereichs beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die im Streitfall gegebene Nutzung des Gartens. Der maßgebliche Grund hierfür besteht darin, dass der Zweck des Treppenschräglifts, die Behinderung der Klin erträglicher zu machen, unabhängig davon besteht, ob der Treppenlift innerhalb der Wohnräume der Steuerpflichtigen oder in dem zum Wohnhaus gehörenden Garten angebracht wird. Insbesondere handelt es sich bei der Nutzung des zur Wohnung der Klin gehörenden Gartens um eine sozialadäquate Nutzung ihres (Mit-)Eigentums, der nicht etwa mit der Begründung, es handle sich dabei um entbehrlichen „Luxus”, die Anerkennung versagt werden kann (vgl. zum Einbau eines Treppenschräglifts in einer Zweitwohnung: FG Berlin, Urteil vom 1. November 1994 VII 369/91 , EFG 1995, 264). Es ist vielmehr so, dass die Klin die Einschränkungen, die ihr durch ihre schwere Behinderung auferlegt werden, im Rahmen des Möglichen abzumildern versucht. Dieses Bemühen der Klin ist gerade vor dem Hintergrund der gebotenen Gleichstellung von behinderten mit nichtbehinderten Personen (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz – GG –) anzuerkennen und bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Zwangsläufigkeit” gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen. Der Argumentation des Bekl, es sei eine Abgrenzung vorzunehmen zwischen Treppenschrägliften, die innerhalb eines Wohnhauses, und solchen, die außerhalb eines Wohnhauses angebracht würden, ist daher nicht zu folgen. Zum Einen kann von der Klin nicht verlangt werden, entweder von dem von ihr seit ihrer Kindheit bewohnten Hanggrundstück wegzuziehen oder aber ihren Garten nicht mehr zu nutzen. Denn das Bestehen der Entschließungsfreiheit des Steuerpflichtigen zur Beibehaltung oder zur Veränderung des bisherigen Wohnumfelds von Steuerpflichtigen, also – bezogen auf den Streitfall – die Option der Klin, wegzuziehen und künftig ein ebenerdig gelegenes Grundstück mit Garten zu bewohnen oder den bisher von ihr genutzten Garten künftig nicht mehr aufzusuchen, steht der Annahme der Zwangsläufigkeit behinderungsbedingter Mehraufwendungen nicht entgegen, da die Notwendigkeit einer behindertengerechten Ausgestaltung des Wohnumfelds und damit die Zwangsläufigkeit der darauf entfallenden Mehrkosten nicht auf der frei gewählten Wohnsituation der Steuerpflichtigen, sondern auf ihrer Krankheit oder Behinderung beruht. Die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt sich in einem solchen Fall nicht (vgl. hierzu: BFH-Urteil vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, Juris). Zum Anderen stellt die Abgrenzung zwischen dem Einbau von Treppenschrägliften innerhalb eines Wohnhauses und im Außenbereich eines Wohnhauses schon deshalb kein taugliches Abgrenzungskriterium bezüglich der Zwangsläufigkeit der hierfür entstehenden Aufwendungen dar, weil durchaus auch innerhalb eines Wohnhauses Bereiche für nicht essentiell lebensnotwendige Beschäftigungen genutzt werden können (z.B. Hobbyraum im Keller oder im Dachgeschoss), während dagegen im Bereich außerhalb des Hauses eine Nutzung denkbar ist, die der Befriedigung unmittelbarer Lebensbedürfnisse dienen kann (z.B. die Bewirtschaftung eines Nutzgartens). Außerdem würde eine so verstandene Prüfung des Tatbestandsmerkmals der „Zwangsläufigkeit”, die eine Beurteilung der Gestaltung des unmittelbaren Wohnumfelds und die Qualifizierung der Nutzung des von einem Steuerpflichtigen bewohnten Hauses in notwendige Nutzungen und nicht zwingend notwendige Nutzungen durch die Finanzverwaltung oder die Finanzgerichtsbarkeit mit sich bringen würde, ein zu starkes Eindringen in die Persönlichkeitssphäre des Steuerpflichtigen bedeuten.

B. Bei einem solchen – wie unter I. A. der Entscheidungsgründe dargestellt – zwangsläufig erworbenen medizinischen Hilfsmittel ist ein eventuell erlangter Gegenwert nicht zu berücksichtigen. Denn der behinderungsbedingte Mehraufwand der Klin steht so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt. Behinderungsbedingte notwendige Maßnahmen begründen keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert, sondern eine aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige Mehrbelastung des Steuerpflichtigen (BFH-Urteile vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280 und vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, Juris: zum behindertengerechten Umbau eines Hauses; vgl. auch BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920; FG Berlin, Urteil vom 1. November 1994 VII 369/91 , EFG 1995, 264; Sächsisches FG, Urteil vom 12. Oktober 2006 2 K 1859/04, EFG 2007, 931).

C. Auch sind die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten des Wirtschaftsguts „Treppenschräglift” sofort in voller Höhe als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig und nicht auf die Dauer der voraussichtlichen Nutzung durch die Klin abzuschreiben, da die Regelung in § 33 EStG keine Verweisung auf die Vorschriften über die Absetzung für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 EStG enthält und auch keine Regelungslücke vorhanden ist, die gegebenfalls eine analoge Anwendung dieser Vorschrift gebieten würde (vgl. hierzu: BFH-Urteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280 – zum behinderungsgerechten Umbau eines Hauses).

D. Die Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ist auch nicht durch § 33b EStG ausgeschlossen. Denn der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG deckt nach der Rechtsprechung des BFH nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass „zusätzliche Krankheitskosten” nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden (BFH-Urteile vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280 und vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, Juris, jeweils m.w.N.).

E. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag war auch der Höhe nach vollständig zu entsprechen, da mit diesem Antrag nur noch die Aufwendungen für den Erwerb und die Montage des Treppenschräglifts und keine Aufwendungen für die Renovierung der Treppe mehr geltend gemacht wurden.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Dabei war neben dem Umstand, dass die Klage im Umfang des zuletzt gestellten Antrags der Klin erfolgreich war, zu berücksichtigen, dass die Klin ihren ursprünglich gestellten Klageantrag um mehr als die Hälfte verringert und damit ihr Klagebegehren insoweit aufgegeben hat. Da die Reduzierung des Klagebegehrens bereits vor der mündlichen Verhandlung erfolgt ist und der Betrag, um den das Klagebegehren eingeschränkt wurde, damit nicht mehr Gegenstand der mündlichen Verhandlung und des Urteils war, erscheint dem Senat eine hälftige Kostenteilung angemessen.

III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3; 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11; 711 bzw. 709 Zivilprozessordnung (ZPO).

IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da bislang keine Rechtsprechung des BFH zur streitgegenständlichen Thematik vorliegt.

RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 33 EStG § 33b EStG § 7 GG Art. 3 Abs. 3 S. 2

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