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31.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111789

Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 10.03.2011 – 8 U 180/10

Wird bei der Zuerkennung eines befristeten Anspruchs auf Berufsunfähigkeitsleistungen versäumt, in den Tenor einen Endtermin aufzunehmen, kann dies im Wege einer negativen Feststellungsklage nachträglich korrigiert werden. Die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage kommt demgegenüber regelmäßig nicht in Betracht, weil das Erreichen eines Endtermins keinen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstand im Sinne von § 767 Abs. 2 ZPO darstellt.


8 U 180/10

In dem Rechtsstreit

X. Vers. ..., Anstalt des öffentlichen Rechts, ... in H.,

Klägerin, Widerbeklagte und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigte:

Anwaltsbüro G. ... in I.,

gegen

L. B., ... in G.,

Beklagter, Widerkläger und Berufungsbeklagter,

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt B. ... in G.,

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2011 für Recht erkannt:

Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. August 2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade abgeändert.

Die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 - Az. 4 O 300/93 - wird für unzulässig erklärt.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf bis zu 19.000,00 € festgesetzt.

Gründe
I. Die Klägerin wendet sich gegen die beabsichtigte Vollstreckung des Beklagten aus einem am 10. Februar 1994 gegen sie ergangenen Urteil, soweit der Beklagte Zahlung von Berufsunfähigkeitsleistungen für einen Zeitraum ab dem 1. November 2009 begehrt.

Mit Datum vom 5. Mai 1978 schlossen die Parteien eine Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme über 100.000,00 DM und einer BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung mit einer Jahresrente von 12 % der Versicherungssumme (Versicherungsnummer: ...). Mit Datum vom 13. Oktober 1978 änderten die Parteien das Vertragsverhältnis ab. Anstelle eines statischen Lebensversicherungsvertrags vereinbarten sie einen dynamischen Lebensversicherungsvertrag mit regelmäßigen Leistungen.

Mit Datum vom 3. November 1980 schloss der Beklagte bei der Klägerin einen weiteren Kapitallebensversicherungsvertrag ab, der mit Nachtrag vom 13. Januar 1981 um eine BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung erweitert wurde mit jährlichen Rentenzahlungen in Höhe von 26.500,00 DM (Versicherungsnummer: ...).

Anfang 1991 beabsichtigte der Beklagte, beide Verträge zusammenzulegen. Am 19. März 1991 beantragte er dies unter gleichzeitiger Anhebung der Gesamtversicherungssumme. Nachdem der Beklagte einen Fragebogen zu seinem Gesundheitszustand ausgefüllt hatte, teilte die Klägerin mit, dass ein Vertrag unter Erhöhung der Kapitallebensversicherungssumme auf 350.000,00 DM und eine Erhöhung der Berufsunfähigkeitsleistungen auf 70.000,00 DM jährlich abgeschlossen werden könne. Der Beklagte stellte daraufhin einen entsprechenden Antrag, den die Klägerin mit Schreiben vom 24. August 1991 annahm (Versicherungsnummer: ...).

Mit Schreiben vom 4. März 1992 begehrte der Beklagte von der Klägerin Berufsunfähigkeitsleistungen. Die Klägerin trat daraufhin mit Schreiben vom 25. März 1992 von dem Antrag auf Erhöhung der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsrente zurück und erstellte mit Datum vom 30. März 1992 eine ?Vertragliche Vereinbarung nach Änderung zum 1. April 1992? und setzte im Hinblick auf den Vertrag Nr. ... die jährliche Rente auf 46.468,00 DM fest. Im Anschluss ließ sie den Beklagten ärztlich untersuchen.

Der Gutachter stellte eine Berufsunfähigkeit von 50 % fest, woraufhin die Klägerin die jährliche Berufsunfähigkeitsrente aus dem Vertrag Nr. ... auf 26.500,00 DM (50 % von 46.468,00 DM) und aus dem Vertrag Nr. ... auf 9.984,00 DM (50 % von 19.968,00 DM) festsetzte, jeweils zzgl. Beitragsbefreiung.

Der Beklagte erhob daraufhin Klage und begehrte in der Hauptsache unter Einbeziehung eines von der Beklagten vorgerichtlich anerkannten Betrags Zahlung einer jährlichen Berufsunfähigkeitsrente von insgesamt 70.000,00 DM.

Mit Urteil vom 10. Februar 1994 verurteilte das Landgericht die Klägerin über den von dieser anerkannten Betrag von 36.673,00 DM hinaus zur Zahlung von weiteren 9.795,00 DM jährlich. Eine zeitliche Befristung nahm das Gericht in den Tenor nicht auf. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Klägerin wirksam von dem zwischen ihr und dem Beklagten am 24. August 1991 geschlossenen Änderungsvertrag zurückgetreten sei. Allerdings könne bei der Berechnung der Anspruchshöhe nicht auf die ursprünglichen zwei Versicherungsverträge zurückgegriffen werden, weil die Lebensversicherungssumme des ersten Vertrags im Zuge der Abänderung eine Kapitalisierung erfahren habe. Dem habe die Klägerin mit der vertraglichen Vereinbarung nach Änderung zum 1. April 1992 Rechnung getragen, sodass hierauf abzustellen sei.

Die Parteien schlossen nach Verkündung des Urteils einen Vergleich dahingehend, dass sich die Klägerin zur Zahlung von jährlich 46.468,00 DM bei gleichzeitiger Befreiung von einer monatlichen Prämie in Höhe von 687,30 DM verpflichtete.

Die Klägerin erbrachte diese Leistungen bis zum 31. Oktober 2009. Danach stellte sie ihre Zahlungen ein. Der Beklagte kündigte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 6. November 2009 die Zwangsvollstreckung an.

Die Klägerin meint, dass sie über den 1. November 2009 hinaus nicht zur Leistung verpflichtet sei. Das Landgericht habe sich in seinem Urteil vom 10. Februar 2010 auf die Vereinbarung vom 30. März 1992 gestützt. Diese Vereinbarung sehe aber eine zeitliche Befristung vor.

Die Klägerin hat beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 - Az. 4 O 300/93 - für unzulässig zu erklären.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Vollstreckungsgegenklage sei bereits unzulässig. Dass das Landgericht in seinem Urteil vom 10. Februar 1994 keine Befristung ausgesprochen habe, sei Ausdruck des Parteiwillens gewesen. Im Übrigen habe der Beklagte im Rahmen seiner Anträge auf Abschluss der beiden ursprünglichen Verträge keine Befristung der Berufsunfähigkeitsrente gewollt. Alle nachträglichen Vertragsänderungen seien unwirksam. Schließlich habe der Beklagte auch im Hinblick auf den geschlossenen Vergleich anlässlich der Rücknahme der Berufung gegen das Urteil 4 O 300/93 sicher davon ausgehen können, dass eine andere Frist bzw. Befristung der Berufsunfähigkeitsrente nicht vorliege, sondern die Frist der Hauptversicherung maßgeblich sei (Bl. 115 d. A.).

Mit Urteil vom 25. August 2010 (Bl. 179 - 187 d. A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zwar sei die unzulässige Vollstreckungsgegenklage in eine Feststellungsklage umzudeuten. Die Feststellungsklage sei aber unbegründet. Es könne nicht festgestellt werden, dass das Landgericht in seinem Urteil vom 10. Februar 1994 eine evident unrichtige Entscheidung getroffen habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sämtliche dem Beklagten übersandten Versicherungsscheine hätten im Hinblick auf das Auslaufen des Rentenanspruchs einen konkreten Zeitpunkt vorgesehen. Beim ersten Versicherungsvertrag sei das der 1. April 2009 gewesen, beim zweiten Versicherungsvertrag der 1. November 2009, bei der Abänderungsvereinbarung ebenfalls der 1. November 2009 und in dem Versicherungsschein vom 30. März 1992 ebenfalls der 1. November 2009. Das Landgericht habe insoweit schlicht versäumt, die zeitliche Begrenzung in den Tenor aufzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 25. August 2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Stade - Az. 2 O 406/09 - die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 Az. 4 O 300/93 - für unzulässig zu erklären,

hilfsweise unter Abänderung des am 25. August 2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Stade - Az. 2 O 406/09 - festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 - Az. 4 O 300/93 - unzulässig ist,

hilfsweise festzustellen, dass der Tenor des landgerichtlichen Urteils vom 10. Februar 1994 dahin ergänzt wird, dass die Leistungspflicht ab 1. November 2009 beendet ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Widerklagend beantragt er,

festzustellen, dass das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 keine Laufzeitbeschränkung enthält.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte meint, dass für eine nachträgliche zeitliche Befristung des dem Beklagten zuerkannten Anspruchs kein Raum sei. Eine solche Befristung könne auch nicht aus einem etwaigen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB hergeleitet werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die zulässige Berufung ist begründet. Der Vollstreckung aus dem landgerichtlichen Urteil steht ein Vollstreckungshindernis im Sinne von § 767 Abs. 1 ZPO entgegen. Die Widerklage ist hingegen unbegründet.

1. Die Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Zwangsvollstreckung bislang nicht eingeleitet. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Klage ist aber bereits dann gegeben, sobald eine Zwangsvollstreckung ernstlich droht (vgl. Herget in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 767, Rn. 8). Das ist hier der Fall, weil der Beklagte mit Schreiben vom 6. November 2009 die Zwangsvollstreckung aus dem landgerichtlichen Urteil vom 10. Februar 1994 angedroht hatte.

Die Vollstreckungsgegenklage ist auch begründet. Allerdings kann die Klägerin ihre Klage nicht auf eine - nur versehentlich nicht in den Tenor aufgenommene - zeitliche Befristung des landgerichtlichen Urteils stützen. Gemäß § 767 Abs. 2 ZPO können gegen einen titulierten Anspruch gerichtete Einwände nur geltend gemacht werden, wenn sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind. Im vorliegenden Fall stützt sich die Klägerin demgegenüber auf eine ihrer Ansicht nach bereits am 30. März 1992 vertraglich vereinbarte Befristung der geschuldeten Rentenzahlungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Diesem Gesichtspunkt hätte bereits im Rahmen des Urteils vom 10. Februar 1994 Rechnung getragen werden können und müssen (vgl. BeckerEberhard in: Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 258, Rn. 17. Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 258, Rn. 11. Greger in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 258, Rn. 4). Können die gegen den titulierten Anspruch geltend gemachten Einwände aber - wie im vorliegenden Fall - bereits bei Titulierung berücksichtigt werden, liegen die Voraussetzungen des § 767 Abs. 2 ZPO nicht vor.

Zwar wird der Eintritt einer auflösenden Bedingung grundsätzlich als Einwendung im Sinne von § 767 Abs. 1 ZPO anerkannt (vgl. Münzberg in: Stein/Jonas aaO., § 767, Rn. 17. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 767, Rn. 20. Schmidt in: Münchener Kommentar zur ZPO aaO., § 767, Rn. 62). Auch wird die Befristung der Bedingung jedenfalls materiellrechtlich gemäß § 163 BGB gleichgestellt. Allerdings ist diese Gleichstellung nicht ohne Weiteres auf das Prozessrecht übertragbar. Hiergegen spricht bereits, dass der Eintritt einer Bedingung bei Titulierung eines Anspruchs regelmäßig noch ungewiss ist oder zumindest in zeitlicher Hinsicht nicht genau bestimmt werden kann. Dies schließt eine Berücksichtigung der Bedingung bereits bei der Titulierung aus, weshalb es auch gerechtfertigt ist, den späteren Bedingungseintritt als Einwendung im Sinne von § 767 Abs. 2 ZPO anzusehen. Anders verhält es sich aber bei einer Befristung. Dieser grundlegende Unterschied schließt eine Gleichbehandlung von Bedingung und Befristung jedenfalls im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage aus.

Der Senat teilt nicht den von der Klägerin sowohl erstinstanzlich als auch in der Berufungsbegründung vertretene Ansatz, die Befriedigung eines Anspruchs sei mit dem Erreichen eines Endtermins gleichzusetzen. An einer solchen Vergleichbarkeit fehlt es bereits im Ausgangspunkt. Die Befriedigung eines Anspruchs setzt einen bestehenden Anspruch voraus. Im vorliegenden Fall vertritt die Klägerin demgegenüber die Auffassung, dass ein solcher Anspruch von vornherein nicht bestanden hat. Etwaige Leistungen zur Befriedigung dieses nicht bestehenden Anspruchs hat sie ebenfalls nicht erbracht.

Eine zulässige Einwendung im Sinne des § 767 Abs. 1 ZPO wurde allerdings durch den zwischen den Parteien im Mai/Juni 1994 geschlossenen Vergleich begründet. Nach Verkündung des Urteils vom 10. Februar 1994 hatten beide Parteien jenes Rechtsstreits zunächst Berufung eingelegt. Noch während der laufenden Berufungsbegründungsfrist traten die Parteien in Vergleichsgespräche mit dem Ziel ein, die Durchführung des Berufungsverfahrens zu vermeiden. Die Klägerin unterbreitete dem Beklagten ausweislich der beigezogenen Verfahrensakte 4 O 300/93 des Landgerichts Stade daraufhin mit Schreiben vom 27. Mai 1994 einen Vergleichsvorschlag. Darin heißt es unter anderem:

?Darüber hinaus bestanden bis zum 1. April 1991 zwei Lebensversicherungen, nämlich der Vertrag ... und der Vertrag ...

Ab 1. April 1991 bestand nur noch ein Vertrag mit der Nr. ... mit einer Versicherungssumme von 350.000,00 DM und einem Monatsbeitrag von 747,30 DM. Der Beitrag reduzierte sich ab 1. April 1992 auf 687,30 DM monatlich oder 8.247,60 DM jährlich. In dieser Höhe wird Beitragsbefreiung gewährt...

Es sind deshalb zu leisten:

Jahresrente von 46.468,00 DM

Beitragsbefreiung für die Lebensversicherung mit einer Versicherungssumme für den Todesfall von 350.000,00 DM."

Diesen Vergleichsvorschlag nahm der Beklagte an, womit das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis im Hinblick auf die Leistungspflichten auf eine neue Grundlage gestellt wurde.

Zwar findet sich auch in diesem Vergleich keine zeitliche Befristung. Das ist aber unschädlich, weil diese Befristung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt werden kann. Zwar kann nicht jede Lücke in einem Vertrag durch Auslegung ergänzt werden. Falls die Vertragschließenden zu einem bestimmten Punkt keine Regelung treffen, kann meist angenommen werden, dass sie die Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen den Gesetzesvorschriften überlassen (vgl. BGH WM 1975, 419). Eine durch Auslegung zu schließende Vertragslücke liegt nur dann vor, wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen ergänzungsbedürftig ist. Die richterliche Auslegung darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen und sie muss in dem Vertrag auch eine Stütze finden (vgl. BGH NJW 2002, 2383 [BGH 05.06.2002 - XII ZR 220/99]). Sie muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, sodass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde (vgl. BGH aaO.).

Im vorliegenden Fall enthält der zwischen den Parteien zustande gekommene Vergleich eine klare Lücke, weil er die Dauer des Bezugsrechts nicht regelt. Dass die Parteien diese Frage bewusst auf der Basis der gesetzlichen Bestimmungen geregelt sehen wollten, kann in Ermangelung entsprechender Bestimmungen nicht angenommen werden.

Die ergänzende Vertragsauslegung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Parteien bei entsprechendem Problembewusstsein die Leistungsdauer bis zum 1. November 2009 befristet hätten. Das von der Klägerin unterbreitete Angebot stellte ersichtlich nicht auf die beiden zunächst abgeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen ab. Ebenso wenig stellte die Klägerin auf den Zeitpunkt unmittelbar nach erstmaliger Zusammenführung beider Versicherungsverträge ab. Die Klägerin bezog sich bei ihrem Vergleichsangebot vielmehr auf die vertragliche Vereinbarung nach Änderung zum 1. April 1992 (Bl. 42 - 44 d. A.) und übernahm diese ohne inhaltliche Abweichungen. Diese Vereinbarung sah aber gleichzeitig eine Befristung der Leistungen bis zum 1. November 2009 vor.

Dass der Beklagte sich einer solchen Klarstellung jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt versagt hätte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil kann der Klageschrift vom 19. Juli 1993 entnommen werden, dass der Beklagte seinen Rentenanspruch auf die Vereinbarung vom 24. August 1991 stützte. Eben diese Vereinbarung sah aber einen Ablauf der Zusatzversicherung am 1. November 2009 vor (Bl. 273 d. A.). Damit ging auch der Beklagte jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung davon aus, dass er über den 1. November 2009 hinausgehende Ansprüche auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsleistungen nicht würde geltend machen können und dass er dies lediglich versehentlich nicht in seinen Antrag aufnahm. Dass der Beklagte noch vor Abschluss des Vergleichs zu einer abweichenden Auffassung gelangte, ist nicht ersichtlich.

Zusammenfassend ist somit davon auszugehen, dass die Parteien bei Abschluss des Vergleichs die Leistungsdauer lediglich versehentlich nicht regelten und dass sie bei entsprechendem Problembewusstsein eine Leistungspflicht der Klägerin lediglich bis zum 1. November 2009 vorgesehen hätten.

2. Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass man zu demselben Ergebnis auch auf der Grundlage des zweiten Hilfsantrags gelangen würde.

Der erstrangig gestellte Hilfsantrag kann hingegen bereits deshalb nicht zum Erfolg führen, weil dieser identisch mit dem Hauptantrag ist und damit kein Hilfsantrag im eigentlichen Sinne. Ein Hilfsantrag setzt eine Mehrheit von Streitgegenständen voraus (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 260, Rn. 1). Daran fehlt es hier allerdings. Die Klägerin hat lediglich ihre als Hauptantrag verfolgte Vollstreckungsgegenklage in das Gewand einer Feststellungsklage gekleidet. Inhaltlich geht dieser Antrag aber weder über den Hauptantrag hinaus, noch bleibt er dahinter zurück. Im Ergebnis handelt es sich dabei nicht um einen eigenständigen Antrag, sodass es insoweit auch keiner Entscheidung bedarf.

Der zweitrangig gestellte Hilfsantrag wäre hingegen zulässig und darüber hinaus auch insoweit begründet, als dem Beklagten gegen die Klägerin aus dem Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 keine weiteren Ansprüche zustehen. Allerdings ist dieser Antrag auszulegen, denn eine Ergänzung des Landgerichtlichen Urteils im eigentlichen Sinn kommt nicht in Betracht. Eine Ergänzung im Sinne von § 321 ZPO setzt voraus, dass das Landgericht über einen Haupt oder Nebenanspruch versehentlich nicht entschieden hat. Übersehene Einwendungen oder die Richtigstellung anderer Fehler rechtfertigen eine Urteilsergänzung dagegen nicht (vgl. BGH NJW 2003, 1463 [BGH 05.02.2003 - IV ZR 149/02]). Im vorliegenden Fall hat das Landgericht den geltend gemachten Anspruch zuerkannt und lediglich versäumt, eine Aussage zur Leistungsdauer zu treffen.

Auch im Verfahrensrecht gilt allerdings der Grundsatz, dass eine fehlerhafte Parteihandlung analog § 140 BGB in eine zulässige und wirksame umzudeuten ist, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem maßgeblichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (vgl. BGH VersR 2001, 607 [BGH 21.06.2000 - XII ZB 93/00]. BGH FamRZ 1987, 154). Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Prozesshandlungen in ihrer Intention und rechtlichen Wirkung entsprechen (vgl. BGH VersR 1986, 785 [BGH 06.03.1986 - I ZB 12/85]).

Die Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin verfolgt mit dem an zweiter Stelle stehenden Hilfsanspruch eine gerichtliche Feststellung dahingehend, dass sie aus dem landgerichtlichen Urteil vom 10. Februar 1994 keine weitergehenden Leistungen schuldet (vgl. KG Berlin NJW 1958, 873). Schützenswerte Belange des Beklagten stehen einer solchen Umdeutung nicht im Wege.

Der Feststellungsantrag der Klägerin wäre sowohl zulässig als auch begründet.

Entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung wäre der Feststellungsantrag zulässig. Es handelt sich im Ergebnis um eine negative Feststellungsklage, mit der das Nichtbestehen eines Anspruchs festgestellt werden soll. Eine solche Klage ist bereits dann zulässig, wenn ein rechtliches Interesse an der baldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses besteht, weil die Rechtsposition der Klägerin an einer gegenwärtigen Ungewissheit leidet, die durch das Feststellungsurteil beseitigt werden kann. Diese Ungewissheit entsteht regelmäßig bereits dann, wenn sich die Gegenseite eines Anspruchs berühmt (vgl. BGH NJW 2006, 2780 [BGH 04.05.2006 - IX ZR 189/03]. BGH VersR 1992, 762 [BGH 10.10.1991 - IX ZR 38/91]). Im vorliegenden Fall berühmt sich der Beklagte eines solchen Anspruchs nicht nur, er hat sogar bereits die Vollstreckung angedroht, womit das Feststellungsinteresse unproblematisch zu bejahen ist.

Zwar ist eine negative Feststellungsklage dann unzulässig, wenn eine vorgeschaltete Vollstreckungsgegenklage wegen Präklusion des erhobenen Einwandes abgewiesen worden ist (vgl. BGH NJW 2009, 1671 [BGH 05.03.2009 - IX ZR 141/07]). Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor.

Die Feststellungsklage wäre auch begründet. Anders als das Landgericht meint, kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das landgerichtliche Urteil vom 10. Februar 1994 evident unrichtig ist. Diese Frage ist nur dann von Bedeutung, wenn die Abänderung eines Titels auf der Basis von § 826 BGB begehrt wird. Gegenstand ist dabei stets die Durchbrechung der Rechtskraft eines Titels, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Voraussetzung hierfür ist nicht nur die materielle Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und die Kenntnis des Gläubigers hiervon. Hinzutreten müssen vielmehr besondere Umstände, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und die das Vorgehen des Gläubigers in sittenwidriger Weise prägen (vgl. BGH NJW 2005, 2991 [BGH 29.06.2005 - VIII ZR 299/04]. BGH VersR 1999, 1158 [BGH 09.02.1999 - VI ZR 9/98]. BGH VersR 1999, 78 [BGH 30.06.1998 - VI ZR 160/97]).

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Durchbrechung der Rechtskraft. Zwar könnte bei isolierter Betrachtung des streitgegenständlichen Tenors die Auffassung vertreten werden, dass das Fehlen einer zeitlichen Grenze für die Annahme eines lebenslangen Bezugsrechts sprechen könnte. Allerdings ist ein Tenor grundsätzlich nicht allein auf der Basis seines Wortlauts auszulegen. Einzubeziehen sind vielmehr auch die Urteilsgründe (vgl. BGH NJW 2008, 2351 [BGH 14.05.2008 - XII ZB 78/07]. BGH VersR 1986, 565 [BGH 21.01.1986 - VI ZR 63/85]. Stöber in: Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 704, Rn. 5). Den Gründen kann aber nicht entnommen werden, dass das Landgericht dem Kläger ein lebenslanges Bezugsrecht zuerkennen wollte. Im Gegenteil stützte sich das Landgericht bei seiner Entscheidung auf die Vereinbarung vom 30. März 1992. Diese sah aber eine Befristung des Leistungsrechts ausdrücklich vor. Auch auf der Grundlage des damaligen Klageantrags kommt keine Entscheidung im Sinne eines lebenslangen Bezugsrechts in Betracht. Zwar hatte es der Beklagte (und damalige Kläger) versäumt, in seinen Antrag die Leistungsdauer aufzunehmen. Seinen Ausführungen in der Klageschrift vom 19. Juli 1993 kann aber entnommen werden, dass er seinen Rentenanspruch auf die Vereinbarung vom 24. August 1991 stützte. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

Auf der Grundlage dieser Gesichtspunkte führt auch eine Auslegung des landgerichtlichen Urteils zu dem Ergebnis, dass dem Beklagten kein über den 1. November 2009 hinausgehender Anspruch zuerkannt werden sollte.

3. Die Widerklage ist zulässig. Zwar hat der Beklagte die Widerklage erst im Berufungsverfahren erhoben. Dies ist gemäß § 533 Nr. 2 ZPO aber nicht zu beanstanden, weil die Entscheidung über die Widerklage auf derselben Tatsachengrundlage wie die Entscheidung über die Vollstreckungsgegenklage bzw. die negative Feststellungsklage ergehen kann. Der Feststellungswiderklage mangelt es auch nicht an einem Feststellungsinteresse. Zwar begehrt der Beklagte lediglich die Feststellung, dass das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 keine Laufzeitbeschränkung enthält. Wollte man sich allein am engen Wortlaut des Antrags orientieren, würde es zwar an einem Feststellungsinteresse fehlen, denn allein aus dem Fehlen einer Bestimmung könnten noch keine Rückschlüsse auf das Bestehen eines Anspruchs gezogen werden. Auf entsprechende Nachfrage des Senats hat der Beklagte aber erklärt, dass er die Feststellung einer zeitlich nicht begrenzten Laufzeit seiner titulierten Ansprüche begehrt. In diesem Sinne ist der Feststellungsantrag auszulegen.

Die Widerklage ist allerdings unbegründet. Dem Beklagten stehen aus dem Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Februar 1994 keine über den 1. November 2009 hinausgehenden Ansprüche zu. Insoweit nimmt der Senat auf die vorstehenden Ausführungen zur Vollstreckungsgegenklage bzw. zur negativen Feststellungsklage Bezug.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Von der Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO hat der Senat abgesehen. Der Rechtsstreit ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Bei der Streitwertfestsetzung hat der Senat analog §§ 3, 9 ZPO den dreieinhalbfachen Jahresbetrag des titulierten Rentenanspruchs zugrunde gelegt. Eine Streitwerterhöhung im Hinblick auf die vom Beklagten erhobene Widerklage scheidet gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG aus, weil sowohl die Vollstreckungsgegenklage als auch die Widerklage denselben Anspruch betreffen.

RechtsgebieteZPO, BUZVorschriften§ 256 ZPO § 767 Abs. 2 ZPO § 1 Abs. 4 BUZ

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