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18.02.2011 · IWW-Abrufnummer 110970

Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 30.09.2010 – 5 Sa 353/10

1) Gewährt der Arbeitgeber neben dem gesetzlichen Urlaub tariflichen Mehrurlaub, findet § 366 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung, wenn der Arbeitnehmer Urlaub nimmt.


2) Im Zweifel gewährt der Arbeitgeber zunächst den (verfallbaren) tariflichen Urlaub und alsdann den gesetzlichen Mindesturlaub.


Tenor:

1) Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 17.01.2010

- 7 Ca 1179/09 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.480,10 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2009 zu zahlen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

2)Die weitergehende Klage und die weitergehende Berufung der Klägerin werden zurückgewiesen.

3)Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte; die Kosten des

Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 1/6, die Beklagte zu 5/6.

4)Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin restliche Urlaubsabgeltung für zehn Urlaubstage für das Jahr 2007 und restliches Urlaubsgeld für die Jahre 2006 und 2007 zu zahlen.

Die am 02.09.1968 geborene Klägerin ist seit dem 01.02.1986 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Grundlage des Anstellungsverhältnisses der Parteien bildete zuletzt ein Anstellungsvertrag vom 01.07.1988, in dem es unter anderem heißt:

Für das Angestelltenverhältnis gelten die für das Sanitär-Installateurhandwerk jeweils gültigen Bestimmungen des Tarifvertrages.

In dem "Manteltarifvertrag für das Installateur- und Heizungsbauer-, Klempner-, Behälter- und Apparatebauer-Handwerk im Land Nordrhein-Westfalen" (MTV) vom 01.07.2007 heißt es unter anderem wie folgt:

§ 7

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

...

6.Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass der Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.

Liegt eine ununterbrochene Krankheit während eines gesamten Kalenderjahres vor und dauert diese Krankheit auch noch am 31.03. des folgendes Kalenderjahres an, so erlischt der Anspruch für das zurückliegende Kalenderjahr, es sei denn, die Arbeitsunfähigkeit ist durch einen Betriebsunfall/Wegeunfall im Sinne des SGB (Sozialgesetzbuch) verursacht.

7.Der Anspruch auf bezahlten Urlaub wird um so viel Tage gekürzt, wie der Arbeitnehmer seit seinem letzten Urlaub oder, falls er noch keinen Urlaub genommen hat, seit seinem Eintritt in den Betrieb unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist (Fehltage). Der Mindesturlaub gemäß Bundesurlaubsgesetz darf jedoch nicht unterschritten werden.

...

§ 13

Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis

1.Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere Ansprüche auf Zahlung von Zuschlägen und Entschädigungen für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

2.Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen schriftlich geltend gemacht werden, sind verwirkt, es sei denn, dass der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung der ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert war, diese Fristen einzuhalten.

3.Bleibt die Geltendmachung erfolglos, so tritt die Verwirkung nicht ein. Vielmehr gilt dann die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB.

Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in welchem der Anspruch entstanden ist.

4.Durch Ausgleichsquittung können unverzichtbare Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht aufgegeben werden.

Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Sie war seit dem 29.04.2008 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Die Beklagte kündigte das mit ihr bestehende Arbeitsverhältnis am 16.10.2008 fristgerecht zum 28.02.2009.

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 17.03.2009 diverse Restvergütungs- und Urlaubsabgeltungsansprüche geltend gemacht hatte, leistete die Beklagte in der Folgezeit Teilzahlungen auf die verschiedenen Ansprüche (siehe hierzu die Aufstellung der Klägerin Bl. 8 und 9 d. A.).

Mit ihrer am 09.04.2009 beim Arbeitsgericht Mönchengladbach anhängig gemachten Klage hat die Klägerin die Zahlung von Urlaubsabgeltung, Urlaubsgeld und Überstunden geltend gemacht.

Zum Urlaubsabgeltungsanspruch für die Jahre 2007 bis 2009 hat sie zunächst auf den MTV verwiesen, wonach ihr pro Jahr 30 Urlaubstage zustünden. Die Klägerin hat hierzu behauptet, sie hätte im Jahre 2007 insgesamt 15 Urlaubstage genommen, so dass ihr noch weitere 15 Tage zustünden.

Für das Jahr 2008, so die Klägerin weiter, seien noch 33,5 Tage abzugelten und für das Jahr 2009 insgesamt 6 Tage.

Die Klägerin hat hieraus einen Gesamtanspruch von 54,5 Urlaubstagen errechnet, auf den die Beklagte - insoweit unstreitig - Abgeltung für 29,5 Urlaubstage geleistet hat.

Bei der Berechnung der Urlaubsabgeltung hat die Klägerin einen Tagessatz in Höhe von 120,64 € brutto in Ansatz gebracht und einen Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 3.150,50 € brutto errechnet.

Die Klägerin hat des Weiteren Urlaubsgeld für die Jahre 2006 bis 2009 geltend gemacht und insoweit vorgetragen, dass die Berechnung fehlerhaft auf der Basis von 161 Stunden pro Monat erfolgt sei. Nach den einschlägigen tariflichen Vorschriften hätten hingegen 222 Stunden pro Monat in Ansatz gebracht werden müssen. Hieraus errechne sich - unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Zahlungen der Beklagten - eine Restforderung in Höhe von 824,85 € brutto.

Schließlich hat die Klägerin Vergütung für von ihr geleistete 14,25 Überstunden in Höhe von 290,35 € beansprucht und insgesamt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.130,70 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.03.2009 als weitere Vergütung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verfall von Urlaubsansprüchen sei davon auszugehen, dass letztlich der gesetzliche Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz sowie der Schwerbehindertenzusatzurlaub nach § 125 SGB IX nicht mehr verfallen könnten und damit auch vorliegend abzugelten wären. Die weitergehenden Ansprüche der Klägerin auf tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 seien indessen verfallen, weil es insoweit eine eigenständige Urlaubsregelung in § 7 MTV gäbe.

Die Beklagte hat darüber hinaus behauptet, entgegen der Darstellung der Klägerin hätte sie im Jahre 2008 zehn Tage Urlaub erhalten.

Hinsichtlich des Urlaubsgeldes hat die Beklagte darauf verwiesen, dass die fehlerhafte Berechnung durch die Klägerin selbst erfolgt sei - ihr werde es dementsprechend verwehrt, sich auf diese Falschberechnung zu berufen.

Die Beklagte hat nach allem die Auffassung vertreten, dass die Klägerin bereits überzahlt wäre und hat deshalb im Wege der Widerklage beantragt,

die Klägerin zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 2.508,57 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.04.2009 zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Sie ist der Darstellung der Beklagten zum Verfall der Urlaubsansprüche 2007 und 2008 entgegengetreten und hat vorgetragen, es bestehe eine betriebliche Übung bei der Beklagten, wonach Urlaub über den 31.03. des Folgejahres mitgenommen werden konnte. Darüber hinaus hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass der MTV keine eigenständige Regelung über den tariflichen Mehrurlaub enthalte, so dass auch die tariflichen Mehrarbeitsansprüche nicht verfallen wären.

Mit Urteil vom 27.01.2010 hat die 7. Kammer des Arbeitsgerichts Mönchengladbach - 7 Ca 1179/09 - dem Klagebegehren teilweise entsprochen und die Beklagte zur Zahlung von Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.809,60 € brutto und Urlaubsgeld in Höhe von 66,30 € brutto verurteilt. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin hätte im Jahre 2007 15 Tage Urlaub erhalten, der gemäß § 366 Abs. 2 BGB auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch geleistet worden wäre. Es verblieben 5 Tage Urlaubsabgeltung, die trotz der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht verfallen wären. Demgegenüber seien 10 Tage tariflicher Mehrurlaub verfallen, weil sich insoweit in § 7 MTV eine eigenständige Regelung des tariflichen Mehrurlaubs befände.

Der Urlaub für das Jahr 2008 sei, soweit der gesetzliche Urlaub betroffen wäre, nicht verfallen und kraft betrieblicher Übung auf das Jahr 2009 übertragen worden. Zusammen mit dem Urlaubsanspruch für das Jahr 2009 ergebe sich danach ein Gesamtanspruch von 44,33 Tagen, auf den die Beklagte unstreitig 29,5 Tage gezahlt hätte, so dass noch insgesamt 14,83 Tage abzugelten wären.

Urlaubsgeld, so das Arbeitsgericht weiter, könne die Klägerin nur für das Jahr 2007 in Anspruch nehmen; ihr stehe insoweit der Differenzbetrag in Höhe von 66,30 € brutto zu, der sich aus der fehlerhaften Berechnung in der Vergangenheit ergäbe. Der Urlaubsgeldanspruch für das Jahr 2006 sei verfallen, der für die Jahre 2008 und 2009 durch die Beklagte erfüllt.

Das Arbeitsgericht hat schließlich den Anspruch der Klägerin auf Vergütung von Überstunden für unbegründet erklärt und die Widerklage als ebenso unbegründet abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 22.02.2010 zugestellte Urteil mit einem am 10.03.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.05.2010 - mit einem am 12.05.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie wiederholt zunächst ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und vertritt auch weiterhin die Auffassung, dass sich in § 7 MTV keine eigenständige Regelung des tariflichen Mehrurlaubs befände, so dass auch ein Verfall dieser Urlaubsansprüche nicht angenommen werden könnte. Jedenfalls sei aber § 366 Abs. 2 BGB nicht zu Lasten der Klägerin anzuwenden. Sie errechnet dementsprechend für weitere zehn Urlaubstage aus dem Jahr 2007 einen Abgeltungsanspruch in Höhe von 1.206,40 € brutto.

Die Klägerin macht darüber hinaus für das Jahr 2007 auch weiterhin Urlaubsgeld in Höhe von 331,50 € brutto geltend und verweist auf die bis dahin fehlerhafte Berechnung in der Vergangenheit.

Schließlich begehrt sie noch Urlaubsgeld für das Jahr 2006 in Höhe von 397,80 € brutto und bezieht sich auch insoweit auf die fehlerhafte Berechnung der Urlaubsgeldansprüche in den zurückliegenden Jahren.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 27.01.2010 - 7 Ca 1179/09 - wird geändert, soweit das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat und die Beklagte wird zur Zahlung weiterer 1.935,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2009 verurteilt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag aus der ersten Instanz. Sie bekräftigt ihre Rechtsauffassung, wonach der tarifliche Mehrurlaub für das Jahr 2007 angesichts der eigenständigen Regelung in § 7 MTV verfallen sei und dass darüber hinaus hinsichtlich der gewährten Urlaubstage § 366 Abs. 2 BGB anzuwenden wäre, und zwar zu Lasten der Klägerin. Hinsichtlich des Urlaubsgeldes für das Jahr 2006 beruft sich die Beklagte auf die Verfallfrist des § 13 Abs. 1 MTV.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel zu einem großen Teil Erfolg.

Die Beklagte ist gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG i. V. m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag und i. V. m. § 7 MTV verpflichtet, der Klägerin weitere Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.206,40 € brutto für das Jahr 2007 und Urlaubsgeld in Höhe von 331,49 € brutto ebenfalls für das Jahr 2007 zu zahlen. Zusammen mit dem im ersten Rechtszug ausgeurteilten Betrag errechnet sich hieraus der aus dem Tenor ersichtliche Gesamtbetrag von 3.413,79 €.

Soweit die Klägerin darüber hinaus Urlaubsgeld auch für das Jahr 2006 beansprucht, ist dieser Anspruch nach § 13 Abs. 1 MTV verfallen und die hierauf gerichtete Berufung damit unbegründet.

1.Der Klägerin stehen für das Jahr 2007 noch restliche zehn Urlaubstage zur Verfügung, die gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten sind.

1.1In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Beklagten geht die erkennende Berufungskammer zunächst davon aus, dass sich im einschlägigen MTV eine eigenständige Regelung über den tariflichen Mehrurlaub befindet und hiernach - eigentlich - von einem Verfall des Mehrurlaubs für das Jahr 2007 auszugehen ist.

1.1.1Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner neueren Rechtsprechung bereits mehrmals betont, dass die Tarifvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln können. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht immer wieder bekräftigt, dass für einen Regelungswillen, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheide, deutliche Anhaltspunkte bestehen müssten. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass die Vertragsparteien nur ausnahmsweise vom Gesetzesrecht abweichen wollten. Für einen abweichenden, durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden übereinstimmenden Willen müssten deutliche Anhaltspunkte bestehen. Diese deutlichen Anhaltspunkte müssen sich aus Tarifwortlaut, -zusammenhang und -zweck sowie gegebenenfalls aus der Tarifgeschichte ergeben (vgl. hierzu BAG 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - NZA 2010, 810; BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG, jeweils m. w. N.).

1.1.2Hiernach finden sich im MTV ausreichende Anhaltspunkte für ein eigenständiges Urlaubsregime und damit für eine eigenständige, von der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG abweichenden Behandlung des tariflichen Mehrurlaubs. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die besondere Regelung in § 6 Ziffer 4 MTV, die eine eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz losgelöste Regelung enthält. Dasselbe gilt für § 7 Abs. 6 MTV, der eine - ebenfalls vom Bundesurlaubsgesetz abweichende - Verfallsregelung enthält. Auch in § 7 Abs. 7 MTV wird deutlich zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz und dem tariflichen Mehrurlaub unterschieden.

1.1.3Erweist sich danach die tarifliche Regelung als eigenständig im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung, so greift der bereits zitierte § 7 Abs. 6 MTV ein. Danach wäre der tarifliche Mehrurlaub der Klägerin für das Jahr 2007 spätestens am 31.03.2009 wegen der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit verfallen gewesen.

1.2Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten und - insoweit auch entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts - vertritt indessen die Berufungskammer die Auffassung, dass der tarifliche Mehrurlaub der Klägerin in Höhe von zehn Tagen für das Jahr 2007 auch angesichts ihrer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen konnte, weil sie diese zehn Tage bereits im Jahre 2007 gewährt bekommen hat. Dies folgt letztlich aus § 366 Abs. 2 BGB.

Nach dieser Norm wird dann, wenn der Schuldner keine Bestimmung betrifft, bei Vorliegen mehrerer Schulden zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, getilgt. In der Rechtsprechung wird derzeit heftig diskutiert, ob und wie die genannte Vorschrift in Fällen der vorliegenden Art zur Anwendung gelangt.

1.2.1Das Landesarbeitsgericht Berlin (LAG Berlin-Brandenburg 02.12.2009 - 17 Sa 621/09 - n. v.) vertritt die Rechtsauffassung, dass eine Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 2 BGB nicht in Betracht komme, weil § 366 Abs. 2 BGB das Bestehen mehrerer Leistungspflichten voraussetzt. Hiervon könne aber mit Blick auf einen gesetzlichen und einen tariflichen Urlaubsanspruch nicht ausgegangen werden.

Das Landesarbeitsgericht Hessen (Urteil vom 26.04.2010 - 17 Sa 1772/09 - n. v.) hat ausgeführt, dass der gesetzliche und der tarifliche Urlaubsanspruch gemeinsam einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub bildeten. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitgeber - unabhängig von einer etwaigen Tilgungsbestimmung im Sinne von § 366 Abs. 2 BGB - zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch und erst danach auf den darüber hinausgehenden tariflichen Urlaubsanspruch leiste.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat sich mit der hier zu diskutierenden Frage in der Vergangenheit bereits beschäftigt und ausgeführt, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch unabdingbar sei. Erfülle der Arbeitgeber Urlaubsansprüche, sei nach der Auslegungsregel des § 366 Abs. 2 BGB davon auszugehen, dass der Arbeitgeber zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch und sodann auf den tariflichen/vertraglichen Urlaubsanspruch geleistet hätte (BAG 05.09.2002 - 9 AZR 244/01 - AP Nr. 17 zu § 3 BUrlG Fünf-Tage-Woche; BAG 24.10.1989 - 8 AZR 6/89 - n. v.).

1.2.2Die erkennende Kammer meint, dass auf die vorliegende Fallkonstellation § 366 Abs. 2 BGB anzuwenden ist.

Dabei kann zunächst dahinstehen, ob eine unmittelbare Anwendung, wie offensichtlich vom Bundesarbeitsgericht in den genannten, älteren Entscheidungen angenommen, in Betracht kommt. Insofern spricht viel für die vom LAG Hessen (a. a. O.) hervorgehobene Rechtsauffassung, dass der gesetzliche und der tarifliche Urlaubsanspruch einen gemeinsamen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub bildeten und demgemäß nicht von mehreren Schulden im Sinne des § 366 Abs. 2 BGB ausgegangen werden könnte.

Unterdessen bedarf die aufgeworfene Frage keiner abschließenden Klärung. § 366 Abs. 2 BGB ist nämlich mindestens analog auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation anzuwenden, weil der gesetzliche Mindesturlaub und der tarifliche Mehrurlaub nach dem MTV mit differenzierten rechtlichen Schicksalen behaftet sind, die es nicht nur geboten, sondern erforderlich machen, sie wie "mehrere Schulden" im Sinne des § 366 Abs. 2 BGB zu behandeln. Wie oben ausführlich dargestellt, haben die Tarifvertragsparteien für den tarifliche Mehrurlaub ein eigenes Urlaubsregime geschaffen, das dazu führt, dass der tarifliche Mehrurlaub einer eigenen Verfallsregelung zugeführt worden ist. Demgegenüber verbleibt es hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs von vier Wochen dabei, dass dieser auch angesichts der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht verfallen konnte. Deshalb mag man auch weiterhin von einem einheitlichen Urlaubsanspruch ausgehen; immerhin kann dieser aber nicht insgesamt einheitlich bewertet werden und muss deshalb, wie es § 366 Abs. 2 BGB vorsieht, in eine Rangfolge oder Rangordnung gesetzt werden können.

1.2.3Erweist sich damit § 366 Abs. 2 BGB als grundsätzlich anwendbar, so führt dies im Ergebnis allerdings zu einer anderen Rechtsfolge als die, die bisher vom Bundesarbeitsgericht angenommen worden ist.

Geht man, wie für die vorliegende Fallkonstellation wiederholt aufgezeigt, davon aus, dass die Tarifvertragsparteien den tariflichen Mehrurlaub von zehn Tagen pro Jahr für verfallbar erklärt haben, wenn und soweit die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ihn bis zum 31.03. des folgenden Kalenderjahres nicht nehmen konnte, so muss dieser Teil des einheitlichen Urlaubsanspruchs als der unsicherere gegenüber dem gesetzlichen Mindesturlaub angesehen werden, der ja auch angesichts der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht verfallen konnte. Ist der tarifliche Anspruch auf Urlaub aber damit derjenige, der der Klägerin (Gläubigerin) die geringere Sicherheit bietet, so folgt aus § 366 Abs. 2 BGB, dass dann erst dieser Urlaub gewährt wird, sofern keine besondere Tilgungsbestimmung erfolgt oder eine anderweitige Vereinbarung vorliegt.

1.2.4Da die Beklagte aus Anlass der Urlaubsgewährung im Jahre 2007 nicht bestimmt hat, wie sich die - unstreitig gewährten - 15 Tage zusammensetzen, ist festzuhalten, dass zunächst zehn Urlaubstage auf den tariflichen Mehrurlaub gewährt wurden und die restlichen fünf Tage auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Demnach stehen der Klägerin weitere zehn, nicht verfallene Urlaubstage als Abgeltungsgrundlage zur Verfügung.

1.2.5Diese zehn Urlaubstage konnten auch angesichts der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht verfallen, da sie dem gesetzlichen Mindesturlaub des § 3 BUrlG unterfallen. Es wird insoweit auf die nunmehr schon ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und auf die zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts auf Seite 5 der Entscheidungsgründe verwiesen, denen sich die erkennende Kammer in vollem Umfang anschließt.

2.Der Klägerin stehen für das Jahr 2007 weitere 331,49 € brutto als Urlaubsgeld zu. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Berechnung der Urlaubsgelder für die Jahre 2006 und 2007 fehlerhaft erfolgt ist, so dass die - von der Höhe her unstreitige - Nachforderung der Klägerin berechtigt ist.

3.Demgegenüber ist der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsgeld für das Jahr 2006 gemäß § 13 Abs. 1 MTV verfallen.

Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht auf § 13 Abs. 2 MTV berufen. Danach beginnt die dreimonatige Verfallfrist dann nicht zu laufen, wenn der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung der ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert war, die Frist des § 13 Abs. 1 MTV einzuhalten. Hiervon kann aber gerade nicht ausgegangen werden. Der Klägerin als der zuständigen Sachbearbeiterin war es ohne weiteres möglich, die richtige Berechnungsgrundlage anhand der einschlägigen Vorschriften des MTV herauszusuchen und umzusetzen. Wenn sie dies nicht tat, kann das unsorgfältige Verhalten den Lauf der Verfallfrist des § 13 Abs. 1 MTV nicht verhindern.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO.

Die erkennende Kammer hat die Revision für die Beklagte zugelassen, weil sie das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bejaht hat, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

RechtsgebieteBGB, BUrlGVorschriften§ 366 Abs. 2 BGB § 611 Abs. 1 BGB § 7 Abs. 3 BUrlG § 7 Abs. 4 BUrlG

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