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17.03.2011 · IWW-Abrufnummer 110900

Amtsgericht Geldern: Urteil vom 27.10.2010 – 4 C 356/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


4 C 356/10
Verkündet am 27.10.2010
AMTSGERICHT GELDERN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit XXX
hat das Amtsgericht Geldern auf die mündliche Verhandlung vom 07.10.2010 durch
für R e c h t erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Am 21.02.2010 ereignete sich in Arcen (Niederlande) ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin mit ihrem Fahrzeug Typ „VW Touran“ mit dem amtlichen Kennzeichen …. und …. mit seinem Kfz Typ „Jaguar“ mit dem amtlichen (niederländischen) Kennzeichen ….. beteiligt waren. Die Beklagte, eine niederländische Versicherungsgesellschaft, ist die Kfz-Haftpflichtversicherung des ….. (nachfolgend: Versicherungsnehmer der Beklagten). Der Versicherungsnehmer der Beklagten fuhr auf das Fahrzeug der Klägerin auf. An der Unfallstelle bestand zum Unfallzeitpunkt wegen Bauarbeiten eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 Stundenkilometer. Nachdem die Klägerin zunächst einen Betrag von 1.259,78 € geltend machte, erklärte sie den Rechtsstreit in Höhe von 959,78 € den Rechtsstreit für erledigt, da insoweit ihre Kaskoversicherung den Schaden ausgeglichen habe. Die Beklagte hat sich der Teilerledigungserklärung in der mündlichen Verhandlung angeschlossen.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagten sei das alleinige Verschulden an dem Unfall zuzuschreiben, weil diese den gegen ihren Versicherungsnehmer sprechenden Anscheinsbeweis nicht widerlegt habe. Nach den Denkgesetzen sei bei einem Auffahrunfall schlichtweg nur der Rückschluss möglich, dass sich der Auffahrende entlasten müsse. Jedenfalls sei das Einbiegen der Klägerin auf die Straße nicht Unfallursache, weil zwischen dem Einbiegemanöver und dem Zusammenstoß ein Zeitraum von rund 10 Sekunden gelegen habe müsse, wenn der Zusammenstoß etwa 100 bis 150 Meter hinter dem Tempo-50-Schild erfolgt sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 300,- € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die Klägerin habe den Unfall verursacht, weil diese beim Einbiegen auf die Straße die Vorfahrt ihres Versicherungsnehmers verletzt habe. Der Versicherungsnehmer der Beklagten habe gehupt, nachdem die Klägerin auf die Straße eingebogen gewesen sei, um sein Missfallen über die Vorfahrtsverletzung zu bekunden. Diese habe darauf abrupt gebremst, so dass die Fahrzeuge etwa 100 bis 150 Meter hinter dem Tempo-50-Schild zusammengestoßen seien. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin Eigentümer des VW Touran sei und bestreitet, dass die Beseitigung der durch den Unfall verursachten Beschädigungen 1.259,78 € koste.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Das angerufene Gericht ist gemäß Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 lit. b) EuGVVO international und örtlich zuständig. Bei Verkehrsunfällen kann der Geschädigte die Kfz-Haftpflichtversicherung an seinem Wohnsitz verklagen, wenn das anzuwendende Rechtsstatut einen Direktanspruch des Geschädigten gegen die Versicherung vorsieht (EuGH NJW 2008, 819, 820). Der streitgegenständliche Verkehrsunfall unterliegt gemäß Art 4. Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Rom-II-VO niederländischem Recht. Es kann dahinstehen, ob das angerufene Gericht aufgrund der Verweisung auch Art. 3 des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht zu beachten sind, weil die Niederlande anders als Deutschland Vertragsstaat dieses Abkommens sind, da auch jene Vorschrift zur Anwendung niederländischen Rechts führt, weil der Unfallort in den Niederlanden gelegen ist. Das niederländische Recht sieht in Art. 6 Abs. 1 S. 1 Wet ansprakelijkheidsverzekering motorrijtuigen (WAM) einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers vor (Asser/Hartkamp, Verbintenissenrecht, Bd. 3, Verbintenis uit de wet, 9. Aufl. 1994, Rn. 233).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
1.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 300,- € gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 WAM i.V.m. Art. 185 Abs. 1 Wegenverkeerswet (WVW).
a)
Ein Anspruch scheitert nicht daran, dass die Klägerin ihr Eigentum an dem beschädigten Kfz nicht nachgewiesen hätte. Die Beklagte hat die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB nicht widerlegt. Die Klägerin hat das Auto unstreitig in ihrem Besitz. Gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB ist insoweit ausschließlich deutsches Recht anzuwenden. Das Automobil befindet sich in Deutschland. Es hat auch seinen gewöhnlichen Belegenheitsort im Inland, was an seinem amtlichen deutschen Kraftfahrzeugkennzeichen ersichtlich ist.
b)
Art. 185 Abs. 1 WVW begründet auch einen Schadensersatzanspruch gegen den Eigentümer und den Halter eines Kraftfahrzeuges, wenn durch dieses ein Schaden verursacht wird; dabei wird ein Verschulden des Fahrzeugeigentümers/-halters vermutet. Gemäß Art. 185 Abs. 3 WVW gilt die Vorschrift aber nicht nicht bei Unfällen mit freilaufenden Tieren und mit anderen Kraftfahrzeugen in Bewegung oder an Personen oder Sachen, die mit dem anderen Kraftfahrzeug befördert werden (Hijma/Olthof, Nederlands vermogensrecht, 6. Aufl. 1996, Rn. 433b). Streitgegenständlich ist ein Unfall zweier Automobile, die Kraftfahrzeuge im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. c) WVW sind.
2.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Zahlung von 300,- € aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 WAM i.V.m. Art. 6:162 Burgerlijk Wetboek (BW). Verkehrsunfälle zweier Kraftfahrzeuge richten sich im niederländischen Recht nach Art. 6:162 BW, der allgemeinen Vorschrift über die unerlaubte Handlung (onrechtmatige daad) im niederländischen Recht (vgl. Hijma/Olthof, Neder-lands vermogensrecht, 6. Aufl. 1996, Rn. 433b; Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. 2009, 4. Teil, Kapitel C, Abschnitt XIX, Rn. 1). Ein Verkehrsunfall, bei dem es zur Beschädigung eines Kraftfahrzeuges kommt, erfüllt den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung nach Art. 6:162 Abs. 1 BW.
Die Klägerin ist jedoch beweisfällig geblieben für den ihr gemäß Art. 6:162 Abs. 3 BW i.V.m Art. 150 Wetboek van burgerlijke Rechtsvordering (Rv) obliegenden Nachweis, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten den Unfall verschuldet hat.
a)
Dass der Versicherungsnehmer der Beklagten mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug der Klägerin aufgefahren ist, begründet keinen Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er den Unfall verschuldet hat. Nach niederländischem Recht lässt sich der Tatsache, dass der Auffahrende sein Fahrzeug nicht zum Stillstand bringen konnte, ohne einen Zusammenstoß zu vermeiden, kein Anscheinsbeweis entnehmen, dass dieser den Unfall verursacht oder verschuldet habe (Hoge Raad, Urt. v. 13.04.2001 – C99/215HR – Rn. 3.2 = Verkeersrecht [VR] 2001, 120). Das erkennende Gericht hat gemäß Art. 22 Abs. 1 Rom-II-VO die Beweislastregelungen und gesetzliche Vermutungen des niederländischen Rechts zu beachten. Dies gilt auch für die allgemeine Beweislastregel des Art. 150 Rv, die grundsätzlich jeder Partei die Beweislast für die ihr günstigen Tatsachen auferlegt. Dass diese im Rv, der niederländischen Zivilprozessordnung geregelt ist, steht dem nicht entgegen. Durch den autonom auszulegenden Art. 22 Abs. 1 Rom-II-VO sind Beweislastregeln als materiell-rechtliche Vorschrift anzusehen, auch wenn deren Rechtsnatur im nationalen Recht als prozessrechtlich angesehen wird. Gemäß Art. 22 Abs. 1 Fall 2 Rom-II-VO hat das erkennende Gericht nicht nur die gesetzlich festgeschriebenen Beweislastregeln des ausländischen Rechts anzuwenden, sondern auch die in der dortigen Rechtspraxis aufgestellten tatsächlichen Vermutungen, auf die die Rechtsprechung aufgrund der Lebenserfahrung einen Anscheinsbeweis gründet (MünchKomm/Junker, BGB, 5. Aufl. 2009, Art. 22 Rom-II-VO Rn. 8). Wendet ein deutsches Gericht ausländisches Recht an, hat es dabei nicht nur den Gesetzeswortlaut zu beachten, sondern auch die Rechtswirklichkeit dieser Vorschriften, die sich insbesondere aus deren Anwendung in der ausländischen Rechtsprechung ergibt (vgl. BGH NJOZ 2001, 1, 2 m.w.N.).
b)
Art. 26 Rom-II-VO schließt die Anwendung der niederländischen Beweislastregelung nicht aus. Die Beweislastverteilung des niederländischen Rechts beim Auffahrunfall verstößt nicht offensichtlich gegen die deutsche öffentliche Ordnung, auch wenn nach deutschem Recht ein Anscheinsbeweis zulasten des Auffahrenden besteht (vgl. BGH MDR 1964, 314; BGH NJW 1982, 1595, 1596). Zwar mag für eine deutsche Prozesspartei schwer nachvollziehbar sein, dass ein deutsches Gericht die Beweislast bei einem Auffahrunfall diametral anders bewertet, wenn der Unfall in den Niederlanden stattgefunden hat, als wenn die Unfallstelle in Deutschland lag. Dies ist jedoch die natürliche Folge dessen, dass in diesen Fällen das niederländische Recht anzuwenden ist. Dass ausländisches Recht einen Sachverhalt anders regelt als das deutsche Recht, vermag allein aber keinen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung zu begründen. Ein Verstoß gegen Art. 6 EGBGB und dementsprechend gegen Art. 26 Rom-II-VO läge nur dann vor, wenn der Kernbereich der deutschen Rechtsordnung durch die Anwendung der ausländischen Vorschrift verletzt würde (BT-Drs. 10/504, S. 42; Palandt/Thorn, BGB, 68. Aufl. 2009, Art. 6 EGBGB Rn. 4). Dieser Kernbereich ist vorliegend offenkundig nicht betroffen.
c)
Dem Vortrag der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten den Unfall verschuldet hat. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin den Unfall durch ihr Einbiegen auf die Straße verursacht hat. Es ergäben sich keine Erkenntnisse für die tatsächliche Unfallursache, wenn dies nicht unfallursächlich gewesen wäre. Ein Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten ist nicht dargetan. Es liegt kein dem Beweise zugänglicher Vortrag vor, dass er den gebotenen Sicherheitsabstand verletzt oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hätte. Die bloße Behauptung der Klägerin, der Versicherungsnehmer der Beklagten habe „den erforderlichen Sicherheitsabstand“ nicht eingehalten, ist kein ordnungsgemäßer Vortrag, da dies keine Tatsachenbehauptung, sondern eine reine Wertung ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Klägerin sind die Kosten des Rechtsstreits auch insoweit aufzuerlegen, als die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Aus den unter II. dargestellten Gründen war die Klage auch insoweit von vornherein unbegründet.
IV.
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Streitwert: bis zum 07.10.2010: 1.259,78 €,
seither: 300,- €

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