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14.12.2010 · IWW-Abrufnummer 110149

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 11.06.2010 – 6 Sa 747/10

Eine schriftliche Kündigungserklärung, die um 10:15 Uhr in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers geworfen wird, geht diesem noch am selben Tag zu, auch wenn die Post bei ihm üblicherweise schon zwischen 08:00 Uhr und 08:30 Uhr zugestellt wird.


In dem Rechtsstreit

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Kammer 6,

auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2010

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. als Vorsitzenden

sowie die ehrenamtlichen Richter J. und Z.

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18.01.2010 - 19 Ca 18519/09 - dahin geändert, dass festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht vor dem 14.10.2009 aufgelöst worden ist.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat auch die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger stand seit dem 1. April 2009 als Bautechniker in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. In § 1 Abs. 2 seines Anstellungsvertrages (Ablichtung Bl. 7-10 d. A.) war eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart.

Mit Schreiben vom 16. September 2009 (Ablichtung Bl. 13 und 14 d. A.) sprach die Beklagte dem Kläger eine Änderungskündigung zum 31. Januar 2010 aus, der sie mangels ausdrücklicher Zustimmung des Kläger mit Schreiben vom 29. September 2009 (Ablichtung Bl. 10 d. A.) eine Beendigungskündigung zum 13. Oktober 2009 folgen ließ.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die gegen beide Kündigungen und auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger sei die Kündigung am 30. September 2009 um 10:15 Uhr zugegangen, als die erforderliche Wartezeit des Kündigungsschutzprozesses noch nicht abgelaufen gewesen sei. Den zu dieser Zeit erfolgten Einwurf in seinen Briefkasten könne der Kläger nicht wirksam mit Nichtwissen bestreiten, weil ein eigener Briefkasten stets Gegenstand der eigenen Wahrnehmung sei.

Gegen dieses ihm am 4. März 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. April 2010, dem Dienstag nach Ostern, zugestellte und am 3. Mai 2010 begründete Berufung des Klägers. Er verweist darauf, dass er nicht jederzeit eine Wahrnehmung vom Inhalt seines im Hausflur aufgehängten Briefkastens habe, der von ihm am 30. September 2009 auf dem Weg zum Arzt gegen 09:30 Uhr geleert worden sei. Es könne gut sein, dass der Bote der Beklagten das Kündigungsschreiben versehentlich in einen daneben befindlichen Briefkasten geworfen habe, dessen Besitzer ihn erst am Abend oder am Morgen des nächsten Tages in seinen Briefkasten getan habe.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 29. September 2009, zugegangen am 1. Oktober 2009, nicht aufgelöst worden sei,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Änderungskündigung mit Schreiben vom 16. September 2009, zugegangen am 25. September 2009, nicht zum 31. Januar 2010 aufgelöst worden sei, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbestehe,

3. die Beklagte für den Fall des Obsiegens mit den Antrag zu 1. zu verurteilen, ihn ab dem 14. Oktober 2009 zu den bisherigen Bedingungen des Anstellungsvertrages vom 12. März 2009 als Bautechniker mit den Aufgabenbereichen

- brandschutztechnische Beratungen

- Erstellung von brandschutztechnischen Gutachten und Stellungnahmen

- Überprüfung bzw. Abnahme von Brandschutzmaßnahmen

- Beurteilung des Brandverhaltens von Baustoffen

- Arbeiten auf dem Gebiet des Brandschutzes auf Antrag

bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzrechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen, den Kläger am 29. September 2009 telefonisch darauf hingewiesen zu haben, dass mangels einer Antwort auf die Änderungskündigung mit einer ordentlichen Kündigung innerhalb der Probezeit zu rechnen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Gericht hat den Zeugen R. uneidlich vernommen. Wegen des Inhalts des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 11. Juni 2010 (Bl. 95 und 96 d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Die gem. § 222 Abs. 2 ZPO am Dienstag nach Ostern fristgemäß eingelegte und sodann fristgemäß und formgerecht begründete Berufung des Klägers ist nur in geringem Umfang begründet.

1.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 29. September 2009 am 14. Oktober 2009 aufgelöst worden.

1.1.1 Das Kündigungsschreiben vom 29. September 2009 ist am folgenden Tag um 10:15 Uhr in den Briefkasten des Klägers geworfen worden, wie die Beweisaufnahme ergeben hat.

1.1.1.1 Die Beweisaufnahme war erforderlich, weil sich der Kläger gem. § 138 Abs. 4 ZPO zulässigerweise mit Nichtwissen über den Einwurf des Kündigungsschreibens am 30. September 2009 hat erklären können. Dass sein Briefkasten als solcher Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung war, war unerheblich, weil es um dessen Inhalt ging. Die Möglichkeit, davon jederzeit Kenntnis zu nehmen, genügt nicht.

Es konnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger nach 10:15 Uhr noch einmal in seinen Briefkasten geschaut hat. Seine Einlassung, dies wegen der üblicherweise früheren Zustellzeit und der danach bereits auf dem Weg zum Arzt erfolgten Leerung nicht getan zu haben, konnte nicht als unglaubhafte Schutzbehauptung gem. § 138 Abs. 1 ZPO unbeachtet bleiben.

1.1.1.2 Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme stand zur Überzeugung der Kammer fest, dass das Kündigungsschreiben am 30. September 2009 um 10:15 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers geworfen worden ist (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Der hierzu als Zeuge vernommene Bote hat anhand seines Fahrtenbuches bestätigt, an diesem Tag das Kündigungsschreiben im Betrieb der Beklagten abgeholt und sogar zu lesen bekommen zu haben. Er hat auch glaubhaft geschildert, zunächst vergeblich beim Kläger geklingelt, sich dann bei einem anderen Hausbewohner Einlass verschafft und den Brief mit dem Kündigungsschreiben um 10:15 Uhr in den Briefkasten des Klägers geworfen zu haben.

Dass sich der Zeuge nicht mehr an Details, wie etwa die Farbe der Haustür, hat erinnern können, war angesichts einer Vielzahl von Zustellvorgängen bei seiner damaligen beruflichen Tätigkeit nicht überraschend. Dies galt auch für die Frage, ob der Zeuge etwa doch noch an der Wohnungstür des Klägers geklingelt und durch diese Stimmen gehört hatte, wie die Beklagte erstinstanzlich in sein Wissen gestellt hat.

Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen ist nichts hervorgegangen.

1.1.2 Mit seinem Einwurf ist das Kündigungsschreiben dem Kläger noch am selben Tag zugegangen und damit gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam geworden.

Zugegangen ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung dann, wenn sie dergestalt in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Umständen dessen Kenntnisnahme erwartet werden kann. Dies beurteilt sich nach allgemeinen Gepflogenheiten, während es auf eine etwa vorhandene Kenntnis des Erklärenden von konkreten örtlichen oder persönlichen Gegebenheiten des Adressaten nicht ankommt (BAG, Urteil vom 16.03.2008 - 7 AZR 587/87 - BAGE 58, 9 = AP BGB § 130 Nr. 16 zu I 4 a d. Gr.). Deshalb kam es nicht darauf an, wann die Post im Zustellbereich des Klägers üblicherweise ausgeliefert wurde, zumal es im Falle einer Vertretung des jeweiligen Stammzustellers der verschiedenen Dienstleister wegen Urlaubs oder Krankheit ohnehin zu veränderten Zustellzeiten hatte kommen können. Eine per Boten überbrachte Kündigungserklärung geht dem Adressaten erst dann am nächsten Tag zu, wenn das Kündigungsschreiben erhebliche Zeit nach der allgemeinen Postzustellung in seinen Briefkasten geworfen wird (BAG, Urteil vom 08.12.1983 - 2 AZR 337/82 - AP BGB § 130 Nr. 12 zu B. II 2 b d. Gr.). Diese reicht jedoch in Berlin bis weit über die Mittagszeit hinaus.

1.1.3 Da das Arbeitsverhältnis des Klägers bei Zugang der Kündigung noch keine sechs Monate bestanden hatte, bedurfte diese zu ihrer Wirksamkeit keiner sozialen Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 KSchG).

1.1.4 Die Angabe eines auf das Datum des Kündigungsschreibens und nicht dessen Zugang abstellenden und damit falschen Endtermins berührte die Wirksamkeit der Kündigung nicht. Bei einer solchen Angabe handelt es sich regelmäßig nur um eine Wissenserklärung, die einer Auslegung nicht entgegensteht, die Kündigung habe zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen werden sollen (BAG, Urteil vom 15.12.2005 - 2 AZR 148/05 - BAGE 116, 336 = AP KSchG 1969 § 4 Nr. 55 zu B I 2 f ee und ff d. Gr.).

1.1.5 Da am 30. September 2009 die sechsmonatige Probezeit des Klägers noch nicht abgelaufen war, betrug die Kündigungsfrist gem. § 622 Abs. 3 BGB zwei Wochen, endete mithin erst am 14. Oktober 2009. Die in § 8 Abs. 1 des Anstellungsvertrages vereinbarte Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende war nicht maßgebend, weil sie erkennbar erst nach Ablauf der vereinbarten Probezeit eine über die dann geltende gesetzliche Kündigungsfrist hinausgehende Änderung hatte bringen sollen (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2005 - 9 Sa 996/95 - NZA 1996, 1156 zu II 1 d. Gr.). Eine gem. § 305c Abs. 2 oder § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Lasten der Beklagten als Verwender des Vertragsformulars gehende Unklarheit war darin nicht zu sehen.

1.2 Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 14. Oktober 2009 entfiel das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse des Klägers für sein gegen die vorangegangene, aber zu einem späteren Termin ausgesprochene Änderungskündigung, während sein Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ohnehin nur für den Fall des Obsiegens mit dem ersten Kündigungsschutzantrag gestellt gewesen ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

VorschriftenBGB § 130 Abs. 1 S. 1, BGB § 622 Abs. 3, ZPO § 138 Abs. 4

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