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11.11.2010 · IWW-Abrufnummer 103679

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Urteil vom 16.09.2010 – DL 16 S 579/10

1. Die von einem Steuerbeamten in Ausübung seines Amtes und unter Ausnutzung seiner dienstlichen Möglichkeiten begangene Steuerhinterziehung zu Gunsten Dritter kann zu dessen Entfernung aus dem Dienst führen.


2.
Im Disziplinarrecht hängt die Beurteilung der Erheblichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Die Erheblichkeitsschwelle wird bei der Verletzung von ohne Weiteres einsehbaren innerdienstlichen Kernbereichspflichten nur in Ausnahmefällen erreicht sein.


DL 16 S 579/10

In dem förmlichen Disziplinarverfahren
.....
hat der 16. Senat - Disziplinarsenat - des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
auf Grund der Hauptverhandlung vom 16. September 2010
am 16. September 2010
für Recht erkannt:

Tenor:
Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - XXXXXXXXXXXXX - wird zurückgewiesen.

Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe
I.

Die am XXXXXXXXX geborene Beamtin trat nach dem Erwerb der mittleren Reife im XXXXXXX und einem daran anschließenden einjährigen Berufskolleg am XXXXXXXXX unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Steueranwärterin in die Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg ein. Nachdem sie am XXXXXXX die Wiederholung der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst mit der Note "ausreichend" (7,41 Punkte) bestanden hatte, wurde sie am XXXXXXXX unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Steuerassistentin z.A. ernannt und beim Finanzamt XXXXXXXX in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Zum XXXXXXXX wurde sie zum Finanzamt XXXXXXXXXX versetzt, bei dem sie ebenfalls in der Veranlagung eingesetzt wurde. Am XXXXXXXXXX wurde die Beamtin zur Steuerassistentin ernannt, am XXXXXXXXXX wurde sie in die Besoldungsgruppe A 6 (Steuersekretärin) übergeleitet. Am XXXXXXXX wurde die Beamtin an das Finanzamt XXXXXXXX zurückversetzt und weiterhin in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Am XXXXXXXX wurde sie zur Steuerobersekretärin befördert. Am XXXXXXXXX wurde ihr die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Die letzte dienstliche Beurteilung der Beamtin zum Stichtag 01.01.2002 lautete auf das Gesamturteil 5,5 Punkte ("entspricht den Leistungserwartungen").

Die Beamtin ist verheiratet und hat XXXXX Kinder. Sie verfügte im Februar 2004 über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.749,19 EUR, ihr Ehemann als XXXXXXXX über etwa 1.960 EUR. Nach der Dienstenthebung beträgt das Nettoeinkommen der Beamtin ca. 822 EUR.

Mit seit dem 24.09.2005 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts XXXXXXXXXX vom 05.09.2005 - XXXXXXXXXXXXXXXXX - wurde gegen die Beamtin wegen zweier Vergehen der tateinheitlichen Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG, § 52 StGB sowie ein Vergehen der tateinheitlichen Urkundenfälschung sowie Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag im besonders schweren Fall gemäß §§ 267 StGB, 52 StGB, §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beamtin wurde in dem Strafbefehl folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

"Die Angeklagte war Sachbearbeiterin für die Veranlagung von Einkommensteuer für Steuerpflichtige mit den Anfangsbuchstaben "XXXXXXX" beim Finanzamt XXXXXXX. Beim Finanzamt XXXXXXXXX wurde u.a. die Mutter der Angeklagten, XXXXXXXXXXX, veranlagt, die im selben Haus wie die Angeklagte selbst wohnt.

Fälle 1 und 2a

Unter bewusster Ausnutzung ihrer Funktion als Veranlagungsbeamtin gab die Angeklagte aufgrund jeweils neuen Tatentschlusses jeweils höhere als die in den Lohnsteuerkarten vom Arbeitgeber tatsächlich bescheinigten Steuerabzugsbeträge bei der Erfassung und Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen 1998 und 1999 ihrer Mutter an. Wie von der Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, ergaben sich aufgrund der Anrechnung der vermeintlich erhöhten Steuerabzugsbeträge zugunsten XXXXXXXXXXXXXX in 1998 ein ungerechtfertigt hoher Erstattungsbetrag und in 1999 ein Erstattungsbetrag statt einer Nachzahlung auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag. Im einzelnen:

Fall Datum Manipulierter Bescheid Festgesetzte ESt / Soli lt. Bescheid DM Steuerabzug vom Lohn ESt / Soli lt. Bescheid DM Steuerabzug vom Lohn ESt / Soli lt. Prüfung DM Verkürzte ESt / Soli DM Verkürzte ESt / Soli EUR (gerun-det)
1 09.06.00 3872,00 / 40,00 5536,00 / 304,48 4051,00 / 49,51 1485,00 / 254,97 759 / 130
2a 24.01.01 5626,00 / 309,43 8268,00 / 454,74 4167,00 / 38,79 4101,00 / 415,95 2097/ 213

Fall 2 b

Bzgl. des Veranlagungsjahres 1999 änderte die Angeklagte die in den Steuerakten befindliche Lohnsteuerkarte der XXXXXXXXX wie folgt handschriftlich ab, um bei einer Überprüfung der Steuerakten den Eindruck zu erwecken, die höheren Steuerabzugsbeträge seien bereits vom Arbeitgeber eingetragen worden.

1999 Ursprüngliche Bescheini-gung DM Eintragung nach Änderungen der Angeklagten DM
Lohnsteuer 4166,00 8268,00
Kirchenlohnsteuer 333,24 661,44
Soli 38,79 474,74

Fall 3

Zu einem näher nicht mehr aufklärbaren Zeitpunkt ab 22.02.01 erfuhr die Angeklagte durch ein mitangehörtes Telefonat ihres Kollegen, dass die mittels der verfälschten Lohnsteuerkarte fingierten Steuererstattungsbeträge entdeckt waren. Aufgrund neuen Tatentschlusses und wiederum unter Missbrauch ihrer Position beim Finanzamt XXXXXXXXXXX veranlasste sie daher am 06.06.01 die Erstellung eines neuen Bescheids vom 11.06.01, in dem die Steuerabzugsbeträge zwar korrigiert, nunmehr jedoch - positive - Einkünfte aus Vermietung in Höhe von 4046 DM fälschlicherweise als Verlust von 4046 DM ausgewiesen wurden. Dies führte zwar zur Wiedergutmachung der im Fall 2a eingetretenen Einkommensteuerverkürzung, zugleich jedoch zur erneuten Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag zugunsten von XXXXXXXXXXXX wie folgt:

Datum Bescheid ESt / Soli lt. Bescheid DM Festzuset-zende ESt / Soli lt. Prüfung DM Verkürzte ESt / Soli DM Verkürzter Soli DM (EUR)
11.06.01 4068,00 / 79,20 6112,00/ 336,16 2044,00 / 256,92 1042 / 131

Bereits am 13.01.2004 wurde der Beamtin die Führung der Dienstgeschäfte vorläufig verboten. Mit Verfügung vom 11.03.2004, die der Beamtin am 12.03.2004 zugestellt wurde, leitete die Oberfinanzdirektion XXXXXXXXX gegen die Beamtin das förmliche Disziplinarverfahren ein und bestellte eine Untersuchungsführerin und den Vertreter der Einleitungsbehörde. Mit Schreiben vom 01.04.2004 zeigte der frühere bevollmächtigte Rechtsanwalt der Beamtin deren Vertretung im Disziplinarverfahren an.

Mit Verfügung der Oberfinanzdirektion XXXXXXXX vom 06.04.2004 wurde die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben. Zugleich wurde die Einbehaltung der Hälfte ihrer Besoldungsbezüge verfügt.

Mit Verfügung vom 22.04.2004 wurde das förmliche Disziplinarverfahren im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Nach Rechtskraft des Strafbefehls vom 05.09.2005 wurde es fortgeführt.

Den Termin zur Vernehmung gemäß § 55 LDO am 06.03.2006 nahm die Beamtin in Anwesenheit ihres damaligen Bevollmächtigten wahr und führte hinsichtlich ihrer Person unter anderem aus, dass sie sich zur Zeit in psychologischer/psychiatrischer Behandlung befinde; ansonsten lägen keine Krankheiten vor. In der Sache wurde mit Zustimmung der Beamtin und des Vertreters der Einleitungsbehörde der Sachverhalt, so wie er im Strafbefehlsverfahren zu Grunde gelegt wurde, auch im Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Zusätzlich wurde der Beamtin der weitere Vorwurf gemacht, sie habe Arbeitszeiten manipuliert. Die Beamtin gab bei der Vernehmung zur Sache unter anderem an: Sie habe seit 1999 massive Eheprobleme gehabt, da ihr Mann fremd gegangen sei. Es sei ein ständiges Auf und Ab gewesen, bis im Dezember 1999 nochmals ein Versuch gestartet worden sei, die Ehe zu retten. Sie habe damals privat wie auch im Amt keine Ansprechpartner gehabt. Sie habe sich über die Folgen der Taten keine Gedanken gemacht. Auch im Nachhinein könne sie sich die Tat nicht erklären. Es sei wie ein Grauschleier gewesen. Ihre Mutter habe sich nach dem Tod ihres Vaters Sorgen um die finanziellen Verhältnisse gemacht und diese ihr gegenüber geäußert. Aus Mitleid habe sie dann beim Erstellen der Erklärung die Steuerabzugsbeträge entsprechend geändert. Sie habe sich im Herbst 2004 Hilfe beim Hausarzt und im Dezember 2004 bei einer Psychologin geholt. Sie befinde sich seit Dezember 2004 wegen depressiver Verstimmungen in Behandlung und sei es immer noch. Zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Die Beamtin übergab insoweit eine nervenärztliche Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. XXXXXXX - ohne Datum -, in der der Beamtin eine leichte bis mittelgradige depressive Episode bescheinigt wird. Die Beamtin habe sich seit Dezember 2004 in größeren Abständen wegen der Depression vorgestellt. Unter "Zusammenfassung" heißt es in der Bescheinigung:

"Frau XXXXXXX stand in den Jahren 1999 und 2000 unter schwerer seelischer Belastung durch Ehekrise und unerfülltem Kinderwunsch und beschreibt eine depressive Grundstimmung, Angst, Selbstunsicherheit. Im Jahr 2000 kam der plötzliche Tod des Vaters, der der Familie Halt gegeben hatte, so dass die Sorge um ihre Mutter zunahm und sie die finanzielle Situation der Mutter falsch bewertete.

Seit Dezember 2004 kann ich die mittelgradige depressive Störung bestätigen, die bei ihr mit depressiver Grundstimmung, eingeengter affektiver Schwingungsfähigkeit, Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bezügen einhergeht.

Zusammenfassend ist zu überlegen, ob im Rahmen der 1999 und 2000 [sich] bestehenden depressiven Reaktion bei den schweren situativen Belastungen eine in gewisser Beziehung geminderte Schuldfähigkeit bestand, wobei sie wohl das Unrecht der Tat einsah, aber nicht nach dieser Einsicht handeln konnte."

Mit Schreiben vom 17.10.2006 wies die Untersuchungsführerin die Beamtin darauf hin, dass sich aus den beigezogenen Akten ergebe, dass schon bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung 1998 der Eltern im September 1999 (und nicht erst im Rahmen der Abänderung des Einkommensteuerbescheids der Eltern für das Jahr 1998 mit Bescheid vom 09.06.2000) überhöhte Steuerabzugsbeträge berücksichtigt und dadurch Steuern verkürzt worden seien, so dass insoweit der Sachverhalt, wie er im Strafbefehl zu Grunde gelegt worden sei, nach den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgefundenen Unterlagen nicht zutreffend sein könne. Der Sachverhalt werde deshalb insoweit auch nicht dem förmlichen Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Die Vorwürfe wurden daraufhin dahingehend abgeändert, dass der Beamtin nunmehr Steuerhinterziehung in vier rechtlich selbständigen Handlungen zu Gunsten Dritter und im Amt sowie Urkundenfälschung und -unterdrückung und ein Verwahrungsbruch im Amt vorgeworfen wurde.

Mit Schreiben vom 02.03.2007 führte der Verteidiger der Beamtin aus, er habe auf Grund eines ausführlichen Gesprächs feststellen müssen, dass die Beamtin gesundheitlich nicht in der Lage sei, sich einer weiteren Beschuldigtenvernehmung zu stellen. Mit Schreiben vom 12.03.2007 gab der Verteidiger der Beamtin an, diese werde keine Angaben mehr machen, selbst wenn sie gesund wäre. In einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie XXXXXXXX vom 14.05.2007 wird ausgeführt, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Verhandlung durchzustehen.

Mit Schreiben vom 22.11.2007 beantragte der Vertreter der Einleitungsbehörde die Bestellung eines Betreuers für die Beamtin wegen deren Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO. Im Weiteren legte der Verteidiger der Beamtin eine nervenärztliche Bescheinigung von Frau Dr. XXXXXX vom 18.03.2005 vor, in der die Diagnose einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode nach schwerer situativer Belastung gestellt wird. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation, dem schwebenden Verfahren, wobei sich die Beamtin wegen ihrer damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Ihr sei ein mildes Antidepressivum rezeptiert worden. Ein Sachverständigengutachten des Gesundheitsamtes XXXXXXXXXXX, Dr. XXXXX, vom 04.10.2007 an das Amtsgericht XXXXXXXX zur Verhandlungsfähigkeit der Beamtin gelangte zu folgendem Ergebnis:

"Aus physischer Sicht ist Frau XXXXXX fähig, einer Verhandlung von drei Stunden zu folgen. Sehr bedenklich allerdings ist ihre offensichtliche Unfähigkeit, sich zu konzentrieren und bei einer Vernehmung genaue und verlässliche Angaben in ihrem eigenen Interesse zu machen. Dies kann dazu führen, dass sie ohne eigenes Verschulden von ihren Angaben vom März 2006 abweichende Angaben machen wird. Die reaktive Depression verlangsamt und erschwert das Denken und die für eine Vernehmung und Verhandlung erforderliche Flexibilität der Kognition. Insgesamt resultiert das Bild einer kognitiven Insuffizienz wie bei Prüfungsangst. ...

Ob Frau XXXXXXXX bereits im Zeitpunkt der Vorvernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens ebenfalls bereits verhandlungsunfähig gewesen ist, kann der Sachverständige wegen des zeitlichen Ablaufs bis zu der Untersuchung vom 27.09. nicht beurteilen. Die voraussichtliche Dauer der psychogenen kognitiven Insuffizienz dürfte sich auf die Verfahrensdauer erstrecken. .... Aus ärztlicher Sicht ist Frau XXXXXXXX vorübergehend, mindestens jedoch für die verbleibende Verfahrensdauer nicht verhandlungsfähig."

Mit Beschluss vom 18.12.2007 - 1 XVII 127/2007 - wies das Amtsgericht XXXXXXXXX den Antrag auf Bestellung eines Betreuers für die Beamtin zur Wahrnehmung der Rechte im Disziplinarverfahren ab. Zur Begründung hieß es: Die von dem Sachverständigen diagnostizierten Umstände reichten nicht aus, um von vollständiger Verhandlungsunfähigkeit auszugehen. Aus der persönlichen Anhörung der Beamtin vor Gericht werde geschlossen, dass eine Verhandlung mit der Betroffenen zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich sei. Des Weiteren sei die Bestellung eines Betreuers auch nicht erforderlich, da sie einen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt habe.

Mit Schreiben vom 06.03.2008 beantragte der Verteidiger der Beamtin,

das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen.

Es stehe fest, dass die Beamtin schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens erkrankt gewesen sei. Es hätte schon damals einer Betreuerbestellung gemäß § 20 Abs. 2 LDO bedurft.

Am 09.04.2008 fand eine weitere Beschuldigtenvernehmung zu dem erweiterten Untersuchungsgegenstand statt, an der nicht die Beamtin, sondern nur deren Verteidiger teilnahm.

Mit Schreiben vom 30.04.2008 teilte der Vertreter der Einleitungsbehörde mit, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Beamtin krank oder verhandlungsunfähig gewesen sei.

In seiner abschließenden Stellungnahme vom 03.07.2008 machte der Verteidiger der Beamtin geltend: Gemäß § 19 LDO sei der Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts XXXXXXX ergebe, auch dem Disziplinarverfahren zu Grunde zu legen. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es liege zudem ein Verfahrenshindernis vor, da die Beamtin verhandlungsunfähig sei und diese Verhandlungsunfähigkeit bereits zu Beginn des Verfahrens bestanden habe.

In einem zur Dienstfähigkeit der Beamtin eingeholten amtsärztlichen Zeugnis des Landratsamtes XXXXXXXXX, Dr. XXXXXX, vom 21.07.2008 wird unter anderem ausgeführt:

"Die Beamtin hat den Dienst bis heute nicht wieder aufnehmen können, weil die reaktive Depression sich nicht hat bessern können, da ein Abschluss des für die Beamtin belastenden Disziplinarverfahrens nicht eingetreten ist. ... Die Beamtin wird dahingehend beurteilt, dass sie spätestens sechs Monate nach einem für sie positiv ausgehenden Abschluss des Disziplinarverfahrens mindestens hälftig wieder in den Dienst einsteigen kann mit einer Stufung bis zum vollen Dienstumfang um je ein Viertel in Abstand von jeweils zwei Monaten."

Am 03.11.2008 hat der Vertreter der Einleitungsbehörde der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Anschuldigungsschrift vorgelegt, in der der Beamtin vorgeworfen wird:

1.
Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung XXXXX 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.09.1999, freigegeben am 15.09.1999)
2.
Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheides XXXXX 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 09.06.2000, freigegeben am 06.06.2000)
3.
Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung XXXXXX 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 24.01.2001, freigegeben am 19.01.2001)
4.
Urkundenfälschung durch Abänderung der Steuerabzugsbeträge auf der Lohnsteuerkarte 1999 von Frau XXXXXXXXXXXX
5.
Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheids XXXXXX 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 11.06.2001, freigegeben am 06.06.2001)
6.
Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch im Amt durch Verbringen der Veranlagungsakten XXXXX in die Altaktenregistratur und weitere Manipulationshandlungen
7.
Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugunsten Dritter beim Erstellen der Einkommensteuererklärung XXXXXXX 2001
8.
Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst und Manipulation von Arbeitszeiten in der Zeit von Anfang Februar 2003 bis Mitte Mai 2003
9.
Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit bei Amtshandlungen
Durch diese Verstöße habe die Beamtin die Pflichten, ihr Amt uneigennützig und nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten und mit ihrem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordert, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstvorgesetzten fernzubleiben sowie die Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. Die Beamtin habe ein schweres Dienstvergehen begangen, indem sie anderen vorsätzlich und fortgesetzt mit erheblicher krimineller Energie ungerechtfertigte Steuervorteile verschafft habe, obwohl sie öffentliche Aufgaben wahrzunehmen gehabt habe. Sie sei für den öffentlichen Dienst untragbar und ihr Verbleiben im Dienst dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar.

Der Verteidiger der Beamtin hat im Verfahren vor der Disziplinarkammer geltend gemacht: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Die Feststellungen der Ärztin Dr. XXXXXXXXXX würden den Verdacht nahe legen, dass die Beamtin bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung der Beamtin im März 2006 verhandlungsunfähig gewesen sei. Vorsorglich sei weiterhin davon auszugehen, dass gemäß § 19 LDO von dem Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl ergebe, auszugehen sei. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es lägen zudem Milderungsgründe vor: Die Beamtin habe sich zum Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden. Die unklare Situation habe sie in besonders starker Weise belastet. Sie habe deshalb in einem rational nicht nachvollziehbaren Akt versucht, von ihr geliebte Menschen an sich zu binden, ihnen zu helfen und die letztlich wirtschaftlich nicht sehr sinnvollen Manipulationen an den Steuererklärungen ihrer Mutter vorgenommen. Insoweit sei zumindest an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise verschärft. Die reaktive Depression habe sich derart entwickelt, dass die Beamtin nicht mehr verhandlungsfähig sei. Zudem sei ihr Mann wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben. Die Beamtin sei geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein.

Die Beamtin hat in der Hauptverhandlung hilfsweise die Erhebung eines medizinisch-sachverständigen Gutachtens auf neurologisch-psychologischem Gebiet zu ihrer Verhandlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und zu der Frage ihrer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung beantragt.

Mit Urteil vom 04.02.2010 hat die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Beamtin aus dem Dienst entfernt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin sei kein Verfahrenshindernis. Sie sei durch einen Verteidiger vertreten, so dass ihre Rechte ausreichend gewahrt werden könnten. Ein solches Verfahrenshindernis habe auch nicht in der Vergangenheit während des Untersuchungsverfahrens bestanden. Sie befinde sich erst seit September 2004, also nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in ärztlicher Behandlung. Sie sei am 06.03.2006 zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten wären. Auch auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts XXXXXXXXX stehe fest, dass die Beamtin hinreichend verhandlungsfähig gewesen sei. In der Sache legte die Disziplinarkammer ihrer Entscheidung den der Beamtin in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Sachverhalt zu Grunde. Danach habe die Beamtin schuldhaft ein einheitliches Dienstvergehen begangen und gegen ihre Verpflichtungen aus § 73 Satz 2 LBG, § 73 Satz 3 LBG, § 91 LBG sowie gegen §§ 77 Abs. 1 LBG, 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verstoßen. Es bestünden keine Zweifel an der schuldhaften Begehung der fraglichen Verstöße. Die Beamtin sei zum Zeitpunkt der Tatbegehung weder krankgeschrieben gewesen noch habe sie sich in laufender medizinischer Behandlung befunden. Wegen einer Affäre des Ehemannes könne zwar ein psychischer Ausnahmezustand als wahr unterstellt werden, allerdings könne dieser mangels Behandlungsbedürftigkeit nicht von erheblicher Schwere gewesen sein. Die Eheprobleme seien nach der - unklaren - Aussage der Beamtin spätestens Ende 2000 vorüber gewesen, so dass diese Ausnahmesituation bei der Begehung der Taten hinsichtlich der Steuererklärungen 1999, der Steuererklärung XXXXXXXXXXXX, der Verdunklungshandlungen und der Arbeitszeitverstöße keine maßgebliche Rolle mehr habe spielen können. Die Beamtin habe mit ihrem Verhalten gegen die sie treffenden Beamtenpflichten im Kernbereich in besonderer Schwere verstoßen. Sie habe gerade diejenigen Pflichten verletzt, für deren Einhaltung sie durch ihre Tätigkeit zu sorgen gehabt habe. Die Taten hätten sich über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht habe, ihre Manipulationen zu vertuschen. Dies bedeute, dass nur eine Entfernung der Beamtin aus dem Dienst in Frage komme. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge führten zu keiner Beweisaufnahme. Ein Unterhaltsbeitrag sei der Beamtin nicht zu bewilligen, da sie nach ihrer wirtschaftlichen Lage angesichts des Verdienstes ihres Ehemannes nicht der Unterstützung bedürftig sei.

Gegen das am 26.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beamtin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt ihr Verteidiger aus: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin angenommen. Sie leide unter einer reaktiven Depression, die schon im Dezember 2004 bestanden habe. Die Feststellungen in den ärztlichen Bescheinigungen der Frau Dr. XXXXXXXXXX legten zumindest den Verdacht nahe, dass auf Grund der Erkrankung der Beamtin, die ja in engem Zusammenhang mit dem Verfahren stehe, bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung im März 2006 Verhandlungsunfähigkeit bestanden habe. Die Ablehnung der Betreuerbestellung durch das Amtsgericht sei dabei unerheblich. Zum einen habe das Amtsgericht dies damit begründet, dass die Beamtin anwaltlich vertreten sei, zum anderen könne die Verhandlungsunfähigkeit im März 2006 nicht durch die erst später beantragte Bestellung eines Betreuers durch das Amtsgericht XXXXXXXX geheilt werden. Es sei nichts darüber bekannt, ob und inwieweit die Beamtin bei ihrer Vernehmung in der Lage gewesen sei, die Vorgänge für sich richtig einzuordnen. In diesem Zusammenhang erweise es sich als fehlerhaft, dass die Disziplinarkammer den Beweisanträgen nicht stattgegeben habe. Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme seien zu Gunsten der Beamtin zu würdigende Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden. Es sei an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken, nachdem sich die Beamtin im Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden habe. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise stark verschärft. Zudem sei ihr Ehemann, ein XXXXXXXXXXXXX im mittleren Dienst, wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben; ihm drohe eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Eine Entfernung aus dem Dienst würde über das Schicksal der Beamtin selbst hinausreichen und zu psychischen und wirtschaftlichen Folgen für sie selbst und ihren Ehemann führen, die neben der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung in keinem angemessenen Verhältnis zu den vorgeworfenen Dienstvergehen mehr stünden und unter Fürsorgegesichtspunkten vermieden werden müssten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass nach amtsärztlicher Aussage mit einer Wiederherstellung dauernder Dienstfähigkeit der Beamtin ein halbes Jahr nach einem für diese positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens gerechnet werden könne. Die Beamtin sei voll geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer Entfernung aus dem Dienst für die aus zwei psychisch kranken und allenfalls eingeschränkt erwerbsfähigen Beamten bestehende Familie sei zumindest ein Unterhaltsbeitrag festzusetzen.

Die Beamtin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - XXXXXXXXXXXX - zu ändern und das Disziplinarverfahren einzustellen,

hilfsweise

auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen,

weiter hilfsweise

ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen.

Der Vertreter der obersten Dienstbehörde beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin bejaht. Die Beamtin sei durch einen Verteidiger vertreten gewesen, so dass sie ihre Rechte ausreichend habe wahren können. Eine Verhandlungsunfähigkeit sei auch dem amtsärztlichen Attest vom 21.07.2008 nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer reaktiven Depression führe nicht zu einem Verfahrenshindernis. Dieses Thema sei bereits Gegenstand im Beschluss des Amtsgerichts XXXXXXXX gewesen, mit dem ein Antrag auf Bestellung eines Betreuers zurückgewiesen worden sei. Die Diagnose "Leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung" lasse nicht auf eine bestehende Verhandlungsunfähigkeit schließen. Zudem habe sich die Beamtin erst nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in Behandlung begeben. Sie sei am 06.03.2006 vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten seien. Weiterhin sei die Beamtin erst seit dem 01.12.2006 fortlaufend krankgeschrieben. Die vom Gericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei nicht zu beanstanden. Eine Weiterbeschäftigung der Beamtin sei dem Dienstherrn nicht zumutbar. Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen hätten zum totalen Vertrauensverlust des Dienstherrn in die Amtsführung der Beamtin geführt.

Dem Senat liegen die Personal- und Personalnebenakten der Beamtin, die Untersuchungsakten, die Disziplinarakten, die Strafakten des Amtsgerichts XXXXXXX sowie die einschlägigen Akten der Disziplinarkammer vor.

II.

Die zulässige Berufung der Beamtin, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts - Disziplinarkammer - hat keinen Erfolg.

Der Senat hat die Rechtslage nach der Landesdisziplinarordnung in der Fassung vom 25.04.1991 (GBl. S. 227), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.12.1997 (GBl. S. 552) - LDO - zu beurteilen. Zwar ist die LDO nach Art. 27 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts - LDNOG - vom 14.10.2008 (GBl. S. 343) am 22.10.2008 außer Kraft getreten. Doch werden nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 LDNOG förmliche Disziplinarverfahren, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (22.10.2008) der Beamte bereits zur Vernehmung nach § 55 LDO geladen war, bis zu ihrem unanfechtbaren Abschluss nach bisherigem Recht fortgeführt.

1.

Das Disziplinarverfahren ist nicht nach §§ 83 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1, Abs. 3, 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO einzustellen. Nach diesen Vorschriften ist das Disziplinarverfahren einzustellen, wenn es nicht rechtswirksam eingeleitet oder sonst unzulässig ist.

Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn der Beamte bei Zustellung der Einleitungsverfügung im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO verhandlungsunfähig und für ihn ein Betreuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO nicht bestellt war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2001 - 1 D 31.99 -, [...]; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.03.1981 - d.h. 1/81 -). Zwar steht nach § 20 Abs. 1 LDO der Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen, dass der Beamte verhandlungsunfähig ist, doch ist ihm in diesem Fall nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO auf Antrag der Einleitungsbehörde ein Betreuer zu bestellen. Unterbleibt dies im Fall der Verhandlungsunfähigkeit, kann die Einleitungsverfügung an den Beamten nicht wirksam zugestellt werden mit der Folge, dass ein zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führender Mangel im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO vorliegt.

Zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 war die Beamtin allerdings nicht verhandlungsunfähig im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO. Verhandlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Disziplinarverfahrens und der einzelnen Verfahrensvorgänge zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen. Verhandlungsunfähigkeit des Beamten setzt allerdings nicht notwendig die Fähigkeit voraus, selbst Argumentations- und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, weil dies in erster Linie Aufgabe eines Prozessbevollmächtigten ist. Um verhandlungsfähig zu sein, muss der Beamte in jeder Lage des Verfahrens imstande sein, sich zu verteidigen. Dies erfordert sowohl die Fähigkeit, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, als auch diejenige, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären (BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 2 C 80.08 -, BVerwGE 135, 24 m.w.N.). Mithin musste die Beamtin zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung nach ihrer geistigen und seelischen Verfassung in der Lage gewesen sein, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen und sich sachgerecht zu verteidigen, also zumindest einen Verteidiger zu bestellen und diesen für das Disziplinarverfahren zu informieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.03.1989 - d.h. 22/88 -). Für den Senat bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 nicht erfüllt gewesen wären. Für die Beamtin hat sich am 01.04.2004 und somit alsbald nach Zustellung der Einleitungsverfügung ihr ehemaliger Bevollmächtigter Rechtsanwalt XXXXXXXXXX bestellt; im gesamten Verfahren hat die Beamtin auch nicht geltend gemacht, den Inhalt der Einleitungsverfügung nicht verstanden zu haben oder ihren Verteidiger nicht für das Disziplinarverfahren informieren zu können. Aus den dem Senat vorliegenden ärztlichen Attesten ergibt sich nichts anderes. Aus den Attesten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. XXXXXXX sowie den Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 folgt, dass sich die Beamtin (erst) ab Dezember 2004 und damit nach Einleitung des Disziplinarverfahrens in psychotherapeutische Behandlung begab. Im Attest vom 18.03.2005 führt Dr. XXXXXX aus, dass sich die Beamtin drei Mal in ihre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben habe und eine leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung diagnostiziert werden könne. Die Beamtin sei affektiv herabgestimmt mit Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bindungen. Sie wolle sich am liebsten verkriechen, stimmungsmäßig gehe es bei ihr auf und ab. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation (dem schwebenden Verfahren), wobei sich die Beamtin wegen der damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Es sei ihr ein mildes Antidepressivum verschrieben worden. Aus diesen Angaben, der Diagnose und Beschreibung des Krankheitsbildes kann aber nicht einmal ansatzweise gefolgert werden, dass die Beamtin bei Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen oder sich sachgerecht im oben beschriebenen Sinne zu verteidigen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nervenärztlichen Bescheinigung Dr. XXXXXXXX - ohne Datum, nach den Angaben des Verteidigers der Beamtin wohl aus dem Januar 2006 stammend -. In dieser wird unter Nennung der gleichen Diagnose ("Leichte bis mittelgradige depressive Episode") ein gleiches Krankheitsbild gezeichnet und eine mittelgradige depressive Störung seit Dezember 2004 bestätigt. Die weiteren Überlegungen beschäftigen sich lediglich mit Mutmaßungen zu einer "in gewisser Beziehung geminderten Schuldfähigkeit" bei Begehung der der Beamtin vorgeworfenen Taten in den Jahren 1999 und 2000. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie XXXXXXX bescheinigte unter dem 14.05.2007 nur, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Vernehmung durchzustehen. Im amtsärztlichen Attest des Dr. XXXXXXX vom 20.06.2007 wird lediglich davon gesprochen, dass im Dezember 2004 "eine Depression begann", im Sachverständigengutachten des Dr. XXXXXXX vom 04.10.2007 für das Verfahren auf Bestellung eines Betreuers vor dem Amtsgericht XXXXXXXXX wird von einer "reaktiven Depression seit ca. Herbst 2004" gesprochen und weiter ausgeführt, dass der Sachverständige die Frage, ob die Beamtin bereits zum Zeitpunkt der Vernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens verhandlungsunfähig gewesen sei, wegen des zeitlichen Abstandes zur Untersuchung nicht beurteilen könne. Das amtsärztliche Zeugnis des Dr. XXXXXXX vom 21.07.2008 spricht wieder davon, dass die Beamtin seit "Dezember 2004" unter einer reaktiven Depression leide. Im Beschluss des Amtsgerichts XXXXXXXXX vom 18.12.2007 wird in Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigengutachtens des Dr. XXXXXX vom 04.10.2007, der der Ansicht war, dass die reaktive Depression das Denken und die für die Vernehmung und Verhandlung der Beamtin erforderliche Kognition verlangsame und erschwere, ausgeführt, dass das Gericht die Betroffene im Rahmen der persönlichen Anhörung selbst kennengelernt und dabei festgestellt habe, dass zwar Unkonzentriertheit gegeben sei und die Betroffene auch nicht immer vollständig in der Lage gewesen sei, dem Gespräch zu folgen. Bei etwaigen Nachfragen habe sie sich jedoch zumindest für einige Zeit konzentrieren und folgerichtige Antworten geben können. Damit sei eine Verhandlung mit der Beamtin zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich; Verhandlungsunfähigkeit nach der Disziplinarordnung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte, warum dies bei Einleitung des Disziplinarverfahrens zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 anders gewesen sein könnte, sind damit für den Disziplinarsenat nicht ersichtlich.

Entsprechendes gilt für die Vernehmung der Beamtin gemäß § 55 LDO am 06.03.2006, so dass der weiteren Frage, welche rechtlichen Folgen die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin bei dieser Vernehmung bei mangelnder Bestellung eines Betreuers gehabt hätte (vgl. dazu GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band II § 19 BDO RdNr. 7a), nicht weiter nachgegangen werden muss, nachdem ein solcher Mangel des Verfahrens in § 60 LDO nicht ausdrücklich erwähnt ist. Zwar ist zu dem Zeitpunkt der Vernehmung am 06.03.2006 davon auszugehen, dass die Beamtin an einer leichten bis mittelgradigen Depression gelitten hat. Doch sind in den zeitnah erstellten Attesten der sie behandelnden Fachärztin Dr. XXXXXXX keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Diagnose und das mit ihr einhergehende Krankheitsbild zu einer Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin geführt haben. Die Beamtin selbst hat bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 lediglich angegeben, dass sie in psychologischer / psychiatrischer Behandlung sei. Sie habe sich Hilfe beim Hausarzt und später bei der Psychologin geholt, weil es nicht mehr weitergegangen sei; zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtin bei ihrer Vernehmung nicht in der Lage gewesen ist, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, sowie, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären, sind nicht ersichtlich. Ihre Angaben sind schlüssig und lassen auch ohne Weiteres darauf schließen, dass die Beamtin das verstanden hat, was sie gefragt oder was ihr erklärt worden ist. Im gesamten Verfahren haben weder die Beamtin noch ihre Bevollmächtigten geltend gemacht, dass und welche (der) Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 unzutreffend oder unter Einschränkung ihrer Verteidigungsfähigkeit zustande gekommen sind. Erst mit Schreiben vom 02.03.2007 hat der Verteidiger der Beamtin ausgeführt, dass er in einem ausführlichen Gespräch mit der Beamtin habe feststellen müssen, dass diese gesundheitlich derzeit nicht in der Lage sei, sich einer Vernehmung zu stellen. Ihr früherer Bevollmächtigter hatte etwaige Defizite, die zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen könnten, hingegen vor oder bei der Vernehmung der Beamtin am 06.03.2006 nicht geltend gemacht. Die Beamtin hat in der Sache die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit zu erkennen gegeben, dass die Feststellung des Dienstvergehens, die auch auf ihren Angaben bei der Vernehmung vom 06.03.2006 beruhte, nicht zu beanstanden ist und hat zuletzt noch einmal im Berufungsverfahren vortragen lassen, dass sie voll geständig sei und das Unrecht ihrer Taten einsehe. Schließlich ist nochmals darauf abzustellen, dass das Amtsgericht XXXXXXXX in seinem Beschluss vom 18.12.2007 eine Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin nicht hat feststellen können. Auch liegen fortlaufende Krankschreibungen erst seit dem 01.12.2006 vor.

Für die Disziplinarkammer bestand auch kein Anlass, den nicht innerhalb der Äußerungsfrist des § 63 Abs. 2 LDO (vier Wochen nach Zustellung der Anschuldigungsschrift am 07.11.2008) und damit verspätet (§ 64 LDO) gestellten Beweisantrag vom 21.12.2009 zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nachzugehen. Unter den dargelegten Umständen hat sie zu Recht eine weitere Beweisaufnahme zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin auch im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht nicht für erforderlich gehalten (vgl. von Alberti/Gayer/Roskamp, LDO, § 64 LDO RdNr. 4).

2.

In der Sache ist die Berufung der Beamtin - wie sich aus dem Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.03.2010 ergibt - auf das Disziplinarmaß beschränkt. Eine solche Beschränkung hat zur Folge, dass der Senat an die durch die Disziplinarkammer getroffenen Tat- und Schuldfeststellungen sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2006 - 1 D 5.05 -, Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 7; Urteil des Senats vom 10.03.2008 - DL 16 S 5/07 -) gehören zu den bindenden Feststellungen die zum konkreten historischen Vorgang getroffenen Feststellungen, mit denen die Verletzungshandlung in Bezug auf den Tatbestand des angenommenen Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird (etwa zur Frage der Eigennützigkeit, zur Anzahl der Teilakte oder des Zeitpunktes auch des Tatentschlusses) und die Feststellungen zur Form des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Zusätzliche oder abweichende Feststellungen können nur noch getroffen werden, soweit sie sich zu den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen nicht in Widerspruch setzen und ausschließlich für die Bestimmung des Disziplinarmaßes von Bedeutung sind.

Mithin steht infolge der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß für den Disziplinarsenat im Berufungsverfahren bindend fest, dass die Beamtin mit den von der Disziplinarkammer festgestellten Verfehlungen der Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag, der Urkundenfälschung, der Urkundenunterdrückung und des Verwahrungsbruchs im Amt sowie des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst und der Manipulation von Arbeitszeiten schuldhaft die ihr obliegenden Beamtenpflichten aus § 73 Satz 2 LBG (Pflicht, das Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten), § 73 Satz 3 LBG (Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten), § 91 LBG (Pflicht, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstherrn fernzubleiben), § 77 Abs. 1 LBG, § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Pflicht zur Unparteilichkeit) verletzt und damit ein einheitliches Dienstvergehen begangen hat.

Der Senat hat damit nur noch darüber zu entscheiden, ob die von der Disziplinarkammer ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst (§ 11 LDO) gerechtfertigt oder aber, was die Beamtin anstrebt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen ist.

Der Senat teilt die von der Disziplinarkammer getroffene Einschätzung, dass auf Grund des festgestellten - schwerwiegenden - Dienstvergehens die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst unumgänglich ist. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Maßgebend für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist das Eigengewicht der Pflichtverletzung, d.h. die Schwere des Dienstvergehens. Hierfür können bestimmend sein die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung sowie besondere Umstände der Tatbegehung, etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, z.B. der materielle Schaden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252 ). Die gegen einen Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Beschl. vom 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243).

Die hier im Vordergrund des disziplinaren Vorwurfs stehende Steuerhinterziehung, mit der der Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer verkürzt wird, ist im Hinblick auf den dem Staat verursachten Schaden ein schweres Wirtschaftsdelikt. Dies belegt bereits der Strafrahmen. Danach ist Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 1 und 3 AO) bedroht. Ein Beamter, der sich der Steuerhinterziehung schuldig macht, verletzt damit in schwerwiegender Weise die ihm obliegende Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (ebenso BayVGH, Urteil vom 24.09.2008 - 16a D 07.2849 -, [...]). Dabei wirkt sich besonders nachteilig aus, wenn der Beamte sich oder einem Dritten durch strafbares Verhalten unberechtigte Steuervorteile verschafft, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch öffentliche Mittel alimentiert wird. Dies beeinträchtigt in erheblichem Maße sein Ansehen und das Ansehen der Beamtenschaft insgesamt, auf das der Staat in besonderem Maße angewiesen ist, wenn er die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllen will. Über die Ansehensschädigung hinaus führt ein solches Verhalten grundsätzlich auch zu erheblichen Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit des Beamten. Dies gilt in besonderem Maße bei einem Finanzbeamten, dessen Aufgabe es gerade ist, die an den Staat abzuführenden Steuern korrekt festzusetzen und in diesem Zusammenhang auch die Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit und zu einem ordentlichen Erklärungsverhalten anzuhalten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.05.2006 - 21d A 3905/05.O -, ZBR 2006, 420 und vom 07.08.2001 - 15d 4172/00.O -, DÖD 2003, 40 [OVG Nordrhein-Westfalen 07.08.2001 - 15 D 4172/00 0]). Im vorliegenden Fall kommt zu diesen allgemein für die Steuerhinterziehung geltenden Grundsätzen (vgl. dazu auch: Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarrecht, S. 141) noch besonders erschwerend für die Beamtin hinzu, dass sie die Steuerhinterziehung in Ausübung ihres Amtes begangen hat. Denn die Verwaltung - insbesondere die Finanz- und Steuerverwaltung, deren Funktionieren jede öffentliche Aufgabenerfüllung letztlich erst möglich macht (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 13.03.2009 - 7 K 2125/07 -, [...]) - ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Beamten angewiesen, wenn sie ihre Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit sinnvoll und auftragsgerecht erfüllen will. Dabei betrifft die Tat einer Steuerbeamtin, die bei Ausübung ihres Dienstes durch manipulierte Steuererklärungen nicht bestehende Steuererstattungen erwirkt, den Kernbereich ihrer dienstlichen Obliegenheiten. Besonders gravierend tritt hier hinzu, dass die Beamtin die steuerlichen Vorteile zu Gunsten ihrer Mutter unter bewusster Ausnutzung ihrer dienstlichen Aufgaben und Möglichkeiten erwirkt hat. Vollkommen zu Recht hat die Disziplinarkammer dazu noch darauf abgestellt, dass sich die Taten der Beamtin über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen haben, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht hat, ihre Manipulationen zu vertuschen (so durch Manipulation der Grunddaten, Abfangen der Kontrollmitteilung und Beseitigung der Akte). Zudem hat die Beamtin mit der Steuerhinterziehung noch weitere strafbare Urkundsdelikte begangen. All dies führt dazu, dass sich die Beamtin für den Dienst als (Steuer-)Beamtin als untragbar erwiesen hat.

Die von der Beamtin, die an der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren nicht teilgenommen hat, zu ihren Gunsten im Berufungsverfahren vorgetragenen Milderungsgründe rechtfertigen keine andere disziplinarrechtliche Bewertung ihres Handelns.

So ist zunächst nicht der Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation gegeben. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensumstände des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt (BVerwG, Urteil vom 09.05.2001 - 1 D 22.00 -, BVerwGE 114, 240; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - 16 S 3391/08 -). Einen solchen Schock, der zur Begehung des Dienstvergehens der Beamtin geführt haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar mag sich die Beamtin wegen einer schweren Ehekrise und des Todes ihres Vaters durchaus in einer sie schwer belastenden und schwierigen persönlichen Situation befunden haben, die auch Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit gehabt haben könnte. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese das Gewicht einer Notlage gehabt hätte, die das - über einen langen Zeitraum, zum Teil zeitlich auch schon vor dem Tod des Vaters und mit besonderer krimineller Energie begangene - Dienstvergehen im Ansatz in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte. Insbesondere erklären diese Umstände nicht, wieso die Beamtin gegen zentrale und leicht einsehbare Kernpflichten verstoßen und nach Begehung der Steuerhinterziehung zu deren Vertuschung noch weitere kriminelle Handlungen begangen hat. Die mit der beruflichen Situation des Ehemannes der Beamtin hervorgerufenen weiteren Belastungen, auf die die Berufungsbegründung abstellt, traten zudem erst im Jahr 2008 auf und lassen mithin das weit früher begangene Dienstvergehen der Beamtin in keinem milderen Licht erscheinen.

Das Vorbringen der Beamtin, sie habe zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens wegen ihrer Ehekrise Verlassensängste gehabt, wegen derer sie geglaubt habe, ihr nahe stehende verbleibende Personen an sich binden zu müssen, und dies sei dadurch geschehen, dass sie aus einem nicht nachvollziehbaren Entschluss die Festsetzung der Steuer gegen ihre Eltern manipuliert habe, weil sie völlig grundlos befürchtet habe, ihre Eltern gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, kann aus denselben Gründen nicht eine mildere Bewertung des Dienstvergehens nach sich ziehen. Insbesondere vermag der Senat nicht das Vorliegen des Milderungsgrundes einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB zu erkennen, bei dem nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls unter den Bemessungsvorgaben des Bundesdisziplinargesetzes die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25.03.2010 - 2 C 83.08 -, [...]).

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die hier relevante Frage der Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Disziplinargerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und

Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab und wird die Schwelle der Erheblichkeit damit bei der Verletzung von ohne Weiteres einsehbaren innerdienstlichen Kernbereichspflichten nur in Ausnahmefällen erreicht sein (vgl. für Zugriffsdelikte: BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 2 C 59.07 -, Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3; Beschluss vom 27.10.2008 - 2 B 48.08 -, [...]; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - DB 16 S 3391/08 -).

Der Senat vermag keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass ein solcher Ausnahmefall für die Beamtin zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens gegeben war. In keinem der im Verlauf des Disziplinarverfahrens vorgelegten Atteste wird für den Zeitpunkt des Dienstvergehens eine psychische Erkrankung beschrieben, die den Krankheitsgrad einer Psychopathie, Neurose, Triebstörung, der leichteren Form des Schwachsinns, einer altersbedingten Persönlichkeitsveränderung, eines Affektzustandes oder der Folgeerscheinung einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten erreicht. Im Attest der die Beamtin behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. XXXXXX - ohne Datum - wird eine depressive Reaktion bei schwerer situativer Belastung genannt und es lediglich als überlegenswert bezeichnet, ob bei der Beamtin zum damaligen Zeitpunkt eine "in gewisser" und damit gerade nicht in erheblicher Weise geminderte Schuldfähigkeit bestand. Das in dem ärztlichen Attest beschriebene Krankheitsbild einer depressiven Reaktion erreicht angesichts der leicht einsehbaren Kernbereichspflicht, die die Beamtin einzuhalten hatte, die Erheblichkeitsschwelle nicht. Bei depressiven Episoden auch schweren Grades, einschließlich der depressiven Reaktion, leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Es kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit (krankhafte Unruhe, bei der es zu heftigen und hastigen Bewegungen des Patienten kommt), Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust (ICD 10 GM 2010, F. 32). Dies spricht aber gegen eine erhöhte Neigung zu delinquentem Handeln.

Insoweit bestand auch hier für die Disziplinarkammer kein Anlass, dem ebenfalls verspätet gestellten Beweisantrag zur Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Begehung der Dienstvergehen nachzugehen.

Damit vermag der Senat - ebenso wie die Disziplinarkammer - unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, auch der langjährigen dienstlichen Unbescholtenheit der Beamtin, ihrer ordentlichen dienstlichen Beurteilungen, ihrer Einsicht in das Unrecht ihres Tuns sowie ihrer schwierigen persönlichen und familiären Situation zum Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht zu erkennen, dass die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für den eingetretenen Vertrauensverlust durch vorrangig zu berücksichtigende und durchgreifende Entlastungsgründe entfallen ist und die Beamtin gegenüber ihrem Dienstherrn noch ein Restvertrauen für sich in Anspruch nehmen könnte. Die weiter von der Beamtin noch zu ihren Gunsten hervorgehobene und absehbare Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit nach einem für sie positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens ist für die Frage, ob der Dienstherr ihr noch ein Restvertrauen entgegenbringen kann, ohne ausschlaggebende Bedeutung. Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Beamtin und ihrem Dienstherrn zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion. Die hierin liegende Härte ist für die Beamtin - auch unter familiären Gesichtspunkten, insbesondere dem Umstand, dass die Dienstfähigkeit ihres als XXXXXXXXXXXX tätigen Ehemannes in Frage stehen könnte - nicht unverhältnismäßig, da sie auf zurechenbarem Verhalten beruht.

3.

Der Senat sieht keinen Anlass, auf den weiter hilfsweise gestellten Antrag der Beamtin die Entscheidung der Disziplinarkammer über die Versagung eines Unterhaltsbeitrags nach § 75 Abs. 1 LDO zu ändern. Die Beamtin ist zwar einer solchen Unterstützung nicht unwürdig, derzeit jedoch nicht bedürftig (§ 75 Abs. 1 Satz 1 LDO). Mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags soll dem aus dem Dienst entfernten Beamten der Übergang in einen anderen Beruf oder, sofern dies wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, in eine andere Art der gesetzlichen Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsversorgung erleichtert werden. Dieser Zweck des Unterhaltsbeitrags, den aus dem Dienst entfernten Beamten und dessen Familie für eine Übergangszeit vor einer finanziellen Notlage zu schützen, wobei sich der anzuerkennende Bedarf vor allem nach den aktuellen Regelsätzen, Wohnungskosten (die Beamtin lebt allerdings mietfrei in der Wohnung ihrer Mutter, wie ihr Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Senat noch einmal bestätigte) und einem Zuschlag für den Krankenversicherungsbeitrag bestimmt, ist hier bereits durch die Bezüge des Ehemannes der Beamtin (zur Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Beamten vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.1996 - 1 D 67.96 -, Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 3; Urteil vom 18.03.1998 - 1 D 88.97 -, BVerwGE 113, 208; von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8; Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl., § 10 BDG RdNr. 8) in Höhe von 1.960 EUR netto monatlich sichergestellt. Dass die Bezüge des Ehemannes in absehbarer Zeit durch dessen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geringer ausfallen werden, ist derzeit nicht hinreichend absehbar (vgl. dazu von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8). Der Verteidiger der Beamtin gab in der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren an, dass sich der Ehemann der Beamtin auf Weisung seines Dienstherrn zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in teilstationäre Behandlung begeben habe und ein förmliches Verfahren der Zurruhesetzung nicht eingeleitet sei.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 112 Abs. 2 Satz 1 LDO.

Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 88 LDO).

RechtsgebieteAO, LBG, LDO, StGBVorschriften§ 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO § 73 S. 2, 3 LBG § 77 Abs. 1 LBG § 91 LBG § 11 LDO § 20 Abs. 1 LDO § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO § 55 LDO § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LDO § 63 Abs. 2 LDO § 74 Abs. 1 LDO § 74 Abs. 3 LDO § 83 Abs. 1 Nr. 2 LDO § 20 StGB § 21 StGB

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