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08.03.2011 · IWW-Abrufnummer 103574

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 13.08.2010 – 20 U 22/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


20 U 22/09

Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. Januar 2009 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 539/07 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 4. Mai 2005 nicht wirksam den Versicherungsschutz entzogen hat und aufgrund des bestehenden Versicherungsverhältnisses verpflichtet ist, ihr Versicherungsschutz für den geltend gemachten Schaden der Frau B. G., geboren am 16. August 1966, aufgrund des Geburtsschadens ihres Sohnes H. G., geboren am 31. Oktober 2003, zu gewähren.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

Die Klägerin ist praktizierende Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Sie unterhält bei der Beklagten eine Berufs- und Betriebshaftpflichtversicherung, auf die u.a. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) Anwendung finden. Im Jahr 2003 betreute die Klägerin ihre Patientin B. G., die als Risikopatientin eingestuft war, während ihrer Schwangerschaft. Am Vormittag des 31. Oktober 2003 führte die Klägerin bei Frau G. ein ambulante CTG-Kontrolle durch. Im Hinblick auf das Ergebnis der Kontrolluntersuchung suchte Frau G. am gleichen Nachmittag die Universitätsklinik C. auf. Nach Auswertung eines dort geschriebenen CTG wurde gegen 18:00 Uhr eine eilige Kaiserschnittentbindung angeordnet; der Sohn H. wurde um 20:08 Uhr geboren. Bei dem Kind, das zunächst von der Klägerin noch weiterhin ambulant behandelt worden ist, wurden erhebliche neurologische Behinderungen (vor allem eine schwere psychomotorische Retardierung bei spastischer Cerebralparese) festgestellt.

Im November 2004 forderte der von Frau G. zur Prüfung etwaiger Behandlungsfehler beauftragte Rechtsanwalt Dr. V. bei der Klägerin die Behandlungsunterlagen an. Nachdem der Anwalt Mitte Januar 2005 die Bitte um Übersendung der Unterlagen wiederholt hatte, setzte die Klägerin sich mit der Beklagten in Verbindung. Dieser überließ sie Anfang Februar 2005 das Anwaltsschreiben, die Behandlungsunterlagen sowie einen handschriftlich verfassten Überblick über den Behandlungsverlauf und die Geschehnisse am 31. Oktober 2003 (GA 35/36 d.A.). Die von der Beklagten beauftragte Firma D. wandte sich mit Schreiben vom 7. Februar 2005 an die Klägerin. Sie wies darauf hin, dass sie zur Prüfung der Haftungsfrage eine interne medizinische Prüfung veranlasst habe, und richtete an die Klägerin folgende Fragen:

1.

War das CTG am 31. Oktober 2005 - aus der allein maßgeblichen Sicht ex ante - so pathologisch, dass eigentlich eine sofortige Krankenhauseinweisung angezeigt gewesen wäre? (eine Kopie dieses CTG's liegt bei)

2.

Hätte eine um einige (wie viele?) Stunden frühere Krankenhauseinweisung den weiteren Verlauf zu verändern vermocht?

3.

Worauf ist die Behinderung des Kindes zurückzuführen?

Mit Schreiben vom 24. Februar 2005 stellte die D. folgende weitere Fragen an die Klägerin:

1.

Bitte schildern Sie uns die Abläufe des 31. Oktober 2003 so minutiös wie möglich.

2.

Was genau haben Sie der Patientin mitgeteilt; welche Vereinbarungen wurden mit ihr getroffen?

3.

Haben Sie eine Einweisung ausgestellt? Bitte senden Sie uns gegebenenfalls eine Kopie.

4.

Haben Sie der Patientin eine Kopie des CTG's mitgegeben?

5.

Wissen Sie, wann die Krankenhausaufnahme erfolgt ist? Falls nein, wollen Sie dies bitte in der Klinik erfragen.

6.

Sehen Sie eine Möglichkeit, weitere Unterlagen aus der Entbindungsklinik zu erhalten?

7.

Können Sie sich erklären, warum keine primäre Sectio durchgeführt wurde?

Mit Schreiben vom 14. März 2005, vom 30. März 2005 und vom 14. April 2005 erinnerte D. an die Beantwortung der Fragen und erklärte, nachdem die Klägerin nicht reagiert hatte, mit Schreiben vom 4. Mai 2005, dass von dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 6 AHB Gebrauch gemacht werde. Die Klägerin beantwortete die mit Schreiben vom 24. Februar 2005 gestellten Fragen schließlich mit Anwaltsschreiben vom 22. November 2005 (GA 51 ff.). Die Beklagte hielt in der Folgekorrespondenz an der Leistungsverweigerung fest, verzichtete allerdings bis 31. Dezember 2007 auf die Einhaltung der Frist nach § 12 Abs. 3 VVG a.F.

Rechtsanwalt Dr. V. machte im September 2007 für Frau G. Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Klägerin sowie die Universitätsklinik C. geltend. Der Klägerin wurde im wesentlichen als behandlungsfehlerhaft zur Last gelegt, nicht erkannt zu haben, dass das von ihr geschriebene CTG hochpathologisch gewesen sei, so dass die sofortige Einweisung der Frau G. in die Universitätsklinik zur Durchführung eines Kaiserschnitts anzuordnen gewesen wäre.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nicht leistungsfrei geworden. Sie hat darauf hingewiesen, dass sie der Beklagten im Februar 2005 die Behandlungsunterlagen überlassen und den Geschehensablauf schriftlich dargestellt habe. Dass sie die konkret an sie gerichteten Fragen zunächst nicht beantwortet habe, beruhe jedenfalls weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit Ihr sei die rechtzeitige Beantwortung aufgrund beruflicher Überbelastung, privater Sorgen und gesundheitlicher Probleme nicht möglich gewesen. Zudem habe sie selbst nicht alle Informationen zur Beantwortung der Fragen gehabt, sondern habe Nachforschungen in der Universitäts-Frauenklinik durchführen müssen. Der Beklagten sei durch die verspätete Beantwortung der Fragen auch kein Schaden entstanden. Bis zur Beantwortung mit Schreiben vom 22. November 2005 seien von Frau G. noch keine Ansprüche geltend gemacht worden.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte ihr mit Schreiben vom 4. Mai 2005 nicht wirksam den Versicherungsschutz entzogen hat und aufgrund des bestehenden Versicherungsverhältnisses verpflichtet ist, ihr Versicherungsschutz für den geltend gemachten Schaden der Frau B. G., geboren am 16. August 1966, aufgrund des Geburtsschadens ihres Sohnes H. G., geboren am 31. Oktober 2003, zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung nach § 5 Nr. 3 AHB berufen. Durch die übersandten handschriftlichen Notizen habe die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht genügt. Das habe der Klägerin auch klar sein müssen, weil sie, die Beklagte, weitere Fragen gestellt und deren Beantwortung mehrmals angemahnt habe.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2009, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlich gestellten Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.

Die Klägerin hält das Urteil für eine Überraschungsentscheidung. Weder habe das Landgericht zuvor darauf hingewiesen, dass es von einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung ausgehe, noch sei darauf hingewiesen worden, dass eine Einschränkung der völligen Leistungsfreiheit des Versicherers über den Grundsatz von Treu und Glauben nicht in Betracht komme. In der Sache meint die Klägerin weiterhin, sie habe alles Erforderliche unternommen, indem sie die Beklagte durch die Übersendung der Behandlungsunterlagen sowie der handschriftlichen Notizen über den Sachverhalt informiert habe. Sie habe damit ihre Bereitschaft zum Zusammenwirken mit der Beklagten gezeigt. Eine weitere Beantwortung der ihr später konkret gestellten Fragen sei ihr schon deshalb nicht detaillierter möglich gewesen, weil der Vorgang schon weit über ein Jahr zurückgelegen habe. Eine weitere "minutiöse" Schilderung, wie die Beklagte sie verlangt habe, habe sie nicht leisten können. Die Abläufe des 31. Oktober 2003 habe sie mit der Notiz so wiedergegeben, wie sie sie noch in Erinnerung gehabt habe. Auch die Frage, was genau sie der Patientin mitgeteilt habe, sei in der Notiz beantwortet. Eine Einweisung in die Klinik sei nicht erfolgt; diese sei auch nicht nötig gewesen, da die Patientin auch bereits Patientin der Universitäts-Frauenklinik gewesen sei. Die Frage danach, ob der Patientin eine Kopie des CTG mitgegeben worden sei, habe sie deshalb nicht beantwortet, weil sie insoweit keine Erinnerung mehr gehabt habe. Die weiteren Fragen würden sich auf den Krankenhausaufenthalt der Patientin beziehen. Hierzu habe sie aus eigener Kenntnis nichts sagen können.

Jedenfalls habe sie nicht vorsätzlich gehandelt. Sie habe die Beklagte unverzüglich unterrichtet. Weitere Informationen habe sie auch erst nach monatelangen Recherchen von der Klinik erhalten. Überdies sei sie mit ihrer Arbeit überlastet gewesen. Sie sei täglich lange in ihrer Praxis gewesen, habe außerdem private und gesundheitliche Probleme gehabt. Sie habe sich im übrigen in einem Irrtum befunden, weil sie geglaubt habe, der Beklagten schon alle nötigen Informationen erteilt zu haben. Einer Leistungsfreiheit der Beklagten stehe jedenfalls entgegen, dass ihr durch die verspätete Beantwortung der Fragen kein Nachteil entstanden sei. Selbst bei vorsätzlichem Handeln fehle es an der generellen Eignung, die Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden; auch sei ihr kein erhebliches Verschulden zur Last zu legen.

Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil..

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.

Die Beklagte hat der Klägerin Deckungsschutz aus der Berufshaftpflichtversicherung für den streitgegenständlichen Schadensfall zu gewähren. Sie ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin gemäß § 6 Satz 1 AHB von der Leistungspflicht frei geworden.

Nach § 5 Nr. 3 AHB hat ein Versicherungsnehmer alles zu tun, was zur Klarstellung des Schadenfalls dient, und er hat den Versicherer "bei der Abwehr des Schadens sowie bei der Schadensermittlung und -regulierung zu unterstützen, ihm ausführliche und wahrheitsgemäße Schadensberichte zu erstatten, alle Tatumstände, welche auf den Schadensfall Bezug haben, mitzuteilen und alle nach Ansicht des Versicherers für die Beurteilung des Schadensfalls erheblichen Schriftstücke einzusenden."

Der Inhalt dieser weit gefassten Aufklärungsobliegenheiten bemisst sich nach Treu und Glauben unter Abwägung der beiderseitigen Interessen (vgl. Späte, AHB, § 5, Rn. 25). Grundsätzlich bezieht sich die Aufklärungspflicht auf alles, was der Aufklärung des Sachverhalts dienlich sein kann. Wie weit die Aufklärungspflicht geht, ist im jeweiligen Einzelfall festzustellen (Späte aaO). Die Mitteilungspflicht beschränkt sich allerdings grundsätzlich auf , die der Sachaufklärung dienen. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 5 Nr. 3 AHB, wenn dort von "Schadensberichten" und von der Mitteilung von "Tatumständen" die Rede ist. Der Bundesgerichtshof hat es allerdings auch für zulässig gehalten, dass dem Versicherungsnehmer Fragen gestellt werden, deren Beantwortung von ihm eine Wertung fordert (vgl. BGH, VersR 1964, 475 [BGH 27.02.1964 - II ZR 65/61] und VersR 1965, 654 [BGH 06.05.1965 - II ZR 133/63]). Das bedeutet allerdings nach Auffassung des Senats nicht, dass der Versicherer vom Versicherungsnehmer auch die Beantwortung solcher Fragen beanspruchen kann, die ihm eine fachspezifische Bewertung eines tatsächlichen Geschehens abverlangen, wie sie in einem Rechtsstreit typischerweise ein Sachverständiger zu leisten hat. Das lässt sich aus § 5 Nr. 3 AHB nicht herleiten. Der Versicherungsnehmer darf die dort aufgeführten Mitwirkungspflichten so verstehen, dass er gehalten ist, dem Haftpflichtversicherer eine breite Tatsachengrundlage zum Schadensfall zu vermitteln, damit dieser in den Stand versetzt wird, eine etwaige Haftung zu prüfen, wobei es Sache des Versicherers ist, sich insoweit - falls erforderlich - gutachterlich beraten zu lassen. Das hat auch dann zu gelten, wenn der Versicherungsnehmer entsprechende Fachkenntnisse besitzt. Auch dann ist er in seiner Eigenschaft als Versicherungsnehmer betroffen und nicht gehalten, fachliche Wertungen abzugeben, die ohnehin mit Rücksicht darauf, dass der Versicherungsnehmer in den Schadensfall involviert ist, von geringer Aussagekraft wären. Soweit es - wie auch hier - um medizinische Wertungen geht, die einem Sachverständigen vorbehalten sind,, entspricht es demgemäß obergerichtlicher Rechtsprechung, dass insoweit keine sanktionsbewehrte Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Mitwirkung besteht, selbst wenn dieser medizinisch vorgebildet ist (OLG Frankfurt, OLGR 2009, 943 und NVersZ1999, 230; KG VersR 1986, 353, 355; Lücke in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Nr. 25 AHB 2008, Rn. 14 a.E.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall festzuhalten, dass die Beklagte der Klägerin eine Vielzahl von Fragen gestellt hat, die nicht unter die Aufklärungspflicht nach § 5 Nr. 3 AHB fallen, und dass die Klägerin durch Übersendung der Behandlungsunterlagen und Mitteilung des wesentlichen Geschehensablaufs am 31. Oktober 2005 die Beklagte im Kern über den Schadensfall unterrichtet hatte. Soweit danach noch ein berechtigtes Nachfrageinteresse der Beklagten bestand, war die verspätete Beantwortung jedenfalls nicht geeignet, die Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden, und der Klägerin ist auch kein erhebliches Verschulden zur Last zu legen. Im Einzelnen:

Sämtliche 3 Fragen im Schreiben der D. vom 7. Februar 2005 verlangten der Klägerin medizinische Wertungen ab. Zulässig wäre alleine die Frage gewesen, wie die Klägerin das von ihr am 31. Oktober 2008 erstellte CTG tatsächlich interpretiert hatte. Das aber hatte die Klägerin schon mit ihren der Beklagten überlassenen handschriftlichen Notizen beantwortet (das Kind sei auffallend ruhig gewesen). Die Frage 1) zielte indes von vornherein nicht darauf ab, eine Antwort auf jene - zulässige - Frage zu erhalten, sondern die Klägerin wurde aufgefordert, das CTG neu zu bewerten und sich zu der (haftungsbegründenden) Problematik zu äußern, ob eine andere als die tatsächlich erfolgte Bewertung des CTG zutreffend gewesen wäre. Das ist eine Fragestellung, wie sie in einem Arzthaftungsprozess einem neutralen Sachverständigen vorzubehalten wäre. Zu klären, wie das CTG nach fachmedizinischem Standard korrekt zu interpretieren gewesen wäre, ist nicht mehr Gegenstand der Mitwirkungspflichten der Klägerin nach § 5 Nr. 3 AHB. Gleiches gilt für die Fragen 2) und 3) des Schreibens vom 7. Februar 2005, die der Klägerin schwierige medizinische Bewertungen abverlangte und deren Beantwortung selbst in Arzthaftungsprozessen mit gutachterlicher Beteiligung häufig nicht mit letzter Sicherheit möglich ist.

Die Fragen 1) und 2) aus dem Schreiben vom 24. Februar 2005 hatte die Klägerin bereits mit den der Beklagten überlassenen handschriftlichen Notizen beantwortet. Wenn der Beklagten dies nicht reichte, dann hätte sie der Klägerin klar vorgeben müssen, auf welche weiteren tatsächlichen Details sie Wert legte. Mit der Formulierung, die Klägerin möge die Abläufe des 31. Oktober 2003 "so minutiös wie möglich" schildern, lässt sich ohne Erläuterung wenig anfangen. Den Ablauf am 31. Oktober 2003 hatte die Klägerin im wesentlichen mitgeteilt - dies reichte grundsätzlich auch aus, denn es ging in tatsächlicher Hinsicht alleine darum, wie die Klägerin das CTG bewertet und welche tatsächliche Folgerung sie aus dieser Bewertung gezogen hatte. Wie die Klägerin das Ergebnis des CTG eingeschätzt hatte, hatte sie angegeben. Was sie daraufhin der Patientin geraten hat (Frage 2 des Schreibens), hat sie ebenfalls geschildert (es sei eine erneute Kontrolle in der Uni-Frauenklinik erforderlich). Sie hatte ferner eingeräumt, sich dahin Vorwürfe zu machen, dass sie die Patientin nicht unmittelbar in die Klinik geschickt habe. Damit war der Beklagten eine ausreichende Tatsachengrundlage vermittelt. Weiteren Fragebedarf hätte sie konkret anmelden müssen.

Die Frage 3 nach der Ausstellung einer Einweisung in die Universitätsklinik war durch die handschriftlichen Notizen nicht ausdrücklich beantwortet. Insoweit mag die nicht zeitgerechte Beantwortung eine Obliegenheitsverletzung darstellen. Diese wiegt aber nicht schwer, zumal nicht recht ersichtlich ist, welches konkrete Interesse die Beklagte an der Beantwortung dieser Frage hatte. Entscheidend ging es darum, ob der Patientin geraten wurde, sich sofort (sei es mit, sei es ohne Einweisung) in die Klinik zu begeben. Dass dies nicht geschehen war, hatte die Klägerin in ihren handschriftlichen Aufzeichnungen zugestanden.

Auch die nicht fristgerechte Beantwortung der Frage 4 danach, ob die Klägerin der Patientin das CTG mitgegeben hat, mag eine Obliegenheitsverletzung begründen. Aber auch hier gilt, dass sich der Sinn der Frage nicht recht erschließt. Auch wenn die Klägerin der Patientin das CTG mitgegeben hätte, änderte dies nichts daran, dass sie es möglicherweise versäumt hatte, ihr zu raten, sich sogleich in die Klinik zu begeben. Im übrigen ist, als Frau G. sich in die Klinik begeben hat, dort sogleich ein neues CTG geschrieben worden.

Die Frage danach, wann die Krankenhausaufnahme erfolgt ist (Frage 5), war unzulässig. weil die Klägerin sie ohne eine Erkundigung in der Klinik nicht zuverlässig beantworten konnte. Zu einer solchen Erkundigung war sie nicht verpflichtet. Abgesehen davon, dass es der Beklagten ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, dies selbst bei der Klinik zu erfragen, ist ein Versicherungsnehmer im Rahmen der Mitwirkungsobliegenheit grundsätzlich nicht gehalten, Erkundigungen bei Dritten einzuholen. Ausnahmen bestehen, soweit zwischen Versicherungsnehmer und Drittem eine Rechtsbeziehung besteht (Verwandtschaft, Vertrag). Bestehen solche rechtlichen Verbindungen nicht, muss der Versicherungsnehmer sich nicht bei Dritten erkundigen (vgl. Lücke in: Prölss/Martin, aaO, Rn. 19).

Gleiches gilt für die Frage 6, mit der die Klägerin dazu Auskunft geben sollte, wie man an weitere Unterlagen aus der Klinik gelangen könne. Die Klägerin war insoweit nicht gehalten, sich ihrerseits zu bemühen, solche Unterlagen für die Beklagte zu beschaffen, zumal dies ohne eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht auch rechtlich nicht möglich gewesen wäre. Wenn die Beklagte an jenen Unterlagen interessiert war, war es ihre Sache, sich diese zu besorgen.

Unzulässig war auch die Frage 7 danach, ob die Klägerin sich "erklären könne", warum keine primäre sectio (also ein im voraus abgesprochener Kaiserschnitt) geplant gewesen sei. Soweit damit eine unterlassene Planung der Universitätsklinik gemeint gewesen sein sollte, war die Frage nicht zulässig, weil der Klägerin damit eine Bewertung des Vorgehens Dritter abverlangt worden wäre. Ob die Beklagte damit auch ansprechen wollte, dass die Klägerin mit der Patientin eine primäre sectio hätte erörtern müssen, hat sie nicht ausdrücklich klargestellt. Im übrigen wäre auch die Relevanz einer solchen Frage nicht ersichtlich, denn selbst wenn eine primäre sectio abgesprochen gewesen wäre, wäre eine solche Absprache hinfällig, wenn nach hochpathologischem CTG eine sofortige Schnittentbindung indiziert war.

Im Ergebnis bedeutet dies: Die Beklagte hatte mehrere unzulässige Fragen gestellt, mehrere Fragen waren beantwortet, einige Fragen waren letztlich unerheblich. Einige wenige, eher nebensächliche Fragen hat die Klägerin nicht fristgerecht beantwortet. Bei der erforderlichen Gesamtbewertung führt dies selbst dann, wenn man der Klägerin insoweit Vorsatz unterstellt, nicht zu einer Leistungsfreiheit der Beklagten. Die Obliegenheitsverletzung ist folgenlos geblieben; es ist nicht ersichtlich, dass die verspätete Beantwortung der zulässig gestellten und noch nicht ausreichend beantworteten Fragen irgendeinen nachteiligen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls gehabt hat. Dann aber käme nach der Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Leistungsfreiheit nur dann in Betracht, wenn die konkrete Obliegenheitsverletzung generell geeignet wäre, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, und wenn den Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden treffen würde. Schon eine ernsthafte Interessengefährdung kann hier angesichts des Umstandes, dass die Klägerin um Aufklärung bemüht war und nur eher nebensächliche, zulässig gestellte Fragen nicht zeitgerecht beantwortet hat, nicht angenommen werden. Darüber hinaus fehlt es unter Berücksichtigung der aufgezeigten Umstände an einem erheblichen Verschulden der Klägerin. Anders als in dem Fall, der der Entscheidung des OLG München (VersR 1980, 570 [OLG München 30.11.1979 - 19 U 2334/79]) zugrunde lag - dort hatte der Versicherungsnehmer jegliche Mitarbeit verweigert -, hat die Klägerin zur Sachaufklärung beigetragen. Die Beklagte war über die wesentlichen Punkte, zu denen sie ein berechtigtes Aufklärungsinteresse hatte, informiert.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 534.400,- €

RechtsgebietAHBVorschriften§ 5 Nr. 3 AHB § 6 S. 1 AHB

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