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03.11.2010 · IWW-Abrufnummer 103497

Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 07.10.2010 – C-224/09

Art. 3 der Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) ist wie folgt auszulegen:



- Abs. 1 dieses Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die im Fall einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen, und auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, den Bauherrn oder Bauleiter von der Pflicht befreit, während der Vorbereitungsphase des Bauprojekts oder jedenfalls vor der Ausführung der Arbeiten einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator zu bestellen;



- Abs. 2 desselben Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die die Pflicht des Koordinators für die Ausführungsphase des Bauwerks, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, auf den Fall beschränkt, dass auf einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, für die keine Baugenehmigung erforderlich ist, mehrere Unternehmen tätig sind, und die als Kriterium für das Bestehen dieser Pflicht nicht auf die besonderen Gefahren, wie in Anhang II der genannten Richtlinie aufgeführt, abstellt.


In der Rechtssache C-224/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale di Bolzano (Italien) mit Entscheidung vom 2. Februar 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 2009, in dem Strafverfahren
Martha Nussbaumer
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Levits sowie der Richter J.-J. Kasel (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Arena, avvocato dello Stato,
- Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. Collins, SC,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch A. Howard, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Rozet und L. Pignataro-Nolin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Tenor:
Art. 3 der Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) ist wie folgt auszulegen:
- Abs. 1 dieses Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die im Fall einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen, und auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, den Bauherrn oder Bauleiter von der Pflicht befreit, während der Vorbereitungsphase des Bauprojekts oder jedenfalls vor der Ausführung der Arbeiten einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator zu bestellen;
- Abs. 2 desselben Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die die Pflicht des Koordinators für die Ausführungsphase des Bauwerks, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, auf den Fall beschränkt, dass auf einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, für die keine Baugenehmigung erforderlich ist, mehrere Unternehmen tätig sind, und die als Kriterium für das Bestehen dieser Pflicht nicht auf die besonderen Gefahren, wie in Anhang II der genannten Richtlinie aufgeführt, abstellt.
Entscheidungsgründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 245, S. 6).
1
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Frau Nussbaumer, der zur Last gelegt wird, gegen die dem Bauherrn oder Bauleiter obliegenden Pflichten hinsichtlich der Sicherheit auf zeitlich begrenzten oder ortsveränderlichen Baustellen verstoßen zu haben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
2
Art. 3 ("Koordinatoren - Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan - Vorankündigung") der Richtlinie 92/57 lautet:
"(1) Der Bauherr oder der Bauleiter betraut im Fall einer Baustelle, auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, einen oder mehrere Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren ...
(2) Der Bauherr oder der Bauleiter sorgt dafür, dass vor Eröffnung der Baustelle ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan entsprechend Artikel 5 Buchstabe b) erstellt wird.
Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner von Unterabsatz 1 abweichen, außer wenn es sich um Arbeiten handelt,
- die mit besonderen Gefahren, wie in Anhang II aufgeführt, verbunden sind
oder
- für die nach Absatz 3 eine Vorankündigung erforderlich ist.
(3) Im Fall einer Baustelle,
- bei der die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage beträgt und auf der mehr als 20 Arbeitnehmer gleichzeitig beschäftigt werden
oder
- deren voraussichtlicher Umfang 500 Manntage übersteigt,
übermittelt der Bauherr oder der Bauleiter den zuständigen Behörden vor Beginn der Arbeiten eine Vorankündigung, deren Inhalt Anhang III entspricht.
Die Vorankündigung ist sichtbar auf der Baustelle auszuhängen und erforderlichenfalls auf dem Laufenden zu halten."
3
Art. 5 ("Vorbereitung des Bauprojekts: Aufgaben der Koordinatoren") dieser Richtlinie bestimmt:
"Der bzw. die gemäß Artikel 3 Absatz 1 betrauten Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren für die Vorbereitungsphase des Bauprojekts haben
a) die Anwendung der in Artikel 4 vorgesehenen Bestimmungen zu koordinieren;
b) einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan auszuarbeiten oder ausarbeiten zu lassen, in dem die auf die betreffende Baustelle anwendbaren Bestimmungen aufgeführt sind, wobei gegebenenfalls betriebliche Tätigkeiten auf dem Gelände zu berücksichtigen sind; dieser Plan muss außerdem spezifische Maßnahmen bezüglich der Arbeiten enthalten, die unter eine oder mehrere Kategorien des Anhangs II fallen;
c) eine Unterlage zusammenzustellen, die den Merkmalen des Bauwerks Rechnung trägt und zweckdienliche Angaben in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz, die bei eventuellen späteren Arbeiten zu berücksichtigen sind, enthält."
4
Art. 6 ("Ausführung des Bauwerks: Aufgaben der Koordinatoren") der gleichen Richtlinie sieht vor:
"Der bzw. die gemäß Artikel 3 Absatz 1 betrauten Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren für die Ausführungsphase des Bauwerks haben
a) die Anwendung der allgemeinen Grundsätze für die Verhütung von Gefahren und für die Sicherheit zu koordinieren
- bei der technischen und/oder organisatorischen Planung, um die verschiedenen Arbeiten oder Arbeitsabschnitte einzuteilen, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden,
- bei der Abschätzung der voraussichtlichen Dauer für die Durchführung dieser verschiedenen Arbeiten oder Arbeitsabschnitte;
b) die Anwendung der einschlägigen Bestimmungen zu koordinieren und dabei darauf zu achten, dass die Arbeitgeber und - wenn dies zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich ist - die Selbständigen
- die in Artikel 8 genannten Grundsätze in schlüssiger Weise anwenden,
- den gemäß Artikel 5 Buchstabe b) vorgesehenen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan, soweit erforderlich, anwenden;
c) Anpassungen des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans nach Artikel 5 Buchstabe b) und der Unterlage nach Artikel 5 Buchstabe c) unter Berücksichtigung des Fortschritts der Arbeiten und eingetretener Änderungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen;
..."
5
Anhang II der Richtlinie 92/57 enthält eine nicht erschöpfende Liste nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 erster Gedankenstrich dieser Richtlinie mit den Arbeiten, die mit besonderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verbunden sind.
Nationales Recht
6
Die Richtlinie 92/57 wurde mit gesetzesvertretendem Dekret Nr. 494 vom 14. August 1996 (GURI Nr. 223 vom 23. September 1996, Supplemento ordinario), das durch die gesetzesvertretenden Dekrete Nr. 528 vom 19. November 1999 (GURI Nr. 13 vom 18. Januar 2000, S. 20) und Nr. 276 vom 10. September 2003 (GURI Nr. 235 vom 9. Oktober 2003, Supplemento ordinario) geändert wurde (im Folgenden: gesetzesvertretendes Dekret Nr. 494/96), in italienisches Recht umgesetzt.
7
Das gesetzesvertretende Dekret Nr. 494/96 wurde mit gesetzesvertretendem Dekret Nr. 81 vom 9. April 2008 (GURI Nr. 101 vom 30. April 2008, Supplemento ordinario; im Folgenden: gesetzesvertretendes Dekret Nr. 81/08) aufgehoben. Titel IV des letztgenannten Dekrets, der zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen betrifft, enthält u. a. einen Art. 90, der die Pflichten des Bauherrn oder Bauleiters in Bezug auf den Sicherheitskoordinator auf solchen Baustellen festlegt.
8
Art. 90 des gesetzesvertretenden Dekrets 81/08 bestimmt:
"1. Der Bauherr oder Bauleiter hält sich während der Vorbereitung des Bauprojekts und insbesondere bei der technischen Planung, bei der Durchführung des Projekts und bei der Organisation der Arbeiten auf der Baustelle an die allgemeinen Grundsätze und Maßnahmen nach Art. 15. Für die Planung einer sicheren Durchführung der Arbeiten und Arbeitsphasen, die gleichzeitig oder nacheinander erfolgen müssen, gibt der Bauherr oder Bauleiter im Entwurf die Dauer dieser Arbeiten oder Arbeitsphasen an.
2. Der Bauherr oder Bauleiter bewertet bei der Vorbereitung des Bauprojekts die in Art. 91 Abs. 1 Buchst. a und b aufgeführten Dokumente.
3. Auf Baustellen, auf denen nach der Planung gleichzeitig oder nacheinander mehrere Unternehmen anwesend sein werden, bestellt der Bauherr, auch wenn er zugleich das ausführende Unternehmen ist, oder der Bauleiter unmittelbar im Anschluss an die Erteilung des Auftrags zur Vorbereitung des Projekts den Koordinator für die Vorbereitung des Projekts.
4. Im Fall des Abs. 3 bestellt der Bauherr oder der Bauleiter vor der Übertragung der Arbeiten einen Koordinator für die Ausführung der Arbeiten, der die Anforderungen des Art. 98 erfüllt.
5. Abs. 4 gilt auch für den Fall, dass nach der Beauftragung eines einzigen Unternehmens mit den Arbeiten die Ausführung der Arbeiten oder eines Teils davon einem oder mehreren Unternehmen übertragen wird.
...
11. Auf private Arbeiten findet Abs. 3 keine Anwendung, wenn für die Arbeiten keine Baugenehmigung erforderlich ist. Art. 92 Abs. 2 ist in jedem Fall anwendbar."
9
Art. 91 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/08 legt die Pflichten des Projektkoordinators fest und sieht im Wesentlichen die Erstellung eines Sicherheits- und Koordinierungsplans vor.
10
Art. 92 Abs. 2 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/08, der die Pflichten des Koordinators für die Ausführung der Arbeiten betrifft, lautet:
"In den Fällen des Art. 90 Abs. 5 nimmt der Koordinator für die Ausführung nicht nur die Aufgaben nach Abs. 1 wahr, sondern erstellt auch den Sicherheits- und Koordinierungsplan und bereitet die Dokumente nach Art. 91 Abs. 1 Buchst. a und b vor."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11
Am 20. Juni 2008 kontrollierten die Inspektoren des Dienstes für Arbeitsschutz der autonomen Provinz Bozen eine Baustelle im Gemeindegebiet von Meran, auf der Arbeiten zur Neueindeckung eines Wohnhauses in einer Höhe von ca. 6 bis 8 Metern durchgeführt wurden. Die Bauherrin war Frau Nussbaumer. Das Schutzgeländer entlang der Dachkante, der Kran zum Heben des Materials und die Arbeitskräfte wurden von drei verschiedenen Unternehmen gestellt, die gleichzeitig auf der Baustelle anwesend waren. Eine Baugenehmigung war nach den einschlägigen italienischen Rechtsvorschriften nicht erforderlich. Der Beginn der Arbeiten war jedoch der Gemeinde Meran angezeigt worden.
12
Im Rahmen dieser Kontrolle stellte sich die Frage, ob im vorliegenden Fall ein Sicherheitskoordinator sowohl für die Vorbereitungsphase des Bauprojekts als auch für die Phase der Ausführung der Arbeiten hätte bestellt werden müssen, wie es nicht nur Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/57, sondern auch Art. 3 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 494/96 vorsieht, und zwar unbeschadet der Tatsache, dass Art. 90 Abs. 11 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/08 eine solche Bestellung nicht verlangt.
13
Insoweit stellt das vorlegende Gericht fest, dass gemäß Art. 90 Abs. 3 und 4 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/08 ein Koordinator für die Vorbereitung des Projekts und für die Ausführung der Arbeiten für jede Baustelle bestellt werden müsse, auf der mehrere Unternehmen anwesend seien. Nach Abs. 11 dieses Artikels gelte dessen Abs. 3 jedoch nicht für private Arbeiten, für die keine Baugenehmigung erforderlich sei. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat der nationale Gesetzgeber, der davon ausgegangen sei, dass eine Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt würden, einen geringeren Umfang habe und keine Gefahren berge, übersehen, dass auch Arbeiten, für die keine Baugenehmigung erforderlich sei, komplex und gefährlich sein könnten und aus diesem Grund die Bestellung eines Koordinators für das Bauvorhaben erforderten. Zudem sei, da Art. 90 Abs. 4 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/08 auf Abs. 3 dieses Artikels verweise, der Bauherr auch von der Pflicht entbunden, einen Koordinator für die Ausführung der Arbeiten zu bestellen.
14
Das vorlegende Gericht hat daher Zweifel, ob die Ausnahmen von der Pflicht zur Bestellung eines Koordinators, die das innerstaatliche italienische Recht vorsieht, mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/57 vereinbar sind.
15
Unter diesen Umständen hat das Tribunale di Bolzano beschlossen, das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Verstößt die nationale Regelung des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/2008 insbesondere wegen der durch Art. 90 Abs. 11 eingeführten Regelung gegen Art. 3 der Richtlinie 92/57, soweit sie den Bauherrn oder Bauleiter bei einer Baustelle, auf der mehrere Unternehmen anwesend sind, im Fall privater Arbeiten, die keiner Baugenehmigung bedürfen, ohne Rücksicht auf die Bewertung der Natur der Arbeiten und die besonderen Gefahren im Sinne des Anhangs II der Richtlinie von der Pflicht, einen Koordinator für die Vorbereitungsphase des Projekts gemäß Art. 90 Abs. 3 des Dekrets zu bestellen, ausnimmt?
2. Verstößt die nationale Regelung des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/2008 und insbesondere die durch Art. 90 Abs. 11 eingeführte Regelung im Hinblick auf die Pflicht des Bauherrn oder Bauleiters, auf jeden Fall, und zwar unabhängig von der Art der Arbeiten, also auch für den Fall privater Arbeiten, die keiner Baugenehmigung bedürfen, aber mit Gefahren im Sinne des Anhangs II der Richtlinie 92/57 verbunden sein können, einen Koordinator für die Phase der Ausführung der Arbeiten auf den Baustellen zu benennen, gegen Art. 3 der Richtlinie 92/57?
3. Verstößt Art. 90 Abs. 11 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 81/2008, soweit er die Pflicht des Ausführungskoordinators zur Erstellung eines Sicherheitsplans auf den Fall beschränkt, dass bei privaten Arbeiten, die keiner Baugenehmigung bedürfen, zu dem ursprünglich mit den Arbeiten betrauten Unternehmen weitere Unternehmen hinzutreten, gegen Art. 3 der Richtlinie 92/57, der auf jeden Fall die Verpflichtung zur Bestellung eines Ausführungskoordinators, und zwar unabhängig von der Art der Arbeiten festlegt und die Befreiung von der Pflicht zur Erstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans ausschließt, falls es sich um Arbeiten handelt, die mit besonderen Gefahren wie die in Anhang II der Richtlinie aufgeführten verbunden sind?
Zu den Vorlagefragen
16
Vorab sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV zwar nicht über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Unionsrecht oder über die Auslegung nationaler Vorschriften entscheiden kann, dass er aber befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über eine solche Vereinbarkeit zu befinden (vgl. insbesondere Urteile vom 15. Dezember 1993, Hünermund u. a., C-292/92, Slg. 1993, I-6787, Randnr. 8, sowie vom 27. November 2001, Lombardini und Mantovani, C-285/99 und C 286/99, Slg. 2001, I-9233, Randnr. 27).
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Somit müssen die Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, so verstanden werden, dass geklärt werden soll, ob Art. 3 der Richtlinie 92/57 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die zum einen im Fall einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen, und auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, den Bauherrn oder Bauleiter von der Pflicht befreit, einen Koordinator sowohl für die Vorbereitungsphase des Bauprojekts auch für die Phase der Ausführung der Arbeiten zu bestellen, und zum anderen die Pflicht dieses Koordinators, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, auf den Fall beschränkt, dass auf einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen, mehrere Unternehmen tätig sind.
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Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 25. Juli 2008, Kommission/Italien (C-504/06), bereits eine Entscheidung zu Art. 3 der Richtlinie 92/57 fällen musste.
19
In Randnr. 29 dieses Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 3 der Richtlinie 92/57 in drei nummerierte Absätze unterteilt ist, die drei klar unterschiedene Rechtsvorschriften enthalten, von denen eine die Bestellung von Koordinatoren, die zweite den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan und die dritte die Vorankündigung bei Arbeiten von einem gewissen Umfang betrifft. Diese Unterscheidung zwischen den drei Absätzen geht im Übrigen aus der Überschrift des Art. 3 hervor, die nämlich "Koordinatoren - Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan - Vorankündigung" lautet. Diesem Aufbau entsprechend wird die Frage der Bestellung der Koordinatoren ausschließlich in Abs. 1 dieses Artikels geregelt, während dessen Abs. 2 die Vorschriften hinsichtlich des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans enthält.
20
Der Gerichtshof hat daraus in Randnr. 30 des vorerwähnten Urteils Kommission/Italien abgeleitet, dass sich die Ausnahme in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Richtlinie nur auf die Vorschrift beziehen kann, die ihr unmittelbar vorausgeht, d. h. auf die Vorschrift über die Erstellung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans.
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Demzufolge lässt, wie der Gerichtshof in Randnr. 35 des Urteils Kommission/Italien entschieden hat, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/57, dessen Wortlaut eindeutig und genau ist und die Pflicht zur Bestellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators für jede Baustelle, auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, unmissverständlich festlegt, keine Ausnahme von dieser Pflicht zu.
22
Daher muss immer ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator für eine Baustelle, auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, bestellt werden, ohne dass es darauf ankommt, ob für die Arbeiten eine Baugenehmigung erforderlich ist oder ob die Baustelle mit besonderen Gefahren verbunden ist.
23
Was den Zeitpunkt für die Bestellung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators betrifft, so ergibt sich aus den Art. 5 und 6 der Richtlinie, dass dieser während der Vorbereitungsphase des Bauprojekts oder jedenfalls vor der Ausführung der Arbeiten bestellt werden muss.
24
Daher ist in Bezug auf den ersten Teil der Vorlagefragen, wie sie in Randnr. 18 des vorliegenden Urteils umformuliert worden sind, festzustellen, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/57 im Fall einer Baustelle, auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, während der Vorbereitungsphase des Bauprojekts oder jedenfalls vor der Ausführung der Arbeiten immer ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator bestellt werden muss.
25
Was den Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan betrifft, um den es im zweiten Teil der umformulierten Vorlagefragen geht, so sind die Vorgaben für dessen Erstellung - aus den gleichen Gründen wie den in den Randnrn. 20 und 21 des vorliegenden Urteils genannten - ausschließlich Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/57 zu entnehmen.
26
Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/57, der keine Ausnahme zulässt, erlaubt Abs. 2 Unterabs. 2 dieses Artikels den Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner Ausnahmen von der Pflicht zur Erstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans nach Unterabs. 1 des genannten Abs. 2 vorzusehen, außer wenn es sich um Arbeiten handelt, die mit besonderen Gefahren, wie in Anhang II dieser Richtlinie aufgeführt, verbunden sind oder für die eine Vorankündigung nach Abs. 3 dieses Artikels erforderlich ist.
27
Folglich muss die Pflicht nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 92/57, vor Eröffnung der Baustelle einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, so verstanden werden, dass sie für alle Baustellen gilt, auf denen Arbeiten verrichtet werden, die mit besonderen Gefahren, wie im Anhang II dieser Richtlinie aufgeführt, verbunden sind oder für die eine Vorankündigung erforderlich ist, während es auf die Zahl der auf der Baustelle anwesenden Unternehmen nicht ankommt.
28
Dieser Artikel steht daher einer nationalen Regelung entgegen, die die Pflicht des Koordinators für die Ausführungsphase des Bauwerks, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, auf den Fall beschränkt, dass auf einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, für die keine Baugenehmigung erforderlich ist, mehrere Unternehmen tätig sind, und die als Kriterium für das Bestehen dieser Pflicht nicht auf die besonderen Gefahren, wie in Anhang II der Richtlinie 92/57 aufgeführt, abstellt.
29
Um dem vorlegenden Gericht eine erschöpfende Antwort zu geben, ist noch darauf hinzuweisen, dass eine Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs selbst keine Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass dem Einzelnen gegenüber eine Berufung auf die Bestimmung einer Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. Urteile vom 12. Dezember 1996, X, C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6609, Randnrn. 23 bis 25, sowie vom 3. Mai 2005, Berlusconi u. a., C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565, Randnrn. 73 und 74).
30
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 der Richtlinie 92/57 wie folgt auszulegen ist:
- Abs. 1 dieses Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die im Fall einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen, und auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, den Bauherrn oder Bauleiter von der Pflicht befreit, während der Vorbereitungsphase des Bauprojekts oder jedenfalls vor der Ausführung der Arbeiten einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator zu bestellen;
- Abs. 2 desselben Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die die Pflicht des Koordinators für die Ausführungsphase des Bauwerks, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, auf den Fall beschränkt, dass auf einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, für die keine Baugenehmigung erforderlich ist, mehrere Unternehmen tätig sind, und die als Kriterium für das Bestehen dieser Pflicht nicht auf die besonderen Gefahren, wie in Anhang II der genannten Richtlinie aufgeführt, abstellt.
Kosten
31
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 der Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) ist wie folgt auszulegen:
- Abs. 1 dieses Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die im Fall einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen, und auf der mehrere Unternehmen anwesend sein werden, den Bauherrn oder Bauleiter von der Pflicht befreit, während der Vorbereitungsphase des Bauprojekts oder jedenfalls vor der Ausführung der Arbeiten einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator zu bestellen;
- Abs. 2 desselben Artikels steht einer nationalen Vorschrift entgegen, die die Pflicht des Koordinators für die Ausführungsphase des Bauwerks, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan zu erstellen, auf den Fall beschränkt, dass auf einer Baustelle, auf der private Arbeiten durchgeführt werden, für die keine Baugenehmigung erforderlich ist, mehrere Unternehmen tätig sind, und die als Kriterium für das Bestehen dieser Pflicht nicht auf die besonderen Gefahren, wie in Anhang II der genannten Richtlinie aufgeführt, abstellt.

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