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19.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103452

Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 01.07.2010 – 18 UF 72/10

Nach § 18 Abs. 2 VersAusglG sollen einzelne Anrechte vom Versorgungsausgleich ausgenommen werden, wenn sie einen geringen Ausgleichswert aufweisen. Das gilt auch für Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung. Unbillige Ergebnisse können durch die dem Familiengericht eingeräumte Ermessensausübung vermieden werden.


Tenor:
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Balingen vom 16. Februar 2010 - 3 F 271/09 - wird

zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Sowohl der Antragstellerin als auch dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe

bewilligt.

Der Antragstellerin wird Rechtsanwältin M., dem Antragsgegner wird Rechtsanwalt S. beigeordnet.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: 1.000,- €.

Gründe
I. Das Familiengericht hatte die Ehe der Parteien geschieden und den Versorgungsausgleich mit Rücksicht auf die Regelung des § 2 VAÜG ausgesetzt. Nach dem 1. September 2009 hat es das Verfahren wieder aufgenommen und - nach erfolgtem Hinweis - den Versorgungsausgleich zugunsten des Ehemanns (Antragsgegners) dahin durchgeführt, dass es auf sein Rentenversicherungskonto im Wege der internen Teilung 1,8131 Entgeltpunkte übertrug. Hingegen hat es den Ausgleich von Anrechten unterlassen, die der Antragsgegner seinerseits in der Ehezeit mit 0,8561 Entgeltpunkten (West) und 0,0655 Entgeltpunkten (Ost) erworben hatte. Diese Entscheidung hat es mit der Anwendung von § 18 Abs. 2 VersAusglG begründet.

Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Antragstellerin eine Einbeziehung auch der zuletzt genannten Anrechte in den Versorgungsausgleich. Unter Vorlage eines außergerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens macht sie geltend, durch die familiengerichtliche Regelung unzumutbar benachteiligt zu sein. Das ergebe sich nicht nur bei Umrechnung der unberücksichtigt gelassenen Entgeltpunkte in Rentenanwartschaften, sondern auch dadurch, dass sie im Hinblick auf ihre maximal erreichbare Rente auf deren Übertragung angewiesen sei. Außerdem sei die Ehe von geringer Dauer gewesen, ein ehebedingter Nachteil nicht entstanden.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Abänderung des angegriffenen Beschlusses den Versorgungsausgleich durchzuführen unter Einschluss der vom Antragsgegner und Beschwerdegegner erworbenen Anrechte auf Altersvorsorge bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern soweit sie beim Versorgungsausgleich unberücksichtigt geblieben sind als "Bagatelle."

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er sieht die familiengerichtliche Entscheidung in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung. Gründe, hiervon ausnahmsweise abzuweichen, seien nicht erkennbar.

II. Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Nach § 18 Abs. 1 VersAusglG soll das Familiengericht beiderseitige Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Wie jedoch in § 18 Abs. 2 VersAusglG weiter geregelt ist, soll das Familiengericht einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert nicht ausgleichen. Hiervon hat es Gebrauch gemacht.

Die Versorgungsbilanz gestaltet sich wie folgt:

Antragstellerin
Antragsgegner

Ausgleichswerte

Entgeltpunkte (West)
1,8131
0,4281

Entgeltpunkte (Ost)
0,0328

korrespondierende Kapitalwerte
9.682,43 €
2.286,16 €

Differenz Kapitalwerte zugunsten Antragsgegner
7.249,53 €


2. Mit der Soll-Regelung des § 18 Abs. 2 VersAusglG beabsichtigte der Gesetzgeber eine Vereinfachung (BT-Drs. 16/11903 vom 11. Februar 2009, Seite 55). Im Übrigen soll nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Ausgleich einzelner Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert grundsätzlich abgesehen werden. Im Rahmen des dem Familiengericht hierbei eingeräumten Ermessens hat das Gericht anhand des Einzelfalls zu prüfen, ob gleichwohl ein Ausgleich geboten ist. Hierbei kommt es also auf die Versorgungssituation der Ehegatten an. So wäre auch denkbar, dass es der ausgleichsberechtigten Person gerade durch einen geringfügigen Ausgleich gelingt, eine eigene Anwartschaft so aufzufüllen, dass hierdurch eine Wartezeit für den Bezug der Rente erfüllt ist.

Auch kann eine Teilung ausnahmsweise erforderlich sein, wenn die insgesamt aus- gleichsberechtigte Person dringend auf den Wertzuwachs angewiesen ist. Schließlich kommen Fälle in Betracht, bei denen ein Ehegatte über viele kleine Ausgleichswerte verfügt, die in der Summe einen erheblichen Wert darstellen, während der andere Ehegatte nur vergleichsweise geringe Anrechte in der Ehezeit erworben hat (BT-Drs. 16/11903 vom 11. Februar 2009, Seite 55; BT-Drs. 16/10144 vom 20. August 2004, Seite 61; vgl. auch Hahne/Holzwarth, in: Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 6. Auflage, Kapitel VI Rn. 366; Borth, Versorgungsausgleich, 5. Auflage, Rn. 582; Ruland, Versorgungsausgleich, 2. Auflage, Rn. 494; Holzwarth, in Johannsen/Henrich, Eherecht, 5. Auflage, § 18 VersAusglG Rn. 15 f.).

Insoweit stellt die Antragstellerin einseitig auf ihre eigene zukünftige Versorgungssituation ab, ohne auch diejenige des Antragsgegners zu bedenken. Zutreffend ist, dass die nicht ausgeglichenen Entgeltpunkte nach den zum Ehezeitende 31. Oktober 2001 geltenden aktuellen Rentenwerten zu einer monatlichen Rentenanwartschaft von ½ * (0,8561 * 25,31 € + 0,0655 * 22,06 € =) 11,57 € führen würden. Diese geht der Antragstellerin verloren, was im Hinblick auf ihre maximal erreichbare Bruttorente von 837,49 € bzw. nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen geschätzten 721,59 € nicht unerheblich ist (s. hierzu: außergerichtlich eingeholtes Gutachten des Sachverständigen Rainer Glockner vom 11. März 2010). Bislang hat sie, ohne Beschränkung auf die Ehezeit, monatliche Rentenanwartschaften von 253,60 € erworben (Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 23. Oktober 2009, Anlage 1). Der Antragsgegner seinerseits hat bislang und wiederum ohne Beschränkung auf die Ehezeit Rentenanwartschaften von insgesamt 115,99 € erworben (Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern vom 15. Dezember 2009, Seite 3 - Rückseite -). Das belegt, dass auch der Antragsgegner auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs angewiesen ist.

Eine Prognose, wie sich die künftige Versorgungssituation von Antragstellerin und Antragsgegner darstellt, führt ebenfalls zu keinem abweichenden Ergebnis. Die Antragstellerin ist 1969 geboren, jetzt also 41 Jahre alt, während der 1974 geborene Antragsgegner jetzt 35 Jahre alt ist.

Bereits während der Ehezeit - und ausweislich der Angaben zur beantragten Verfahrenskostenhilfe auch weiterhin - erzielt sie höhere Erwerbseinkünfte als er. Die Versorgungssituation des Antragsgegners wird sich deshalb aus derzeitiger Sicht nicht günstiger gestalten als diejenige auf Seiten der Antragstellerin.

3. Die Anrechte des Antragsgegners wären in den Versorgungsausgleichs einzubeziehen, falls die Vorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG dahin auszulegen wäre, dass sie nach der ratio legis jedenfalls nicht für Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung gilt (vgl. Bergner, FamFR 2010, 221, 223). Dafür spricht in der Tat, dass der Rentenversicherungsträger die jeweils übertragenen Entgeltpunkte gemäß § 10 Abs. 2 VersAusglG verrechnet und der Vereinfachungsgedanke, der der Vorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG zugrunde liegt, dann an sich nicht zum Tragen kommt (vgl. Bergner, aaO.).

Diese Auslegung lässt sich indes mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren. Auch die Gesetzesmaterialien sprechen - abgesehen von dem erwähnten Vereinfachungszweck - nicht dafür, dass der Anwendungsbereich des § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht für Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung gelte. Auch wenn eine Saldierung bereits durch das Familiengericht (wie nach bisheriger Rechtslage) unproblematisch wäre und mit dem Halbteilungsgrundsatz des § 1 VersAusglG korrespondierte, ist der gesetzgeberische Wille zu achten. Als Korrektiv bleibt der dem Familiengericht eingeräumte Ermessensspielraum, der im Einzelfall unangemessene Ergebnisse vermeidet. Vorliegend führt die erfolgte Abwägung hierzu nicht.

Wird ferner die Effizienz eines (möglichst vereinfachten) Verwaltungshandelns gegen das Interesse des einzelnen Ehegatten abgewogen (hierzu: Ruland, aaO., Rn. 492), ist nicht nur zu bedenken, dass vorliegend eine Verrechnung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG von vornherein erspart wird. Vielmehr werden generell, wenn auch nicht im speziellen Fall, zusätzliche Probleme bei der Prüfung von Anpassungsregelungen der §§ 33 ff. VersAusglG vermieden (vgl. Rehbein, jurisPR-FamR 12/2010 Anm. 4 zu der in FamRZ 2010, 979 abgedruckten Entscheidung des OLG Celle).

4. Nach der durch § 18 VersAusglG vorgegebenen Prüfungsreihenfolge war eine geringfügige Differenz im Sinne von § 18 Abs. 1 VersAusglG zu verneinen. Der Senat ist der Auffassung, dass daran anschließend die Regelung des § 18 Abs. 2 VersAusglG auch dann zum Zuge kommt, falls es sich um gleichartige Anrechte handelt (so auch Rehbein, aaO.; a.A. OLG Celle, aaO., S. 980 m. zustimmender Anm. Borth; Hauß, FPR 2009, 214, 219). Sähe man das anders, wäre die durch § 18 Abs. 2 VersAusglG allein dem Einzelfall vorbehaltene Ermessensentscheidung für eine Vielzahl von Fällen generalisierend vorweggenommen (vgl. Rehbein, aaO.). Das ließe sich nach der Auffassung des Senats nicht in Einklang mit Wortlaut und Systematik der Norm bringen.

5. Die Behandlung als geringfügig scheitert schließlich nicht an der Limitierungsregel des § 18 Abs. 3 VersAusglG. Danach ist ein Wertunterschied nach § 18 Abs. 1 VersAusglG oder ein Ausgleichswert nach § 18 Abs. 2 VersAusglG gering, wenn er am Ende der Ehezeit bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße höchstens 1 %, in allen anderen Fällen als Kapitalwert höchstens 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. SGB IV beträgt. Zum Ende der Ehezeit am 31. Oktober 2001 belief sich die monatliche Bezugsgröße nach § 18 SGB IV auf 53.760 DM jährlich oder 4.480 DM monatlich, für die Sozialversicherung (Ost) auf 45.360 DM jährlich oder 3.780 DM monatlich (Quelle: www.beck-online.de zu § 18 Abs. 4 SGB IV). 120 % der genannten Bezugsgröße sind (4.480,- DM * 120 % =) 5.376,- DM, entsprechend 2.748,01 € bzw. (3.780,- DM * 120 % =) 4.536,- DM, entsprechend 2.319,22 €.

Nach der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern vom 15. Dezember 2009 ermitteln sich für die ehezeitbezogenen Anrechte des Antragsgegners korrespondierende Kapitalwerte von 2.286,16 € und von weiteren 146,74 € (zum Abstellen auf Kapitalwerte s. Gutdeutsch, FamRZ 2010, 949, 950). Sie erreichen weder einzeln noch zusammengerechnet (2.286,16 € + 146,74 € = 2.432,90 €) die vorstehend wiedergegebene Obergrenze. Das scheidet auch dann aus, wenn ergänzend berücksichtigt wird, dass sich die 0,0655 Entgeltpunkte (Ost) auf angleichungsdynamische Anrechte beziehen, die im Vergleich zu den anderen Anrechten über eine herausragende Dynamik verfügen. Erreicht wird die beschriebene Obergrenze nicht.

Die Beschwerde war nach alledem zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Der Beschwerdewert war nach § 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG auf 1.000,- € festzusetzen; Die Rechtsbeschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 70 Abs. 1 und 2 FamFG).

Rechtsgebiet§ 18 Abs. 2 VersAusglGVorschriftenVersAusglG

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