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30.09.2010 · IWW-Abrufnummer 103135

Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 07.01.2010 – 7 K 369/10 E

1. Wird die im Ansässigkeitsstaat zu versteuernde Berufsunfähigkeitsrente eines beschränkt Steuerpflichtigen mit Wohnsitz in den Niederlanden aufgrund eines grob fahrlässigen, für das FA nicht erkennbaren Erklärungsfehlers nochmals im Rahmen der inländischen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Einnahme erfasst, kann der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid nicht nach § 174 Abs. 1 AO zu seinen Gunsten geändert werden, da die doppelte Erfassung eines Sachverhalts in einem inländischen und einem ausländischen Steuerbescheid keine widerstreitende Steuerfestsetzung im Sinne sich gegenseitig zwingend ausschließender Regelungen darstellt.



2. Finanzbehörden i. S. d. § 155 Abs. 1 S. 2 AO sind allein die in § 6 Abs. 2 AO bezeichneten inländischen Behörden.



3. Die Nichtanwendung des § 174 Abs. 1 AO stellt keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und die Niederlassungsfreiheit des EG-Vertrages dar.


Finanzgericht Düsseldorf
v. 07.07.2010
7 K 369/10 E
Tatbestand
Der Kläger ist in den Niederlanden wohnhaft. Im Inland erzielt er Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Heilpraktiker, mit denen er der beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Außerdem erzielt er seit 2004 Einkünfte aus einem privaten Altersvorsorgevertrag (Berufsunfähigkeitsrente), welche in den Niederlanden versteuert werden.
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 hatte der Kläger beantragt, die Einnahmen aus der Rente im Inland zu versteuern und den Kläger als unbeschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG zu behandeln. Nachdem der Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass nach der bindenden Regelung in Art. 16 DBA Niederlande insoweit eine Versteuerung im Wohnsitzstaat zu erfolgen habe, nahm er den Einspruch zurück.
In den Einkommensteuerbescheiden 2005 vom 26. 7. 2007 und 2006 vom 16. 6. 2008 berücksichtigte der Beklagte die Einkünfte aus § 18 EStG erklärungsgemäß mit 38.456 EUR für 2005 und 49.103 EUR für 2006. Die Einkünfte hatte der Kläger nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Der Kontennachweis zur Gewinnermittlung enthielt im Jahr 2005 für das Konto 4101 „Umsatzerlöse Seminare” den Betrag von 14.995,60 EUR, für das Jahr 2006 für das Konto 4102 „Einnahmen, Versicherungen” den Betrag von 15.040,80 EUR.
Am 18. 5. 2009 beantragte der Kläger, die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 nach § 174 AO zu ändern. Bei den Beträgen von 14.995,60 EUR in 2005 und 15.040,80 EUR in 2006 handle es sich um die vierteljährlichen Rentenbezüge, welche der Besteuerung in den Niederlanden unterlägen. Der Beklagte teilte am 15. 6. 2009 mit, § 174 AO fände nur Anwendung, wenn beide Bescheide, die fehlerhaft seien, von der deutschen Steuerverwaltung erlassen worden seien; eine doppelte Besteuerung durch zwei verschiedene Staaten sei über § 174 AO nicht zu korrigieren.
Gegen den Bescheid legte der Kläger Einspruch ein und beantragte nun, die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Ein grobes Verschulden liege nicht vor. Der Kläger habe nach bestem Wissen alle Einnahmen der Jahre zusammengestellt und erklärt. Dabei habe er auch die Gutschriften auf dem Bankkonto erfasst, die nicht nach deutschem Recht zu besteuern seien. Die Einnahmen und Ausgaben habe er in einer Excel Tabelle erfasst. Um die Endsumme des Bankkontos zum 31. 12. entsprechend dem Kontoauszug nachzuvollziehen, seien alle Einnahmen und Ausgaben, auch Sonderausgaben und rein private Vorgänge, erfasst worden. Auf dem Bankkonto würden auch die Rentenzahlungen gutgeschrieben. Im Vorjahr sei auf der von dem Kläger fortgeschriebenen Tabelle unter dem Konto 8030 der Geldeingang eines Seminars erfasst worden, in 2005 und 2006 die Zahlung der B Versicherung.
Der Beklagte wies darauf hin, dass bereits für 2004 Schriftwechsel bezüglich des Besteuerungsrechts der Rente geführt worden sei. Am 4. 1. 2010 wies er den Einspruch zurück.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger trägt vor:
Die Einkünfte aus der Berufsunfähigkeitsrente, für die die Niederlande das Besteuerungsrecht hätten, hätten in 2005 14.977,10 EUR und in 2006 15.037,00 EUR betragen. § 174 AO sei vorliegend anwendbar. Nach § 1 AO gelte diese für Steuern, die durch Bundesrecht einschließlich des Rechts der Europäischen Gemeinschaft geregelt seien. Das Recht der EU gehe dem Bundesrecht vor. Dem Gesetzestest des § 174 AO sei nicht zu entnehmen, dass beide Bescheide inländische Steuerbescheide sein müssten. Die steuerliche Ungleichbehandlung des Klägers sei europarechtswidrig, denn wenn der Kläger seinen Wohnsitz im Inland hätte, wäre § 174 AO anwendbar.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 15. 6. 2009 zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus § 18 EStG um 14.977 EUR für 2005 und 15.037 EUR für 2006 herabgesetzt werden.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung; hilfsweise Zulassung der Revision.
Er trägt ergänzend zu den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor,
§ 1 Abs. 1 AO greife nicht ein; die niederländische Einkommensteuer werde nicht durch die Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet. Zur Verhinderung widersprüchlicher Behandlung zwischen mehreren Staaten gebe es das Verständigungsverfahren nach § 175 a AO.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides abgelehnt. Die Voraussetzungen einer Änderungsnorm liegen nicht vor.
§ 129 AO greift vorliegend nicht ein.
Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Eine offenbare Unrichtigkeit kann auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d.h. für das Finanzamt erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt (BFH vom 27. Mai 2009 X R 47/08 BFHE 226,8, BStBl II 2009,946; vom 4. Juni 2008 X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801, m.w.N.). Die Unrichtigkeit ist offenbar, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergibt ( BFH vom 27. Mai 2009 aaO.).
Im Streitfall scheidet § 129 AO bereits deshalb aus, weil die Einbeziehung der Rente in die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in keiner Weise für das Finanzamt erkennbar war. Erklärt waren Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit, die in verschiedene Positionen aufgeschlüsselt waren. Dass bei den Einnahmen „Seminare” bzw. „Versicherungent” die vierteljährliche Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente enthalten war, war nicht offensichtlich. Darüber hinaus wäre auch dann, wenn der Sachverhalt für das Finanzamt aus der Erklärung erkennbar gewesen wäre, ein Rechtsfehler nicht ausgeschlossen. Der Steuerpflichtige hatte im Vorjahr gerade die Versteuerung der Rente im Inland beantragt. Es wäre aus Sicht des Finanzamtes nicht auszuschließen gewesen, dass er rechtsfehlerhaft erneut eine steuerliche Erfassung der Rente im Rahmen der inländischen beschränkten Steuerpflicht geltend machen wollte.
Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund einer nachträglich bekannt gewordenen neuen Tatsache kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind bestandskräftige Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Die fehlerhafte Einbeziehung der Rente in die Gewinnermittlung der Einkünfte aus § 18 EStG ist dem Beklagten nachträglich, nämlich erst nach Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006, bekannt geworden. Der Kläger muss sich aber ein grobes Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen.
Grobes Verschulden in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21.07.1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960 m.w.N.; und vom 28.08.1992 VI R 93/89, BFH/NV 1993, 147). Wird mit der Ausarbeitung der Steuererklärung ein steuerlicher Berater beauftragt, muss er sich um eine sachgerechte und gewissenhafte Erfüllung der Erklärungspflichten bemühen (BFH-Urteil vom 26.08.1987 I R 144/86, BFHE 151, 299, BStBl II 1988, 109 m.w.N.). Das Verschulden eines steuerlichen Beraters, dessen sich der Steuerpflichtige zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, ist dem Steuerpflichtigen bei Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zuzurechnen (BFH-Urteile vom 21.05.1987 V R 88/79, BFH/NV 1988, 273; und vom 13.09.1990 V R 110/85 BFHE 162, 488, BStBl II 1991, 124); dabei sind an den Berater erhöhte Anforderungen zu stellen (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 147; BFH-Urteil vom 03.02.1983 IV R 153/80 BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; FG München vom 11. September 2009 10 K 2536/08 EFG 2010,101).
Die Steuerberaterin des Klägers hat für diesen die Steuererklärungen und Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG für die Streitjahre erstellt. Soweit sie – wie vorgetragen – für die Ermittlung der Einnahmen die vom Steuerpflichtigen gefertigten Excel-Tabellen ungeprüft übernommen hat, in denen alle Einnahmen auf dessen Bankkonto, also auch die Rentenzahlungen erfasst gewesen seien, hat sie grob fahrlässig gehandelt. Denn sie hat ausweislich der § 4 Abs. 3-Rechnung die Einnahmen aufgeschlüsselt in „steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 8 ff. UStG” und „Umsatzerlöse Seminare” (2005) bzw. – zusätzlich – „Einnahmen, Versicherungen”. Eine solche Aufschlüsselung obliegt dem fachkundigen Berater und erfordert zunächst eine Beurteilung der Gesamteinnahmen des Steuerpflichtigen, um diese in steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze sowie auf die unterschiedlichen Leistungen (Seminare, Kurse) aufteilen zu können. Dabei hätte die Beraterin bei der gebotenen sorgfältigen Bearbeitung feststellen müssen, dass in den Umsatzerlösen „Seminare” bzw. „Versicherungen” die Rente enthalten war. Eine ungeprüfte Übernahme der Zahlen des nicht fachkundigen Steuerpflichtigen stellt ein grobes Verschulden des Beraters dar. Zudem war die Besteuerung der Rente bereits im Vorjahr 2004 Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens. Umso mehr war in den Folgejahren seitens der Beraterin die zutreffende steuerliche Behandlung der Renteneinkünfte in der Erklärung zu beachten.
§ 174 Abs. 1 AO scheidet vorliegend als Änderungsnorm ebenfalls aus.
Danach ist dann, wenn ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern. Im Streitfall sind die Renteneinkünfte des Steuerpflichtigen, die aufgrund des Art. 16 DBA Niederlande in seinem Wohnsitzstaat Niederlande der Besteuerung unterliegen, in den von § 49 Abs. 1 Nr. 2 a EStG im Inland steuerpflichtigen gewerblichen Einkünften enthalten und damit steuerlich in beiden Staaten erfasst worden.
Die Frage, ob § 174 AO auch dann eingreift, wenn ein Widerstreit zwischen inländischer und ausländischer Steuerfestsetzung vorliegt, ist in der Literatur umstritten. Teilweise wird hierzu vertreten, von den mehreren in § 174 AO angesprochenen Bescheiden könne bei grenzüberschreitenden Sachverhalten einer auch ein ausländischer sein (Loose in Tipke/Kruse § 174 AO Tz. 7; Klein/Rüsken § 174 AO Tz. 15, App DB 1985,939ff., 941; Birkenfeld BB 1993,1185 ff., 1187). Nach anderer Auffassung stellt die doppelte Erfassung eines Sachverhalts in einem inländischen und einem ausländischen Steuerbescheid keine widerstreitende Steuerfestsetzung dar (Schwarz/Frotscher § 174 AO Tz. 56; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 174 AO Tz. 26; Pahlke/König § 174 AO Tz. 12; Haug-Adrion, DB 1985,1969).
Nach Auffassung des erkennenden Senats spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift gegen eine Anwendung des § 174 AO. § 174 Abs. 1 AO setzt zwei Steuerbescheide voraus. Steuerbescheid ist nach § 155 Abs. 1 S. 2 AO der nach § 122 Abs. 1 AO bekannt gegebene Verwaltungsakt, durch den die Steuer von der Finanzbehörde festgesetzt wird. Finanzbehörde in diesem Sinne sind die in § 6 Abs. 2 AO bezeichneten inländischen Behörden (vgl. auch von Wedelstädt in Beermann/Gosch § 174 AO Tz. 26). Handelt es sich bei einem der Bescheide um einen ausländischen Bescheid, liegen gerade nicht zwei Steuerbescheide i.S. des Regelungsbereichs und Normzusammenhangs der Abgabenordnung vor.
Auch der Regelungsgehalt des § 174 AO ist in einem Fall wie dem Vorliegenden nicht betroffen. Es fehlt an dem für § 174 Abs. 1-3 AO erforderlichen „Widerstreit”.
§ 174 AO ermöglicht die Korrektur unanfechtbarer Bescheide, die zu einem Widerstreit zwischen zwei Steuerfestsetzungen i.S. der Absätze 1 bis 3 geführt haben. Eine solche widerstreitende Festsetzung liegt vor, wenn die Bescheide aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar, d.h. widersprüchlich oder inkompatibel dahingehend sind, dass nur eine der festgesetzten Rechtsfolgen zutreffen kann (Loose in Tipke/Kruse § 174 AO Tz. 2). Eine Kollision von Steuerbescheiden, die zum Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 bis 3 AO führt, erfordert daher nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, dass die Zuordnung eines Sachverhalts zum Regelungsbereich des einen Bescheides die Zuordnung zum Regelungsbereich des kollidierenden Bescheides zwingend ausschließt (BFH vom 11. Juli 1991 IV R 52/90 BFHE 165,449BStBl II 1992,126; vom 26. Januar 1994 X R 57/89 BFHE 174,1BStBl II 1994,597; vom 2. August 1994 VIII R 65/93 BFHE 175,500BStBl II 1995,264; Loose in Tipke/Kruse § 174 AO Tz. 12). Die in § 174 Abs.1 bis 3 AO getroffenen Regelungen sind nicht als Ausdruck eines allgemeinen Korrespondenzprinzips anzusehen, kraft dessen z.B. mehrere Steuerpflichtige eine korrespondierende steuerliche Behandlung eines sie gemeinsam betreffenden Sachverhalts beanspruchen könnten, denn ein solches Korrespondenzprinzip existiert im Einkommensteuerrecht nicht (BFH aaO.). Ebenso besteht kein solches Korrespondenzverhältnis zwischen der Besteuerung eines beschränkt Steuerpflichtigen im Inland mit seinen von § 49 EStG erfassten Einkünften und seiner Besteuerung im jeweiligen Wohnsitzstaat. Das Kollisionsverhältnis zwischen der unbeschränkten Steuerpflicht, die an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft, und der beschränkten Steuerpflicht durch die Erfassung bestimmter Einkünfte wird materiell-rechtlich durch die Regelung in Doppelbesteuerungsabkommen oder durch Anrechnungsvorschriften wie § 34 c EStG aufgelöst (vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht 2. Aufl. 1998 S. 6 f.). Die Besteuerungsrechte der jeweiligen Staaten stehen nebeneinander und schließen sich gerade nicht zwingend gegenseitig aus (Schwarz/Frotscher § 174 AO Tz. 56). Die inländische Finanzbehörde hat im Rahmen der Prüfung der beschränkten Steuerpflicht lediglich zu beurteilen, ob das im Inland erzielte Einkommen dem inländischen Markt zuzuordnen ist (Kluge, Das Internationale Steuerrecht 4. Aufl. 2000 S. 180); ob und in welchem Umfang der Steuerpflichtige in seinem Wohnsitzstaat der Besteuerung unterliegt, ist insoweit irrelevant. Eine Unvereinbarkeit der Regelungsbereiche des inländischen Bescheides über die beschränkte Steuerpflicht und des Steuerbescheides im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen, wie sie von § 174 AO gefordert wird, kommt insofern nicht in Betracht. Ob etwas anderes für Umsatzsteuerbescheide bei innergemeinschaftlichen Erwerbsfällen zu gelten hat (vgl. Birkenfeld BB 1993,1185 ff.), kann vorliegend dahinstehen.
Eine Anwendung des § 174 Abs. 1 AO auf Fälle wie den Vorliegenden ist auch nicht nach Sinn und Zweck der Vorschrift geboten. § 174 AO gewährt in den darin aufgeführten Fallkonstellationen der materiellen Rechtsrichtigkeit Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz durch die Bestandskraft eines fehlerhaften Bescheides (vgl. Loose in Tipke/Kruse § 174 AO Tz. 1). Dem Normzweck kann aber nur dann Geltung verschafft werden, wenn die Möglichkeit der Korrektur des fehlerhaften Bescheides auch tatsächlich gewährleistet ist. Dies ist bei fehlerhafter Berücksichtigung eines Sachverhalts in einem inländischen und einem ausländischen Bescheid schon deshalb nicht grundsätzlich der Fall, weil der ausländische Bescheid weder der materiell-rechtlichen Beurteilung noch dem verfahrensrechtlichen Zugriff durch die inländische Finanzverwaltung unterliegt. Darüber hinaus kann die Betrachtung nicht isoliert auf § 174 Abs. 1 AO beschränkt werden. § 174 Abs. 2 und 3 AO kommen aber für eine Fehlerkorrektur zwischen inländischem und ausländischem Steuerbescheid praktisch nicht in Betracht. Nach § 174 Abs. 2 AO gilt Abs. 1 sinngemäß, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist; in dem Fall ist ein Antrag auf Änderung nicht erforderlich, diese erfolgt vielmehr von Amts wegen. Letzteres setzt aber voraus, dass die inländische Finanzbehörde überhaupt die Möglichkeit hat, von der fehlerhaften Mehrfachberücksichtigung Kenntnis zu erlangen; der Steuerpflichtige müsste daher auch die falsche doppelte Berücksichtigung im ausländischen Bescheid der inländischen Behörde anzeigen. Praktisch käme § 174 Abs. 2 AO damit kaum zur Anwendung. Ebenso dürfte der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 3 AO auf inländische Bescheide beschränkt sein. Denn § 174 Abs. 3 AO setzt voraus, dass ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen ist; stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, kann die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung unterblieben ist, entsprechend geändert werden. Damit erfordert § 174 Abs. 3 AO gerade eine materiell-rechtliche Vorwegbeurteilung zweier Steuerbescheide durch die Behörde, nämlich desjenigen Bescheides, in dem ein Sachverhalt nicht der Besteuerung unterworfen wird, und desjenigen, in dem der Sachverhalt nach Einschätzung des Bearbeiters zu berücksichtigen wäre. Eine solche inhaltliche Überprüfung eines ausländischen Steuerbescheides ist für die inländische Finanzbehörde aber weder zulässig noch möglich.
Da von daher allenfalls der von § 174 Abs. 1 AO umfasste Regelungsbereich den Fall der Mehrfachberücksichtigung in einem inländischen und einem ausländischen Bescheid zuließe, sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift des § 174 AO nicht für eine Anwendung auf einen Fall wie den Vorliegenden.
Soweit der Kläger sich darauf beruft, die Abgabenordnung sei nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AO nur vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Gemeinschaften anwendbar, vermag dies eine Anwendung des § 174 Abs. 1 AO nicht zu begründen. Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Art. 7 EWG-Vertrag, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit untersagt, und gegen die durch Art. 52 EWG-Vertrag geschützte Niederlassungsfreiheit liegt nicht vor. Die Nichtanwendung des § 174 Abs. 1 AO im vorliegenden Fall stellt keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWG-Vertrag dar. Im hier zu beurteilenden Sachverhalt scheitert die Anwendung des § 174 Abs. 1 AO, wie oben ausgeführt, bereits am Fehlen eines „Widerstreits” i.S. des § 174 Abs. 1 bis 3 AO zwischen der Besteuerung als beschränkt Steuerpflichtiger und der Besteuerung im Wohnsitzstaat Niederlande. Die Vorschriften über die beschränkte Steuerpflicht knüpfen mit ihren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht an die deutsche oder eine ausländische Staatsangehörigkeit an, die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen bleibt vielmehr außer Betracht (BFH Urteil vom 20. April 1988 I R 219/82 BStBl II 1990,701). Im Übrigen wäre § 174 AO (Abs. 2) auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen bei doppelter Berücksichtigung eines Sachverhalts im inländischen und im ausländischen Bescheid nicht anwendbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.

RechtsgebieteAO, EStGVorschriftenAO § 1 Abs. 1 Satz 2 AO § 6 Abs. 2 AO § 129 AO § 155 Abs. 1 Satz 2 AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO § 174 EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2 a Art. 16 DBA NL EG Art. 12 EG Art. 43

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