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09.09.2010 · IWW-Abrufnummer 102854

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 08.10.2009 – L 3 KA 60/09 B, ER

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 3 KA 60/09 B ER
Auf die Beschwerden der Antragstellerin und der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juli 2009 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin ab Juli 2009 monatliche Honorarabschläge in Höhe von jeweils 5.398,35 Euro gutzuschreiben. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen und der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten aus beiden Rechtszügen. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 46.563,29 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin betreibt eine zum 01. Januar 2009 gegründete zahnärztliche Berufsausübungsgemeinschaft, die aus dem Zahnarzt Dr. A. und der Zahnärztin Dr. D. besteht und an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnimmt. Sie wendet sich im vorliegenden Eilverfahren gegen den Einbehalt monatlicher Abschläge auf zu erwartende monatliche vertragszahnärztliche Honorarzahlungen.
Den - bis 2008 lediglich in Praxisgemeinschaft verbundenen - Zahnärzten Dr. A. und Dr. D. gegenüber hatte die Antragsgegnerin für die Abrechnungsjahre 2006 und 2007 verschiedene Bescheide über sachlich-rechnerische Berichtigungen erlassen, in denen festgestellt wurde, dass die Zahnärzte in einer Vielzahl von Fällen in ihren Quartalsabrechnungen Leistungen in Ansatz gebracht hatten, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen worden waren. Auf der Grundlage dieser Verwaltungsakte erließ die Antragsgegnerin (insgesamt) vier Honorarberichtigungsbescheide vom 29. Juni bzw. vom 06. Juli 2009, in denen die Honorare der Zahnärzte für 2006 und 2007 um insgesamt 186.253,17 Euro gekürzt wurden. Die Zahnärzte haben alle Bescheide angefochten; hinsichtlich der Rückforderungsbescheide sind inzwischen vier Klagen vor dem Sozialgericht (SG) Hannover anhängig. Mit "Übernahmeerklärung" vom 19. Dezember 2008 erklärten beide Zahnärzte der Antragsgegnerin gegenüber, sie seien mit der Übertragung aller bestehenden und künftig anfallenden Schuldsalden aus den Honorarkonten der bisherigen Einzelpraxen auf das Honorarkonto der jetzigen Berufsausübungsgemeinschaft einverstanden.
Während die Antragsgegnerin bis Mai 2009 monatliche Abschlagszahlungen an die Antragstellerin geleistet hatte, blieb die für Juni 2009 vorgesehene Abschlagszahlung aus. Ein Sachbearbeiter der Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin telefonisch mit, die Abschlagszahlung werde nicht ausgeführt.
Am 03. Juli 2009 (Eingang bei Gericht) hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel gestellt, die turnusmäßigen Honorarabschlagszahlungen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens wieder aufzunehmen. Sie sei wegen der Zahlungseinstellung nicht mehr in der Lage, ihre laufenden finanziellen Verpflichtungen weiter zu erfüllen und werde deshalb in absehbarer Zeit zahlungsunfähig werden. Die Antragsgegnerin habe ihr auf telefonische Rückfrage inzwischen erneut bestätigt, dass weitere Abschlagszahlungen nicht erfolgen würden.
Die Antragsgegnerin hat die Zurückstellung von Abschlagszahlungen erstinstanzlich mit ihrer in ihrem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) vorgesehen Befugnis, Sicherheitseinbehalte vorzunehmen, sowie mit Hinweis auf die Zahlungshinweise ihres Vorstands vom 19. März 2007 begründet. Die vorläufige Rückstellung der Auszahlung von Guthaben bilde die einzige Möglichkeit, den Rückforderungsbetrag zurückführen zu können.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2009 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, auf die Abschlagszahlung für Mai 2009 und die Resthonorarzahlung für das Quartal I/2009 einen Restbetrag von 5.056,57 Euro sowie bis 1. Oktober 2009 ein Viertel der errechneten Abschläge auszuzahlen. Die Nichtauszahlung der Abschläge finde ihre Rechtsgrundlage zwar in den durch Widerspruch nicht angegriffenen Bescheiden der sachlich-rechnerischen Berichtigung. Die Antragsgegnerin müsse bei der Rückforderung von Honorarüberzahlungen jedoch eine Abwägungsentscheidung dergestalt anstellen, dass neben ihrem Rückzahlungsanspruch das Fortbestehen der Praxis der Antragstellerin und die Versorgungssicherheit der dort behandelten Versicherten einzustellen sei. Das SG hat näher ausgeführt, es habe keine Zweifel daran, dass die Zahnärzte Leistungen nicht vertragsgerecht abgerechnet hätten. Deshalb sei die Auszahlung eines Viertels des bisher einbehaltenen Abschlags sachgerecht. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach der von der Antragstellerin vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertung überwiegend Einnahmen aus Privatabrechnung erzielt worden seien und die Auswertung von Januar bis Mai 2009 beträchtliche Privatentnahmen aufweise. Da die weiteren Abschläge gegenwärtig nicht bezifferbar seien, sei der Antragsgegnerin aufzugeben gewesen, ein Viertel der künftig errechneten Abschläge an die Antragstellerin auszuzahlen. Diese Anordnung sei zu befristen gewesen, da gegenwärtig nicht absehbar sei, ob ein Verfahren auf Entziehung der Zulassung eingeleitet werde.
Der Beschluss ist der Antragstellerin am 30. Juli 2009 und der Antragsgegnerin am 03. August 2009 zugestellt worden. Die Antragstellerin hat hiergegen am 29. Juli, die Antragsgegnerin am 13. August 2009 Beschwerde eingelegt.
Zur Begründung ihrer Beschwerde weist die Antragstellerin darauf hin, dass inzwischen alle Berichtigungsbescheide angefochten worden seien und diese deshalb eine Reduzierung von Abschlagszahlungen nicht begründen könnten. Unrichtig sei auch die Annahme des SG, sie habe angeblich Privatentnahmen in Höhe von mehr als 59.000,00 Euro getätigt. Angesicht erheblicher Einkommenssteuernachforderungen reiche das vom SG zugesprochene Viertel der errechneten Abschläge nicht aus, um ihre Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Im Übrigen sei die Antragsgegnerin bereits jetzt übersichert, nachdem die Zahnärzte ihr als Sicherheiten zwei Bürgschaften in Höhe von jeweils 50.000,00 Euro zur Verfügung gestellt hätten. Die Antragsgegnerin gehe zu Unrecht von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide aus. Aufzeichnungen noch nicht endgültig abgeschlossener vertragsärztlicher Leistungen seien vorliegend schon deshalb möglich gewesen, weil es sich ausschließlich um planbare Leistungen gehandelt habe. Zur Darlegung einer drohenden Insolvenz legt die Antragstellerin verschiedene Belege vor, u. a. Gewinnermittlungen und Bankbescheinigungen sowie eidesstattliche Versicherungen der Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Angaben.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juli 2009 zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die turnusmäßigen Honorarab- schlagszahlungen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens wieder- aufzunehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen,
2. den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juli 2009 aufzuhe- ben und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Ein Anspruch auf Abschlagszahlungen ergebe sich lediglich im Rahmen einer Selbstbindung der Antragsgegnerin, die diese durch Vorstandsbeschluss vom 19. März 2007 konkretisiert habe. § 6 ihres HVM enthalte demgegenüber nur eine Bestimmung der Höhe von Abschlagszahlungen. Der Anspruch auf Abschlagszahlung entfalle aber gemäß Ziffer 1 i Nr. 6 des Vorstandsbeschlusses vom 19. März 2007, wenn auf Grund von sachlich-rechnerischen Berichtigungs- und Wirtschaftlichkeitsverfahren Honorarkürzungen drohten. Die Widersprüche gegen festgesetzte Honorarberichtigungen hätten gemäß § 85 Abs. 4 S. 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) keine aufschiebende Wirkung. Die in den Quartalen I/2006 bis IV/2008 von den Zahnärzten der Antragstellerin in ihren damaligen Einzelpraxen behandelten Patienten seien im Übrigen überwiegend, teilweise bis zu 100%, identisch gewesen, sodass in Wirklichkeit eine Gemeinschaftspraxis betrieben worden sei. Durch diesen Gestaltungsmissbrauch hätten die Zahnärzte der Antragstellerin annähernd eine Verdoppelung der Behandlungsfallzahlen und damit eine Halbierung des durchschnittlichen Fallwertes erreicht und sich auf diese Weise erheblichen Honorarkürzungen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung entzogen. Diese Wirtschaftlichkeitsprüfung werde nachzuholen sein.
Die Antragstellerin beantragt außerdem sinngemäß,
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Auch soweit die Antragsgegnerin behaupte, dass der Zahnarzt Dr. A. zum Teil dieselben Behandlungsfälle abgerechnet habe wie die Zahnärztin Dr. B., sei diese Argumentation leicht zu widerlegen.
II.
Die Beschwerden sind zulässig und zum Teil begründet. Das SG hat dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar dem Grunde nach zutreffend stattgegeben. Der Umfang der der Antragsgegnerin dabei auferlegten Verpflichtungen war jedoch zu korrigieren.
Grundlage der begehrten Anordnung ist § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine derartige Regelungsanordnung ist regelmäßig die zutreffende Form vorläufigen Rechtsschutzes, wenn das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache nicht (nur) mit der Anfechtungsklage verfolgt werden müsste (vgl. § 86 b Abs. 1 und Abs. 2 S 1 SGG). Eine isolierte Anfechtungsklage könnte hier allenfalls dann statthaft sein, wenn sie sich gegen einen Verwaltungsakt richten würde, mit dem die Antragsgegnerin Zahlungen auf einen ansonsten unstrittigen Anspruch einbehalten hat. Ein Verwaltungsakt ist hier jedoch nicht ergangen. In Fällen bloß tatsächlichen Einbehalts geltend gemachter Zahlungen ist deswegen § 86 b Abs. 2 SGG einschlägig (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Februar 2006 - L 19 B 100/05 AS ER - juris, für den Fall vorläufiger Zahlungseinstellungen nach § 331 Sozialgesetzbuch Drittes Buch).
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Beide Voraussetzungen liegen hier vor.
1. Der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung monatlicher Abschlagszahlungen auf die zu erwartenden Honoraransprüche aus vertragszahnärztlicher Tätigkeit folgt aus § 6 des rückwirkend zum 01. Januar 2009 in Kraft getretenen, von der Antragsgegnerin und den Kassen(verbänden) am 26. August 2009 gemäß § 85 Abs. 4 S. 2 SGB V abgeschlossenen Honorarverteilungsvertrags 2009 (HVV). Danach betragen die monatlichen Abschlagszahlungen für Leistungen nach § 2 HVV (d. h.: konservierend-chirurgische, Kieferbruch- und PAR-Leistungen) 1/16 der zu erwartenden Jahreshonorarzuteilung, wobei Grundlage dieser Prognose in der Regel das Jahresabrechnungsergebnis des Vorjahres ist, in Ausnahmefällen die letzte vorliegende Quartalsabrechnung. Der Auffassung der Antragsgegnerin, § 6 HVV enthalte lediglich eine Bestimmung über die Höhe von Abschlagszahlungen, lasse aber das "Ob" derartiger Zahlungen offen und erlaube deshalb ihrem Vorstand diesbezügliche Ermessensentscheidungen, folgt der Senat nicht. Die Gewährung monatlicher Abschlagszahlungen gehört zu den - im Zusammenhang mit der vertrags(zahn)ärztlichen Honorarverteilung zu treffenden - Nebenentscheidungen, die üblicherweise Bestandteil des HVM oder Anlagen hierzu (Abrechnungsrichtlinien o. ä.) sind (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 32; Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: August 2009, § 85 Rdnr. 61). Angesichts dessen und wegen der auch den Vertragspartnern des HVV bekannten Relevanz monatlicher Abschläge für die Liquidität von Zahnarztpraxen (vgl. hierzu LSG Rheinland-Pfalz Meso B 350/74) ist § 6 HVV so auszulegen, dass die Vorschrift (auch ohne ausdrückliche Hervorhebung) einen Anspruch auf Abschlagszahlungen dem Grunde nach als selbstverständlich voraussetzt. Es wäre nicht nachvollziehbar, warum die Vertragspartner die Höhe von Abschlagszahlungen für regelungsbedürftig gehalten haben sollten, dabei deren Gewährung dem Grunde nach aber offen lassen wollten.
Daraus folgt, dass die Antragstellerin grundsätzlich monatliche Abschlagszahlungen in Höhe von 1/16 der zu erwartenden Jahreshonorarzuteilung für 2009 verlangen kann. Ausgehend von den im erstinstanzlichen Verfahren mitgeteilten Honoraransprüchen für das 1. Halbjahr 2008 - gerundet: 68.000,00 Euro - ist dabei von 1/16 des dem entsprechenden Jahresbetrages, mithin von 8.500,00 Euro auszugehen (vgl. § 6 S. 2 HVV).
Diesen Betrag durfte die Antragsgegnerin jedoch im Wege der Aufrechnung vermindern.
Die Aufrechnungsbefugnis folgt vorliegend allerdings nicht schon aus § 12 HVV, wonach die Antragsgegnerin für die Dauer eines laufenden Verwaltungsverfahrens bei dem begründeten Verdacht der Abrechnung nicht erbrachter, nicht vertragsgerecht erbrachter oder nicht wirtschaftlich erbrachter Leistungen in begründeten Einzelfällen berechtigt ist, einen angemessenen Sicherheitseinbehalt festzusetzen oder für die Dauer höchstens eines Quartals die Auszahlung etwaiger Guthaben auf dem Abrechnungskonto zurückzustellen. Denn die Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die Honorarrückforderungen für 2006 und 2007 sind vorliegend mit dem Erlass der Widerspruchsbescheide vom 14. August 2009 beendet worden. Soweit sich die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren auch auf noch durchzuführende Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren beruft, ist nicht ersichtlich, dass entsprechende Verwaltungsverfahren bereits eingeleitet worden sind. Jedenfalls wären entsprechende Sicherheitseinbehalte gemäß § 12 S. 2 HVV ohnehin durch rechtsmittelfähige Bescheide festzusetzen und zu begründen. Derartige Verwaltungsakte liegen hier aber nicht vor.
Die Antragsgegnerin kann jedoch von der ihr durch § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eröffneten Aufrechnungsmöglichkeit Gebrauch machen. Fehlen anderslautende vertrags(zahn)ärztliche Spezialregelungen, kann auf die allgemein für öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse geltenden Bestimmungen der §§ 387 ff BGB zurückgegriffen werden (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 31; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 11).
Spätestens mit ihrem im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Schriftsatz vom 15. Juli 2009 hat die Antragsgegnerin die Aufrechnung ihrer Rückforderungsansprüche in Höhe von 186.253,17 Euro gegen die Ansprüche der Antragsstellerin auf Abschlagszahlungen erklärt. Hierbei handelt es sich nicht nur um gleichartige, sondern auch um gegenseitige Forderungen, obwohl in erster Linie nicht die Antragstellerin als Berufsausübungsgemeinschaft, sondern die früher in Praxisgemeinschaft tätigen Einzelzahnärzte Dr. A. und Dr. D. zur Rückzahlung verpflichtet sind (vgl. hierzu: BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 31). Denn in der am 19. Dezember 2008 der Antragsgegnerin gegenüber schriftlich abgegebenen "Übernahmeerklärung" ist eine hierauf bezogene Schuldübernahme durch die Antragstellerin zu sehen.
Die Antragsgegnerin ist auch befugt, die Zahlung von 186.253,17 Euro zu fordern. Dr. A. und Dr. D. haben gegen die ihnen gegenüber ergangenen Rückforderungsbescheide zwar jeweils Klage erhoben. Gemäß § 85 Abs. 4 S. 9 SGB V haben diese Klagen aber keine aufschiebende Wirkung, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat. Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 SGG sind von den Klägern in den vor dem SG anhängigen Verfahren nicht gestellt worden. Damit kann die Antragsgegnerin die genannten Bescheide sofort vollziehen. Die Frage, ob die Honorarrückforderungsbescheide rechtmäßig sind, ist dagegen für das vorliegende Verfahren unerheblich.
Die Antragsgegnerin hat jedoch missachtet, dass die Aufrechnung gegen eine Forderung gemäß § 394 S. 1 BGB nicht stattfindet, soweit die Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist. Damit ist die Aufrechnung rechtswidrig, soweit ihr die Pfändungsschutzregelungen der §§ 850 ff ZPO entgegenstehen. Diese gelten hier ungeachtet des Umstands, dass es sich bei der Antragstellerin um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt, die Pfändungsschutzvorschriften aber grundsätzlich nur zugunsten natürlicher Personen eingreifen (Smid in: Münchener Kommentar ZPO, 3. Aufl., § 850 Rdnr. 12). Dabei kann hier offen bleiben, ob eine analoge Anwendung der §§ 850 ff ZPO auch bei einer Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen einer ärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft angezeigt wäre, um den gegebenenfalls erforderlichen Grundrechtsschutz des Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz auch im Verfahren der Zwangsvollstreckung lückenlos zu gewährleisten. Denn die Antragsgegnerin kann hier nicht in das Gesellschaftsvermögen der Antragstellerin vollstrecken, weil es an dem hierfür gemäß § 736 ZPO erforderlichen Titel gegen alle Gesellschafter fehlt. Dieser müsste sich auch auf den Mithaftungsanteil der Zahnärzte für die Rückzahlungsschuld des jeweils anderen Partners erstrecken (vgl. BGH NJW 2004, 3632, 3643); die vorliegenden Rückforderungsbescheide betreffen aber nur die Rückforderungen aus eigener vertragszahnärztlicher Tätigkeit in den Jahren 2006 und 2007.
Einschlägig sind hier die §§ 850, 850 c, 850e ZPO. Denn auch Einnahmen aus vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit sind im Rahmen dieser Regelungen als "Arbeitseinkommen" anzusehen, weil es sich hierbei um Vergütungen für Dienstleistungen handelt, die die Existenzgrundlage des Schuldners bilden, weil sie seine Erwerbsfähigkeit ganz oder zum wesentlichen Teil in Anspruch nehmen (BGHZ 96, 324, 327). Hieran ändert vorliegend nichts, dass ausweislich der von der Antragsstellerin vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertung für die Monate Januar bis Juni 2009 die Einnahmen aus vertragszahnärztlicher Abrechnung (58.354,00 Euro) geringer sind als die aus Privatabrechnung (129.463,00 Euro, insbesondere für Zahnersatz und implantologische Leistungen). Denn auch bei den genannten vertragszahnärztlichen Honoraren handelt es sich noch um Beträge, denen ein wesentliches Gewicht innerhalb der Gesamtabrechnung zukommt, zumal es sich hierbei im überwiegenden Umfang um die Vergütung der zahnärztlichen Grundleistungen (vor allem im konservierend-chirurgischen Bereich) handelt.
Bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens geht der Senat im Rahmen summarischer Prüfung davon aus, dass auf jedes Mitglied der Antragstellerin monatliche Abschläge in Höhe von 4.250,00 Euro entfallen. Hiervon waren gemäß § 850 e Nr. 1 ZPO die monatlichen Vorauszahlungen auf die Einkommenssteuer abzusetzen, d.h. - auf der Grundlage der glaubhaften gemachten Angaben der Antragstellerin (insgesamt: 3.869,00 Euro im Quartal) - anteilig 644,83 Euro im Monat. Weiterhin sind gemäß § 850 e Nr. 1 b ZPO die Beiträge zur privaten Krankenversicherung abzusetzen, mithin für Dr. A. 332,26 Euro und für Dr. D. 597,83 Euro.
Von dem für Dr. D. verbleibenden Betrag von 3.007,34 Euro sind gemäß § 850 c ZPO in Verbindung mit der hierzu ergangenen Tabelle (vgl. Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2005 vom 25. Februar 2005 (BGBl I 493) i.V.m. der vom 15. Mai 2009 (BGBl I 1141)) - bei nach Angaben der Antragstellerin fehlenden Unterhaltsverpflichtungen - 1424,40 Euro pfändbar. Für Dr. A. (verbleibender Betrag von 3272,91 Euro) ist zusätzlich der 3020,06 Euro übersteigende Betrag pfändbar (vgl. § 850 c Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung), d.h. 252,85 Euro; hieraus ergibt sich ein pfändbarer Betrag von 1.677,25 Euro.
Der demnach pfändbare und aufrechnungsfähige Betrag von insgesamt 3.101,65 Euro war nicht gemäß § 850 f Abs. 1 b ZPO weitergehend zu mindern, weil besondere Bedürfnisse der Antragstellerin aus beruflichen Gründen anzuerkennen wären. Das LSG Rheinland-Pfalz (a. a. O.) hat dies im Hinblick auf zu zahlende Gehälter und sonstige Praxisunkosten zwar berücksichtigt. Dem steht jedoch entgegen, dass das Belassen weiterer Teile des Arbeitseinkommens nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 850 f Abs. 1 ZPO einen entsprechenden Beschluss des Vollstreckungsgerichts voraussetzt. Ohne derartigen Beschluss über den Umfang unpfändbarer Beträge ist die Aufrechnung diesbezüglich uneingeschränkt zulässig (vgl. BAG NZA 2006, 259, 261; Schlüter in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 394 Rdnr. 4).
Eine weitergehende Aufrechnungsmöglichkeit ergibt sich andererseits nicht aus dem Beschluss des Vorstands der Antragsgegnerin vom 19. März 2007, auch soweit dort - etwa unter Ziffer 1 Buchstabe i Nr. 6 - ein vollständiges Aussetzen von Abschlagszahlungen für möglich gehalten wird. Denn bei dem genannten Beschluss handelt es sich lediglich um eine Verwaltungsrichtlinie, die nichtig ist, soweit sie gegen Rechtsvorschriften - hier: § 6 HVV und § 394 BGB - verstößt.
2. Der Antragsstellerin steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Im Streit um die Zahlung vertrags(zahn)ärztlicher Honorare ist eine Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich, wenn ohne alsbaldige Erfüllung der umstrittenen Forderungen der notwendige Lebensunterhalt des Antragstellers oder die Existenz seiner Praxis gefährdet ist (ständige Senatsrechtssprechung, vgl. zum Beispiel Beschluss vom 14. Januar 2004 - L 3 KA 113/03 ER). Dabei ist grundsätzlich - insbesondere im Hinblick auf die nach § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung - ein strenger Prüfmaßstab anzulegen (Senatsbeschluss vom 14. Januar 2004 a. a. O.). Die Anforderungen an die Darlegung des Anordnungsgrundes können sich nach allgemeiner Auffassung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86 b Rdnr. 29 und Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 123 Rdnr. 24 m. w. N.) ausnahmsweise jedoch reduzieren, wenn ein Anordnungsanspruch offensichtlich vorliegt. Dieser Fall ist hier gegeben, weil die Antragsgegnerin - wie dargelegt - verkennt, dass ihre Mitglieder einen Anspruch auf Abschlagszahlungen haben, gegen den Aufrechnungen nur in den Grenzen des § 394 BGB möglich sind.
Angesichts dessen erachtet es der Senat vorliegend für ausreichend, dass sich die Antragstellerin ausweislich von ihr vorgelegter und durch eidesstattliche Versicherungen abgesicherter Unterlagen gegenwärtig in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten befindet. Zwar verfügte sie in den letzen Monaten über privatärztliche Einnahmen von ca. 20.000,00 Euro monatlich; dem stehen jedoch Verbindlichkeiten (Darlehnsschulden, Steuernachforderungen, laufende Kosten) in erheblicher Höhe gegenüber. Die Liquiditätsprobleme ergeben sich jedenfalls aus Angaben der Sparkassen E. und F. und der Volksbank G. e.G., aus denen ersichtlich ist, dass die eingeräumten Kreditlinien ausgeschöpft sind, sowie aus dem Umstand, dass bereits das Finanzamt H. -Stadt den Zahnärzten mit Bescheid vom 09. Juni 2009 Steuernachforderungen wegen "finanziellen Engpasses" gestundet hat. Entscheidend für einen Anordnungsgrund spricht in diesem Zusammenhang, dass die Antragsgegnerin nicht nur einen begrenzten Honorarbetrag einbehält, sondern bis auf weiteres keinerlei Abschlagszahlungen mehr erbringen will. Dies hat die Antragstellerin unter Bezugnahme auf eine telefonische Rückfrage in Ihrem Schriftsatz vom 16. Juli 2009 mitgeteilt. Die Antragsgegnerin ist dem nicht entgegengetreten, sondern hat dies in ihrem Schriftsatz vom 1. Oktober 2009 bestätigt.
3. Auch den Zeitraum, für den die Antragsgegnerin zu Leistungen zu verpflichten war, setzt der Senat abweichend vom angefochtenen Beschluss fest. Zur Gutschrift der restlichen Quartalszahlung für das 1. Vierteljahr 2009 war die Antragsgegnerin schon deshalb nicht zu verpflichten, weil dies von der Antragstellerin nicht beantragt worden war; diese hat vielmehr in Ihrer Antragsschrift mitgeteilt, diese Zahlung werde auf Grund einer gesonderten Vereinbarung zwischen den Beteiligten einbehalten. Für die (anteilige) Auferlegung der am 23. Juni 2009 fällig gewesene Abschlagszahlung besteht ebenfalls kein Anlass, weil es grundsätzlich an einem Anordnungsgrund für Leistungen fehlt, die für bereits abgelaufene Zeiträume erbracht werden (Bayerisches LSG Breithaupt 2005, 786 f). In Übereinstimmung mit der Rechtssprechung des 8. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen (Breithaupt 2005, 960, 964) geht der erkennende Senat vielmehr davon aus, dass eine Regelungsanordnung grundsätzlich erst vom Eingangszeitpunkt des (erstinstanzlichen) Antrags an ergehen kann. Da der vorliegende Antrag am 03. Juli 2009 bei dem SG eingegangen ist, war die Antragsgegnerin deshalb zur (anteiligen) Gutschrift von Abschlagszahlungen ab Juli 2009 zu verpflichten. Zu einer zeitlichen Begrenzung der Verpflichtung sieht der Senat gegenwärtig keinen Anlass, weil es keine ausreichend konkretisierten Hinweise für die bereits erfolgte Einleitung eines Zulassungsentziehungsverfahrens - von dem das SG ausgegangen ist - gibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Da der von der Antragsgegnerin zu zahlende Betrag nur geringfügig unterhalb der Abschlagssumme von 5.597,00 Euro bleibt, den die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift geltend gemacht hat, hat der Senat gemäß § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO davon abgesehen, ihr anteilige Kosten aufzuerlegen.
Die Streitwertbemessung folgt § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 und 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Dabei war ausschlaggebend, das einbehaltene Abschlagszahlungen von maximal 186.253,17 Euro streitbefangen sein können, entsprechend der Summe der geltend gemachten Rückforderungsansprüche. Hiervon war - gemäß der ständigen Senatsrechtsprechung zu Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - ein Anteil von einem Viertel in Ansatz zu bringen.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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