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01.09.2010 · IWW-Abrufnummer 102770

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 18.04.1994 – 5 U 48/94

Unterläßt es ein Zahnarzt entgegen medizinischer Notwendigkeit und Üblichkeit, den ordnungsgemäßen Sitz eingefügter Implantate in bezug auf Achsneigung und genügende Tiefe
röntgenologisch zu kontrollieren und das Ergebnis zu dokumentieren, trifft ihn die Beweislast, daß später auftretende Komplikationen nicht auf fehlerhafter Insertion beruhen, wenn
fehlerhafte Ausführung und deren Schadensursächlichkeit jedenfalls nicht unwahrscheinlich sind.


Oberlandesgericht Köln

5 U 48/94

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 09. Oktober 1992 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 3 O 379/91 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.404,60 DM nebst 4% Zinsen seit dem 11. Oktober 1991 zu zahlen. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, welche ihr in- folge der fehlerhaften Insertion von Implantaten im Zahnbereich 43 und 33 (Mai 1988) entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 62% und der Beklagte zu 38%. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 32% und der Beklagte zu 68%. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d :
Die Klägerin begab sich im Jahre 1988 in die zahnärztliche Behandlung des Beklagten, der Zahnersatz eingliederte und in den Zahnbereichen 33 und 43 Teleskope implantierte. Im August 1989 stellten sich bei der Klägerin im Implantationsbereich Schmerzen ein. Es stellte sich heraus, daß der Kopf des Implantats 33 abgebrochen war. Nach Behandlungen bei verschiedenen Zahnärzten wurde das Implantat 33 am 14. Januar 1991 und das Implantat 43 wegen Vereiterungen im Kieferbereich und Lockerung am 02. Mai 1991 entfernt.
Die Klägerin hat den Beklagten auf Ersatz anderweitig aufgewendeter Zahnbehandlungskosten (1.404,60 DM), Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 18.000,00 DM und Fest- stellung der Ersatzpflicht wegen zukünftiger materieller und immaterieller Schäden in Anspruch genommen und geltend gemacht, daß der Beklagte sie fehlbehandelt habe. Die Implantate seien nicht lege artis eingefügt worden.
Der Beklagte ist den Vorwürfen entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil nach dem Ergebnis der von ihm veranlaßten Sachverständigenbegutachtung kein Behandlungsfehler nachgewiesen sei.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlichen Anträge im übrigen ein Schmerzensgeld von mindestens 8.000,00 DM verlangt. Sie behauptet, der Beklagte habe die Implantate in falscher Achsstellung und darüber hinaus auch nicht tief genug insertiert. Ferner habe er sie im November/Dezember 1989 nicht darauf hingewiesen, daß sie sich zum Zwecke des Entfernens des Implantats 33 in eine Klinik begeben müsse, weil eine solche Operation zwingend geboten sei.
Der Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze, wegen der Anträge auf das Sitzungsprotokoll vom 17. März 1994 verwiesen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens von Prof. Dr. W..
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die nach §§ 511, 511 a ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO) und damit zulässig. Sie ist sachlich teilweise gerechtfertigt. Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die materiellen und immateriellen Schäden auszugleichen, die sie deshalb erlitten hat, weil die vom Beklagten eingefügten Implantate infolge Unbrauchbarkeit wieder entfernt werden und durch anderweitigen Zahnersatz ersetzt werden mußten. Diese Verpflichtung beruht auf unerlaubter Handlung (§§ 823, 847 BGB) und, soweit es um die materiellen Schäden geht, auch auf schuldhafter Vertragsverletzung (§§ 611, 242 BGB).
Nach den vorbezeichneten Anspruchsgrundlagen ist der Arzt verpflichtet, seinem Patienten Ersatz zu leisten, wenn er ihm durch eine vorwerfbare Fehlbehandlung Schaden zufügt. Darlegungs- und beweispflichtig für sämtliche anspruchsbegründenden Merkmale ist grundsätzlich der Patient. Unter bestimmten Umständen können ihm aber Beweiserleichterungen, die bis zur Beweislastumkehr führen
können zugute kommen. Eine Verschiebung der Beweislast ist generell dann in Betracht zu ziehen, wenn durch Umstände, die vom Arzt zu vertreten sind, besondere Aufklärungerschwernisse in Bezug auf die Ursachen der aufgetretenen Komplikationen herbeigeführt werden, wie es bei einem groben Behandlungsfehler gegeben sein kann (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28. März 1990 - 27 U 125/89 mit Nicht- annahmebeschluß des BGH, Versicherungsrecht 1991, 669), etwa im Falle eines fundamentalen Diagnoseirrtums (vgl. OLG Köln Versicherungsrecht 1991, 1288) und bei Nichterheben von Kontrollbefunden (vgl. BGH Versicherungsrecht 1992, 831), wenn Befunderhebung und deren Sicherung unterlassen worden ist, obwohl dies medizinisch zweifelsfrei geboten war (vgl. BGH NJW 1988, 2949) oder Dokumenationsmängel dazu führen, daß nicht feststellbar ist, ob gebotene Maßnahmen tatsächlich getroffen worden sind (vgl. Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtssprechung zum Arzthaftungsrecht, 5. Auflage, Seite 163).
Im Streitfall kommen die dargelegten Beweislastgrundsätze ebenfalls zum Nachteil des Beklagten zum Tragen.
Bei der Klägerin haben sich rund 1 Jahr nach Abschluß der Behandlung des Beklagten Schmerzen im Insertionsbereich eingestellt, als deren Ursachen ein Bruch des Implantats
33, Entzündungen und Vereiterungen des Zahnfleisches und Abbau des Kieferknochens, Gründe die schließlich zur Locke- rung auch des Implantats 43 führten, ermittelt wurden. Ob diese Komplikationen auf vorwerfbar fehlerhafter Insertion der Implantate durch den Beklagten beruhen, ist nicht feststellbar. Zwar hat der Sachverständige Dr. G. den ihm vorgelegten Röntgenbildern nachbehandelnder Zahnärzte entnom- men, daß die Implantate in fehlerhafter Achsneigung insertiert worden seien, was mit "ziemlicher Sicherheit" zum Bruch des Implantats 33 geführt habe. Eine Achsneigung in mesiodistaler Richtung hat ferner auch der Sachverständige Prof. W. festgestellt, der darüberhinaus den vom Beklagten angeblich im August 1988 gefertigten Röntgenbild eine unzureichend tiefe Versenkung der Implantate entnommen hat. Das allein genügt indessen nicht, um eine Fehlerhaftigkeit der Behandlung und deren Ursächlichkeit für die Komplikationen für bewiesen zu erachten. Denn nach den Darlegungen von Prof. W. sind die nachträglich feststellbaren Achsdivergenzen relativ unbedeutend, weil durch Biegung des Implantathalses eine Korrektur möglich gewesen sei und die Entzündungsprozesse auch unabhängig von etwaigen durch Achsdivergenzen verursachten ungünstigen Kraftlinien entstanden sein und der Knochenabbau ebenfalls allein auf die Entzündungsprozesse
zurückzuführen sein könnten. Die unzureichend tiefe Versenkung der Implantate, wie sie sich später röntgenologisch gezeigt habe, können deshalb auch auf inzwischen eingetretenem Knochenabbau beruhen. Eine Feststellung, ob die Komplikationen durch fehlerhafte Insertion oder davon unabhängige, vom Behandler nicht zu vertretende Entzündungsprozesse verursacht seien, könnte - so der Sachverständige - nicht mehr getroffen werden, weil es an unmittelbar im Anschluß an die Implantation gefertigten Röntgenbefunden fehle. Die mangelnde Aufklärbarkeit geht indessen zu Lasten des Beklagten. Unter den gegebenen Umständen obliegt ihm nämlich der Nachweis, daß die Komplikationen nicht Folge einer vorwerfbar fehlerhaften Insertion sind. Unterläßt es ein Zahnarzt entgegen medizinischer Notwendigkeit und Üblichkeit, den ordnungsgemäßen Sitz eingefügter Implantate in Bezug auf Achsneigung und genügende Tiefe röntgenologisch zu kontrollieren und das Ergebnis zu dokumentieren, trifft ihn die Beweislast, daß später aufgetretene Komplikationen nicht auf fehlerhafter Insertion beruhen, wenn fehlerhafte Ausführung und deren Schadensursächlichkeit jedenfalls nicht unwahrscheinlich sind. So liegt es hier.
Die Röntgenkontrolle war im Streitfall geboten. Der Sachverständige Prof. W. hat vor dem Landgericht bekundet, es sei medizinisch üblich und notwendig, nach Einbringen von Implantaten deren ordnungsgemäßen Sitz röntgenologisch zu kontrollieren, weil mißlungene Insertionen sofort korrigiert werden müßten. Eine nicht kompensierte Achsfehlstellung und/oder ungenügend tiefe Versenkung von Implantaten führe
nämlich zu ungünstigen Belastungsverhältnissen des Gebisses insgesamt und damit zu Knochenabbau, wobei eine ungenügende Tiefe zu einem schnellen Knocheneinbruch im Bereich der Kortikalis und später auch in den tiefen Knochenarealen und damit zu irreparablen Schäden führe. Somit dient die Röntgenkontrolle nicht bloß der Sicherung von Beweisen, sondern sie erweist sich vielmehr als medizinisch notwendige Maßnahme zur Verhinderung von Schäden. Durch das Unterlassung dieser einfachen und üblichen Kontrollmaßnahme hat der Beklagte besondere Aufklärungserschwernisse in Bezug auf die Ursachen der aufgetretenen Komplikationen herbeigeführt, ein Umstand, der - wie oben dargelegt - im Arzthaftungsprozeß regelmäßig zur Verlagerung der Beweislast führt. Das Unterlassen des Beklagten hat gerade dazu geführt, daß ungeklärt geblieben ist, ob der Bruch des Implantats 33 und die Lockerung beider Implantate infolge Knochenabbaus mit der Notwendigkeit deren Entfernung auf fehlerhafter Insertion oder auf Knochenabbau infolge eines entzündlichen Prozesses und einer Neigung der Beklagten zu Parodontalerkrankungen beruhen. Da ein Insertionsfehler als Ursache mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie eine andere Ursache, weil tatsächlich eine Achsendiver- genz besteht und ein postoperativ im Jahre 1988 gefertigtes Röntgenbild eine unzureichend tiefe Versenkung zeigt, hat der Beklagte letztlich den Nachteil mangelnder Aufklärbarkeit zu tragen.
Als Schmerzensgeld ist ein Betrag von 5.000,00 DM angemessen. Die Klägerin hat eine langwierige und schmerzhafte Nachbehandlung erdulden müssen und darüber hinaus irreversiblen Abbau von Knochensubstanz des Kiefers zu beklagen. Das rechtfertigt ein erhebliches Schmerzensgeld. Andererseits hat sie behandlungsfehlerbedingt nicht den Verlust ge- sunder Zähne erlitten.
Die Klägerin hat ferner Anspruch auf Ersatz der Kosten, die sie aufwenden mußte, um die Folgen der Behandlung des Beklagten wenigstens teilweise zu beheben und zu lindern (Rechnungen des Zahnarztes von W. vom 31.01., 27.03., 18.06. und 16.07.1991 in Höhe von insgesamt 1.404,60 DM). Diese Kosten sind nach Leistungsumfang und Höhe angemessen. Ein Übergang der Erstattungsansprüche auf einen Krankenversicherungsträger, hier die ..., ist nicht feststellbar. Die Klägerin hat im Senatstermin glaubhaft dargelegt, daß sie die Rechnungen des Arztes von W. nicht zur Abrechnung bei der ... eingereicht habe, weil dieser Zahnarzt keine kassenärztliche Praxis betreibt. Das muß der Schädiger hinnehmen. Ein Verstoß gegen die der Klägerin obliegende Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) ist nicht ersichtlich.
Das Feststellungsbegehren ist in bezug auf materielle Zukunftsschäden gerechtfertigt, weil solche Schäden nicht auszuschließen sind. Der immaterielle Schaden ist durch den
zuerkannten Betrag insgesamt abgegolten.
Der Zinsanspruch beruht auf § 291 ZPO.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Wert der Beschwer für beide Parteien: unter 60.000,00 DM.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 12.404,60 DM.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB §§ 823, 847, 611, 242

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