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23.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102279

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 24.03.2010 – (1) 53 Ss 42/10 (24/10)

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.03.2010, Az: (1) 53 Ss 42/10 (24/10)
Die Beanstandung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat grundsätzlich mit der Erhebung einer Verfahrensrüge gem. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu erfolgen. Ist allein die Verfahrensrüge erhoben und diese mangels hinreichender Ausführungen unzulässig, ist die Revision insgesamt als unzulässig zu verwerfen.
In pp.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg – Schöffengericht – vom 7. Oktober 2009 wird als unzulässig verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die ihm in diesem erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Oranienburg hat am 7. Oktober 2009 den Angeklagten wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung und im anderen Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts Neuruppin vom 29. Juli 2008 (11 Ns 11/08) und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Gegen diese Verurteilung hat der Angeklagte mit dem am 8. Oktober 2009 bei Gericht eingegangen Anwaltschriftsatz „Rechtsmittel“ eingelegt, dieses nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils am 4. Dezember 2009 mit bei Gericht am 21. Dezember 2009 angebrachten Anwaltschriftsatz als „Revision“ bestimmt und diese mit Anträgen versehen sowie begründet. Der Betroffene hat ausschließlich die Verfahrensrüge unter Beanstandung der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK erhoben.
II.
Die Revision ist als Sprungrevision gemäß § 335 StPO statthaft, die ausschließlich erhobene Verfahrensrüge ist jedoch unzulässig, was die Revision insgesamt unzulässig macht; die Sachrüge ist nicht erhoben worden.
1. Die von dem Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, mit der eine überlange, d. h. rechtsstaatswidrige Verfahrensdauer beanstandet wird, genügt nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK. Da die Sachrüge nicht erhoben worden ist, kann der Senat die Urteilsgründe nicht ergänzend heranziehen.
a) Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat auch ein nicht inhaftierter Angeklagter das Recht auf eine Behandlung seiner Sache innerhalb angemessener Frist; diese beginnt, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen gegen ihn in Kenntnis gesetzt wird und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei ist auf die gesamte Dauer von Beginn bis zum Ende der Frist abzustellen und es sind Schwere und Art des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen neben dem eigenen Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen für den Beschuldigten zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NJW 2003, 2225; BGH wistra 2004, 298 m.w.N.). Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt daher nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (vgl. BGH NStZ 2003, 384 m.w.N.).
b) Der Bundesgerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass für die Beanstandung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung grundsätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge gem. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlich ist (vgl. BGH 1. Strafsenat: Beschl. vom 18. November 2008 – 1 StR 568/08; Beschl. vom 23. Juni 2004 - 1 ARs 5/04; BGH 2. Strafsenat: Beschl. vom 13. Februar 2008 – 2 StR 356/07; Beschl. vom 17. August 2001 - 2 StR 267/01, Beschluss vom 26. April 2002 - 2 StR 55/02; Urteil vom 19. Juni 2002 - 2 StR 43/03; Urteil vom 25. November 2004, 2 StR 274/04; BGH 3. Strafsenat: Beschl. vom 12. August 2004 - 3 ARs 5/04; Beschl. vom 28. August 1998 – 3 StR 142/98; Beschl. vom 4. Januar 1999 – 3 StR 597/98; BGH 4. Strafsenat: Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 139/05; Beschl. vom 25. März 2004 - 4 ARs 6/04; in seiner am 26. Mai 2004 - 2 ARs 33/04 - beschlossenen Antwort auf den Anfragebeschluss des 5. Strafsenats des BGH vom 13. November 2003 - 5 StR 376/03 - hat beispielsweise der 2. Strafsenat des BGH an dieser Rechtsansicht festgehalten und sie näher begründet, zit. jeweils nach juris).
Zwar dürfen die Anforderungen an den Umfang der Darstellung der den Mangel enthaltenden Tatsachen bei der Beanstandung einer konventionswidrigen Verzögerung während eines - wie hier - mehrere Jahre währenden Verfahrens nicht überzogen werden. Von einem Beschwerdeführer ist aber zu erwarten, dass er einen realistischen Überblick über den tatsächlichen Ablauf des Strafverfahrens gibt (BGH NJW 2008, 2451, 2452). Dieser Darstellung bedarf es deswegen, weil für die Frage der Konventionswidrigkeit das Verfahren insgesamt zu beurteilen ist, regelmäßig beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte von der Einleitung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens Kenntnis erlangt. Der Revisionsführer muss in der Revisionsbegründung gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die Tatsachen (z.B. Schwere und Art des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen, Zeiten der Untätigkeit der Strafverfolgungsorgane) darlegen, die den behaupteten Verfahrensverstoß belegen. Nur so ist dem Revisionsgericht eine entsprechende Nachprüfung des behaupteten Verfahrensverstoß möglich (vgl. BGH NStZ 2004, 504).
c) Diesen Begründungsanforderungen wird die Revisionsbegründung jedoch nicht gerecht. Die Revision stellt den Verlauf des gegen den Angeklagten geführten Strafverfahrens nicht in einem Umfang dar, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in der Lage wäre, das Vorliegen eines Verfahrensverstoßes zu überprüfen. Der Angeklagte beschränkt sich in seiner Revisionsbegründungsschrift vom 7. Dezember 2009 (21. Dezember 2009) darauf, die Daten des Tattags, des Urteils, des Abschlusses der polizeilichen Ermittlungen, der Anklageerhebung und eines früheren Hauptverhandlungstermins mitzuteilen; erwähnt wird überdies, dass verschiedene Verfahren verbunden und wieder getrennt worden waren und dass ein Zeuge unter einer falschen Anschrift geladen worden war. An Hand dieser Angaben ist der Senat nicht in der Lage zu überprüfen, ob hier eine rechtsstaatswidrige Verfahrensdauer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK anzunehmen ist. Welche Verfahren verbunden und wieder getrennt worden sind, teilt der Revisionsführer ebenso wenig mit wie die Hintergründe und die Bedeutung der fehlerhaften Ladung des Zeugen …. Insbesondere fehlen auch Angaben zum Umfang und zur Schwierigkeit des Verfahrens, zur Art und Weise der Ermittlungen, und vor allem zu etwaigen Zeiten der Untätigkeit der Strafverfolgungsorgane.
d) Auch soweit der Revisionsführer auf die Nichtanwendung der Vollstreckungslösung (BGH - GS - NJW 2008, 860) abstellt, genügen die Ausführungen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Denn das Urteil würde dann nicht auf den vom Angeklagten behaupteten Fehler beruhen, wenn das Schöffengericht zur Kompensation einer konventionswidrigen Verfahrensverzögerung einen Abschlag sowohl bei der Höhe der jeweiligen Einzelstrafen als auch bei der Höhe der Gesamtstrafe vorgenommen hätte. Hierzu verhält sich die Revisionsbegründung jedoch nicht.
2. Der Senat weist lediglich ergänzend darauf hin, dass die überaus milden Einzelstrafen und die ebenso milde Gesamtfreiheitsstrafe sich zudem nur damit erklären lassen könnten, dass das Tatgericht – wie in den Urteilsgründen auch hervorgehoben – hierbei die (sehr) lange Verfahrensdauer berücksichtigt hat. Damit aber wäre der Angeklagte durch Nichtanwendung der Vollstreckungslösung (BGH-GS-NJW 2008, 860) mutmaßlich nicht beschwert. Darüber hinaus hat das Amtsgericht - Schöffengericht - die Aussetzung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung mit der langen Verfahrensdauer begründet. Weil die verhängte Freiheitsstrafe wegen der langen Verfahrensdauer zur Bewährung ausgesetzt worden ist, wäre der Angeklagte durch die Nichtanwendung der Vollstreckungslösung wohl letztlich nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 204/08, zit. nach juris.).

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