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27.08.2010 · IWW-Abrufnummer 102272

Oberlandesgericht Stuttgart: Urteil vom 10.06.2010 – 7 U 179/09

§ 12 Abs. 3 VVG a. F. kann keine Verkürzung der Beschwerdefrist im PKH-Bewilligungsverfahren (§ 127 Abs. 2 S. 3 ZPO) zu Lasten der bedürftigen Partei entnommen werden (Abweichung von OLG Nürnberg, Urt. 18.01.2010, 8 U 791/09 und OLG Celle, VersR 2006, 101).


OLG Stuttgart Urteil vom 10.6.2010
7 U 179/09
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 16 O 193/07 - vom 22.09.2009 wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 16 O 193/07 - vom 22.09.2009 teilweise
a b g e ä n d e r t :
Es wird festgestellt, dass die Investment-Berufsunfähigkeitsversicherung vom 21.03.2002 bei der Beklagten mit der Versicherungsschein-Nr. L ... ... im Nürnberger Tarif IBU2100*F mit Versicherungsbeginn zum 01.04.2002 und Ablauf der Versicherung zum 01.04.2026 fortbesteht.
3. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Berufungsstreitwert: bis 110.000,-- EUR
Gründe
I.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart, mit dem sie zur Zahlung von monatlichen 1.087,67 EUR bis 01.04.2026 aus der zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung verurteilt und die Freistellung der Klägerin von der Beitragszahlungspflicht festgestellt wurde. Die Klägerin begehrt mit der Anschlussberufung die zusätzliche Feststellung, dass die zwischen den Parteien abgeschlossene Berufsunfähigkeitsversicherung fortbesteht und nicht wegen behaupteten Rücktritts weggefallen ist.
Die Parteien streiten um die Versicherungsleistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung (Anlage K 1).
Die Klägerin schloss mit Wirkung vom 01.04.2002 unter Vermittlung der Zeugen M. bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Darin verpflichtet sich die Beklagte, bei Eintritt des Versicherungsfalles der Klägerin monatlich 1.087,67 EUR zu bezahlen und sie von der Beitragszahlungspflicht zu befreien. Die Versicherung endet zum 01.04.2026. Die am 05.02.2002 im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss der Klägerin gestellten Fragen nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen beantwortete diese durchgehend mit „nein“ bzw. gab bei Arztbesuchen „Routine ohne Befund“ an (Anlage K 10; nach Bl. 16 und Bl. 127).
Die Klägerin zeigte mit Schreiben vom 23.01.2004 ihre Berufsunfähigkeit bei der Beklagten an. Diese lehnte in mehreren Schreiben die Leistungserbringung aus dem Versicherungsvertrag ab und erklärte mehrfach den Rücktritt. Die erste Rücktrittserklärung vom 30.04.2004 (Anlage B 3, nach Bl. 39) nahm die Beklagte zunächst zurück. Mit Schreiben vom 12.04.2006 trat die Beklagte erneut gem. § 16 VVG a. F. zurück und belehrte nach § 12 Abs. 3 VVG a. F. über die gerichtliche Geltendmachung der Versicherungsleistung binnen sechs Monaten (Anlage B 6; nach Bl. 39). Letztmalig verlängerte die Beklagte mit Schreiben vom 05.04.2007 die Klagefrist bis zum 30.04.2007 (Anlage B 10; nach Bl. 39).
Die Klägerin war bis 1994 in ihrem erlernten Beruf als Erzieherin beschäftigt. Im Anschluss daran bekam sie drei Kinder und befand sich in Elternzeit. Währenddessen war sie nur als „Springer“ jeweils kurzzeitig in ihrem Beruf tätig. Nach Ende der letzten Erziehungszeit im März 2002 meldete sich die Klägerin arbeitssuchend. Seit Mai 2008 ist sie mit zehn Wochenarbeitsstunden als Erzieherin teilzeitbeschäftigt.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie leide seit März 2003 an Depression, Panikstörung und sozialer Phobie. In Stresssituationen erlebe sie oftmals totale Blackouts. Auch träten starke Konzentrationsprobleme auf. Den Geräuschpegel im Kindergarten könne sie nur für kurze Zeit ertragen. Schon morgens sei sie müde und deprimiert. Sie sei nicht mehr in der Lage, auch nur halbschichtig in ihrem angestammten Beruf zu arbeiten. Eine Vergleichstätigkeit komme nicht in Betracht.
Sie habe die vorvertragliche Anzeigepflicht nicht verletzt. Eine Mutter-Kind-Kur sei wegen des Sohnes in Anspruch genommen worden; sie habe zu dieser Zeit lediglich allgemeine Erschöpfung, familiäre Belastung und vereinzelte Rückenschmerzen als eigene Leiden verspürt. Sie habe vor Antragstellung auch noch nicht an Depressionen gelitten. Dem Ehepaar M. habe sie mitgeteilt, dass sie wegen einer schwierigen Ehesituation manchmal Kopfweh und leichte körperliche Beschwerden habe. Dies, ebenso wie die Mutter-Kind-Kur, sei vom Ehepaar M. als nicht relevant eingestuft worden. Das Attest vom 01.03.2002 sei der Klägerin bei Antragsstellung noch nicht bekannt gewesen (Anlage K 14; Bl. 60). Durch die Rücknahme des ersten Rücktritts habe die Beklagte zudem auf Rechte verzichtet und könne sich nun nicht mehr darauf berufen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin sei mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche bereits nach § 12 Abs. 3 VVG a. F. ausgeschlossen, da der Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) erst am 02.05.2007, mithin nach Ablauf der Klagefrist zum 30.04.2007, beim Landgericht Stuttgart eingegangen sei. Zudem habe die Klägerin mit ihrer Beschwerde gegen die PKH-Ablehnung zu lange zugewartet.
Sie sei zu Recht nach § 16 VVG a. F. zurückgetreten. Die Klägerin habe entgegen ihrer Verpflichtung zur Anzeige gefahrerheblicher Umstände verschwiegen, dass sie bereits am 08.01.2002 wegen einer Depression in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Die Beschwerden wie Schlafstörungen, Angst, Traurigkeit und Überlastung hätten bereits seit 2001 bestanden und die Klägerin in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Das anders lautende Attest des Dr. Ma. vom 06.05.2004 sei offensichtlich ein reines Gefälligkeitsattest. Die Depression der Klägerin bestehe schon seit 1994. Das Vorliegen vorvertraglicher Beschwerden zeige sich auch aus der Mutter-Kind-Kur, welche nicht nur des Sohnes wegen, sondern auch wegen eigener Beschwerden der Klägerin durchgeführt worden sei (Anlage K 14, Bl. 60). Im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Der an das Landgericht Stuttgart gerichtete Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist am 30.04.2007 per Telefax beim Oberlandesgericht Stuttgart eingegangen (Bl. 1). Am 02.05.2007 lag dieser dem Landgericht Stuttgart vor. Das Landgericht hat die Bewilligung der Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 13.08.2007 abgelehnt (Bl. 61 ff.). Hiergegen hat die Klägerin am 04.10.2007 sofortige Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet (Bl. 65 ff.). Das Oberlandesgericht Stuttgart hat auf die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 27.12.2007 (Bl. 80 ff.) Prozesskostenhilfe bewilligt.
Das Landgericht hat nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (Prof. Dr. T.) sowie durch Vernehmung der Zeugen Prof. Dr. H., Dr. Ma., K. M. und R. M..
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Der Anspruch auf Versicherungsleistung sei nicht wegen Versäumung der sechsmonatigen Frist zur gerichtlichen Geltendmachung gem. § 12 Abs. 3 VVG a. F. ausgeschlossen. Voraussetzung sei lediglich, dass eine Klage oder ein entsprechender PKH-Antrag bei Gericht rechtzeitig eingehe. Gerichtlich geltend gemacht gem. § 12 Abs. 3 VVG a. F. sei ein Anspruch auch, wenn er bei einem unzuständigen Gericht eingereicht werde. Die Klägerin habe alles ihr Zumutbare getan, dass eine Zustellung im Sinne des § 167 ZPO „demnächst“ erfolgt sei. Der PKH-Antrag sei am 30.04.2007 rechtzeitig eingegangen und sofort an das Landgericht Stuttgart weitergeleitet worden.
Die Klägerin habe die gesetzliche Einmonatsfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den die PKH versagenden Beschluss des Landgerichts ausschöpfen dürfen. Ob die in Anlehnung an § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO angewendete Zweiwochenfrist und die zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung mit Einführung der gesetzlichen Einmonatsfrist für PKH-Beschwerden überholt sei, könne dahinstehen, weil nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des § 167 ZPO geringfügige Verzögerungen ebenfalls außer Acht zu bleiben hätten.
Die Berufsunfähigkeit stehe aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. T. (Bl. 233 ff.) zur Überzeugung des Landgerichts fest (UA S. 7 ff.). Der Beklagte stehe ein Rücktrittsgrund gem. § 16 Abs. 2 VVG a. F. nicht zu. Von falschen Angaben zum Gesundheitszustand könne, insbesondere bei Gesamtwürdigung und unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin gegenüber den als Versicherungsvermittlern tätigen Zeugen K. und R. M. sowie der Bekundungen der übrigen Zeugen (vgl. Anlage K 4: Prof. Dr. Ha.; nach Bl. 16), nicht ausgegangen werden (UA S. 9 ff.).
Die Berufung verfolgt den erstinstanzlichen Klagabweisungsantrag weiter. Das Landgericht habe die von ihm angesprochenen Beschwerden (Schlafstörungen, Unruhezustände und Erschöpfung) nicht richtig und nicht zugunsten der Beklagten gewertet (Bl. 342 ff.). Es habe in den Entscheidungsgründen, wie auch schon der für die Beklagte tätige Sachverständige Prof. Dr. Ha. (Anlage K 3; nach Bl. 16), ausdrücklich das Wort „Beschwerden“ verwendet, weshalb auch von vorvertraglichen „Beschwerden“ mit der Folge eines Rücktrittsgrundes auszugehen sei. Die Klägerin hätte sämtliche Beeinträchtigungen rückhaltlos offenbaren müssen.
Das Landgericht habe den Regelungsgehalt des § 12 Abs. 3 VVG a. F. verkannt. Die Beklagte sei von ihrer Leistungspflicht wegen verspäteter gerichtlicher Geltendmachung befreit. Der PKH-Antrag vom 30.04.2007 sei zwar beim - wenngleich sachlich unzuständigen - Gericht eingereicht worden. Dieser sei jedoch nicht vollständig gewesen, weil die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gefehlt habe (Bl. 346). Ferner sei das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die sofortige PKH-Beschwerde nach Ablauf von zwei Wochen noch rechtzeitig gewesen sei (Bl. 346 ff.) Der die PKH versagende Beschluss des Landgerichts vom 13.08.2007 sei der Klägerin am 05.09.2007 zugestellt worden. Die Klägerin hätte nicht zuwarten und ihre sofortige Beschwerde erst kurz vor Ende der Einmonatsfrist am 04.10.2007 einlegen dürfen, sondern das Rechtsmittel entsprechend § 234 ZPO binnen zwei Wochen einlegen müssen. Wegen des Beklagtenvortrags im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart, verkündet am 22. September 2009 (Az. 16 O 193/07), wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Hilfsweise: Das Urteil des Landgerichts Stuttgart, verkündet am 22. September 2009 (Az. 16 O 193/07), wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Klägerin beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin beantragt zur Anschlussberufung:
Es wird festgestellt, dass die Investment-Berufsunfähigkeitsversicherung vom 21.03.2002 der Beklagten unter der Versicherungsschein-Nr. L ... ... im Nürnberger Tarif IBU2100*F mit Versicherungsbeginn zum 01.04.2002 und Ablauf der Versicherung zum 01.04.2026 fortbesteht.
Die Beklagte beantragt zur Anschlussberufung:
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil gegen die Berufung der Beklagten und ist der Auffassung, dass die vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Gründe für eine Berufsunfähigkeit ausreichend sind. Die Voraussetzungen für einen Rücktritt lägen nicht vor. Das Leistungsurteil des Landgerichts schließe eine positive Zwischenfeststellungsklage nicht aus. Der behauptete Rücktritt der Beklagten sei vorgreiflich, weil er einen noch wirksamen Versicherungsvertrag zwischen den Parteien negiere und die Anwendung von § 12 Abs. 3 VVG a. F., der einen wirksamen Versicherungsvertrag voraussetze, entbehrlich werden lasse.
II.
1. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
a) Das Landgericht ist zu Recht vom Eintritt des Versicherungsfalles ausgegangen.
Es hat zu Recht und mit zutreffender Begründung der Leistungsklage auf monatliche Zahlung der Berufsunfähigkeitsleistungen gem. § 1 Abs. 1 S. 2 VVG a. F. i.V.m. § 1 Abs. 1 der zwischen den Parteien vereinbarten „Tarifbedingungen“ für die Berufsunfähigkeitsversicherung (Anlage K 1) sowie der Klage auf Feststellung gem. § 256 Abs. 1 ZPO auf Beitragsbefreiung nach § 1 Abs. 1 S. 3 der „Tarifbedingungen“ für die Berufsunfähigkeit (Anlage K 1) stattgegeben.
Der Versicherungsfall ist vor dem 31.12.2008 eingetreten. Es ist das Gesetz über den Versicherungsvertrag in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 1 Abs. 2, Art. 4 Abs. 3 EGVVG).
aa) Für die Beurteilung der Berufungsunfähigkeit ist auf die Anforderungen der Tätigkeit als Erzieherin abzustellen.
aaa) Die Klägerin hat ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Erzieherin nicht gewechselt, indem sie sich wegen der Geburt ihrer Kinder der Erziehung und der Haushaltsführung widmete. In der Haushaltstätigkeit kann allenfalls dann ein neuer Beruf gesehen werden, wenn ihre Übernahme auf einer bewussten beruflichen Entscheidung beruht, unter Aufgabe des bisherigen Berufs zum Lebensunterhalt nunmehr durch Hausarbeit beizutragen. Dagegen ist ein Berufswechsel nicht anzunehmen, wenn die Aufnahme der Haushaltstätigkeit ihren Grund in einer bloßen Unterbrechung der bisher ausgeübten Berufstätigkeit hat, etwa aufgrund vorübergehender Arbeitslosigkeit oder aus familiären Gründen. Eine bloße Unterbrechung der bisherigen Berufstätigkeit und kein Berufswechsel ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Versicherte im Rahmen des Erziehungsurlaubs zuhause bleibt (Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Auflage, § 46 Rn. 35). Somit ist hier davon auszugehen, dass die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit als Erzieherin wegen kurzer Zeiten der Arbeitslosigkeit und im Übrigen aufgrund des Erziehungsurlaubs lediglich unterbrochen hat. Dass diese Unterbrechung mehrere Jahre dauerte, was bei Zusammenfallen mit Erziehungszeiten nicht außergewöhnlich ist, ist in diesem Zusammenhang nicht erheblich.
bbb) Der Zeitablauf rechtfertigt auch nicht die Annahme, die Klägerin sei gemäß § 2 Abs. 6 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) aus dem Berufsleben ausgeschieden (Anlage K 1). Es kommt nicht darauf an, ob sie außerstande ist, irgendeine Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, sondern allein darauf, ob sie in der Lage ist, die unterbrochene Tätigkeit als Erzieherin wieder aufzunehmen. Ein Ausscheiden aus dem Berufsleben allein aufgrund Zeitablaufs kann nur in Betracht gezogen werden, wenn die tatsächliche Berufsausübung des Versicherten schon so lange zurückliegt, dass eine Anknüpfung an den früher ausgeübten Beruf auf der Grundlage seiner Ausbildung und aufgrund der im Zuge der früheren Berufstätigkeit erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr ohne weiteres möglich ist (BGH VersR 1987, 753 ff.). Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in gesundem Zustand aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen wäre, als Erzieherin zu arbeiten. Die Anforderungen, die der Beruf der Erzieherin mit sich bringt, haben sich während der Erziehungszeiten der Klägerin nicht in einem Maß verändert, dass es der Klägerin nicht möglich gewesen wäre, an ihre frühere Berufstätigkeit anzuknüpfen. Auch Zeiten der Arbeitslosigkeit rechtfertigen nicht die Annahme, der Versicherte sei aus dem Berufsleben ausgeschieden (BGH VersR 1987, 753 ff.).
bb) Das Landgericht hat auf der Grundlage der Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. zutreffend festgestellt, dass die Klägerin gemessen an einer Tätigkeit als Erzieherin seit 01.04.2003 zu mindestens 50 % berufsunfähig ist. Auf die Begründung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, die der Senat teilt, wird Bezug genommen.
b) Die Beklagte ist aufgrund der Rücktrittserklärung nicht leistungsfrei, § 16 VVG a. F. Das Landgericht hat eine Verletzung der Anzeigepflicht zu Recht verneint.
aa) Aufgrund der Anzeigepflicht gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 VVG a. F. hat der künftige Versicherungsnehmer die in einem Versicherungsantragsformular gestellter Fragen nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden grundsätzlich erschöpfend zu beantworten. Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Denn schon nach gewöhnlichem Sprachgebrauch wird der Befragte unter Störungen oder Beschwerden eine Gesundheitsbeeinträchtigung von (noch) geringerer Intensität verstehen, als dies beim Vorliegen einer Krankheit oder eines Schadens der Fall ist. Doch findet diese weit gefasste Pflicht zur Offenbarung ihre Grenze bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen (BGH RuS 2003, 336 ff.; BGH VersR 1994, 711 ff.).
bb) Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Klägerin die vorübergehend aufgetretenen Beeinträchtigungen infolge familiär bedingter Belastungsreaktionen nicht angeben musste.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund der Angaben der sachverständigen Zeugen Prof. Dr. Ha. und Dr. Ma. ist davon auszugehen, dass es bei der Klägerin in der Zeit vor Antragstellung bis zu vier Phasen der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit gab, verbunden mit Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Unruhezuständen, wobei dies jeweils Reaktionen auf Belastungen durch die familiäre Situation waren. Um depressive Episoden handelte es sich dabei nicht; auch war die Klägerin deswegen weder in ärztlicher Behandlung noch nahm sie Medikamente. Erst im Verlauf des Jahres 2002 verdichteten sich die Beschwerden bis der Erschöpfungszustand und die depressive Verstimmung Ende 2002 im Zusammenhang mit der Trennung der Klägerin von ihrem Ehemann eigenständigen Krankheitswert erlangten. Nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. Ha. musste die Klägerin diese jeweils anlassbezogenen und familiär bedingten Beeinträchtigungen nicht als Auffälligkeiten werten; vielmehr ist nachvollziehbar, wenn sie davon ausging, es handle sich um Beschwerden vorübergehender Natur.
Unter Zugrundelegung dieser Umstände hat das Landgericht eine Anzeigepflicht in Bezug auf die Belastungsreaktionen der Klägerin zu Recht verneint. Die Klägerin durfte berechtigterweise davon ausgehen, dass es sich bei den zeitweilig aufgetretenen Beschwerden lediglich um Beeinträchtigungen ihres Wohlbefindens handelte, die alsbald vergehen und für die Risikoabschätzung der Beklagten offenkundig ohne Belang sind.
cc) Selbst wenn man eine Anzeigepflicht grundsätzlich annehmen würde, wäre zu beachten, dass die Angaben der Klägerin, sie habe den Agenten M. zeitweilig auftretende Kopfschmerzen und Schlafprobleme offenbart, nicht widerlegt werden konnten. Auch dies steht der Annahme entgegen, die Klägerin habe ihre Anzeigepflicht verletzt.
aaa) Es ist Sache des Versicherers zu beweisen, dass der Versicherungsnehmer über eine anzeigepflichtige Vorerkrankung keine oder unzutreffende Angaben gemacht hat (Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 17 Rn. 41). Als Nachweis reicht die Vorlage eines objektiv unzutreffend ausgefüllten Antrags nicht ohne weiteres aus. Trägt der Versicherungsnehmer vor, er habe beim Ausfüllen des Formulars dem Agenten den anzeigepflichtigen Umstand mündlich offenbart, muss der Versicherer dies mit geeigneten Beweisen widerlegen (BGH NJW-RR 1994, 1049 ff.; BGH NJW 1989, 2060 ff.; OLG Hamm RuS 2001, 354 ff.; Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 17 Rn. 42). Denn entscheidend sind die mündlichen Erklärungen des Versicherungsnehmers gegenüber dem Agenten des Versicherers: Bei Entgegennahme eines Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrags steht dem Antragsteller der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent des Versicherers (§ 43 Nr. 1 VVG), bildlich gesprochen, als dessen Auge und Ohr gegenüber (vgl. nunmehr § 70 VVG n. F. in Übernahme der früheren Rechtsprechung). Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden, auch wenn der Agent es nicht in das Formular aufgenommen hat (BGH VersR 2008, 765 ff.; BGHZ 102, 194 ff.; BGH NVersZ 2002, 60 ff.; BGH NJW 1992, 828 ff.).
bbb) Nach der schriftlichen Stellungnahme der Agenten M. vom 13.11.2006 (Anlage K 9; nach Bl. 16), auf die die Klägerin Bezug genommen hat, hatte die Klägerin den Agenten offenbart, dass sie wegen Streitigkeiten mit ihrem Ehemann zeitweilig an Kopfschmerzen leide und schlecht schlafe. Die Fragen der Agenten, ob diese Beeinträchtigungen bereits vor der zerrütteten Ehe bestanden haben, chronisch seien und ob sie deshalb bereits in ärztlicher Behandlung gewesen sei oder Medikamente eingenommen habe, hat die Klägerin verneint. In den Antrag wurden die angegebenen Beschwerden dann nicht aufgenommen. Dies ist auch durch die Vernehmung der Zeugen M. nicht widerlegt. Folglich hat die Klägerin familiär bedingte Belastungsreaktionen den Agenten der Beklagten offenbart. Da die Agenten durch ihre Nachfragen zum Ausdruck brachten, die Relevanz dieser Beschwerden hänge von der Chronizität, einer ärztlichen Behandlung und der Einnahme von Medikamenten ab, durfte die Klägerin davon ausgehen, dass weitere Angaben zu den zeitweilig aufgetretenen Beschwerden infolge familiärer Belastungen nicht erforderlich seien. Denn es geht nicht zu Lasten des künftigen Versicherungsnehmers, wenn der Agent durch einschränkende Bemerkungen zu den Fragen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist (BGH VersR 2001, 1541 ff.).
ccc) Zwar ist eine Wissenszurechnung nicht gerechtfertigt, wenn der künftige Versicherungsnehmer nicht schutzwürdig ist, weil er mit dem Versicherungsagenten arglistig zum Nachteil des Versicherers zusammengewirkt hat. Das setzt allerdings die Feststellung voraus, dass der Versicherungsnehmer auf die Angaben des Agenten nicht vertraut, sondern im Bewusstsein der Anzeigeobliegenheit erkennt und billigt, dass der Versicherer durch das Vorgehen des Agenten über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst wird und er deshalb - im Einvernehmen mit dem Versicherungsagenten - will, dass die betreffende Erkrankung im Antragsformular unerwähnt bleibt (BGH VersR 2008, 765 ff. m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
dd) Auch wenn die Klägerin die Körperverletzung und die ärztliche Behandlung infolge des tätlichen Angriffs ihres Ehemanns sowie von Zeit zu Zeit auftretende Rückenbeschwerden nicht offenbart hat, kann die Beklagte daraus keine Einwendungen gegen ihre Leistungspflicht herleiten. Zunächst spricht viel dafür, dass nach den oben beschriebenen Grundsätzen auch insoweit keine Anzeigepflicht bestand. Unabhängig davon liegt aber auf der Hand, dass diese körperlichen Beschwerden im Sinne von § 21 VVG a. F. keinen Einfluss auf den Eintritt und den Umfang der Berufsunfähigkeit hatten, da letztere allein durch seelische Leiden begründet ist.
c) Die Klägerin hat die Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 VVG a. F. nicht versäumt.
aa) Die Klägerin hat mit dem per Telefax am 30.04.2007 eingereichten Prozesskostenhilfegesuch die Klagefrist eingehalten. Ein PKH-Antrag ist grundsätzlich geeignet, die Frist gemäß § 12 Abs. 3 VVG a. F. zu wahren (BGH VersR 2006, 57 ff.; BGHZ 98, 295 ff.). Das Gesuch der Klägerin war auch vollständig, denn auch die Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse lagen am 30.04.2007 vor (vgl. BGH VersR 2006, 57 ff.). Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat diese vollständig per Telefax am 30.04.2007 mit an das Gericht übermittelt (PKH-Heft). Aus dem Umstand, dass die Beklagte gem. § 117 Abs. 2 S. 2 ZPO kein Recht hat, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzusehen oder hiervon Abschriften zu erhalten, darf sie nicht auf die Nichtvorlage dieser Erklärung schließen.
Dass die Klägerin den Antrag zunächst beim Oberlandesgericht eingereicht hat, schadet bei der Auslegung der Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. nicht. Die bei einem örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht eingereichte Klage wahrt nach ständiger Rechtsprechung die Frist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. (Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 12 Rn. 62 m.w.N.). Auch die versehentliche Einreichung bei einem sachlich unzuständigen Gericht - hier beim Oberlandesgericht Stuttgart, statt beim Landgericht Stuttgart (§§ 119 Abs. 2, 71 Abs. 1 GVG) - ändert hieran ebensowenig etwas wie der Umstand, dass eine Verweisung gem. § 281 ZPO vom Oberlandesgericht an das Landgericht nicht möglich ist. Die Rechtsprechung unterscheidet zu Recht nicht zwischen sachlicher Unzuständigkeit gleichgeordneter oder der sachlichen Unzuständigkeit über- und untergeordneter Gerichte (BGH VersR 1978; 313 ff. [Rn. 19]; BGHZ 97, 155 ff.). Selbst die im falschen Gerichtszweig erhobene Klage reicht zur Wahrung von materiellrechtlichen Ausschlussfristen aus, wie §§ 17a, 17b GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG, § 83 VwGO und § 98 SGG zu entnehmen ist (BGHZ 97, 155 ff. [Rn. 24]: zu materiellrechtlichen Ausschlussfristen; OLG Dresden, VersR 2003, 93 f. [Rn. 14, 16] zu § 12 Abs. 3 VVG: Klageerhebung bei privater Unfallversicherung beim unzuständigen Sozialgericht). Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 22.10.2004 zur Auslegung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. selbst bei einer nicht unterschriebenen Klage ausgeführt, dass die genannte versicherungsrechtliche Vorschrift als materiellrechtliche Ausschlussfrist einengend zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen sei, um ein faires Verfahren und effektiven Rechtsschutz für den Versicherungsnehmer zu gewährleisten (BVerfG VersR 2004, 1585 ff. [Rn. 15 ff.] m.w.N.).
Für den PKH-Antrag gilt nichts anderes, zumal eine ins Gewicht fallende Verzögerung nicht eingetreten ist, da der Antrag bereits am 02.05.2007 beim Landgericht eingegangen war. Im Bereich des Rechtsschutzes gebietet nach ständiger höchstrichterlicher und verfassungsrechtlicher Rechtsprechung der allgemeine Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG und dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG, dass die prozessuale Stellung von Bemittelten und Unbemittelten anzugleichen sind. Der unbemittelten Partei darf die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vergleich zur bemittelten Partei nicht unverhältnismäßig erschwert werden (BGHZ 98, 295 ff. [Rn. 22 ff.: Aufgabe der früheren Rechtsprechung]; BVerfGE 2, 336 ff; BVerfGE 9, 124 ff.; BVerfGE 10, 264 ff.).
bb) Die Klägerin durfte nach Zurückweisung ihres Prozesskostenhilfegesuchs die vom Gesetz gem. § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingeräumte Beschwerdefrist von einem Monat ausschöpfen.
Die form- und fristgerechte eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin vom 04.10.2007 (Bl. 65 ff.), die mit einer Beschwerdebegründung versehen und am gleichen Tag beim Landgericht Stuttgart eingegangen war, gegen den die PKH versagenden Beschluss des Landgerichts Stuttgart hat entgegen der Auffassung der Berufung nicht gegen § 12 Abs. 3 S. 1 VVG a. F. verstoßen.
aaa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Versicherungsnehmer, der ein Prozesskostenhilfeantrag zur Wahrung der Klagefrist eingereicht hat, im weiteren Verlauf des Verfahrens alles ihm Zumutbare tun, damit die Zustellung "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO (§ 270 Abs. 3 ZPO a. F.) erfolgen kann. Er muss daher nicht nur Verzögerungen vermeiden, sondern darauf auch im Sinne einer möglichen Beschleunigung hinwirken. Daraus hat der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen zur alten Rechtslage vor der ZPO-Reform gefolgert, dass bei einer Beschwerde gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs die Begründung innerhalb eines Zeitraums von höchstens zwei Wochen ab Zugang der angefochtenen Entscheidung erfolgen muss, um die Klagefrist zu wahren. Dabei entspricht die Frist von zwei Wochen in Anlehnung an den Rechtsgedanken von § 234 Abs. 1 ZPO dem Zeitraum, den ein Rechtsanwalt bei angemessener Sachbehandlung für eine ordnungsgemäße Prozessführung benötigt (BGH VersR 1990, 882 f.; BGHZ 98, 295 ff. [Rn. 23 ff.]).
bbb) Diese Entscheidungen beziehen sich jedoch auf die Zeit vor der ZPO-Reform. Die damalige Rechtslage sah für die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Prozesskostenhilfe keine Frist vor. Seit der am 01.01.2002 in Kraft getretenen Regelung in § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO darf die PKH-Beschwerde - in Abweichung zur (Zwei-Wochen-) Frist für die allgemeine sofortige Beschwerde in § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO - innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt werden. Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber eine wertende Entscheidung darüber getroffen, wie viel Zeit einer bedürftigen Partei zuzugestehen ist, um die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe zu prüfen. Angesichts dieser speziellen Regelung des Gesetzgebers besteht kein Bedarf mehr, weiterhin auf den Rechtsgedanken des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO und die aus ihm hergeleitete Zwei-Wochen-Frist zurückzugreifen. Ferner hat der Gesetzgeber mit der ZPO-Novelle auch im Hinblick auf die Wiedereinsetzungsfrist bei der Versäumung der Fristen für die Begründung bei der Berufung, Revision, Nichtzulassungsbeschwerde und Rechtsbeschwerde reagiert und diese, nicht zuletzt, um die unbemittelte Parte nach Gewährung von PKH-Gesuchen nicht schlechter zu stellen, von der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO ausgenommen und eine Monatsfrist mit dem neu zum 01.01.2002 in § 234 Abs. 1 ZPO angefügten Satz normiert, § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO.
Aus § 12 Abs. 3 S. 1 VVG a. F. kann ebenfalls nicht abgeleitet werden, dass die bedürftige Partei ihr Recht, die geltende Frist für die PKH-Beschwerde gem. § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO auszuschöpfen, nicht ausüben darf. Hat das Gericht dem Versicherten eine bestimmte Frist zur Vornahme einer Prozesshandlung gesetzt, darf der Versicherungsnehmer trotz des Gebots, auf eine größtmögliche Beschleunigung hinzuwirken, diese Fristen voll ausschöpfen (OLG Köln VersR 1998, 749 ff.). Er darf darauf vertrauen, dass er das Verfahren in ausreichendem Maß fördert, wenn er gerichtliche Fristen einhält. Gleiches muss dann aber auch für Fristen gelten, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Auch insoweit darf die unbemittelte Partei davon ausgehen, dass ihr keine schuldhafte Verzögerung des Verfahrens angelastet wird, wenn sie die vom Gesetzgeber als angemessen erachteten Fristen ausschöpft.
Der divergierenden Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg (OLG Nürnberg, Urteil vom 18.01.2010 - 8 U 791/09 [Bl. 381 ff.]) folgt der Senat nicht. Das OLG Nürnberg ist im unveröffentlicht gebliebenen Urteil der Auffassung (dort S. 9 f. [= Bl. 381 ff.]), dass ein Versicherungsnehmer, wenn sein PKH-Antrag abgelehnt worden sei, binnen zwei Wochen Beschwerde einzulegen und binnen selber Frist zu begründen habe. Die Begründung der PKH-Beschwerde binnen zwei Wochen und damit inzident auch die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen einen die PKH versagenden Beschluss, fordert auch unter Geltung neuen Prozessrechts das Oberlandesgericht Celle, auf das sich das Oberlandesgericht Nürnberg beruft (OLG Celle, VersR 2006, 101). Die genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Nürnberg und Celle befassen sich nicht mit der Frage, ob die zum alten Prozessrecht vor der ZPO-Novelle 2002 ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung wegen geänderter Gesetzeslage einer Anpassung bedarf. Die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung und verfassungsrechtlich in verschiedenen Konstellationen und auch zu § 12 Abs. 3 VVG a. F. mehrfach entschiedene Frage zur Gleichbehandlung einer bemittelten und einer unbemittelten Partei, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, beantworten die von der Berufung zitierten Entscheidungen (OLG Celle, a.a.O.; OLG Nürnberg) ebenfalls nicht.
Bereits der Bundesgerichtshof hat indes in seinem Urteil vom 01.10.1986 mit eingehender Begründung entschieden, dass die prozessuale Stellung von Bemittelten und Unbemittelten zur Vermeidung von unzulässigen Erschwernissen für einen effektiven Rechtsschutz für Prozesskostenhilfe beantragende Parteien weitgehend anzugleichen sind (BGHZ 98, 295 ff. [Rn. 24]). Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt (sub 1 c aa) hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom 22.10.2004 diesen Grundsatz bekräftigt und ergänzend ausgeführt, dass § 12 Abs. 3 S. 1 VVG a. F. in der Praxis weit zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen sei, weil es nicht um prozessrechtlich streng zu handhabende Fristen, sondern lediglich um die Frage gehe, ob ein Versicherungsnehmer eines materiellrechtlichen Anspruchs die zur Erhaltung dieses Anspruchs nach materiellem Anspruch erforderlichen Handlungen rechtzeitig vorgenommen habe (BVerfG VersR 2004, 1585 ff. [Rn. 15 ff., 17]). Nach Auffassung des Senats durfte die Klägerin die sofortige Beschwerdefrist von einem Monat gem. § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO deshalb ausnutzen. Eine anderweitige Auslegung des § 12 Abs. 3 S. 1 VVG a. F. verletzt nach Auffassung des Senats den Grundsatz des Gebots der Gleichbehandlung der prozesskostenhilfesuchenden Partei im Vergleich zur bemittelten Partei und den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfG VersR 2004, 1585 ff. m.w.N.).
d) Der Senat hält auch die Wertung des Landgerichts für richtig, dass sich die Beklagte gemäß § 242 BGB nicht darauf berufen kann, die Klägerin habe die Klagefrist wegen der während des Beschwerdeverfahrens geführten Vergleichsverhandlungen versäumt. Wenn die Beklagte darauf hinweist, es sei mit der in § 278 Abs. 1 ZPO verankerten Zielvorstellung, vorrangig eine gütliche Einigung zwischen den Parteien zu erreichen, nicht vereinbar, wenn eine Partei, die sich auf Vergleichsgespräche einlässt, dadurch Rechtsnachteile befürchten müsste, so ist dem grundsätzlich beizupflichten. Allerdings wäre es nicht die Beklagte, sondern die Klägerin, die ihr Recht verlieren würde, wollte man allein aus der Verzögerung des Verfahrens wegen der Vergleichsverhandlungen eine Verfristung der Klage ableiten. Hinzukommt, dass eine nennenswerte Verzögerung des Verfahrens durch die Vergleichsverhandlungen nicht festgestellt werden kann. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16.11.2007 (Bl. 73) mitgeteilt, dass sich die Parteien in Vergleichsverhandlungen befinden und eine Entscheidung zurückgestellt werden solle. Am gleichen Tag hat das Landgericht aber bereits seine Nichtabhilfeentscheidung getroffen. Die Akten sind am 20.11.2007 beim Oberlandesgericht eingegangen. Bereits mit Schriftsatz vom 28.11.2007 (Bl. 75) hat die Klägerin das Scheitern der Vergleichsgespräche mitgeteilt. Eine Verfahrensverzögerung, der einer Zustellung der Klage noch „demnächst“ entgegenstehen könnte, wäre damit auch nicht eingetreten.
e) Der Hilfsantrag der Berufung auf Aufhebung und Zurückverweisung ist ebenfalls unbegründet, § 538 Abs. 2 ZPO.
Mit Ausnahme eines Zurückverweisungsantrags der Beklagten gem. 538 Abs. 2 S. 1 HS 2 ZPO fehlt es an sämtlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung. Zum einen leidet das Verfahren an keinem wesentlichen Mangel und zum anderen wäre keine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.
2. Die zulässige Anschlussberufung ist begründet.
a) Der Senat hat, entgegen der Vermutungen der Beklagten, der Klägerin keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt (Bl. 342). Die Anschlussberufung vom 15.04.2010 ist zulässig, insbesondere nicht verfristet, § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO.
b) Die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin ist zulässig und begründet, § 256 Abs. 2 ZPO.
Die Voraussetzungen für die von der Klägerin erhobene positive Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO liegen vor. Lediglich der Leistungstenor (Leistungsbefehl) auf Zahlung der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente (Tenor Ziff. 1) und der Feststellungstenor (Tenor Ziff. 2) hinsichtlich der Leistungsfreiheit erwachsen gem. § 322 Abs. 1 ZPO in Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils, nicht hingegen die die Verurteilung tragenden tatsächlichen Feststellungen und die Beurteilung vorgreiflicher Rechtsverhältnisse.
Das Bestehen des Dauerschuldverhältnisses des Versicherungsvertrages ist für die Leistungsklage vorgreiflich. Die Beklagte negiert mit der Behauptung zum Rücktritt gem. § 16 VVG a. F. bereits das Vorhandensein einer zwischen den Parteien fortbestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung. Das Urteil über die Hauptsache (Leistungstenor und Feststellungstenor zur Beitragsfreiheit) erschöpft das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nicht. Die Beklagte könnte ohne die nunmehr erhobene positive Zwischenfeststellungsklage bei weiteren Rechtsstreiten aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (etwa nachträgliche Anpassung oder Leistungsfreiheit gem. § 11 der AVB zur Berufsunfähigkeitsversicherung [vgl. Anlage K 1]) erneut den Wegfall des Versicherungsvertrages wegen Rücktritts gem. § 16 Abs. 2 VVG a. F. einwenden. Mit der zulässigen Zwischenfeststellungsklage auf Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses mangels wirksamen Rücktritts der Beklagten erwächst dieser Gesichtspunkt zwischen den Parteien in Rechtskraft und kann in einem neuerlichen Rechtsstreit nicht mehr in Abrede gestellt werden. Im Übrigen bestehen nicht nur für die Zwischenfeststellungsklage ausreichende Vorgreiflichkeitsvoraussetzungen, sondern wegen Vorliegens eines allgemeinen Feststellungsinteresses zugunsten der Klägerin auch die Voraussetzungen für eine allgemeine positive Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO.
Dahinstehen kann, ob die erweiternde Zwischenfeststellungsklage der Klägerin im zweiten Rechtszug § 264 ZPO unterfällt, weil die Beklagte lediglich zu Unrecht die Anschlussberufungsfrist gerügt, aber sich im Übrigen mit dem Anschlussberufungszurückweisungsantrag vom 27.04.2010 (Bl. 407 ff.) rügelos eingelassen hat, § 267 ZPO. Ferner liegen die Voraussetzungen des § 533 ZPO vor. Neben der rügelosen Einlassung gem. § 267 ZPO hält der Senat die Klageänderung in Form der Klagerweiterung zur Vermeidung eines neuen Rechtsstreits auf positive Feststellung für sachdienlich, § 533 Nr. 1 ZPO. Der Senat kann ferner die für die Klagerweiterung notwendigen Tatsachen auf solche stützen, die er seiner Entscheidung über die Berufung und Anschlussberufung ohnehin gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 zugrundezulegen hat, § 533 Nr. 2 ZPO.
Die Zwischenfeststellungsklage ist begründet, weshalb die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeitsversicherung bis 01.04.2026 hat. Der Beklagten steht kein Rücktrittsgrund gem. § 16 Abs. 2 VVG a. F. zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die obigen Ausführungen zum unwirksamen Rücktritt zur Leistungsklage und ergänzend auf die zutreffenden Gründe im Urteil des Landgerichts (UA S. 9 ff.), die der Senat teilt, Bezug genommen werden.
III.
1. Die Kostenentscheidung für die Berufung und Anschlussberufung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 711 S. 2 i.V.m. 709 S. 2 ZPO.
3. Die Revision war zuzulassen, § 543 ZPO.
Zwar dürfte eine grundsätzliche Bedeutung nicht vorliegen, weil die nur noch für Altfälle Geltung beanspruchende Vorschrift des § 12 Abs. 3 VVG a. F. ausläuft. Jedoch erfordert die Sicherung einer einheitlicher Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO für die verbleibenden Altfälle, bei denen der Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist (Art. 1 Abs. 2 EGVVG). Die Beklagte hat auf den rechtlichen Hinweis des Senats zu Recht eingewandt, dass es mit der angekündigten Entscheidung des Senats divergierende Entscheidungen von Oberlandesgerichten zur Auslegung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. geben wird. Der Senat vermochte sich der für unzutreffend und die Rechte des Versicherungsnehmers verkürzenden Rechtsprechung der vom Beklagten genannten beiden Oberlandesgerichte zu § 12 Abs. 3 VVG a. F. und zur Frage der Verkürzung der gesetzlichen Einmonatsfrist zur Einlegung der PKH-Beschwerde entgegen § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO nicht anzuschließen.

RechtsgebietVVG a.F.Vorschriften§ 12 Abs. 3 VVG a.F.

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