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19.05.2010 · IWW-Abrufnummer 101572

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 17.11.2009 – 5 U 967/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


5 U 967/09
2 O 112/06 LG Mainz
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit XXX
wegen: Anspruch aus ärztlicher Behandlung
weist der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig durch Beschluss zurückzuweisen:
G r ü n d e:
Die zulässige Berufung ist ohne Aussicht auf Erfolg.
Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zum Berufungsvorbringen ist ergänzend zu bemerken:
1. Nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vor endonasalen Siebbeineingriffen über das operationstypische (seltene) Risiko von Sehstörungen bis hin zur äußerst seltenen Erblindung aufzuklären (BGH NJW 1994, 793).
Das vom Kläger unterzeichnete Merkblatt zum Aufklärungsgespräch ist für einen Laien missverständlich. Angekreuzt war von drei möglichen Operationen die Rubrik „Kieferhöhlen-Operation durch die Nase“. Wenn es dann an anderer Stelle heißt:,….müssen zusätzlich auch die Siebbeinzellen mitoperiert werden, so kann es …zu schwerwiegenden Sehstörungen bis zum völligen Sehverlust kommen..“ so musste der Kläger dies nicht auf den beabsichtigten Eingriff beziehen, weil ihm nicht gesagt worden war, dass auch die Siebbeinzellen mit betroffen sein würden.
Die Auffassung des Sachverständigen (121, 131 GA), die Aufklärung sei genügend, weil jede Sanierung der Kieferhöhle regelhaft auch die vorderen Teile des Siebbeines, somit das Risiko der Verletzung der Augenhöhle umfasse, mag für einen HNO-Arzt auf der Hand liegen, für einen Laien sicher nicht. Aus dem Aufklärungsbogen ergibt sich dieses operationstypische Risiko für alle Arten der Sanierung der Kieferhöhle jedenfalls nicht hinreichend.
2. Entscheidend ist somit letztlich das persönliche Aufklärungsgespräch. Dabei ist von Bedeutung, das auch über seltene Risiken aufzuklären ist, wenn sie für den Eingriff spezifisch sind und ihre Verwirklichung die Lebensführung des Patienten schwer belasten. Dabei verbietet sich jegliche Verharmlosung (BGH a.a.O). Von daher misst der Senat den Überlegungen der Berufung zur Komplikationsdichte keine entscheidende Bedeutung zu.
Bei der Anhörung in erster Instanz hat der Kläger angegeben, es sei von Nervenverletzungen in der Kieferhöhle und Taubheitsgefühlen in den Backen gesprochen worden. Der Beklagte hat dies im Wesentlichen bestätigt und ausgeführt, der Kläger habe ihn gefragt, ob eine Verletzung des Auges möglich sei. Er habe geantwortet, dass ihm „solches noch nicht vorgekommen sei“ (230, 231 GA).
Diese Äußerung des Beklagten erachtet der Senat als eine unzulässige Verharmlosung eines operationstypischen, nicht ganz seltenen Risikos, das bei seiner Verwirklichung gravierende Folgen haben kann. Sie verhindert im Endeffekt ein weiteres Nachfragen des Patienten, weil er damit gewissermaßen die Qualifikation des Operateurs in Zweifel ziehen würde. An dieser Stelle hätte der Beklagte (auch im Hinblick auf das missverständliche Aufklärungsformular) seiner Äußerung korrekterweise eine Erläuterung der Operation (mit oder ohne Betroffenheit der Siebbeinzellen) und der Häufigkeit des Risikos einer Augenverletzung anfügen müssen, mit der Bemerkung, dass diese Komplikation mit absoluter Sicherheit auch von ihm nicht ausgeschlossen werden könne.
3. Der Berufung ist zuzugestehen, dass nach dem Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens das Abstellen der angefochtenen Entscheidung auf die Verletzung der Aufklärungspflicht für den Beklagten überraschend gewesen sein mag. Eine ggfls. darin zu sehende Verletzung des rechtlichen Gehörs, wäre durch den vorstehenden Hinweis „geheilt“.
Da alle Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen, ist beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen.
Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16. Dez. 2009.
Koblenz, den 17. November 2009
B e s c h l u s s
in dem Rechtsstreit XXX
wegen: Anspruch aus Heilbehandlung
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, sowie die Richter am Oberlandesgericht Weller und Dr. Menzel gemäß § 522 Abs. 2 ZPO am 12. Januar 2010 einstimmig
b e s c h l o s s e n:
Die Berufung des Beklagten gegen das Grundurteil des Landgerichts Mainz vom 21. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Der Streitwert wird auf bis zu 13.000,00 € (Schmerzensgeld 7.000 €, materielle Schäden 4.378,48 €, Feststellung 1.500 €) festgesetzt.
G r ü n d e:
Die zulässige Berufung ist ohne Erfolg. Auf den Beschluss des Senats vom 17.11.2009 wird umfassend Bezug genommen. Zum Schriftsatz des Beklagten vom 08.01.2010 ist ergänzend zu bemerken:
1. Der Beklagte bezweifelt nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor endonasalen Siebbeineingriffen über das operationstypische (seltene) Risiko von Sehstörungen bis hin zur äußerst seltenen Erblindung aufzuklären ist (BGH NJW 1994, 793).
Das sah auch der in erster Instanz angehörte Sachverständige so, hielt die Aufklärung unter seiner Annahme für genügend, dass über das Risiko einer Augenverletzung gesprochen wurde. Ob das mündliche Aufklärungsgespräch in seiner konkreten Ausge-staltung den Anforderungen der Rechtsprechung an eine genügende Risikoaufklärung genügt, ist aber letztlich eine Tat- und Rechtsfrage, die nicht der Sachverständige, sondern der Richter zu beurteilen hat. Für eine ergänzende Anhörung des Sachverständigen dazu besteht daher keine Veranlassung.
2. Zutreffend ist, dass das Aufklärungsformular das Risiko einer Augenverletzung anspricht. Dies aber ganz gezielt nur für den Fall, dass „zusätzlich auch die Siebbeinzellen mit operiert werden“. Ob dies ausreichend ist, kann bezweifelt werden unter der Annahme des Sachverständigen, dass grundsätzlich bei jeder Kieferhöhlenoperation, nicht nur bei Einbezug der Siebbeinzellen, das Risiko einer Verletzung der Orbita bestehe (Anhörung vom 22.04.2008, Seite 4, 231 GA). Vor diesem Hintergrund, dass der Aufklärungsbogen möglicherweise nicht genügend, jedenfalls aber nicht eindeutig ist in seiner Risikobeschreibung, aber auch aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen, kommt dem persönlichen Aufklärungsgespräch entscheidende Bedeutung zu.
3. Zum Verlauf des persönlichen Aufklärungsgesprächs hat der Senat zu Gunsten des Beklagten dessen Angaben im Termin vom 22.04.2009 als wahr unterstellt. Danach hat der Kläger, möglicherweise angeregt durch die nicht eindeutige Risikobeschreibung im Aufklärungsformular, nachgefragt, ob eine Verletzung des Auges möglich sei. Der Beklagte hat erwidert, dass ihm Derartiges noch nicht vorgekommen sei. Das erachtet der Senat - trotz der Ausführungen im Schriftsatz vom 08.01.2009 - als das Risiko unzulässig verharmlosend, zumal der Kläger in erster Instanz unwidersprochen vorgetragen hat, dass von einer Mitbetroffenheit der Siebbeinzellen nie die Rede gewesen sei (91a GA).
Wenn es sich bei dem Risiko der Verletzung der Orbita um ein zwar seltenes, aber operationstypisches Risiko handelt, dass auch dem sorgfältigsten Arzt unterlaufen kann, dann konnte dieses Risiko sich auch bei einer Operation durch den Beklagten verwirklichen.
Das aufklärungsrichtige Verhalten des Beklagten wäre gewesen, dem Klägers auf seine Nachfrage zu erläutern, welche konkrete Operationsausführung geplant war, ob die Siebbeinzellen miterkrankt waren und ob sie von Anfang an oder ggfl. m Zuge einer evtl. Operationserweiterung mitoperiert werden müssten. Es war anzufügen, das auch er, der Beklagte, obgleich ihm Derartiges noch nie passiert sei, letztlich nicht ausschließen könne, dass es zu einer Augenverletzung kommen könne. Nur so wäre das gravierende, operationstypische Risiko angemessen und zutreffend umschrieben worden.
4. Den Einwand, dass der Kläger, wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden, dem Eingriff gleichwohl zugestimmt hätte - hypothetische Einwilligung - hat der Beklagte in erster Instanz (ohne Beweisantritt) erhoben, der Kläger ist ihm plausibel entgegengetreten. Die Berufung hat die Ausführungen erster Instanz dazu weder aufgegriffen noch vertieft.
Nach alledem ist der operative Eingriff rechtswidrig gewesen.
Da alle Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen, ist die Berufung mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

RechtsgebietArzthaftung VorschriftenZPO

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