Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

07.05.2010 · IWW-Abrufnummer 101462

Amtsgericht Göttingen: Beschluss vom 05.01.2010 – 74 IN 374/07

1. Unter den weit auszulegenden Begriff des Kredites i. S. d. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO fällt auch ein Zahlungsaufschub bzw. eine Stundung.



2. Unrichtige schriftliche Angaben liegen auch vor bei Abschluss eines gerichtlichen Zahlungsvergleiches bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.


Amtsgericht Göttingen 05.01.2010
Insolvenzgericht
Geschäfts-Nr.: 74 IN 374/07 (nicht rechtskräftig)

B e s c h l u s s

In dem Restschuldbefreiungsverfahren

über das Vermögen der

Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt
Die beantragte Restschulbefreiung wird versagt.

Gründe

A. Über das Vermögen der Schuldnerin ist am 23.11.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der erste Eröffnungsantrag stammt vom 16.07.2007, der Eigenantrag vom 19.11.2007 weist 36 Gläubiger mit einer Gesamtforderung von ca. 167.000 € aus. Die Schuldnerin war selbständig tätig als Ergotherapeutin mit eigener Praxis.

Mit Beschluss vom 06.07.2009 hat der Rechtspfleger das schriftliche Verfahren angeordnet und u.a. zur Stellung von Versagungsanträgen eine Frist bis zum 06.10.2009 gesetzt. Drei Gläubiger haben fristgerecht Anträge gestellt. Auf den Antrag des Gläubigers Nr. 43 hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 06.11.2009 die Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt, da die Schuldnerin ein auf den Namen ihres Lebensgefährten geführtes Konto nicht angab. Auf die sofortige Beschwerde hat das Landgericht Göttingen mit Beschluss vom 10.12.2009 die Entscheidung dahin geändert, dass der Antrag des Gläubigers (Nr. 43 - Finanzamt) zurückgewiesen wird.

B. Nunmehr sind die übrigen Versagungsanträge zu bescheiden. Die Anträge der Gläubiger Nr. 39 und Nr. 42 sind zulässig und begründet.

I. Antrag Gläubigerin Nr. 39

Die Gläubigerin beruft sich darauf, dass die Schuldnerin am 14.01.2008 durch einen Strafbefehl zu einer erheblichen Strafe verurteilt worden sei. In ihrer derzeitigen Anstellung erhalte die Schuldnerin mit 900 b€ einen deutlich zu niedrigen Lohn. Weiter habe die Schuldnerin in Kenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit am 14.03.2007 in einem Arbeitsgerichtsprozess einen Vergleich abgeschlossen.

1) Die Gläubigerin hat nicht dargelegt, dass die Schuldnerin wegen einer Insolvenzstraftat gem. §§ 283 - 283c StGB verurteilt worden ist. Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO scheidet aus.

2) Arbeitspflichten bestehen erst nach Ankündigung der Restschuldbefreiung und Aufhebung des Verfahrens. Eine Versagung gem. § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann im vorliegenden Stadium des Verfahrens nicht erfolgen. Dass die Schuldnerin ein 900 € übersteigendes Einkommen erzielt und ein Verstoß gegen § 290 Abs.1 Nr.5 InsO vorliegt, hat die Gläubigerin nicht dargelegt.

3) Es liegt jedoch der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor. Die Schuldnerin hat in den letzen drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich unrichtige Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, um einen Kredit zu erhalten.

a) Die Schuldnerin hat in dem Arbeitsgerichtsprozess mit der Gläubigerin Nr. 39 am 14.03.2007 einen Vergleich geschlossen, in dem sie sich zur Zahlung von rückständigen Arbeitslohn in Höhe von 10.466,43 € in drei Raten zum 20.04., 20.05 und 20.06 2007 verpflichtete. Von ihrem bis zum 15.03.2007 eingeräumten Widerrufsrecht machte sie keinen Gebrauch.

Die Schuldnerin hat unrichtige Angaben über ihre Zahlungsfähigkeit gemacht. Im Termin vor dem Arbeitsgericht erklärte sie, sie könne den Vergleichsbetrag zu den drei Zahlungsterminen begleichen. Es handelt sich entgegen der Auffassung der Schuldnerin nicht um im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO unbeachtliche mündliche Angaben. Eine schriftliche Erklärung liegt auch dann vor, wenn eine Urkundsperson Erklärungen des Schuldners im Rahmen ihrer Zuständigkeit in öffentlichen Urkunden niederlegt (BGH ZInsO 2006, 601, 602). Die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin ist zwar nicht ausdrücklich im Vergleich erwähnt. Sie ergibt sich jedoch im Wege der Auslegung aus der von der Schuldnerin eingegangenen Verpflichtung zur Zahlung des Vergleichsbetrages und insbesondere der Einräumung einer Ratenzahlung. Im Übrigen erklärt unabhängig von konkreten Äußerungen im Termin eine einen Vergleich abschließende Partei konkludent ihre Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit.

b) In der Vereinbarung der Ratenzahlung im Vergleich liegt ein Kredit i. S. d. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Begriff Kredit ist weit auszulegen. Entgegen der Auffassung der Schuldnerin ist es nicht erforderlich, dass Geld oder geldeswerte Mittel aus fremden Vermögen zeitweise zur Verfügung gestellt werden (LG Düsseldorf NZI 2009, 193 = ZVI 2009, 125). Unter den Begriff des Kredites fällt nach einhelliger Ansicht in der Kommentarliteratur auch ein Zahlungsaufschub (Graf-Schlicker/Kexel § 290 Rz. 11; HK-InsO/Landfermann § 290 Rz. 8; HambK-Streck § 290 Rz. 17; FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 21; Kübler/Prütting/Wenzel § 290 Rz. 13; MK-InsO/Stephan § 290 Rz. 38; Uhlenbruck/Vallender § 290 Rz. 34). Es macht keinen Unterschied, ob einem Schuldner ein Betrag als Darlehen überlassen oder ein dem Gläubiger zustehender Zahlungsanspruch gestundet wird, indem die Fälligkeit - etwa durch eine Ratenzahlungsvereinbarung - hinausgeschoben wird.

c) Ausreichend ist die Absicht der Schuldnerin, auf die Erreichung des Zieles kommt es nicht an (BGH ZInsO 2008, 157, 158). Auszugehen ist davon, dass es Ziel der Schuldnerin war, einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubes zu erlangen. Die Schuldnerin beruft sich darauf, die Angaben seien nicht auf das Erhalten eines Kredites, sondern auf die Realisierung des gerichtlichen Vergleiches gerichtet gewesen. Daraus folgt aber nicht, dass es der Schuldnerin nicht auch auf einen Zahlungsaufschub ankam. Dass die Schuldnerin ausschließlich andere Ziele verfolgte, ist daher nicht ersichtlich.

d) Die Schuldnerin hat vorsätzlich gehandelt. Sie wusste um ihre Zahlungsunfähigkeit, zudem hat sie von dem ihr eingeräumten Widerrufsrecht im Vergleich keinen Gebrauch gemacht.

e) Die Versagung ist auch nicht unverhältnismäßig. Es handelt sich schon in Anbetracht der Forderungshöhe nicht um einen Bagatellverstoß.

II. Antrag Gläubiger Nr. 42

Der Gläubiger beruft sich darauf, die Schuldnerin habe mit Schreiben vom 27.11.2006 an ihn und vom 15.01.2007 an einen anderen Gläubiger vorgespiegelt, kurzfristig Zahlungen leisten zu wollen und dadurch versucht, eine Kreditierung in Form einer Stundung zu erlangen.

Es liegt der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor.

1.) Die Schuldnerin hat unrichtige Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, um einen Kredit zu erhalten. Der Begriff Kredit ist weit auszulegen, auch eine Stundung fällt darunter (s. o. I. 3 b).

a) Im Schreiben vom 27.11.2007 an den Gläubiger stellte die Schuldnerin eine Tilgung des Großteiles der Forderungen bis zum 13.12.007 in Aussicht u. a. unter Hinweis darauf, dass eine Forderung von ca. 3.300 € nicht einem namentlich benannten Dritten, sondern „uns“ zustehe.

b) Im Schreiben vom 15.01.2007 an den Vermieter der Praxisräume in Kassel unterbreitete sie wegen Mietzinsrückständen für Oktober 2006 bis März 2007 einen "verbindlichen Tilgungsplan" , der Zahlungen zum 23.01.2007, 15.02.2007 und 15.03.2007 vorsah.

2.) Die Schuldnerin kann sich nicht darauf berufen, dass sie die Schreiben nicht unterzeichnet hat. Die Schreiben sind unter ihrem Briefkopf verfasst, das Schreiben vom 15.01.2007 trägt zudem ihre Abrechnungsnummer; unterschrieben sind sie von ihrem (damaligen) Lebensgefährten, über dessen Konto zudem seit 2006 der Zahlungsverkehr abgewickelt wurde. Die Schuldnerin ist dem Vortrag des Gläubigers im Schriftsatz vom 29.10.2009 nicht entgegengetreten, dass die Schreiben mit ihrem Wissen verfasst wurde. Dafür spricht auch die Formulierung „wir“ im Schreiben vom 27.11.2006. Damit ist der Schriftform genügt (BGH ZInsO 2006, 601, 602).

3.) Ziel der Schuldnerin war es, Kredit in Form eines Zahlungsaufschubes zu erlangen. Davon ist nach Aktenlage auszugehen. Dass die Schuldnerin ausschließlich andere Ziele verfolgte, ist nicht ersichtlich und vorgetragen.

4.) Die Schuldnerin hat vorsätzlich gehandelt. Sie wusste um ihre Zahlungsunfähigkeit.

5.) Der Gläubiger Nr. 42 ist antragbefugt auch hinsichtlich des an den Vermieter gerichteten Schreibens vom 15.01. 2007. Eine individuelle Betroffenheit ist nicht erforderlich (OLG Celle ZInsO 2000, 456, 457 für § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO; BGH ZInsO 2007, 446, 447 für § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO; a. A. FK-InsO/Ahrens § 290 Rn. 56)

6.) Die Versagung ist auch nicht unverhältnismäßig. Es handelt sich schon in Anbetracht der Forderungshöhen nicht um einen Bagatellverstoß.

III. Folglich ist die Restschuldbefreiung zu versagen, da die Schuldnerin in Kenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit Gläubiger zu Stundungen fälliger Ansprüche veranlassen wollte. Darin liegt keine mittelbare Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung, die bei natürlichen Personen nicht existiert. Im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist anerkannt, dass der Versagungsgrund eingreifen kann, wenn der Schuldner durch aktives Tun Gläubiger von der Stellung eines Insolvenzantrages abhält (AG Göttingen ZVI 2005, 504; HambK-Streck, § 290 InsO Rn. 25.). Vergleichbar verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die Schuldnerin durch aktives Tun Kreditierungen erreichen wollte.

RechtsgebietRestschuldbefreiungVorschriften§ 290 InsO

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr